Hier macht ihr die Bekanntschaft eines ganz besonderen eigenen Charakters, den Evelyne und ich erfunden haben. Eigentlich war diese Geschichte als Shortcut ausgelegt, doch dann mochten wir uns irgendwie nicht mehr von ihm trennen. **grins** Wenn ihr die Story verfolgt, werdet ihr sicher verstehen, warum wir sooo viel Spaß an ihm hatten.

Doch fangen wir vorne an...lest selbst, wie alles begann...Ich wünsche viel Vergnügen **grins**

 

 

Mr. Thomas Smith

 

Ein kühles, gedämpftes Licht erhellt den Raum und taucht ihn in ein diffuses, unheimliches Licht. Ich starre an die Decke und warte nun bereits seit über einer Stunde darauf, dass endlich jemand erscheint. Die Aussicht ist langweilig; die Decke ist kahl und weiß, und mittlerweile kenne ich jeden verdammten Pinselstrich, den der Maler gemacht hat, in- und auswendig. Zu gerne würde ich blinzeln, meine Augen vorübergehend in eine andere Richtung lenken oder sie einfach nur für einen flüchtigen Moment schließen, doch was immer ich auch versuche, es funktioniert einfach nicht. Schließlich gebe ich es auf und denke über den vorangegangenen Abend nach. Er hatte so wunderbar begonnen, doch jetzt zu behaupten, dass es wirklich gut für mich gelaufen ist, wäre wahrscheinlich stark übertrieben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit höre ich nahende Schritte. Das leise Summen einer Tür lässt mich in Gedanken erleichtert aufatmen. Endlich kommt jemand und kümmert sich um mich. Ich höre, wie eine Person den Raum betritt und gleich darauf flammt das Deckenlicht grell auf. Uuh, das blendet! Merkwürdigerweise zeigt mein Körper keinerlei Reaktion. Komisch. Dabei bin ich doch normalerweise so lichtempfindlich. Ich versuche, meinen Kopf zu drehen und stoße schon wieder auf einen mir unerklärlichen Widerstand. Was soll das? Warum zum Teufel geht das nicht? Ich bin verwirrt, doch meine Neugier verdrängt im Moment noch die Fragen, die sich mir plötzlich aufdrängen. Wenn ich mich mächtig anstrenge kann ich aus dem Augenwinkel einen Hut erkennen und ich sehe eine Männerhand, die einen langen Mantel an den eisernen Haken in der Wand hängt. Mehr ist nicht zu sehen. Warum bewegen meine Augen sich nicht? Ich kann den Mann nicht sehen, nur hören. Leises Pfeifen dröhnt in meine Ohren, eine friedvolle, schwingende Melodie. Hä? Was hat das denn nun schon wieder zu bedeuten? Wieso pfeift hier jemand fröhliche Lieder? Ist das womöglich gar nicht der Arzt, auf den ich schon so lange warte? Ich nehme mir vor, dem Mann gehörig die Meinung zu geigen, sobald ich wieder in der Lage dazu bin. Niemand sollte in der Gegenwart von schwer verletzten Patienten seine musische Begabung austesten. Du lieber Himmel, wo bin ich hier bloß gelandet?

„So…“, ertönt eine klare Stimme und der Mann tritt endlich in mein Blickfeld. Er steht neben mir und sieht mit einem Gesichtausdruck auf mich herunter, den ich nicht deuten kann. Wohlwollen? Mitleid? Es ist wohl irgendetwas dazwischen. Plötzlich wird mir entsetzt bewusst, dass ich nackt bin. Vollkommen unbedeckt, schutzlos entblößt liege ich da vor einem Fremden. Mein Instinkt rät mir, nach irgendetwas zu greifen; wenigstens meine Hände auf meinen Schoß zu legen, um meine Blöße zu bedecken, doch mein Körper reagiert schon wieder nicht, nur meine Wangen fühlen sich an, als würden sie rot anlaufen. Gott, ist das peinlich! Ich schäme mich schon ein wenig. Aber das Gesicht des Mannes sieht freundlich aus. Nett, es flößt mir sofort Vertrauen ein. Ich beschließe, dass es sich auf jeden Fall um den Arzt handeln muss und somit brauche ich mich auch nicht mehr zu schämen. Über das respektlose Pfeifen werde ich ausnahmsweise einmal hinwegsehen. Hauptsache, es kümmert sich endlich jemand um mich.


„Willkommen in meinem Reich“, spricht der Mann in einem sanften Singsang weiter und ich meine einen leichten britischen Akzent heraushören zu können. Während ich noch darüber nachdenke, ob es gut oder schlecht für mich ist, von einem Europäer behandelt zu werden, geht mir plötzlich auf, was der Mann gerade zu mir gesagt hat. In seinem Reich? Wie bitte? Wo? Was heißt denn hier „sein Reich“? Wo zum Teufel bin ich hier gelandet? Zu gerne würde ich dem Arzt meine Fragen ins Gesicht schreien, doch leider geschieht, was ich schon befürchtet hatte. Kein Laut kommt über meine Lippen, so sehr ich mich auch bemühe. Oh Mann, so langsam macht mir das Angst. Der Mann greift nach einem Klemmbrett, das neben mir gelegen haben muss. Das war es also, was mich die ganze Zeit über gestört hat; endlich ist es weg. Ich habe bestimmt schon eine Druckstelle am Unterarm von der Kante dieses blöden Teils. Als ob ich nicht schon genug mitgemacht hätte. Am liebsten würde ich ja jetzt „Danke“ sagen, doch ich versuche es gar nicht erst, sondern widme meine Aufmerksamkeit wieder dem Arzt, der konzentriert meine Akte studiert. Na los, sag schon, was fehlt mir alles? Ich warte gespannt. Mein Zustand muss wohl ziemlich ernst sein, sonst hätte man mich kaum derartig außer Gefecht gesetzt.

„Aha, Ihr Name ist also Thomas Smith. Ein eher gewöhnlicher Name, wenn Sie entschuldigen.“ Wie bitte, was soll ich entschuldigen? Dass ich so heiße? So ein Quatsch! Ich kann schließlich nichts dafür, dass ich so heiße. Mein Vertrauen in den Arzt beginnt zu bröckeln und ich werde wütend. Mensch, lies doch, würde ich ihm am liebsten sagen. Die haben mir irgendwas gegeben, was mich außer Gefecht setzt. Das muss doch da drin stehen! Ich kann dir nicht antworten, selbst wenn ich wollte, meine Lippen bewegen sich nicht! Nichts an mir bewegt sich! Und nun komm endlich in die Gänge!


Der Mann legt den Kopf ein wenig schief und mustert mich. „Mr. Smith, ich bin ehrlich hoch erfreut, Sie kennenzulernen. Ich befürchte nur, dass unsere Gespräche ziemlich einseitig sein werden.“ Er setzt ein Lächeln auf. Mein Anstand sagt mir, ich müsste ihm jetzt die Hand schütteln, aber natürlich bewegt sich mein rechter Arm keinen Millimeter.


„Obwohl ich mich natürlich sehr darüber freuen würde, wenn sie so gnädig wären, mir zumindest meine Fragen zu beantworten.“ Wovon spricht der Typ? Welche Fragen? Er will Antworten? Nun, dann sollte er mir vielleicht erst einmal ein Gegenmittel spritzen! Warum spricht er überhaupt mit mir? Er weiß doch, was mit mir los ist. Will er sich vielleicht über mich lustig machen?

Ich höre erneut das Summen der Tür. Eine weitere Person betritt den Raum. Ich versuche zur Seite zu schielen, doch es will mir nicht gelingen. Gott, ist das frustrierend. Über das Gesicht des Mannes, der noch immer an meiner Seite steht, huscht ein merkwürdiges Grinsen.


„Guten Abend, Dr. Mallard“, spricht der Neuankömmling. Diese Stimme? Der Klang, die Art, die Worte auszusprechen, das alles kommt mir merkwürdig bekannt vor und ich überlege sofort krampfhaft, woher ich die Stimme kenne. Das hätte ich mir jedoch sparen können, denn gleich darauf, wird meine Frage schon beantwortet.


„Mr. Palmer, ich habe Sie bereits vor einer halben Stunde erwartet. Haben Sie den Weg in den Keller nicht gefunden?“

Palmer, Jimmy Palmer, der Möchtegernfreund von DiNozzo, diesem NCIS-Agent. Meinem persönlichen Feindbild! Diesem Macho, diesem aufgeblasenen Schönling, diesem eingebildeten Lackaffen! Oh Mann, ich hasse DiNozzo. Jimmy Palmer. Okay, der Typ selbst mag ja vielleicht in Ordnung sein, er gibt sich halt nur mit den falschen Leuten ab. Wie zum Beispiel mit diesem Tony DiNozzo. Ich will lächeln, doch meine Lippen verwehren mir selbst diese kleine Genugtuung, geben dem Druck der Lachmuskeln einfach nicht nach. Na gut, dann lächele ich eben innerlich, denke ich grimmig bei mir, obwohl es schon schön gewesen wäre, wenn Palmer mein Lächeln hätte sehen können.

Alleine die Erinnerung daran, wie es mir heute gelungen ist, diesen Gockel von DiNozzo so richtig sauer gemacht zu haben, lässt mich innerlich weit mehr als Lächeln. Ganz ehrlich, ich könnte mich ausschütten vor Lachen und wäre ich nicht aus Versehen die Treppe heruntergestürzt, der Fuzzi hätte mir bestimmt früher oder später eine Kugel in den Kopf gejagt. Ich hatte ihn heute schon kurz davor, dass er die Nerven verliert und endlich sein wahres Gesicht zeigt. Tja, dumm gelaufen!

„Das… das ist doch der Typ, der…“ Jimmy Palmer unterbricht sich und fängt an zu stottern. Wenn ich könnte würde ich jetzt die Augen verdrehen. Oh Junge, warum schlüpfst du nicht einfach aus deinem Kokon? Entwickelst dich zu einem Falter? Das Potential dazu hast du. Lass dich doch nicht dauernd von einem wie DiNozzo unterbuttern. Ich helf´ dir dabei, du brauchst nur einen Tritt in den Hintern. Siehst du, ich versuche bereits, mein Bein zu heben. In Gedanken stöhne ich auf. Es klappt immer noch nicht. Verdammt, irgendwann muss die Wirkung der Medikamente doch nachlassen! Tut mir leid, Jimmy, ich vermag es gerade nicht, dir Hilfestellung zu geben, es funktioniert einfach nicht. Aber wenn du willst, komme ich gerne später darauf zurück. Versprochen!

Beide Männer, nein, ich verbessere mich: Ein Mann und ein Jüngling, der sich gerade versucht, aus seiner Eierschale zu pellen, beugen sich nun über mich.
„Welcher Typ?“, bohrt Dr. Mallard weiter. „Sie kennen diesen Mann, Mr. Palmer?“ Klar kennt er mich und ich kenne ihn. Ich versuche zu antworten, doch meine Stimmbänder hängen nach wie vor durch, entledigen mich jeglicher Möglichkeit, einen Ton zu erzeugen. Versagen mir einfach ihren Dienst.

„Das ist der Mann, der sich heute Abend an Ziva rangemacht hat“, flüstert Jimmy beinahe ehrfürchtig. Hat er vielleicht Angst, ich könnte ihn hören? He, ich hör dich, da kannst du noch so leise reden. Wir führen zwar keinen Dialog – hmm, im Grunde ist es eher ein Monolog, den ich gerade mit mir selber führe, aber hören kann ich bestens, auch Geflüster. Ich stutze! Nichts bei mir funktioniert, also, wieso kann ich eigentlich hören? Diese Frage lenkt mich einen kurzen Moment lang ab, doch als der als Dr. Mallard Angesprochene auf Palmers Bemerkung antwortet, spitze ich sofort wieder die Ohren. Na ja, sagen wir besser, ich bin der Überzeugung, dass ich sie spitze…


„Er wollte mit Ziva flirten?“, fragt der ältere Herr wesentlich lauter. Mir ist das sehr angenehm, dann muss ich mich nicht so anstrengen beim Lauschen. Doch warum tut er so überrascht? Und warum hebt er die Augenbrauen, so als könne er nicht glauben, was er da gerade gehört hat? "Er wollte tatsächlich mit Ziva flirten?", wiederholt er die Frage, nunmehr mit einem fassungslosen Unterton. Ich finde das ganz schön ungehörig von ihm. Was soll das? Traut der alte Mann mir nicht zu, flirten zu können? Wieder einmal vergesse ich, dass man mich lahmgelegt hat und will nun meinerseits entrüstet die Augenbrauen heben, doch selbst die kürzesten Nervenbahnen, zwischen Gehirn und Augenbrauen, haben ihren Dienst eingestellt.

Was heißt hier eigentlich, ich wollte mit Ziva David flirten? Ich habe mit ihr geflirtet. Mit dieser bildhübschen, brünetten Israelin, die ich vor einigen Wochen zufällig in dem Navy-Nachtclub kennengelernt hatte, als sie alleine und leicht deprimiert vor einem Martini an der Theke saß. Es brauchte nicht viel, herauszubekommen, warum sie so traurig war. Ich musste einfach nur ihren Blicken folgen, die immer wieder zur Tanzfläche gewandert waren, wo sich DiNozzo mit einer vollbusigen Blondine ausgetobt hatte. Daraufhin hatte ich mich über den Mann erkundigt und da sein Ruf ihm vorauseilte, war mir sehr schnell klargeworden, dass Ziva David viel zu schade für einen Mann wie ihn war. Von diesem Tag an hatte ich den Club immer wieder aufgesucht und geduldig bis heute auf meine Chance gewartet.


Wow, Ziva hatte wirklich umwerfend ausgesehen in ihrem kurzen schwarzen Kleid und den hochhackigen Pumps. Mir wird noch bei der bloßen Erinnerung daran ganz heiß. Na ja, glaube ich zumindest. Immerhin liege ich ohne Decke hier, da ist es schwer, ins Schwitzen zu geraten. Ich fand es sehr reizvoll mit Ziva zu flirten. Ich spüre jetzt noch die ganzen neidischen Blicke der anderen Männer, die uns dabei beobachtet haben. Und ganz besonders die Blicke dieses DiNozzo-Männleins: Oh Mann, wenn Blicke töten könnten... Ich wäre vermutlich bereits tot. Ähm, ein unwillkommener Gedanke schießt plötzlich durch meinen Kopf, der alles zu erklären scheint, aber ich wische ihn schnell beiseite, denn die beiden Männer unterhalten sich weiter, als wäre ich gar nicht vorhanden. Schließlich will ich nichts von dem verpassen, was da geredet wird.

„Ja.“ Ich kann erkennen, wie Jimmys Augen sich hinter der Brille zu Schlitzen verengen, als er die vorherige Frage beantwortet. „Aber Ziva hat ihn natürlich abblitzen lassen.“


Was? Spinnst du? Jimmy? Das ist schlichtweg die Unwahrheit! Sie wollte doch nur kurz zur Toilette. In mir tobt ein Sturm der Entrüstung! Vor lauter Wut presse ich die Zähne fest zusammen, will mit meinen weißen Beißerchen knirschen, um den Männern mein Unverständnis mitzuteilen. Wie kann Jimmy nur so etwas behaupten? Das ist doch total dreist? Ich lausche angestrengt, aber da knirscht nichts. Gar nichts. Verdammt noch mal, wie soll ich dem alten Herrn bloß deutlich machen, dass Palmer hier mal wieder Räuberpistolen erzählt? Ich starte einen neuen Versuch und lausche in die Stille. Wieder nichts! Es ist zum verrückt werden.

Okay, Ziva kam nicht wieder. Ich gebe es zu. Aber sicherlich ist sie nur aufgehalten worden, vermutlich von Antonius dem Sextem, König der Frauen, Herr über alle Weiber, DiNozzo forever, der Welt größtem Womanizer. Ich vermute, er konnte das, was er sah, einfach nicht ertragen und hat sich ihr in den Weg gestellt, nur um sie von mir fernzuhalten.


Boah, mir wird übel. Die Gedanken an meinen Widersacher verstärken das Gefühl, dass sich aufgrund des Alkohols eh schon in meinem Schädel verankert hat. Nein, bitte, ich will mich jetzt nicht übergeben. Nicht vor Jimmy Palmer! Allein der Gedanke, dass er DiNozzo womöglich davon erzählt ist unerträglich. Zum ersten Mal registriere ich fast dankbar, dass meine Reflexe mir nicht ge-horchen wollen. A pro pos, Jimmy Palmer, was zum Teufel hat der überhaupt hier zu suchen?

„Seine Blessuren weisen auf einen üblen Treppensturz hin.“ Dr. Mallards Stimme ist plötzlich fachlich angehaucht. Irgendwie macht mir seine Tonlage Angst und unwillkürlich frage ich mich, ob der Mann überhaupt weiß, was er hier tut? Er hat doch schließlich eben mein Krankenblatt gelesen, oder etwa nicht?


Hallo? Natürlich sieht es nach einem Treppensturz aus! Das könnte daran liegen, dass ich ja schließlich die Stufen dieses Navy-Nachtclubs heruntergestürzt bin. Warum muss so ein Club auch im Keller liegen? Nachdem Ziva nicht wieder aufgetaucht war, habe ich mich trotz meines Alkoholspiegels heldenhaft die steile Treppe hinaufgekämpft und hätte es auch fast geschafft, den Club unbeschadet zu verlassen, wenn nicht…


Ja, wenn sich nicht dieser Trupp Marines gerade lauthals lachend an mir vorbei zwängen wollte, als ich auf dem oberen Absatz stand und leicht schwankend versuchte, in meine Jacke hinein zu kommen. Ein leichter Rempler, ein kurzer Aufschrei und schon fiel ich! Mindestens 30 Stufen tief! Immer wieder bin ich dabei gegen das schmiedeeiserne Geländer geprallt. Hier, seht doch, hier oben an meiner Stirn, hier habe ich eine Riesenplatzwunde, da unten, mein linkes Knie ist völlig verdreht. Meine rechte Schulter ist ausgekugelt und ich habe mindestens fünf schwere Blutergüsse an den Oberschenkeln. Mein rechtes Handgelenk ist…, mmh, sagen wir mal mindestens schwer gestaucht. Außerdem hat es fürchterlich gekracht, als ich unten ankam und mit dem Nacken voran in die große Spiegelwand geflogen bin. Bestimmt habe ich innere Blu-tungen und wenn Sie nicht bald mit der Arbeit beginnen, alter Mann, könnte ich Ihnen hier unter den Händen wegsterben…


Moment Mal, was ist das? Was hat dieser Dr. Mallard da plötzlich in der Hand? Das sieht ja fast aus, wie…nein, verdammt, das ist eine Knochensäge! Ich erstarre vor Schreck. Lachhaft, ich bin ja schon starr! Plötzlich ist alles ganz klar. Ich weiß, warum ich mich nicht rühren kann und ich weiß auch, was Jimmy Palmer hier zu suchen hat. Was hatte der Junge noch erzählt wo er arbeitet? Genau, in der Pathologie! Ich bin tot! Scheiße!

 

 

Mr. Thomas Smith - Nackte Tatsachen

 

Wäre es jetzt nicht eigentlich vollkommen normal in Panik zu geraten, eine unbändige Angst zu empfinden, ja, womöglich sogar hysterisch zu werden? Vielleicht, ich horche in mich hinein, aber überraschenderweise bin ich ganz unaufgeregt – lediglich die Knochensäge beunruhigt mich noch ein wenig. Ja, ich fühle mich sogar richtig entspannt, meine Muskeln entkrampfen sich so langsam, meine Gliedmaßen fühlen sich im Gegensatz zu vorhin, wo ich hier alleine lag und gelangweilt die weiße, monotone Decke anstarrte, meines Er-achtens sogar richtig locker an. Ob es daran liegt, dass die Leichenstarre so langsam nachlässt? Hmm, könnte immerhin sein…ein merkwürdiges Gefühl. Leicht und doch irgendwie unnatürlich schwer liege ich auf der Metallliege und bekomme das unbestimmte Gefühl, dass sich mein Körper immer weiter ausbreitet.
Oh, Achtung: Es tut sich was! Ich reiße mich zusammen und konzentriere mich wieder auf das Geschehen neben dem Tisch.

Innerlich atme ich zunächst erleichtert aus, als der ältere Herr mit dem vornehmen britischem Akzent, Dr. Mallard genannt, die Knochensäge wieder zur Seite legt. Wohin genau kann ich nicht erkennen, doch scheinbar weit genug von mir entfernt. Für mich unverständlich murmelt er dabei leise etwas vor sich hin, doch Palmer scheint ihn verstanden zu haben, denn er nickt, dreht sich um und gleich darauf höre ich Metall auf Metall klappern. Ein unangenehmes Geräusch. Zu gerne wüsste ich, was da vor sich geht, doch boshafter Weise hüllen sich die beiden Männer ausgerechnet jetzt vorübergehend in Schweigen. Krampfhaft versuche ich mich in gedanklicher Ablenkung zu üben, was gar nicht so einfach für mich ist…immerhin war ich zu Lebzeiten nicht gerade als großer Denker bekannt.

Ja, Jimmy Palmer arbeitet in der Pathologie, ich erinnere mich, dass er das mal erwähnt hat, als wir in der Navy-Bar zufällig gemeinsam am Tresen standen und ins Gespräch kamen, während wir auf die bestellten Getränke für unsere Freundinnen warteten. Nun ja, wenn man es genau nimmt, war ich damals noch mit Melanie, meiner mittlerweile Exfrau, zusammen. Eine fürchterliche Nervensäge und selbst jetzt noch fühle ich die Genugtuung, die ich im Augenblick der Scheidung empfand. Trotzdem frage ich mich, wie sie wohl auf die Nachricht meines Todes reagieren wird und auf die Tatsache, dass ich obduziert werden soll? Wahrscheinlich wird es ihr herzlich egal sein. Dumm, wie sie ist, weiß sie mit Sicherheit noch nicht einmal, was genau das für mich bedeutet. Ein wie gehabt lautloses Kichern wütet in meinem Brustkorb, als ich daran denken muss, wie gut Melanie doch zu Tony DiNozzo passen würde. Er könnte ihr ja dann versuchen, zu erklären, was genau bei einer Obduktion so abgeht. Ich für meinen Teil werde es ja wohl gleich aus allererster Hand erfahren.

Obduktion – ein lateinischer Begriff, schießt es mir plötzlich durch den Kopf. „obducere“, was hieß das noch mal? Angestrengt denke ich nach. Ja, genau, jetzt hab´ ich´s: „bedecken“ oder auch „verhüllen“. Womit wir wieder beim Thema wären. Hallo? Könnte mich hier mal jemand bedecken? Nicht, dass ich friere, oder so, aber ich bin immer noch nackt und da ihr Zwei keine Ärzte im eigentlichen Sinne seid, wird mir die Sache doch langsam ein kleinwenig unangenehm. Ursprünglich wollte ich die Stimme erheben, um meiner Bitte Nachdruck zu verleihen, doch ich stocke schon im Ansatz des Versuches, denn auch das hatten wir ja schon. Es ist einfach unglaublich frustrierend, wenn der Körper nicht mehr den Wünschen des Geistes nachkommen will. Ein stummer Seufzer entringt sich meiner Kehle und wandert ungehört durch den Raum.

Schon ein komischer Zufall, dass ich ausgerechnet bei Jimmy Palmer gelandet bin. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie er mir einmal sein Leid geklagt hat, dass sein Chef ihn einfach nicht richtig zum Zuge kommen lässt und wie gerne er doch einmal alleine eine Obduktion durchführen würde.

„Fangen wir an, Mr. Palmer. Gibbs erwartet sicherlich bald unseren Bericht“, ergreift der ältere Herr wieder das Wort und reicht meinem Freund, nein, nennen wir ihn besser ehemaligen Bekannten, die Schreibunterlage und einen Kugelschreiber. „Sie wissen ja, wie er ist. Und nachher räumen Sie bitte die Knochensäge wieder an ihren richtigen Platz – ich weiß gar nicht, wer die hierhin gelegt hat, ich schätze mal, dass wir die in diesem Fall nicht benötigen.“ „Ja, selbstverständlich, Dr. Mallard. Also…Beginn der äußeren Leichenschau Sonntag, 28. August 2011, 8.00 Uhr morgens“, höre ich die unsichere Stimme von Jimmy und ärgere mich sofort wieder über seine Unterwürfigkeit.

Oha, Respekt, die beiden haben sich extrem früh aus dem Bett geschält, nur um mich zu obduzieren. Vielleicht sollte ich mich ja jetzt geehrt fühlen, aber in Gedanken schlucke ich schwer, als ich mit einem Mal begreife, dass es jetzt wirklich ernst wird. Wollen die jetzt wirklich…? Oh, mein Gott, ja, die wollen jetzt gleich ernsthaft eine OBDUKTION an mir durchführen. Leute, so ein Quatsch! Spart euch die Zeit! Das ist doch gar nicht notwendig, meine Todesursache ist doch bekannt. Treppensturz. Hallo? Hört ihr mich? – Es war ein simpler Treppensturz! Kein Vorliegen einer Straftat, es bedarf keiner weiteren Klärung. Kommt schon, das kostet den Staat nur unnötig Geld!

"Männlich“, ein einfaches Wort reißt mich aus meiner hysterischen Triade, die ich den beiden Männern am liebsten entgegen schleudern will.

Wow, und dafür studiert man jahrelang – investiert eine Menge Kohle, nur um dann zu einer solch beeindruckenden Erkenntnis zu kommen? Ja! Genau, gut erkannt! Männlich, unverkennbar, nicht wahr? Ich begnüge mich mit einem innerlichen zufriedenen Grinsen. Diese hübsche Israelin hätte ihre helle Freude mit mir gehabt. Ich weiß wie ich aussehe und in all den Jahren sind mir nie Klagen zu Ohren gekommen. Zum ersten Mal, seitdem die Männer den Raum betreten haben, störe ich mich nicht mehr daran, nackt zu sein. Vielleicht erzählen die beiden Ziva ja wenigstens, was sie versäumt. Jimmy würde ich es zutrauen, dem älteren Doc eher weniger, aber ihn kenne ich ja schließlich auch nicht, also kann ich das nicht beurteilen.
Meine genüsslichen Gedanken an Ziva werden jäh unterbrochen, als Jimmy an meiner rechten Seite mit etwas merkwürdigem geschäftig rumhantiert. Was zum Teufel treibt der da?

„1.72 m.“ Jetzt hält er das Metermaß in die Höhe und ein breites zufriedenes Grinsen liegt auf seinem Gesicht. Er wirft diesem Dr. Mallard ein vertrauliches Zwinkern zu. „Das wär´ eh nichts geworden“, verkündet er gleich darauf erstaunlich selbstsicher. „Ziva steht eher auf große Männer.“
Pah, Jimmy, was sind das denn für Sprüche? Als ob du davon eine Ahnung hättest. Mann, ändere dein Weltbild. Ziva steht nicht auf große Männer, Ziva steht auf mich, den Mann mit dem großen… Nun, genau genommen stand sie auf mich. Mit meinem Tod habe ich wohl meine Chancen vertan. Aber vielleicht, wer weiß, wenn ich ein paar Jahrzehnte warte, treffe ich sie im Jenseits wieder? Dort soll Zeit ja relativ sein. Hmm…

„Guter Ernährungszustand, 92 kg.“ Die Stimme mit dem britischen Akzent hört sich viel professioneller an, was mir sehr angenehm ist. Obwohl, mein Gewicht hätte er jetzt nicht unbedingt so herausposaunen müssen. Ich bin gewiss nicht eitel, aber irgendwo hört es doch auf. „Wissen Sie Mr. Palmer, es kommt im Leben doch mehr auf die inneren Werte eines Menschen an. Und damit meine ich nicht die Leber, die Nieren oder gar die Lungenflügel.“ Recht hat der Mann! Wenn ich könnte, würde ich applaudieren.

Ich spüre einen zarten Luftzug über meinen noch immer unbedeckten Körper streifen und die sich schnell nähernden Schritte unterstreichen meine Vermutung, dass eine weitere Person den Raum betreten hat. Na toll, vielleicht sollte ich Eintrittskarten verkaufen, denke ich verstimmt bei mir. Das wird ja hier zur reinsten Volksbelustigung. Wer hat noch nicht, wer will noch mal?

„Nein, es kommt vielmehr auf Herz und Hirn an. Merken Sie sich das, Mr. Palmer“, grummelt der Mann, der sich soeben zu uns gesellt hat und mich ungeniert von oben bis unten mustert. Spanner, denke ich erbost! Doch zumindest ist es dem Kerl geglückt, Jimmy das blöde Lächeln aus dem Gesicht zu wischen, denn Palmer sieht plötzlich sehr ehrerbietig aus und antwortet mit einem eifrigen Kopfnicken. Offenbar hat der Mann etwas zu sagen. „Leider scheint aber das Hirn den meisten Männern zu fehlen - zumindest denen, die DiNozzo heißen“, setzte er nach einer kurzen Pause leise hinzu, doch da er dicht bei mir stand, hatte ich es anscheinend als Einziger mitbekommen.

Hurra, hurra, jubele ich innerlich auf. Ein Menschenkenner! Endlich mal einer, der sich von DiNozzo offenbar nichts vormachen lässt. Kein Hirn! Oh, wie recht der grauhaarige Mann mit dem grimmigen Gesicht und den stahlblauen Augen doch hat. Auch wenn er ein Spanner ist, er wird mir direkt sympathisch. Es ist fast so, als hätte ich plötzlich einen Verbündeten gefunden.

„Ah, Gibbs“, flötet Dr. Mallard erfreut, ohne eine höfliche Floskel der Begrüßung auszustoßen. Ich finde das unhöflich, aber dieser Gibbs scheint sich nicht daran zu stören. Er nickt nur kurz und fragt: „Was hast du für mich, Ducky?“

„Noch nicht viel“, antwortete Dr. Mallard, Ducky. Anscheinend gehen die beiden sehr vertraut miteinander um. „Aber ich möchte dich etwas fragen: Wärest du wohl so freundlich, uns mitzuteilen, warum man uns in Allerherrgottsfrühe herruft, um einen Fall zu bearbeiten, der offensichtlich gar keiner ist. Der Tote war kein Navy-Angehöriger. Und warum soll in diesem Fall überhaupt eine Obduktion stattfinden? Laut Protokoll ist der Mann eine Treppe heruntergestürzt, es liegt also keine Straftat vor.“

„Das können wir nicht wissen. Ein Verbrechen kann nicht ausgeschlossen werden, Ducky. Zeugen wollen einen eventuellen Täter kurz vor dem Sturz in seiner Nähe gesehen haben und der Barkeeper behauptet, der Alkohol wäre zwar ausreichend, allerdings nicht in einer für Thomas Smith unberechenbarer Menge geflossen.“

Ich lasse mir die Worte von dem grauhaarigen Mann mit dem finsteren Blick nochmals durch den Kopf gehen. Wenn ich mich recht erinnere …. fehlen mir ein paar Erinnerungen. Zu dumm! Es besteht also tatsächlich der Verdacht, dass jemand mich die Treppe hinuntergestoßen hat? Aber wer?

„Aaah, ich verstehe. Dann sind Tony und Ziva bestimmt schon vor Ort und reden mit den vermeintlichen Zeugen“, kommentierte der ältere der Pathologen die Neuigkeit. „Schick die beiden zu mir, wenn sie zurück sind. Vielleicht gibt es ja etwas, worauf wir besonders achtgeben sollten.“

Nein! Oh, nein! Bitte nicht! Das allerletzte, was ich mir wünsche, ist das dieses halbseidene Großmaul auch noch hier aufkreuzt und dumme Sprüche reißt. Ziva, okay, dann kann sie sich mit eigenen Augen davon überzeugen, was sie verpasst, aber um Himmels Willen, nicht DiNozzo! Mein Blick fällt auf den Grauhaarigen, der merkwürdig irritiert wirkt. Oh, oh, da steckt noch mehr dahinter, das sieht doch ein Blinder. Na los, spucks schon aus.

„Nein…“ Gibbs zögerte den Bruchteil einer Sekunde zu lang. „Ziva ist mit McGee raus zur Bar gefahren. Ich…“ Er stockte und rieb sich mit einer Hand über den Kopf, bevor er schließlich weiter sprach. „Ducky, wir haben ein Problem. Kannst du mir versprechen, dass das hier absolut diskret abläuft? Ich möchte vermeiden, dass Vance etwas davon mitbekommt. Natürlich nur vorläufig“, setzte er schnell hinzu. „Bis wir wissen, ob an dem Verdacht, etwas dran ist.“

Gibbs Worte lassen mich aufhorchen. Sir, ja Sir, geht es vielleicht ein bisschen deutlicher? Welches Problem haben wir - ich meine außer dem Sachbestand, dass ich hier tot auf dem Tisch liege, mein Kopf noch klar arbeitet und ich jedes Detail mitbekomme? Wir haben kein Problem. Ich habe ein Problem und zwar ein riesengroßes, verdammt! Ich bin so wütend, das ich eigentlich mit dem Fuß aufstampfen möchte, aber wir alle wissen ja inzwischen, wie ein dahingehender Versuch ausgehen würde, also lasse ich es besser gleich bleiben.

„Jethro, da verlangst du eine Menge von mir, das weißt du“, wandte Dr. Mallard ein. „Wenn mein junger Kollege und ich dir diesen Gefallen tun sollen, musst du schon ein wenig genauer werden.“

Jethro! Was für ein Name! Aber Dr. Mallard spricht mir aus der Seele.

„Also gut! Es gilt als erwiesen, dass es ungefähr zehn Minuten vor dem Treppensturz, bzw. vor dem eventuellen Stoß zu einem Handgemenge unten im Barraum kam.“ Ach? Tatsächlich? Ich seufzte in Gedanken kurz auf; mein Gedächtnis lässt mich wohl gerade wirklich im Stich, denn an eine Prügelei kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Wen habe ich denn vermöbelt? „Leider war unser lieber Tony darin verwickelt“, beendet Gibbs in diesem Augenblick seine Ausführungen mit einem noch grimmigeren Tonfall, als der mit dem er eh schon begonnen hatte. Den Kerl hätte ich unter keinen Umständen jemals als Chef haben wollen. Der ist bestimmt eisenhart. Doch nachdem ich das Gehörte verarbeitet habe, lache ich innerlich laut auf. Agent Anthony DiNozzo? Ehrlich? Der aufgebauschte Macho, der eifersüchtige Gorilla? Ich frage mich unwillkürlich, wer wohl auf wen losgegangen ist?

Oh, und die Frage, ob ich ihm denn so richtig eine verpasst habe, dem eitlen Gockel womöglich sogar sein hübsches Näschen gebrochen habe, liegt mir auf der Zunge. Ich spüre das Prickeln und Zucken neben dem fahlen Belag auf meiner Zungenspitze, doch es ist aussichtslos darauf zu hoffen, dass ein Wort meine raue Kehle verlässt. Bitte, eine Ausnahme, flehe ich verzweifelt, nur dieses eine Mal. Interessant ist schließlich auch die Frage, ob der Gute jetzt Ärger bekommt, weil er sich mit mir angelegt hat? Ach ja, ich wüsste auch zu gerne, wer von uns gewonnen hat? Extrem schlimm ist dabei für mich die Vorstellung, dass ich womöglich unterlegen war und Ziva meine eventuelle Niederlage beobachtet hat. Nein, eine Niederlage ist für mich unvorstellbar.

„Jedenfalls müssen wir jetzt herausfinden, ob bereits vor dem Sturz schon eine etwaige Verletzung vorhanden war, die unter Umständen zu seinem Tod geführt haben könnte“, ertönt jetzt wieder Gibbs´ Stimme, die einen leicht resignierten Klang angenommen hat. Aber warum nur? Ich meine, er mag diesen DiNozzo doch auch nicht. – Stopp! Moment mal...will er damit etwa andeuten, dass…

„Nun, natürlich werden wir dir helfen, unseren Anthony zu entlasten. Ich bin mir sicher, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Ich habe Palmer versprochen, dass dies seine erste selbstständige Arbeit wird, aber du kannst überzeugt sein, dass ich unserem jungen Kollegen genauestens über die Schulter schauen werde, während er die Obduktion durchführt.“ Dr.Mallard wendet sich von dem Grauhaarigen ab und nickt Jimmy Palmer freundlich zu, dessen Gesicht nur noch aus funkelnden Zähnen und zusammengepressten Augen hinter der Brille zu bestehen scheint. Etwas zerknirscht bin ich schon, dass sich jemand Bekanntes über meinen Tod so freuen kann. Mit einer fließenden Handbewegung greift Dr. Mallard nach einem Skalpell und reicht es an seinen jungen Kollegen weiter. „Ihre Leiche, Mr. Palmer“, sagte er dabei ernst. „Enttäuschen Sie mich nicht.“

„Oh, nein, das werde ich sicher nicht!“ Immer noch dummdreist grinsend beugt sich Jimmy Palmer über meinen Brustkorb und berührt mit dem scharfen Instrument meine Haut...
  

 

Mr. Thomas Smith - Innere Werte - Teil I

 

Ehrlich, ich schwöre, wäre ich nicht schon tot, ich würde jetzt den Atem anhalten. Ich weiß nicht, ob man sich das vorstellen kann, aber Jimmy´s Gesichtsausdruck, wie er sich noch ein bisschen tiefer über mich beugt, so als wolle er genauestens sehen, wie das glänzende Skalpell jede einzelne meiner Hautschichten, jeden verdammten Muskel, jede Fettschicht – nein, keine Fettschichten; vergessen Sie das mit den Fettschichten, denn die wird er sicher nicht bei mir finden – durchtrennt…dieser Gesichtsausdruck verursacht mir tatsächlich Angst. Noch immer liegt ein in meinen Augen wahnsinniges Lächeln auf seinem fast noch jugendlichen Gesicht und ganz plötzlich wird mir klar, was das zu bedeuten hat. Er freut sich nicht nur auf das, was jetzt vor ihm liegt, nein, es bereitet ihm geradezu Vergnügen. Dem Typen macht das tatsächlich Spaß, schießt es mir durch den Kopf. Ich meine, wie pervers ist das denn? Das ist doch krank, oder? Und was ist mit mir? Mir bleibt nichts anderes übrig, als widerwillig zum Objekt seiner Begierde zu mutieren.

„Es wird sicherlich eine Weile dauern, die vielen Blessuren zu vergleichen und zu analysieren. Und ich bin schon sehr gespannt, was uns seine Organe verraten werden.“ Jimmys Stimme ist mehr ein aufgeregtes Zischen zwischen den Zähnen als das er professionell kühl klingt. Noch immer schwebt das Skalpell wie ein Damoklesschwert unmittelbar über meinem Brustbein. Mensch, nun mach´ schon, schreie ich innerlich auf. Schneid´ schon drauflos, dann hab´ ich es wenigstens hinter mir, aber leider, leider wird Jimmy – just als er offenbar endlich den ersten Schnitt ansetzen will – durch Dr. Mallard in seinem Tatendrang gebremst.

„Oh, natürlich, Sie haben recht, Mr. Palmer. Wie konnte mir das nur passieren? Natürlich sollten wir zunächst die äußere Leichenschau beenden, bevor wir uns seinem Inneren zuwenden. Nicht, dass womöglich durch den Y-Schnitt ein wichtiges Indiz zerstört wird und wir es übersehen. Wir müssen unbedingt zuerst feststellen, welche seiner Verletzungen ante und welche post mortem, dass heißt vor, durch, bzw. unmittelbar nach dem Treppensturz entstanden sind.

Jimmys Hand mit dem Skalpell zuckt erschrocken zurück und er schaut konsterniert zur Seite. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Einerseits würde ich es gerne endlich hinter mich bringen, andererseits bin ich doch froh, dass mir noch ein kleiner Aufschub gewährt wird. Und irgendwie würde ich mich, glaube ich, besser fühlen, wenn Jimmy Palmer das Skalpell an Dr. Mallard abgeben würde, aber ich fürchte, das wird nicht passieren.

„Um dem Todeszeitpunkt braucht ihr euch nicht zu kümmern“, grummelt da wieder der Typ, der Jethro heißt, dazwischen. „ Der steht durch die Zeugenaussagen genauestens fest. 23.45 h.“

„Sehr schön“, antwortet Jimmy eifrig. „Danke. Dr. Mallard wären sie so freundlich und notieren bitte 23:45 h.“

Ich erkenne, wie ein leichtes, nachsichtiges Lächeln über das Gesicht des älteren Pathologen fliegt: „Sehr gerne, Mr. Palmer, sehr gerne.“ Dann wendet er sich wieder diesem Jethro zu: „Gibbs, ich würde vorschlagen, du lässt uns jetzt unsere Arbeit tun. Ich rufe dich an, sobald wir fertig sind.“

„Gut, aber macht schnell. Wie gesagt, ich möchte nicht, dass Vance etwas von der Sache mitbekommt.“

„Das haben wir durchaus verstanden. Du kannst dich auf uns verlassen, wir tun, was wir können.“

Ein kurzes Kopfnicken des Grauhaarigen, sich entfernende Schritte, das leise Türsurren, das verkündet, dass der Mann den Raum verlassen hat und dann kehrt erst einmal kurz Ruhe ein. Jimmy legt das Skalpell beiseite und macht sich daran meine äußerlichen Verletzungen genauestens zu vermessen und zu analysieren. Jede einzelne Kleinigkeit wird auf Anweisung von Jimmy von Dr. Mallard auf dem Klemmbrett festgehalten. Dabei kommt sogar der kleine Schnitt in meinem Intimbereich zur Sprache, den ich mir vor ein paar Tagen beim Versuch einer Rasur an einer etwas peinlichen Stelle versehentlich selber zugefügt habe. Ich kann nur hoffen, dass Ziva den Bericht nicht zu sehen bekommt. Das wäre mir dann schon ziemlich unangenehm. Genauso, wie ich es sehr unerfreulich finde, dass quasi mein kompletter Körper unter der Lupe betrachtet wird. Haben Sie schon einmal ihre Haut unter einer stark vergrößernden Lupe betrachtet? Da wird wirklich jede Unreinheit sichtbar – Frauen werden mir sicher zustimmen, denn sie kennen das Gefühl durch die stark vergrößernden Schminkspiegel. Erschreckend unschön, was da alles zutage tritt.

So vergeht eine geraume Zeitspanne in der nichts Bewegendes ans Tageslicht befördert wird. Die beiden Männer kommen zu dem Schluss, dass einige der leichteren Verletzungen wohl der Rangelei zuzuschreiben sind und wiederum andere fast zeitgleich mit meinem Todeszeitpunkt eingetreten sein müssen. Wenn ich das richtig verstanden habe, können sie das anhand der unterschiedlichen Verfärbungen der Hämatome feststellen. Im Grunde genommen ist mir das herzlich egal. Was mich vielmehr schon ein wenig enttäuscht, ist, dass die beiden Männer trotz intensivster Untersuchungen ansonsten nichts Alarmierendes bei mir finden. Keine minimale Punktion, die von einer Spritze herrühren könnte, mit der man mich außer Gefecht gesetzt hat oder etwas ähnliches. Ein Punkt, den ich fast bedauere, denn in diesem Falle wäre ich nicht selber schuld an meinem Tod, sondern könnte DiNozzo quasi posthum noch eins auswischen. Ein Gedanke, der mir Freude bereitet – na ja, abwarten, vielleicht finden die Jungs ja etwas bei der Analyse meines Mageninhaltes…obwohl, dazu müssten sie ja nun doch…Gerade als ich soweit mit meinen Gedankengängen gekommen bin, ist es wieder soweit. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, wie Jimmy Palmer zielgerichtet erneut nach dem Skalpell greift. Ich möchte am liebsten laut schreiend davonlaufen, doch Sie können es sich sicher schon denken: Da geht gar nichts! Im Gegenteil, mittlerweile bekomme ich das unbestimmte Gefühl, dass ich auf diesem verdammten Tisch immer mehr Platz benötige. Definitiv: Die Leichenstarre hat sich verabschiedet. Es ist zum Heulen. Da ist nichts mehr mit "knackig, fest" - im Gegenteil, es fühlt sich viel eher an wie "teigig, breiig". Das verleiht meiner körperlichen Konsistenz einen leicht ekligen Touch und ich muss mich zwingen, nicht weiter darüber nachzudenken. Diese Angelegenheit wird von Minute zu Minute peinlicher; und nicht nur das - Jimmy´s blinder Eifer jagt mir nach wie vor eine Scheißangst ein. Unwillkürlich frage ich mich, warum mir dieser doch offensichtliche Hauch von Wahnsinn nicht schon viel früher an dem jungen Mann aufgefallen ist? Ich habe doch eigentlich immer über eine recht gute Menschenkenntnis verfügt. Sollte sie mich wirklich ausgerechnet bei Jimmy Palmer im Stich gelassen haben?

Aber okay, jetzt gibt es wohl keinen Weg mehr zurück, nichts, nada, niente, absolut rein gar nichts, dass diesen eindeutig übermotivierten Pathologieassistenten von seiner Arbeit, die für ihn eher eine Passion zu sein scheint, abhalten könnte. Noch nicht einmal ansatzweise zittert seine Hand, er zeigt keinerlei Unsicherheiten, als er ruhig und kontrolliert das Skalpell auf meiner Brust ansetzt und zügig den ersten Schnitt zieht. Dabei würde es doch so zu seinem Charakter passen. Im Ernst, ich hätte meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass der Knabe im entscheidenden Moment kneifen würde. Aber nein, nichts dergleichen geschieht. Eher das Gegenteil ist der Fall...Großer Gott, nun sieh sich einer an, wie seine Augen hinter den Brillengläsern strahlen. Wie er hochkonzentriert permanent leicht an seiner Unterlippe knabbert. Er sieht aus, wie ein Kind, das am Weihnachtsabend das langersehnte große Paket endlich auspacken darf; das Geschenkpapier aber nicht einfach rüde zerreißen will. Nur mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass ich kein Geschenkpaket bin... Hmm, im Grunde finde ich es ja sogar sehr rücksichtsvoll von Jimmy, dass er nicht einfach wild drauflosschneidet.

Schneiden? Der Schnitt? Blut? Himmel, ich kann doch kein Blut sehen! Wenn ich mich zu Lebzeiten nur leicht in den Finger geschnitten habe, wurde mir doch schon grottenschlecht. Und jetzt? Spritzt jetzt Blut? Womöglich sogar viel Blut? Obwohl...ich überlege kurz. Oh, es wäre sicherlich ein lustiger Anblick, wenn die rote Flüssigkeit sich über das Grinsen von Jimmy Palmer ergießen würde, aber vermutlich ist mein Blutkreislauf längst nicht mehr lebendig genug, um mir diese kleine Freude noch bereitenzu können. Wobei ich natürlich vorrangig erst einmal davon ausgehe, dass es mir als Leiche nicht mehr schlecht werden kann. Trotzdem...ich kann nicht leugnen, dass mich ein merkwürdiges Gefühl beschleicht, als ich sehe, dass Jimmy das Skalpell neu ansetzt.

Zum ersten Mal bin ich froh darüber, die Augen nicht bewegen zu können und somit kann ich auch nicht den berühmten Y-Schnitt sehen, der nun vermutlich meine muskulöse, leicht behaarte Männerbrust ziert. Ja, klar weiß ich wie sowas aussieht - schließlich schaue ich auch fern aber glauben Sie mir, so in Natura ist das ganz was anderes.

Jimmy durchschneidet meine Hautschichten und beginnt genüsslich damit, meine Brust- und Bauchhöhle auszuweiden. WOW, es tut noch nicht mal weh, kein bisschen. Ich kann sehen, wie Jimmys Arme fast bis zu den Ellbogen in mir verschwinden und ich spüre...Nichts, rein gar nichts! Das finde ich nun wahrlich verblüffend und ein merkwürdiges Gefühl beschleicht mich, irgendwie fühle ich plötzlich eine große Leere in mir. Die Doppeldeutigkeit ist mir durchaus bewusst und ich frage mich, wieso ich das Eine fühlen und das Andere noch nicht einmal andeutungsweise spüren kann. Und wieso kann ich so problemlos denken und hören? Was ist das bloß für ein merkwürdiges Leben, schießt es mir unwillkürlich durch den Kopf. Nein, halt! Stopp – kein Kommentar!

Ich beobachte den noch immer friedlich vor sich hin grinsenden Pathologie-ASSISTENTEN mit Adleraugen, jede kleinste Bewegung nehme ich wahr. Er hebt die triefenden Organe heraus und legt sie auf eine Schneidunterlage, bestimmt um sie gleich zu sezieren. Natürlich nicht, ohne sie zuvor abzuwiegen. Und somit gebe ich nach und nach meine innersten Geheimnisse preis. Gezwungenermaßen. Nee, ehrlich, recht ist mir das nicht - ganz und gar nicht. Aber leider habe ich keine Wahl.

Mann, verflucht, jetzt wird es mir doch schlecht. Schon zu Lebzeiten waren mir Innereien zuwider. Klar, ich bin ein harter Kerl, aber …. just in diesem Augenblick nun mal eine weiche Leiche. Und wenn mein Körper noch so funktionieren würde, wie ich es bis vor ein paar Stunden von ihm gewohnt war, würde sich mein gesamter Mageninhalt postwendend durch meine Speiseröhre nach oben drücken und mein Inneres auf diesem Weg sintflutartig verlassen. Allerdings befindet sich mein Magen vermutlich bereits außer Reichweite. Jimmy ist so emsig bei der Sache, dass es durchaus sein kann, dass sich mein Magen bereits von mir verabschiedet hat und irgendwo seitlich in einer kalten Metallschale darauf wartet, dass man der Welt mitteilt, was ich heute alles so zu mir genommen habe. So bleibt mir nur das elende Gefühl in der Bauchgegend. Toller Job, Jimmy, wirklich - wie kann man an so etwas nur Spaß haben?

"Sie kommen zurecht, Mr. Palmer?", erkundigt sich Dr. Mallard, dessen Stimme sich ein Stückchen entfernt hat. Ich habe mich schon gewundert, dass ich ihn gar nicht mehr sehe. Geschäftiges Papierrascheln dringt an mein Ohr und ich beschließe, dass er sich wahrscheinlich an seinen Schreibtisch zurückgezogen hat, das Ganze aus der Ferne überwacht und dabei liegengebliebenen Papierkram aufarbeitet. Mir persönlich wäre es ja lieber, wenn er in der Nähe bliebe...Hallo??? Jungs??? Könnt ihr nicht die Plätze tauschen??? Nichts tut sich. Wen wunderts. Himmel ist das deprimierend!

"Oh, ja, Dr. Mallard. Alles Bestens! Machen Sie sich keine Sorgen, selbst wenn ich mich hier verschneide...Thomas wird mir wohl kaum eine Kunstfehlerklage anhängen, oder?" Völlig unpassend kichert Palmer albern vor sich hin und hat offenbar seine helle Freude an dem platten Joke.

"Mr. Palmer", mahnt Dr. Mallard mit Nachdruck in der Stimme.

"Schon gut, schon gut. Entschuldigung. Ich komme zurecht. Alles klar." Palmer strahlt wie ein Weihnachtsbaum mit eingeschalteter Festbeleuchtung. "Ich kümmere mich gleich um die inneren Organe."

"Sehr schön. Sie sagen mir dann bitte, wie es aussieht."

Das mir bereits bekannte Summen der Tür ertönt und ich vermute, Jethro Gibbs, der Grieskram mit einer Vorliebe für´s Spannen, kehrt zurück. Ob es ihm wohl gelingt, Jimmy erneut das unwissende und wohl unpassendste Grinsen, welches mir jemals untergekommen ist, aus dem Gesicht zu wischen? Doch verdammt! Es geht mal wieder gegen meinen Willen, das Smilen breitet sich noch weiter in dem jugendlichen Gesicht aus - wird noch größer- sofern das überhaupt noch möglich ist. Ehrlich, so langsam wird der Typ mir mehr als unsympatisch und ich frage mich, wie ich ihn jemals für nett halten konnte. Okay, "Nett" ist ja bekanntlich die kleine Schwester von "Scheiße" und Sprichwörter sprechen häufig die Wahrheit. Man lernt aus seinen Erfahrungen und das Ende vom Lied ist, dass ich wieder einmal schlauer geworden bin. Wer hätte gedacht, dass ich das noch erleben darf? Ha, nee, mal wieder kein Kommentar.

„Ducky, wie sieht´s aus? Habt ihr schon was gefunden?“

OH! MEIN! GOTT! Die Stimme geht mir unversehends durch Mark und Bein. Doch, das geht, denn meine Gliedmaßen habe ich immerhin noch vorzuweisen und ja, wenn ich könnte wie ich wollte, würde ich jetzt die Hände, die aufgrund der nachlassenden Steifheit schlapp auf der Metallliege vor sich hin faulenzen, zu Fäusten ballen. Es ist soweit! Ring frei für Runde 2! Sie sehen den Kampf Tony DiNozzo gegen Thomas Smith, David gegen Goliath, Fliege gegen Wespe. Elefant gegen Maus! Eins muss ich ihm ja lassen, der Mann hat Nerven. Da kreuzt dieser Dummkopf doch tatsächlich hier auf und fordert mich erneut heraus. Selbst Schuld, du eingebildete Statue männlicher Überforderung, schreie ich ihm entgegen, obwohl ich mir natürlich der Tatsache bewusst bin, dass meine Worte ungehört im Nirvana verschwinden. Schade eigentlich, das der Knallkopf meine Worte nicht hören kann.

„Tony, du solltest wohl besser nicht hier sein“, höre ich wieder die Stimme des älteren Herrn, der offensichtlich nach wie vor an seinem Schreibtisch zugange ist. "Wenn Gibbs dich hier unten erwischt..." Dr. Mallard lässt das Ende des Satzes offen. Ich verstehe auch so, was er meint. Ha! Das wär´s doch, denke ich bei mir. Telekinese müsste man können, dann würde ich diesen Gibbs jetzt umgehend hierherbefördern!

„Ich weiß, aber ich musste ihn mir einfach noch mal ansehen.“ Tony beugt sich über mich und mit einem Schlag wird mir bewusst, wieso das Grinsen von Jimmy Palmer nochmals um hundert Prozent angewachsen ist. Man sieht nur noch Zähne. Junge, das sieht einfach zu dämlich aus!

„Uuuh, das solltest du aber schnellstens kühlen, Tony.“ Das süffisante Nuscheln von Jimmy erwärmt meine malträtierte Seele für einen kurzen Moment. Wie recht er dieses Mal doch hat. Tonys Auge ziert ein dickes Veilchen und das satte Lila, das sich wie ein dickes Monokel um sein Auge ausbreitet, bietet einen wohlverdienten, äußerst auffälligen Kontrast zu seiner grünen Iris. Mit diesem Augenaufschlag wird er heute Nacht und wohl auch die nächsten Nächte bei keiner Frau mehr landen, denke ich schadenfroh und passe mein inneres Lächeln dem von Jimmy an. Hach, ist das schön, irgendwie fühle ich mich befreit.

Doch diese halbitalienische Nudel von Bundesagent ignoriert tatsächlich Jimmys abfällige Bemerkung und stolziert, wie ein Hahn auf dem Misthaufen, rund um die Metallliege, auf die sie mich gebettet haben. Sehr gemütlich, wirklich, in meinem nächsten Leben werde ich dafür plädieren, dass diese Dinger etwas breiter hergestellt werden. Vergessen Sie´s, ich schweife ab. Womöglich liegt es ja daran, dass mein letzter Tag auf Gottes schöner Erde von Anfang bis Ende echt mies gelaufen ist. Dass ausgerechnet Anthony DiNozzo jetzt hier um mich herumschleicht, wie die berühmte Katze um den heißen Brei, setzt dem Ganzen die Krone auf. Das ist die Höchststrafe und ich weiß wirklich nicht, womit ich das verdient habe. Grausam, was ist eigentlich die Steigerung von Spanner?

„So, da haben wir ihn ja.“ Ich wende meinen Blick von Tony und konzentriere mich wieder auf die Handlungen in der Nähe meiner Bauchgegend. Großer Gott, bitte nicht...es sieht fast so aus als würde Jimmy Palmer sabbern. Tatsächlich, kein Irrtum, der Speichel fließt ihm aus den Mundwinkeln und tropft auf das für mich undefinierbare Gewirr in seinen Händen. Doch vermutlich spielt mir hier meine blühende Fantasie einen allerletzten großen Streich. Hoffentlich, schicke ich ein kurzes Stoßgebet gen Himmel. „Ich habe hier den Magen und den Darm. Doktor Mallard, würden sie mir freundlicherweise die Schüssel reichen?“
  


Mr. Thomas Smith - Innere Werte - Teil II

  „Lass nur, Ducky, ich mach´ schon“, mischt sich Tony ein, wendet sich ab und greift nach einer mittelgroßen Schüssel, die er Jimmy Palmer dann einladend hinhält. Der nickt dem Agent kurz zu und gleich darauf muss ich ziemlich bedröppelt mit anhören, wie mein Magen und vermutlich auch Teile meines Darmtraktes mit einem unschönen Platscher in eine dieser hässlichen Metallschüsseln gleiten. Ich erspare es Ihnen an dieser Stelle, das Geräusch, das meine Organe dabei verursachen zu beschreiben. Okay, das war´s also, jetzt ist das gute Stück tatsächlich von dannen. Schade eigentlich, denn das Organ hat mir die Jahre über immer wieder gut und treu seine Dienste geleistet. Was den Darm angeht, na ja, das finde ich im Grunde gar nicht so bedauerlich, denn dabei handelt es sich um ein Organ, dass zwar sein muss, aber doch am liebsten totgeschwiegen wird. Ha! Totgeschwiegen…kommt in dem Zusammenhang gar nicht mal schlecht, finden Sie nicht? Von mir aus können die anwesenden Herren genau das jetzt tun – ich muss wirklich nicht bis ins Detail erfahren, wie es in den verschlungenen Gängen meines Darms ausschaut. Kommt schon, Leute, erspart mir wenigstens das. Mein Blick fällt auf DiNozzo, dessen gesunde Gesichtsbräune gerade einen leichten Grünstich bekommt. Hey, was ist los, Mann? Geht´s dir etwa nicht gut? Frag mich mal!

Jimmy hat für den Moment von mir abgelassen und sich dem Beistelltisch zu meiner Linken zugewendet, auf dem er die Metallschüsseln mit meinen Innereien abgestellt hat. Es klappert und scheppert ein wenig und plötzlich dringt ein unterdrücktes Würgen an meine Ohren. Ich kann zwar nicht erkennen, was genau Palmer da veranstaltet, aber wenn ich mir den NCIS-Agent Number One so anschaue, muss es wohl sehr beeindruckend sein, denn unser lieber Anthony sieht plötzlich gar nicht mehr so gut aus. So müssten ihn mal seine Weiber sehen – die würden laut lachend die Flucht ergreifen!

„Oh, Mann, Jimmy“, stöhnt er gerade und es gelingt ihm nicht, ein erneutes Würgen zu unterdrücken. „Sag…Mann, sag jetzt bitte nicht…Oh, mein Gott, IST DAS ETWA PIZZA?“

„Ich würde mal sagen, JA“, antwortet Jimmy Palmer vergnügt. „Zumindest das, was davon noch übrig ist, denn so wie es aussieht, ist der größte Teil seiner letzten Mahlzeit bereits verdaut. Er muss sie bereits einige Stunden vor seinem abrupten Ableben zu sich genommen haben.“ Er piekt etwas auf und hält es abschätzend in die Luft. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was das sein soll, aber der junge Pathologe verkündet stolz und siegessicher: „Salami!“

„Oh, bitte! Sag, dass das nicht wahr ist“, murmelt DiNozzo angeekelt vor sich hin. „Ich glaube, ich werde nie wieder Pizza essen.“

Na bitte, wenn meine letzte Mahlzeit dem Strahlemann künftig den Appetit auf seine Lieblingsspeise vergällt, hat mein vorzeitiges Ableben doch wenigstens ein Gutes. Vielleicht nicht gerade für die Pizzabäcker dieser Stadt, aber mich persönlich freut es!

„Ich schätze, die Überreste davon werden wir gleich in seinem Darm finden“, nimmt Jimmy den unterbrochenen Faden wieder auf. „Sehen wir doch gleich mal nach.“

„NEIN!“ Boah eh, DiNozzo schreit ja fast.

„Aber ich muss doch…“

„Verschieb den Darm“, bittet Tony kurz – eigentlich klingt es mehr wie ein Befehl. Hat er überhaupt das Recht, Palmer Befehle zu erteilen? Ich hoffe doch nicht. Komm, Jimmy, nimm dir meinen Darm vor, feuere Palmer in Gedanken an. Ich will sehen, wie dieses Weichei hier umkippt. Und dann solltet ihr Ziva rufen, damit ihr endlich klar wird, dass dieser Typ garantiert nichts für sie ist.

„Jimmy, bitte…“ DiNozzo´s Stimme klingt drängend. „Das muss doch nicht jetzt sein. Ich meine…“ Er macht eine ausschweifende Handbewegung über die Schüsseln hinweg. „…hier ist doch noch jede Menge anderes Zeugs.“

Zeugs? Ja, spinnt der jetzt komplett? Meine lebenswichtigen Organe „Zeugs“ zu nennen ist schlichtweg eine Unverschämtheit! Ich fass´ es nicht! Was ich mir hier alles anhören muss! Los, Jimmy, setz dich durch. Hier hast du das Sagen – kneif jetzt bloß nicht den Schwanz ein.

„Dr. Mallard?“

„Nun, ich denke, es dürfte kein Problem darstellen, wenn wir ausnahmsweise einmal ein wenig von der üblichen Reihenfolge abweichen“, ertönt die gütige Stimme des Vorgesetzten von Palmer und ich jaule innerlich vor Enttäuschung auf. Verdammt! Ich wusste es doch gleich. „Mr. Smith wird es egal sein“, versetzt Dr. Mallard mir gleich darauf unbewusst noch einen weiteren Seitenhieb.

Nein, zum Teufel! Es ist mir nicht egal! Aber mich fragt ja niemand! Den Darm, Jimmy, los nimm dir den Darm vor, bete ich stumm immer wieder wie ein Mantra vor mich hin, obwohl ich innerlich schon weiß, dass es umsonst sein wird. Es ist wirklich zum Verzweifeln! Am liebsten würde ich…ach, vergessen Sie´s, auf mich hört ja doch niemand!

„Du scheinst ja richtig Freude an dieser Obduktion zu haben.“ DiNozzo steht nun dicht an der Seite von Jimmy, sieht ihm über die Schulter und begutachtet meine Innereien. „Hey, ist das die Leber?“ Er weist mit dem Finger auf das Gewebe und verzieht aufs Neue angewidert sein Gesicht. Im gleichen Moment ertappe ich mich bei dem Gedanken, wie nett es doch jetzt wäre, wenn Tony seine Übelkeit nicht in den Griff bekäme. Los, denke ich, übergib dich, leere deinen Mageninhalt über den weißen Kittel deines anhänglichen Autopsiekollegen! Besudel ihn mit deiner zergorenen Nahrung! Ihr habt es einfach nicht besser verdient. Und es wird noch grandioser: In meiner Fantasie schreit Jimmy bei Tony´s Attacke entsetzt auf, dreht sich abrupt um und stößt aus Versehen das silbrig glänzende Skalpell genau in Tonys linke Brust. Yepp, den hast du Schachmatt gesetzt, applaudiere ich Jimmy Palmer hingebungsvoll und genieße für einen Augenblick meine Fantasie. Leider jedoch ist es genau das! Eine Fantasie. Noch dazu die Fantasie eines Toten. Mein Blick fällt wieder auf DiNozzo, dem natürlich kein Skalpell in der Brust steckt, sondern der Jimmy Palmer erwartungsvoll ansieht. Seine Gesichtsfarbe hat sich zu meinem großen Bedauern schon wieder fast normalisiert.

„Ja, das ist die Leber, Tony.“ Jimmys Stimme klingt plötzlich merkwürdig ernst und reißt mich aus meinen Gedanken. Das Grinsen hatte sich mit Tonys unnötiger Anmerkung bezüglich der Freude in Jimmys Antlitz verabschiedet und hatte einem kritischen, vorwurfsvollen Gesichtsausdruck Platz gemacht. „Und, nein, es macht mir keineswegs Freude. Allerdings …“ Er bricht mitten im Satz ab, legt behutsam meine Leber in eine weitere Schüssel, die mit einer Waage verbunden ist und begutachtet das Organ kritisch. Oh Mann, warte ab, gleich kommts! Wenn er jetzt noch erwähnt, das meine Leber aufgrund zu häufigen Alkoholkonsums bereits zu schrumpeln beginnt, dann…ehrlich, dann weiß ich nicht, was ich tue… Zu dumm, ich kann ja gar nichts tun, außer mich schon einmal innerlich dagegen zu wappnen, dieser bodenlosen Blamage entgegenzutreten. Aber??? Überraschung! Nichts dergleichen passiert. Stattdessen wendet der Assistent sich wieder Tony zu. Seine Augen hinter den Brillengläsern sind beinahe nur noch kleine Schlitze. „Allerdings…“ Er scheint nach Worten zu suchen und wedelt gefährlich dicht mit dem Skalpell vor Tonys Nasenspitze herum.

„Allerdings Was?“ Tony scheint sehr ungeduldig zu sein und irgendwie sieht es witzig aus, wie er auf das Skalpell in Jimmys Hand schielt und dabei unwillkürlich leicht die Schultern anhebt. „Komm schon, Jimmy, hier kannst du frei von der Leber weg reden. Du kannst es ruhig zugeben, man sieht dir die Freude doch förmlich an.“

„Das ist nicht wahr!“ Jimmy geht einen weiteren Schritt auf Tony zu und der Agent weicht erschrocken hastig einen Schritt zurück, nachdem die Stimme des Pathologieassistenten mit jedem Wort lauter und energischer wird. He, Jimmy Palmer, so gefällst du mir. Richtig! Lass dir nix mehr gefallen. Schon gar nicht von einem Anthony DiNozzo. Das hast du nicht nötig!

„Ähhhm… Jimmy, mein Freund…“ Wohlwollend registriere ich den ängstlichen Tonfall meines Konkurrenten. Der sonst so selbstbewusste Schnösel scheint plötzlich ganz kleinlaut zu sein. Jedenfalls fühlt er sich nicht wohl in seiner Haut, die Schweißflecken auf seinem Hemd verraten ihn. „Jimmy, bitte, spiel jetzt nicht die beleidigte Leberwurst.“

„Deine Scherze sind hier vollkommen unangebracht“, knurrt Jimmy und ich halte vorsichtshalber die Luft an – na ja, sagen wir, ich würde sie anhalten, wenn ich noch am Leben wäre, aber sie kennen ja sicher das Gefühl, wenn man um keinen Preis der Welt etwas verpassen möchte. Und von dem ansehnlichen Spektakel, dass sich hier gerade aufbaut will ich ganz sicher nicht eine einzige Sekunde verpassen. Sprich weiter, Jimmy, ich bin auf deiner Seite… „Schließlich muss ich hier eine Autopsie durchführen, weil wir deine angebliche Unschuld beweisen sollen. Deine UNSCHULD, hörst du? Du solltest mir lieber dankbar sein, anstatt hier blöde Witze zu reißen. Nur weil du eifersüchtiger Gorilla deine Gefühle und Fäuste nicht unter Kontrolle hast, hast du…. Ha, da hätten wir sogar das Motiv: Eifersucht.“ Ein Lächeln legt sich erneut auf Jimmys Gesicht, doch dieses Mal ist es kein freudig erregtes, wie ich es bereits von ihm kenne, nein, es scheint eher eine psychopatisch angehauchte, sarkastische Grimasse zu sein. Hä, wieso guckt der denn jetzt so? Muss ich das verstehen?

„Ach ja? Was du nicht sagst. Ich finde, dein Motiv ist aber auch nicht von schlechten Eltern. Reden wir doch mal darüber, was meinst du?“, knurrt Tony und drückt entschlossen, aber vorsichtig mit der einen Hand das Skalpell zur Seite, das Jimmy immer noch vor sein Gesicht hält. Maßlos enttäuscht stelle ich fest, dass Jimmy sich nicht dagegen wehrt. Komisch, irgendwie hatte ich fest damit gerechnet. Außerdem finde ich es sehr irritierend, dass die Stimmung hier im Raum so unvermittelt gekippt ist. Jimmy´s offensichtliche Freude an der Arbeit ist wie weggeblasen und der immer gut gelaunte, witzige Agent DiNozzo wirkt plötzlich erstaunlich gereizt.

„Mein lieber Anthony…“ Dr. Mallard, der sich zuvor die ganze Zeit dezent im Hintergrund gehalten hatte, erscheint endlich in meinem Blickfeld. Er strahlt eine gewisse Ruhe und Gelassenheit aus, was mir angesichts der zugespitzten Situation schon etwas merkwürdig erscheint. Sollte er nicht besser dazwischen gehen, seinem Assistenten das Skalpell wegnehmen und Tony nach Hause schicken?

„Was ist, Ducky?“, erkundigt sich DiNozzo, als der ältere Pathologe eine Pause macht. Beachtenswert finde ich dabei, dass er Jimmy Palmer keine Sekunde aus den Augen lässt.

„Könntest du mir bitte freundlicherweise näher erläutern, welch ein Motiv unser Mr. Palmer haben könnte, dem armen verblichenen Mr. Smith nach dem Leben zu trachten?“ OHO, eine sehr interessante Frage, diese Antwort würde ich auch gerne hören. Bitte, was sollte Jimmy Palmer dazu getrieben haben, mich zu beseitigen. Ehrlich, ich bin gespannt wie ein Flitzebogen, was sich DiNozzo da jetzt aus dem Ärmel schütteln wird, um sich selber von dem Verdacht reinzuwaschen. Da, Achtung, Tony setzt zur Erklärung an…offenbar hat er bereits alles gut durchdacht und muss nicht mehr lange überlegen.

„Ich weiß nicht, ob du dir darüber im Klaren bist, Ducky, aber Jimmy hat tatsächlich von uns allen das überzeugendste Motiv.“ Jetzt lacht Tony DiNozzo laut auf. Der Typ ist ja genauso psychopatisch wie der verrückt gewordene Pathologie-Assistent. „Ob du es glaubst, oder nicht…DU hast es ihm geliefert. Den ganzen Abend über hat Jimmy laut überlegt, wie er am besten jemanden unauffällig um die Ecke bringen kann. Ich habe selbst gehört, wie er mit Mr. Smith hier darüber gesprochen hat.“ Ja, das stimmt, das hat Jimmy getan, aber das waren doch nur Hirngespinste. Nichts weiter als Blödeleien, oder? Plötzlich habe ich Jimmys irres Grinsen wieder vor Augen, seinen blinden Eifer und sein Gesabbere. Nee, das kann doch nicht sein…Sollte Jimmy etwa wirklich…?

„Ducky, es tut mir leid, aber ich glaube wirklich, du bist schuld daran, dass der Mann jetzt hier liegt“, beendet DiNozzo ungerührt seine Erklärung und stürzt damit nicht nur mich in ein ungläubiges Entsetzen.

„Wie bitte?“ Der Doktor wirkt mit einem Mal total verwirrt und scheint mit jeder Sekunde zu altern. Fast panisch irrt sein Blick zwischen DiNozzo, Palmer und mir hin und her. „Wie meinst du das?“

„Du warst es doch, der ihm versprochen hat, dass die nächste Leiche auf diesem Tisch ihm gehört, nicht wahr? Ihm ganz alleine. Und wir alle wissen doch, was Übereifer so anrichten kann, oder?“

„Aber ich…ich habe doch nicht…um Himmels Willen, ich wollte doch nicht, dass…“ Hochgradig entsetzt scheint der ältere Herr immer kleiner zu werden. Er sinkt förmlich in sich zusammen, als ihm mit einem Mal klar wird, was er mit seinem Angebot da angerichtet hat. Eigentlich sollte ich jetzt sauer auf ihn sein, aber irgendwie tut mir der Ärmste einfach nur leid.

Eine gespenstische Stille beherrscht den Raum bis plötzlich aus der Ferne in regelmäßigen Abständen ein leises Geräusch ertönt, das peu à peu lauter und lauter wird….Boah, so langsam nervt das. Hallo? Hört ihr das nicht? Könntet ihr aufhören, euch anzustarren? Vielleicht sind das endlich die Laborwerte und ihr könnt eure gegenseitigen Beschuldigungen noch auf Ziva David ausweiten. Vielleicht hat sie mir etwas in den Drink gemixt?

 

Mr. Thomas Smith - Der richtige Zeitpunkt

Telefonklingen durchdrang den Raum. Wieder und wieder und wieder schallte das nervtötende Tuten durch die dunkle Wohnung, bis sich endlich eine Tür öffnete und ein älterer Mann den Wohnraum betrat. Verschlafen schlurfte er auf das Beistelltischchen zu, auf dem sich ein altmodisches Telefon mit Wählscheibe befand, während er sich gleichzeitig den Gürtel seines seidenen Morgenmantels vor dem Bauch zuband.

„Ich komme ja schon. Mein Gott, ich komme ja schon", murmelte er leise vor sich hin, während er nach dem Lichtschalter an der Wand tastete.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es gerade mal 6.30 h ist – an einem Sonntagmorgen, wenn er sich richtig erinnerte. Der Mann fuhr sich mit der einen Hand ein paar Mal über das Gesicht und versuchte so, den Restschlaf endgültig loszuwerden. Wer um Alles in der Welt konnte am Wochenende um diese Zeit nur etwas von ihm wollen? Er hatte doch alles so gut organisiert. -Ungehalten griff er nach dem Hörer, doch noch bevor er sich melden konnte, ertönte bereits eine tiefe, ziemlich ungeduldig klingende Stimme an seinem Ohr.

„Ducky? Ducky? Bist du dran?“

„Jethro?! Was um Himmels Willen ist denn passiert, dass du mich in aller Herrgottsfrühe weckst. Falls du dich recht erinnerst – ich hatte mir dieses Wochenende wegen Mutters Geburtstag frei genommen.“

„Nein, das hatte ich vergessen“, gab der NCIS-Agent am anderen Ende ungerührt zu. „Aber Jimmy Palmer hat mich bereits daran erinnert.“

„Ah.“ Dr. Mallard machte eine kurze Pause, doch Gibbs hüllte sich so lange in Schweigen, bis der Pathologe schließlich aufgab. „Würdest du mir dann bitte verraten, warum du trotzdem anrufst?" Er verschwieg, dass er am Abend zuvor vor dem Kamin eine kleine Geburtstagsfeier für seine Mutter ausgerichtet hatte, die leider im letzten Jahr verstorben war. Dies hatte zur Folge, dass er sich selber um alle Drinks hatte kümmern müssen und genauso fühlte sich sein Kopf jetzt auch an. Allerdings befürchtete er zu Recht, dass Gibbs dazu nicht in der Lage war, hierfür das nötige Verständnis aufzubringen.

„Nun…wir könnten hier deine Hilfe gebrauchen.“

„Mr. Palmer ist über alle laufenden Fälle bestens informiert.“

„Ducky.“ Die tiefe Stimme klang nun leicht gereizt. „Wir haben hier eine Leiche und Palmer meinte, du hättest ihm erlaubt, die nächste Obduktion alleine durchzuführen. Stimmt das? Ist das tatsächlich dein Ernst? Ich meine…Ducky...." Es hörte sich so an, als ob Gibbs den Hörer mit einer Hand abschirmte. "...wir reden hier über Jimmy Palmer…glaubst du, er ist wirklich schon so weit?“

„Jethro, natürlich ist er soweit. Jetzt überleg doch mal, wie lange der Junge jetzt schon…“ Dr. Donald Mallard stockte mitten im Satz und riss die Augen weit auf, was sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung natürlich nicht sehen konnte.

Wie ein Blitz hatte plötzlich die Erkenntnis den älteren Pathologen überfallen und plötzlich wusste er, warum er so schlecht geschlafen hatte. Daran war nicht nur der Alkohol vom Vorabend schuld gewesen. Vor seinem inneren Auge tauchte sein junger Assistent auf, wie er mit irrem Blick mit dem Skalpell herumfuchtelte und dabei leise vor sich hinkicherte. Unwillkürlich schüttelte es ihn und fast wäre ihm der Hörer aus der Hand geglitten.

„Ducky? Ducky? Hörst du mich? Bist du noch dran?“ Die Stimme am anderen Ende drang zunehmend lauter durch den Hörer.

Dr. Mallard zuckte zusammen und sog hektisch Luft in seine Lungen. Gab es so etwas wie ein Déja Vu tatsächlich? Abermals schüttelte er sich und zwang sich zur Ruhe. Leroy Jethro Gibbs gehörte mit Sicherheit nicht zu dem Personenkreis, dem man eine solche Frage stellen konnte.

„DUCKY??? Verdammt! Ist alles in Ordnung bei dir?“

„Ja, Jethro. Ja, es ist alles in Ordnung.“ Egal, wie das jetzt bei seinem langjährigen Kollegen ankam…eine Frage musste er ihm einfach stellen: „Der Tote heißt nicht zufällig Thomas Smith?“, erkundigte er sich gleich darauf beinahe zaghaft.

„Nein, wie zum Teufel kommst du darauf? Wir wissen nicht, wie er heißt. Es ist ein John Doe“, war die Antwort.

Dr. Mallard hörbar auf. „Oh, gut!“

„Gut?“

„Nein, es ist natürlich nicht gut“, setzte der Pathologe schnell hinzu. „Ich meine, zumindest nicht für den armen Toten. Hör zu, Jethro, du kannst Jimmy Palmer sagen, er soll ruhig schon einmal mit der Autopsie anfangen. Ich werde noch schnell duschen und dann komme ich rüber in den Navy Yard. In Ordnung? In spätestens einer Stunde bin ich da."

„Sicher, Ducky, wie du meinst. Und Danke, dass du trotzdem kommst. Du hast einfach mehr Erfahrung. Da der Tote offenbar kein Navy-Angehöriger ist möchten wir einfach sicher gehen und alle Eventualitäten ausschließen, bevor wir die Zuständigkeit an die örtlichen Behörden abgeben.“

„Was ist denn überhaupt passiert?“, erkundigte sich Dr. Mallard nun doch neugierig geworden.

„Treppensturz in einer Navy-Bar. Laut Zeugenaussagen soll der Tote angetrunken gewesen sein. Aber vorher hat es wohl Zoff gegeben und so kann es durchaus sein, dass jemand von der Navy ihm beim Fallen behilflich war.“

Bestürzt starrte der ältere Mann den Hörer in seiner Hand an. Er brauchte einen kurzen Augenblick, um sich zu sammeln. Dann stammelte er ziemlich unzusammenhängend in den Apparat: „Jethro, hör zu, hör mir zu! Ich habe es mir anders überlegt. Womöglich hast du ja Recht. Vielleicht ist es doch noch zu früh für unseren Mr. Palmer. ICH werde die Autopsie durchführen. Ja, je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich, dass es noch nicht der richtige Zeitpunkt für Mr. Palmer ist. Wartet auf mich. Gebt mir eine halbe Stunde. Maximal! Ich bin gleich da!“

„Ducky?“ Man hörte dem langjährigen, altgedienten Agent an, wie verwirrt er mittlerweile war. „Ist auch wirklich alles in Ordnung bei dir?“

„Frag nicht, Jethro, bitte frag nicht. Ich beeile mich, in Ordnung?"

"Sicher, mach dir keine Sorgen. Melde dich dann einfach im Büro, wenn du da bist."

"Das werde ich. - Ach ja, und Jethro?“

„Ja?“

„Tust du mir bitte einen Gefallen? Kannst du dafür sorgen, dass Mr. Palmer nicht mit der Leiche alleine bleibt…“

Und während er den Hörer zurück auf die Gabelung legte, im Eiltempo zurück in sein Schlafzimmer stürzte, ungestüm in die Anzughose des Vortages stieg, das Hemd falsch zuknöpfte und selbst auf die Fliege verzichtete, murmelte er immer und immer wieder die Worte, die Bruce Lee einmal gesagt hat:

"Der Traum von gestern ist die Wirklichkeit von heute und morgen."

Bruce Lee


 

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