Auge um Auge - Thread VII

Kapitel 39

8.15 Uhr – Zweites Verhör Aaron Rosen

 

Ruckartig riss Gibbs die Tür zum Verhör-Raum auf und betrat mit Eli im Schlepptau den Raum.

 

Aaron Rosen, den man bereits vor einer halben Stunde in den Verhörraum geführt hatte und der durch das lange Warten schon etwas mürbe geworden war, schien nun beim Anblick des stellvertretenden Direktors des Mossad förmlich in sich zusammenzusinken. Mit angstvoll geweiteten Augen starrte er abwechselnd auf Gibbs und Eli David.

 

„Was…was soll das?“, stammelte er bestürzt. „Ich meine, was tut er hier? Darf er überhaupt hier sein?“

 

Gibbs registrierte sehr zufrieden, welche Wirkung Elis Anwesenheit auf Aaron Rosen hatte, doch er ließ sich das keine Sekunde lang anmerken. Die Bemerkung von Rosen ignorierte er völlig und kam gleich zum Thema: „Rebekka Rivkin wurde gestern in Ihrer Wohnung gesehen. Sie hat sie durchsucht.“ Er machte eine Kunstpause und ließ Rosen nicht aus den Augen. „Sagen Sie uns, wonach sie gesucht hat!“ Jethro stützte sich mit beiden Armen auf dem Tisch ab und funkelte Rosen mit seinem durchdringenden Blick an.

 

Dieser wand sich auf seinem Stuhl hin und her und vermied den Augenkontakt mit Gibbs. 'Rebekka war in seiner Wohnung gewesen? Wozu? Was wollte sie da?´ Fragen, die ihm unwillkürlich durch den Kopf schossen.

 

Während Rosen noch mit den Fragen beschäftigt war, schlug Jethro völlig unvermittelt mit der Faust auf den Tisch und schrie den nunmehr völlig verängstigten Israeli an: „WAS? Was zum Teufel hat Rebekka in ihrer Wohnung gesucht?“

 

Rosen, alias Portsmith schluckte zwei Mal schwer, bevor er schließlich mit leicht zitternder Stimme antwortete: „Ich weiß es nicht. - Vielleicht wollte sie sie als Versteck nutzen. Vielleicht hat sie aber auch nur nach einer Waffe gesucht.“

 

„Hatten sie denn Waffen dort versteckt?“, mischte sich in dem Moment Eli ein.

 

„Ich … nein ...ich habe keine Waffen in der Wohnung versteckt“ stotterte der Befragte. „Bestimmt suchte sie nur einen Unterschlupf. Ja, dass muss es sein!“, schloss er und versuchte seiner Stimme einen sicheren Klang zu geben.

 

„Wollen Sie uns für dumm verkaufen!“, brüllte Gibbs und sah aus, als wolle er Rosen an die Gurgel gehen. Der wich unwillkürlich so weit es ihm möglich war zurück. „Sie konnte sich doch denken, dass wir von der Wohnung wissen! Also, noch einmal: Nach was hat sie gesucht? Mit Ihrem Schweigen verbessern Sie Ihre Lage nicht gerade, das sollte Ihnen klar sein!“

 

„Spucken Sie endlich etwas aus, sonst...“ Eli David war hinter Aaron Rosen getreten und raunte ihm diese Worte ins Ohr.

 

Als er den warmen Atem des Mossad-Direktors neben seinem Ohr spürte, ruckte Rosen wie von einem Gummiband gezogen so heftig wieder nach vorn, dass er dabei den Tisch ein gutes Stück verschob. Der Mann war eine lebende Legende und allein seine drohende Stimme so dicht an seinem Ohr, verursachte bei ihm eine verdammte Gänsehaut, die sich quer über seinen Körper zog. Mit angstvoll aufgerissenen Augen starrte Rosen nun Gibbs an, der ihn nicht minder drohend musterte. Diese Männer wollten Antworten. Antworten, die er ihnen nicht geben konnte. Himmel, er hatte doch wirklich keine Ahnung, was Rebekka in seiner Wohnung gesucht haben könnte. Wieso glaubten sie ihm bloß nicht? Ein letztes Mal regte sich sein Widerstand und er setzte sich wieder aufrecht hin. “Ich weiß nicht, was Rebekka in meiner Wohnung gesucht hat. Kleidung, Essen, Geld? Verdammt noch mal: ICH WEISS ES NICHT“.

 

„Sie sind seit neun Monaten hier in den Staaten. Sie haben alles für die Entführung von Agent DiNozzo vorbereitet. Sie waren der Laufbursche für Rebekka Rivkin und ihren Bruder. Wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, dass sie niemals darüber gesprochen haben, wie sie...“ Jethro machte eine kurze Pause. “…nach der Erledigung ihres Vorhabens weitermachen wollten. Sicher wollten sie alle Spuren vernichten. Was hatten sie vor? Wo wollten sie hin? Zurück nach Israel? Woanders hin? - Machen sie endlich den Mund auf!! Wir finden es ja doch heraus. Es ist nur eine Frage der Zeit und Sie können Ihre Lage nur verbessern, indem Sie uns helfen! Also…“

 

Rosen schwieg zutiefst deprimiert. Für den Bruchteil einer Sekunde schoss ihm durch den Kopf, dass er sich besser in sein kleines Notfall-Apartement hätte zurückziehen sollen, solange er noch die Möglichkeit dazu gehabt hatte. Dort wäre er sicher gewesen. Rebekka und Thomas hätten ihn dort ganz sicher nicht aufgespürt. Schließlich hatte er entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Doch er hatte zu lange gewartet – seine einzige Chance, mit heiler Haut aus dieser unglückseligen Geschichte rauszukommen, hatte er leichtsinnig verstreichen lassen. Jetzt war es unwiderruflich zu spät!

 

Gibbs hatte die minimale Veränderung in Rosen´s Gesichtsausdruck wohl bemerkt und er hakte sofort ein: „Was ist nun? Reden Sie endlich!“

 

In diesem Moment legte Eli Aaron nur locker eine Hand auf die Schulter. Gibbs sah ihn prüfend an, mischte sich aber nicht ein. Er hätte Rosen liebend gerne selbst die Daumenschrauben angelegt, aber das war ja verboten – leider – wie er sich in Gedanken sagte. Manchmal verfluchte er diese verteufelte Bürokratie, aber es gab sie nun einmal und er musste sich daran halten. Eli hingegen…Na ja, mal sehen, was es brachte. Eingreifen konnte er schließlich immer noch. Und, oh Wunder, es wirkte! Allein diese kleine Berührung von Eli David verunsicherte Rosen offensichtlich so sehr, dass er endlich sein Schweigen brach. Erst stockend, doch dann immer flüssiger begann er zu reden. Wider Willen war Gibbs beeindruckt, doch er hütete sich, ein Wort dazu zu sagen.

 

Rosen erzählte, wie ihn Rivkin angeworben hatte, wie er das Haus, in dem Tony und Ziva gefangen gehalten wurden, gesucht und gekauft hatte und dass Rebekka, Thomas, Erez und er wieder nach Israel zurückkehren wollten. Sie hatten geglaubt, unerkannt bleiben zu können und ihr Leben ganz normal weiterführen zu können. Je länger der Mann sprach, desto mutloser fühlte sich Gibbs, denn alles was Rosen erzählte, brachte sie Rebekka keinen Schritt näher.

 

Die kleine Wohnung in East Riverdale hatte Aaron leider bei aller Redefreude nicht erwähnt. Er tat es noch nicht einmal aus bösem Willen, sondern einfach aus dem Grund, weil er es nicht für wichtig hielt, denn diese Wohnung hatte ja für ihn ja überhaupt nichts mit Rebekka zu tun. So kam es, dass Gibbs und Eli David nach gut zwanzig Minuten letztendlich ohne greifbares Ergebnis den Verhörraum mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch wieder verließen.

 

„Der Kerl weiß etwas!“, knurrte Gibbs zwischen zusammengebissenen Zähnen.

 

„Das denke ich auch“, stimmte McGee, der zu ihnen gestoßen war, zu. „Es gab da einen Moment, da war sein Gesicht…“

 

„Ich weiß“, unterbrach Gibbs den MIT-Absolventen. „Mann, wenn ich doch könnte, wie ich wollte…“

 

Eli David quittierte den kurzen Dialog zwischen den NCIS-Agenten lediglich mit einem nachdenklichen Lächeln.

 

 

8.33 Uhr – East Riverdale, Sheridan Street 74 – Wohnung von Alan Porter

 

Nach ein paar Stunden unruhigen Schlafs erhob sich Rebekka von der unbequemen Schlafcouch, die sie in Aarons Notfall-Apartment vorgefunden hatte. Sie streckte sich ausgiebig und gähnte herzhaft, während sie an den gestrigen Abend dachte. Das war wirklich knapp gewesen – fast hätte dieser so harmlos aussehende Agent sie tatsächlich erwischt. Als sie ihren Arm wieder herunternahm, zuckte sie schmerzhaft zusammen und rollte den Ärmel ihrer Bluse hoch, um ihre Wunde in Augenschein zu nehmen. Vorsichtig entfernte sie den Verband, den sie am gestrigen Abend noch angebracht hatte, nachdem sie unbehelligt in der Wohnung angekommen war. Mittlerweile begann er, an einigen Stellen durchzubluten. Verdammt, da hatte sie echt noch einmal Glück gehabt. Dieser Streifschuss hätte auch anders ausgehen können. Nur ein paar Millimeter weiter mittig und sie hätte ein echtes Problem gehabt. Na ja, war ja noch mal gut gegangen. Glück muss der Mensch haben!

 

Rebekka biss die Zähne zusammen und ging in das kleine Badezimmer, das genauso spartanisch ausgestattet war, wie der Rest der Wohnung. Aaron hatte offenbar nicht wirklich vorgehabt, diese Wohnung zu nutzen und doch hatte er sie unter einem anderen Namen angemietet. Wenn Rebekka nur daran dachte, kochte wieder die Wut auf ihren ehemaligen Liebhaber in ihr hoch. Andererseits musste sie ihm fast dankbar sein – ohne sein Misstrauen hätte sie jetzt keinen sicheren Unterschlupf. Und das war im Augenblick wichtiger als alles andere.

 

Sie konnte sich lebhaft vorstellen, dass die Fahndung nach ihr inzwischen auf Hochtouren lief - auch wenn sie im Radio noch nichts dergleichen gehört hatte. Einen Fernseher gab es leider in der kleinen Wohnung nicht, wie sie gestern Abend zu ihrem Bedauern festgestellt hatte, als sie gegen Mitternacht endlich ihr Ziel erreicht hatte. Glücklicherweise hatte sie so gerade eben entkommen können und war zunächst einmal ziellos durch die Gegend gefahren, da sie sich in Washington nach wie vor nicht besonders gut auskannte. Als sie während ihrer Fahrt an einem Drogeriemarkt, der 24 Std.-Service bot, vorbeigekommen war, hatte sie kurz entschlossen angehalten. Sie brauchte Verbandszeug und Schmerzmittel und bei der Gelegenheit hatte sie gleich noch verschiedene andere Dinge eingekauft, die sie für nützlich hielt. Sie wusste, dass sie dabei ein gewisses Risiko eingegangen war, da die Wunde an ihrem Oberarm offensichtlich war, doch sie hatte keine andere Wahl. Zu ihrem Glück war der junge, picklige Verkäufer an der Kasse mehr an der neuesten Ausgabe des „Playboy“ interessiert, die aufgeschlagen auf seinen Knien lag, als an ihr. Rebekka lächelte böse vor sich hin: Man könnte auch sagen, dass dies sein Glück gewesen war, denn hätte der Typ ihr mehr Aufmerksamkeit gewidmet und womöglich dumme Fragen gestellt, hätte ihn das sein armseliges Leben kosten können. So, wie es dem hilfsbereiten Autofahrer ergangen war, der sie auf der Landstraße bei Woodbridge aufgelesen hatte. Sie fragte sich, ob man den Mann wohl mittlerweile gefunden hatte? Wenn ja, würde es bis zu seiner Identifizierung sicher nicht mehr lange dauern. Das bedeutete, dass sie vorsichtig bei der Nutzung des Wagens sein musste. Am Besten wäre es, wenn sie sich des Autos so bald wie möglich entledigte. Gestern Abend wollte sie jedoch nur noch ankommen. Sie hatte Schmerzen gehabt und stand durch ihre überstürzte Flucht so unter Strom, dass sie sich erst einmal beruhigen musste. Sie hatte schon oft genug erlebt, wie Leute in einem so aufgewühlten Zustand Fehler machten, die sie normalerweise sicher nicht gemacht hätten. Und weitere Fehler…die galt es auf jeden Fall zu vermeiden. Ihr größter Fehler war es wahrlich gewesen, sich mit solchen Schwachköpfen zu umgeben. Das würde ihr jedoch ganz sicher nicht noch einmal passieren.

 

Plötzlich machte sich ein äußerst unwillkommener Gedanke in ihrem Kopf breit. Hatte Michael womöglich damals auch einen Fehler gemacht? Hatte ihr großer Bruder womöglich diesen DiNozzo unterschätzt und hatte ihm diese Fehleinschätzung den Tod gebracht? Dieser amerikanische Agent hatte sich auf jeden Fall als härter entpuppt, als sie angenommen hatte. Auch wenn es zwischenzeitlich so ausgesehen hatte, als würde er resignieren, immer wieder hatte sich sein Widerstand geregt - trotz allem, was sie ihm angetan hatte. Rebekka schüttelte die unangenehme Vorstellung ab, dass ihr über alles geliebter großer Bruder Michael unter Umständen doch einen Fehler begangen haben könnte. Nein! Das konnte einfach nicht sein! DiNozzo hatte ihren Bruder eiskalt und hinterrücks ermordet – anders konnte es nicht gewesen sein. Dafür war Michael zu lange im Geschäft und zu routiniert gewesen. Nicht umsonst hatte er jahrelang als einer der besten Mossad-Agenten gegolten, die die Behörde je hervorgebracht hatte. Dieser DiNozzo war ein Mörder! Basta! Und dafür hatte er den Tod mehr als verdient! Nun war es an ihr, diese unausgesprochene Todesstrafe zu vollstrecken. Sie alleine war übriggeblieben, den Mörder ihres geliebten Bruders zur Strecke zu bringen. Und zum Teufel: Sie würde es tun – und wenn es das Letzte war, was sie tun würde. Wäre doch gelacht, wenn sie das nicht alleine hinbekäme.

 

Rebekka schüttete sich drei Schmerztabletten in die Handinnenfläche und spülte diese mit einem Schluck Wasser aus der Leitung runter. Sie fühlte sich müde und verspannt, was sie jetzt dringend brauchte, war eine Dusche. Fast 10 Minuten lang ließ sie das warme Wasser über ihren Körper laufen, dann fühlte sie sich besser. Anschließend holte sie die Tüte aus dem Drogeriemarkt ins Badezimmer und schüttete den Inhalt ins Waschbecken. Sie versorgte ihre Armwunde mit antiseptischer Salbe und legte einen frischen Verband an. Mit versteinerter Miene kämmte sie sich danach ihr langes schwarzes Haar und warf einen letzten bedauernden Blick in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken, bevor sie schließlich entschlossen zur Schere griff.

 

Etwa eine Dreiviertelstunde arbeitete sie nun konzentriert daran, ihr Äußeres zu verändern. Nachdem es vollbracht war, blickte sie wieder kritisch in den Spiegel. Sie verzog das Gesicht, obwohl sie gleichzeitig wusste, dass sie zufrieden mit dem sein konnte, was sie erreicht hatte. Eine völlig veränderte Frau schaute ihr entgegen. Ein kupferroter Bob reichte ihr gerade noch bis ans Kinn. Der dichte Pony verdeckte ihre Stirn fast ganz und stieß mit den Haarspitzen an eine dieser total schmucklosen, wenig kleidsamen Lesebrillen, die man heutzutage schon in fast jedem gut sortierten Drogeriemarkt ohne Rezept kaufen konnte. Da ihre Augen ja nicht wirklich schlecht waren, hatte sie ein Modell mit der geringsten Dioptrienstärke gewählt, und hoffte, die Brille würde sie in ihrem Handeln möglichst wenig beeinträchtigen. Leider fehlte ihr die Zeit, sich ein Modell mit Fensterglas anfertigen zu lassen. Aber okay, es würde auch so gehen. Zusätzlich sollte sie sich vielleicht noch ein Paar dieser farbigen Kontaktlinsen besorgen, um von ihrer wahren Augenfarbe abzulenken. Gute Idee! Wenn sie später unterwegs war, würde sie auf einen Optiker achtgeben.

 

Zufrieden verließ Rebekka das Bad und ging zurück ins Wohnzimmer. Dort griff sie nach dem Telefonbuch, das sie gestern noch geistesgegenwärtig aus einer der wenigen übrig gebliebenen Telefonzellen geklaut hatte. In Amerika schienen Telefonzellen schon fast ein Relikt aus vergangener Zeit zu sein – das war in ihrem Land anders. Doch nachdem sie auf dem Weg schon eine Weile danach Ausschau gehalten hatte, war ihr das Glück wieder einmal hold gewesen und sie hatte direkt gegenüber des Drogeriemarktes schließlich eine entdeckt. Jetzt suchte sie kurz in den Seiten, schlug das Buch dann an der richtigen Stelle auf und griff nach dem Telefon. Gut, dass Aaron sich auch in dieser Wohnung um einen Anschluss gekümmert hatte. Nach einem kurzen Kontrollblick in das Buch, tippte sie entschlossen die erste Nummer ein, während sie registrierte, wie dieses berauschende Gefühl wieder von ihr Besitz ergriff, dass sie immer verspürte, wenn sie auf der Jagd war. So war es noch jedes Mal gewesen und sie hatte dieses Gefühl mit der Zeit kennen- und liebengelernt. In der Vergangenheit hatte ihre Jagd in den allermeisten Fällen erfolgreich geendet, was für Rebekka fast einem Orgasmus gleichkam und auch dieses Mal, das schwor sie sich im Stillen, würde sie letzten Endes ihre Beute stellen und zur Strecke bringen. Ungeduldig lauschte sie dem eintönigen Tuten im Hörer, während sie darauf wartete, dass die Verbindung zustande kam. Endlich erkundigte sich eine freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung, was sie für sie tun könne.

 

„Guten Morgen“, meldete sie sich, um eine möglichst akzentfreie Aussprache bemüht. „Mein Name ist Ziva David. Ich wollte mich nach dem Befinden von Agent Anthony DiNozzo erkundigen. Er wurde gestern Abend als Notfall bei Ihnen eingeliefert. Können Sie mir da weiterhelfen?“

 

Viermal lief sie mit ihrem Spruch ins Leere, doch beim fünften Anruf hatte sie Erfolg. Sie wurde weiter verbunden und bekam überraschend bereitwillig die Auskunft, dass Agent DiNozzo die anstrengende OP gut überstanden hatte. Mehr dürfe man ihr am Telefon allerdings nicht sagen. Rebekka bedankte sich höflich für die Auskunft und legte bedächtig den Hörer zurück auf die Station.

 

„So, so“, murmelte sie leise vor sich hin. „Bethesda Hospital also. Sehr interessant.“ Jetzt brauchte sie nur noch ein paar Informationen über diese Klinik einzuholen und dann würde sie Agent DiNozzo einen Besuch abstatten. Aber das eilte ja nicht. Zuallererst musste sie etwas essen. Ihr wurde schon langsam flau vor lauter Hunger, doch zu ihrem größten Ärgernis war in der Wohnung nichts Essbares zu finden. Na gut, jede Klinik besaß schließlich eine Cafeteria…und während des Essens zu wissen, dass sich DiNozzo quasi schon in ihrer unmittelbaren Nähe befand, würde ihren Appetit und ihre Vorfreude sicher noch beflügeln…

 

Kapitel 40

9.27 Uhr – NCIS – Hauptquartier - Drittes Verhör Aaron Rosen

 

Gibbs, McGee, Eli David und Ziva, die inzwischen wieder im Hauptquartier eingetroffen war, hatten sich noch einmal den Bericht der Spurensicherung zur Brust genommen. Doch trotz aller Bemühungen kam einfach nichts Brauchbares dabei heraus. Einzig allein ein Hinweis auf Rebekkas Aufenthaltsort interessierte sie. In diesem Moment sprang Gibbs wütend auf. „Irgendwas ist da noch. Ich fühle, dass uns dieser Mistkerl etwas verschweigt.“ Er schnappte sich den Telefonhörer und wählte eine interne Nummer. „Bringen Sie Aaron Rosen sofort in Verhörraum zwei! - McGee, Ziva, ins Beobachtungszimmer!“

 

„Agent Gibbs, lassen Sie mich noch einmal mit Rosen reden. Ich habe da eine Idee. - Wenn er noch etwas weiß, dann wird er es uns sagen.“ Eli David hatte sich von seinem Stuhl erhoben und sah Jethro fragend an.

 

„Folter ist bei uns nicht erlaubt, das habe ich Ihnen ja schon gesagt“ erwiderte der Chefermittler mit stechendem Blick.

 

„Ich werde ihn nicht anfassen“, entgegnete Eli ruhig. „Es gibt noch andere Methoden. Allerdings würde ich trotzdem empfehlen, die Überwachungskameras nicht mitlaufen zu lassen.“ Sein Blick kreuzte sich mit dem Jethro´s.

 

Der überlegte einen Moment, dann setzte er sich in Bewegung Richtung Verhörraum. „Also los“, erklärte er Eli im Vorbeigehen sein Einverständnis. „Zeigen Sie, was Sie können.“

 

Aaron wirkte auf seinem Stuhl noch kleiner als vor einer Stunde. „Ich habe Ihnen doch alles gesagt, was ich weiß“, stöhnte er sofort auf, als sich die Türe zum Verhörraum öffnete und der NCIS-Chefermittler und der Chef des Mossad eintraten. Doch weder Gibbs noch Eli reagierten auf seine Worte. Verunsichert blickte Rosen von einem zum anderen. „Ich will endlich einen Anwalt!“ Er versuchte, seiner Stimme einen sicheren Klang zu geben, was allerdings kläglich scheiterte, „Ich…ich habe das Recht auf einen Anwalt“.

 

Das war das Stichwort für Eli David. Er warf einen Blick Richtung Glasscheibe, hinter der McGee stand und machte eine unmissverständliche Bewegung mit der Hand. Sekunden später erlosch das rote Licht, das anzeigte, dass die Überwachungskamera in Betrieb war.

 

Mit wachsender Unruhe hatte Aaron registriert, wie die kleine Lampe ausging. Jetzt sah er angstvoll zu Eli David, der inzwischen unmittelbar vor ihm stand.

 

Mit einem fast freundlichen Lächeln auf den Lippen beugte er sich zu dem jüngeren Israeli herunter und sagte dann völlig ruhig: „Du brauchst keinen Anwalt mein Junge, zumindest nicht hier in Amerika. Du wirst als Mossad-Agent reaktiviert und rückwirkend in den Dienst versetzt. Damit unterstehst du der israelischen Gerichtsbarkeit, oder besser gesagt   -   MIR. Ich nehme dich mit nach Tel Aviv. Dort werden wir dann viel Zeit haben, uns über Rebekka zu unterhalten --- und darüber, dass ihr meine Tochter entführt habt. Und ich nehme an, dass ihr sie nicht nach ein, zwei Tagen wieder laufen lassen wolltet.“ Eli richtete sich auf und machte ein paar Schritte auf den Spiegel zu, vor dem er stehen blieb und sich durch die Haare strich. Ziva, die äußerlich völlig gefasst wirkte, spürte förmlich den Blick ihres Vaters auf sich, obwohl er sie selbstverständlich nicht sehen konnte. Innerlich war sie jedoch so aufgewühlt, dass sie am liebsten in den Verhörraum gerannt wäre, um die Informationen aus Aaron Rosen heraus zu prügeln. Und McGee, der hinter dem Spiegel die Worte gehört hatte und jetzt in Eli´s Augen sah, lief eine Gänsehaut den Rücken hinunter bei dem Gedanken daran, was Aaron wohl in einem israelischen Gefängnis zu erwarten hatte.

 

„Das kann er doch nicht machen!“, schrie Aaron auf. Er war von seinem Stuhl aufgesprungen und sah Gibbs mit weit aufgerissenen Augen an. „Ich bin nicht mehr beim Mossad. Er darf mich nicht mitnehmen!“ Panik stand in seinem Blick. Sicher war auch der Gedanke an den amerikanischen Knast schon beunruhigend genug - aber Eli David in einem israelischen Gefängnis ausgeliefert zu sein, ließ ihm fast den Atem stocken. „Agent Gibbs, sagen Sie ihm, dass er das nicht darf!“, forderte er mit vor Angst bebender Stimme.

 

„Wenn er sagt, dass er das kann, dann sollten Sie davon ausgehen, dass es stimmt“, antwortete Jethro, der anscheinend teilnahmslos auf seinem Stuhl saß.

 

„Eine Unterschrift! Glaub´ mir, es kostet mich nur eine Unterschrift auf einem Dokument und du bist zurückversetzt in den aktiven Dienst.“ Eli David hatte sich zu dem von Kopf bis Fuß vibrierenden Rosen umgewandt und nagelte ihn mit seinen Blicken fest.

 

Jetzt griff Gibbs wieder ein. „Ich will wissen, wo sich Rebekka versteckt. Und ich spüre, dass Sie das wissen. Das ist Ihre letzte Chance. Wenn ich mit Ihren Antworten zufrieden bin, werde ich vielleicht – und ich betone `vielleicht´- darauf bestehen, dass Sie hier vor Gericht kommen.“ Gibbs warf Eli einen Blick zu, der in etwa ausdrücken sollte ´keine schlechte Finte´, dann wandten sie sich beide wieder dem jungen Israeli zu, der wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl hing und mittlerweile sämtliche Gegenwehr aufgegeben hatte.

 

„Sie müssen mir versichern, dass ich hierbleiben darf“, flehte er Jethro förmlich an. Seine Stimme zitterte und er war ganz offensichtlich kurz davor, zusammenzubrechen.

 

„Reden Sie endlich, dann wahren Sie zumindest die Chance darauf!“, herrschte Gibbs ihn an und langsam und stockend, aufgrund der Tränen, die mittlerweile seine Wangen herabliefen, begann Rosen zu sprechen.

 

„Ich, … ich habe noch ein kleines Apartment gemietet. Sozusagen um sicherzugehen, falls etwas schiefgeht. Es ist in East Riverdale, Sheridan Street 74. Den Schlüssel dazu habe ich in meiner Wohnung in South Kensington versteckt. Vielleicht hat Rebekka den ja gefunden. Aber sie wusste doch nichts von der Wohnung. Ich habe ihr nie etwas davon erzählt.“

 

Im selben Moment, in dem Rosen die Adresse des Apartments preisgegeben hatte, waren Gibbs und Eli schon aus dem Verhörraum gestürzt und hatten einen völlig aufgelösten Aaron Rosen zurückgelassen. Ziva und McGee folgten ihnen auf dem Fuß und wenige Minuten später rasten sie schon mit quietschenden Reifen Richtung East Riverdale.

 

 

9.35 Uhr – Bethesda Hospital - Cafeteria

 

Rebekka saß an einem der Tische in der Cafeteria und ließ sich ein ausgiebiges Frühstück schmecken. Der Kaffee war gut, stellte sie überrascht fest, und auch das Rührei war wirklich schmackhaft. Mann, sie war schon in Krankenhäusern gewesen, da konnte man das Essen bestenfalls als Fraß bezeichnen. Diese Amis wussten gar nicht, wie gut sie es hatten. Trotzdem, auf Dauer wäre das kein Land für sie. So langsam war sie froh, wenn sie ihre Mission endlich hinter sich gebracht hatte und sich auf den Weg machen konnte. Wohin auch immer. Hier wurde der Boden sowieso langsam zu heiß für sie. Ja, es war definitiv an der Zeit, dass sie ihre Zelte hier abbrach. Nur, wie sollte sie es anstellen, bis zu DiNozzo vorzudringen? Sie machte sich nichts vor. Mit Sicherheit hatten sie Wachen für dieses Weichei abgestellt, damit ihm niemand zu nahe kam. Unauffällig blickte sie sich in dem großen Raum um. Ihre Verwandlung schien zu wirken. Niemand achtete auf sie. Sehr gut. Die Cafeteria war zu dieser Tageszeit noch eher spärlich gefüllt. Vorwiegend mit Patienten und Personal des Krankenhauses. Besucher waren die Ausnahme. Einige wenige Patienten versorgten sich mit Getränken und Zeitschriften. Sie waren in ihren Schlafanzügen und Bademänteln oder Jogging-Anzügen gut zu erkennen, besonders, da sie allesamt Hausschuhe trugen. Einige Pfleger und Krankenschwestern verbrachten offenbar ihre Pausen ebenfalls hier, was nicht weiter ungewöhnlich war.

 

Am Nebentisch saßen zwei Krankenschwestern, die in eine lebhafte Unterhaltung vertieft waren. Sie sprachen so laut, dass Rebekka nicht umhin konnte, mitzuhören.

 

„Schön, dass du endlich mal wieder Zeit für einen Kaffee hast“, meinte die ältere von beiden und biss herzhaft in ihren Bagel.

 

„Ja, seitdem ich den Wechsel von der Tag- in die Nachtschicht gemacht habe, ist es alles ein wenig chaotisch. Obwohl, für unsere Kleine ist es am besten so. Wir haben Glück, dass Jack heute erst mittags zur Arbeit muss und sie in die Schule bringen kann. Das verschafft mir etwas Luft. Ich vermisse unsere Klatschgespräche auch, das kannst du mir glauben.“ Sie lachte kurz auf. „Unsere Patienten auf der Intensiv sind ja eher schweigsam“, setzte sie dann hinzu.

 

„Ja, da hast du wohl recht. Obwohl, ich finde es echt schade, dass du jetzt in einer anderen Schicht bist. - Und? Wie geht´s unserem Neuzugang? Ich habe gehört, dieser NCIS-Agent, den es vor einem halben Jahr schon mal so schlimm erwischt hat, ist wieder da. Hat er die Nacht gut überstanden?“

 

Am Nebentisch frohlockte Rebekka. Da hatte sie sich ja genau den richtigen Platz ausgesucht! Glück musste der Mensch haben…

 

„Du meinst den gutaussehenden Halbitaliener? Oh ja…“ Die Frau schnalzte genießerisch mit der Zunge und Rebekka verzog am Nebentisch angewidert das Gesicht. „Mann, du ahnst ja nicht, wie froh ich bin, dass mein Mann einen normalen Job hat – nicht so was gefährliches. Es hat ihn wieder ganz schön erwischt, aber der Mann ist echt hart im Nehmen. Als er eingeliefert wurde, stand es auf der Kippe, aber jetzt ist er stabil und wird es wohl wieder schaffen. Hey, er hat jetzt eine feste Freundin, wusstest du das?“

 

„Im Ernst? Schade! Wieder einer weg vom freien Markt“, bedauerte ihre Kollegin und die Jüngere lachte kurz auf.

 

„Ja, es ist seine Kollegin. Die, die damals schon so viel Zeit an seinem Bett verbracht hat. Sie hat heute Morgen schon angerufen, um sich zu erkundigen, wie es ihm geht. Süß, nicht wahr?“

 

„Meinst du, diese Israelin? Die hübsche Schlanke mit den langen dunklen Haaren? Die hab´ ich eben aus seinem Zimmer kommen sehen, als ich meine Sachen schon mal hochgebracht habe.“

 

Rebekka horchte auf. Mann, das war aber jetzt dumm gelaufen! Hoffentlich flog sie nicht auf. Prompt kam die Reaktion, die sie befürchtet hatte.

 

„Was? Sie war hier? Warum ruft sie dann an, wenn sie sowieso schon im Haus ist? Bist du sicher, dass sie es war?“

 

„Ja, eigentlich schon. Sie sah genau so aus wie damals. Das muss sie gewesen sein. Außerdem wirkte sie sehr bedrückt.“

 

„Komisch.“ Die jüngere Frau machte eine Pause und dachte nach. „Ich hab´ mitbekommen, dass sie nach einer Frau suchen. Auch eine Israelin. Die Wachen vor der Tür haben sich darüber unterhalten. Meinst du, wir sollten sie informieren?“

 

„Glaubst du wirklich, da ist was faul?“

 

„Ich weiß nicht… Nachher machen wir nur die Pferde scheu...“

 

„Ja, vielleicht...“

 

„Trotzdem…ich hab´ da so ein blödes Gefühl.“ Die Jüngere stand jetzt entschlossen auf. „Doch, ich denke, wir sollten das melden. Nur so, zur Sicherheit. Ich würde mich auf jeden Fall besser fühlen. Sie werden uns schon nicht den Kopf abreißen, wenn es falscher Alarm ist. Ich glaube, die Frau, die sie suchen, ist echt gefährlich. Wenn du ihn nachher erst gesehen hast, wirst du verstehen, was… “

 

„Jetzt beruhige dich.“ Die Kollegin erhob sich nun ebenfalls und griff nach ihrem Tablett. „Ich übernehme das für dich. Geh´ du nur ruhig nach Hause. Du hast frei. Du kümmerst dich um deine Familie und ich spreche mit dem Wachposten, okay?“

 

„Echt, das würdest du tun? Das ist ja superlieb von dir. Sollten die Männer irgendwelche Fragen an mich haben, kannst du ihnen ja meine Nummer geben.“

 

„Mach´ ich. Aber jetzt muss ich rauf auf Station – sonst bekomme ich nachher noch Ärger. Mach´s gut, bis morgen. Wir sehen uns.“

 

Die Jüngere der beiden Frauen winkte verabschiedend und verließ die Cafeteria mit schnellen Schritten, während die Ältere auf den Rollwagen zusteuerte, der für die Tabletts mit dem gebrauchten Geschirr etwas abseits stand. Rebekka wartete einen Moment, bis die Frau den Raum verließ und in Richtung Aufzug ging. Dann stand sie schnell auf und folgte ihr. Unauffällig gesellte sich die Israelin neben die Krankenschwester und wartete schließlich gemeinsam mit ihr auf den Aufzug, der sich kurz darauf mit einem leisen `Pling´ ankündigte. Mit einem kleinen Lächeln ließ Rebekka der Älteren den Vortritt und stieg dann nach ihr ein. Sie warf einen kurzen Blick auf die Schalttafel mit den Stockwerken und bemerkte dann mit sanfter Stimme: „Oh, Sie auch? Besuchen Sie einen Angehörigen?“

 

„Nein. Ich bin Krankenschwester und mein Dienst beginnt gleich. Aber Sie möchten sicher zu einem Angehörigen?“

 

Rebekka registrierte das automatische Mitleid, dass die Frau plötzlich in ihre Stimme gelegt hatte und hätte am liebten gekotzt, doch sie beherrschte ihren Unmut über diese Amerikaner mit ihrer ständigen Gefühlsduselei. Stattdessen lächelte sie unbefangen. „Nein, ich will auch zur Arbeit.“ Als ihr Gegenüber überrascht die Augenbrauen hochzog, setzte sie hinzu: „Kostenloses Praktikum, verstehen Sie. Ich habe vor der Geburt meiner Kinder auf einer Intensivstation gearbeitet und versuche jetzt den Wiedereinstieg. Die Klinikleitung will aber erst einmal sehen, wie ich zurechtkomme.“ Sie seufzte kurz: „Na ja, so ist das wohl heutzutage.“

 

„Oh, Verstärkung! Wie schön!“, freute sich die ahnungslose Krankenschwester. „Wir sind nämlich permanent unterbesetzt, müssen Sie wissen.“ Der Aufzug hielt und die Türen schoben sich geräuschlos zur Seite. „Sie können gleich mit mir kommen. Ich bin übrigens Mary. Was sagen Sie: Ich zeige Ihnen, wo Sie sich umziehen können und danach stelle ich Sie dann dem Stationsarzt vor, in Ordnung?“

 

Mit einem strahlenden Lächeln blickte Rebekka Mary offen in die Augen. „Sie sind sehr freundlich. Ehrlich, ich danke Ihnen.“

 

„Keine Ursache. Kommen Sie, gehen wir.“

 

Beide Frauen traten aus dem Aufzug heraus und schritten den langen Flur der Intensivstation entlang. Rebekka registrierte sehr wohl, dass vor einem der Zimmer Stühle standen und beim Vorbeigehen erkannte sie aus den Augenwinkeln Fornell, der immer noch vor DiNozzo´s Tür Wache hielt. Sie erinnerte sich an den Mann vom vorigen Abend. Er gehörte zu diesen FBI-Fuzzis, die den NCIS-Agenten zu Hilfe gekommen waren. Jetzt blickte er von seiner Zeitung hoch und warf einen prüfenden Blick auf die beiden vorbeigehenden Frauen. Rebekka beschloss, das Risiko einzugehen, sah Fornell freundlich lächelnd direkt ins Gesicht und nickte kurz. Tief befriedigt registrierte sie, dass der Dummkopf, der er in ihren Augen war, lediglich grüßend zurück nickte und sich dann wieder seiner Zeitung widmete. Sehr gut, jetzt konnte sie sicher sein, dass ihre Verwandlung offenbar perfekt funktionierte. Aber sie hatte auch nichts anderes erwartet! Sie war eben die Beste! Gut, dass ihr Selbstzweifel fremd waren!


Kapitel 41

 

9.42 Uhr – East Riverdale – Wohnung von Alan Porter alias Aaron Rosen

 

Mit quietschenden Bremsen hielt der Wagen vor dem Haus, in dem sich die Wohnung von Alan Porter, alias Alex Portsmith, alias Aaron Rosen befand. Gibbs, Ziva und Eli sprangen behände aus dem Wagen heraus, während sich McGee wie gewöhnlich, nach einer Fahrt mit Gibbs, erst einmal etwas sammeln musste. Jethro zog seine Waffe, prüfte und entsicherte sie und rief Ziva zu:

 

„David! Du gehst hintenrum! Check, ob es hier einen Hinterausgang gibt. Wenn ja, sichere ihn. Du gehst auf gar keinen Fall alleine da rein, hast du mich verstanden?“

 

„Aber Gibbs“, wandte Ziva entrüstet ein, doch ein Blick ihres Bosses ließ sie prompt verstummen. Wortlos wandte sie sich ab und machte sich auf den Weg. Nach einem kurzen Blick zu dem Grauhaarigen folgte ihr Eli auf dem Fuße.

 

„Tim? Alles klar?“

 

„Ja, Boss! Alles klar!“

 

„Gut, dann nichts wie los!“ Zügig setzte Gibbs sich in Bewegung und McGee beeilte sich, den Anschluss nicht zu verlieren und dabei gleichzeitig seinem Boss Deckung zu geben. Da gerade jemand aus dem Haus kam, brauchten sie keine Zeit damit zu vergeuden, erst

umständlich das Schloss zu knacken und konnten direkt in den Hausflur stürmen. Umgehend wandten sie sich dem Treppenhaus zu und rannten, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, bis hinauf in den zweiten Stock. Dort bogen sie – wie Rosen es ihnen beschrieben hatte – links ab und blieben schließlich schwer atmend vor der dritten Tür auf der rechten Gangseite stehen. Dieses Mal machte Gibbs nicht viel Federlesens und schoss mit einem gezielten Schuss das Schloss auf. Ein kurzer Moment des Innehaltens, ob von drinnen irgendein Angriff oder Gegenwehr erfolgte, und dann betraten die beiden Männer, sich gegenseitig Deckung gebend, die Wohnung.

 

 

9.44 Uhr – Bethesda Hospital – Intensivstation

 

Mary öffnete eine Tür, die am Ende des Ganges lag und drehte sich zu Rebekka um. „Wir sind da.“ Sie trat beiseite und ließ Rebekka den Vortritt in einen karg ausgestatteten Raum, der bis auf eine Spüle, einen Tisch, ein paar Stühle und einige Metallspinde an der Wand gänzlich leer war. „Tja, das ist unser `Aufenthaltsraum´. Hier ziehen wir uns um und hier sollten wir nach Ansicht der Klinikleitung auch unsere Pausen verbringen. Aber da das alles hier so anheimelnd wirkt, gehen wir meistens lieber in die Cafeteria. Wie heißen Sie eigentlich?“

 

Rebekka stand mitten im Raum und schaute sich um, während die Krankenschwester zu einem der Spinde ging, eine Zahlenkombination am Vorhängeschloss einstellte und ihn dann öffnete. „Oh, äh…entschuldigen Sie. Wie unhöflich von mir. Mein Name ist Re…gina.“ Mann, fast hätte sie sich verplappert. Sie musste sich mehr konzentrieren. Obwohl…im Grunde war es sowieso egal, ob diese Frau wusste, wie sie wirklich hieß, oder nicht. Sie beobachtete, wie sie ihre Uniform auf dem Tisch zurechtlegte und ihre Handtasche sorgsam im oberen Fach des Schrankes verstaute.

 

„Was ist mit Ihnen? Haben Sie schon eine Uniform?“

 

Rebekka trat an den Tisch und nahm Mary´s Kittel in die Hand. Sie faltete ihn auseinander und schien zu überlegen.

 

„Oh, den kann ich Ihnen leider nicht leihen. Das ist mein letzter. Alle anderen kommen erst morgen aus der Wäscherei zurück. Aber ich werde mich gleich darum kümmern, dass Sie ihre eigenen Sachen bekommen.“

 

„Nicht nötig“, entfuhr es Rebekka.

 

„Wie?“ Verwirrt blickte Mary die Israelin an und als sie in deren Augen sah, überkam sie plötzlich ein ungutes Gefühl. „Hören Sie…“ Sie streckte die Hand nach ihrem Kittel aus. „…kann ich den haben, bitte. Und dann sollten wir gehen. Der Stationsarzt müsste jetzt normalerweise auch in seinem Zimmer sein und ich muss…“

 

Blitzschnell griff Rebekka nach Mary´s Arm und drehte sie mit einer fließenden Bewegung so zu sich herum, dass sie die Frau jetzt eisern im Schwitzkasten hielt. Gleichzeitig zog sie mit der freien Hand ihr Messer aus der Hosentasche, drückte den Auslöser, der es aufklappen ließ und ohne zu zögern schnitt sie der Frau die Kehle durch. Mit einer tiefen Befriedigung nahm sie zur Kenntnis, wie Mary´s Körper sich noch einmal kurz aufzubäumen schien, bevor er im nächsten Augenblick schlaff in sich zusammensank. Die Aktion war so schnell gegangen, dass Mary noch nicht einmal mehr hatte aufschreien können. Rebekka legte den stämmigen Körper auf dem Boden ab, ging zur Tür und sperrte diese erst einmal ab. Nicht auszudenken, wenn jetzt jemand hier hereinkäme. Dann wäre ihre ganze Mühe umsonst gewesen und das wollte sie auf jeden Fall vermeiden. Danach packte sie Mary unter den Achseln und zerrte sie hinüber zu ihrem Spind. Es kostete sie einige Mühe, die Leiche im unteren Teil so zu verstauen, dass sie die Tür problemlos schließen konnte, doch letztendlich bekam sie es hin. Schwer atmend richtete sie sich auf und schaute sich um. Mary´s Schlüssel und ihre Uniform lagen auf dem Tisch und warteten auf sie. Gut so! Entschlossen griff sie sich noch ein Handtuch aus dem Spind, schmiss die Tür zu und verriegelte das Zahlenschloss, indem sie einfach ein paar Mal an den Rastern drehte. Zufrieden grinste sie dann in sich hinein. Das war ja schon fast zu einfach gewesen. Aber die Frau war schließlich keine Gegnerin für sie gewesen.

 

Rebekka legte das Handtuch in die Spüle und ließ Wasser darüber laufen. Danach wischte sie das wenige Blut auf. Kaum zu glauben, aber mit einem gezielt gesetzten Schnitt blutete eine solche Wunde am Hals längst nicht so schlimm, wie man es vermuten würde. Diese Tatsache versetzte Rebekka immer wieder in Erstaunen, aber für ihre Zwecke war dies nur gut. Jetzt musste sie nur noch Mary´s Uniform anziehen, den Schlüssel an sich nehmen und das blutige Handtuch loswerden. Kurz bedauerte sie, dass sie den Spind schon verschlossen hatte. Dort wäre es am besten aufgehoben gewesen, aber leider hatte sie voreilig das Schloss verstellt, ohne den Zahlencode zu kennen. Egal, draußen auf dem Gang hatte sie verschiedene Behältnisse bemerkt, die offenbar für Wäsche aller Art vorgesehen waren. Dort hinein würde sie das Handtuch gleich werfen. Es würde sicher eine Weile dauern, bis man das blutige Tuch darin bemerkte. Bis dahin hatte sie ihr Vorhaben längst abgeschlossen und diesen Mörder DiNozzo seiner gerechten Strafe zugeführt. Für Michael! Genau! Niemand konnte sie jetzt mehr aufhalten!

 

 

9.44 Uhr – East Riverdale – Wohnung von Alan Porter alias Aaron Rosen

 

Schnell realisierten sie, dass sich niemand mehr in der Wohnung befand und sie wieder einmal zu spät waren. Zutiefst deprimiert schauten sie sich in den wenigen Räumen um. Im Badezimmer angekommen, riss McGee überrascht die Augen auf.

 

„Boss?!“

 

Binnen Sekunden betrat Gibbs den Raum. „Was ist? Hast du was?“

 

Tim deutete auf verschiedene Gegenstände, die im Waschbecken lagen. „Sieht so aus, als hätte sie ihr Aussehen verändert. – Das ist Haarfärbemittel und hier, siehst du…“ Er öffnete den kleinen Mülleimer unter dem Waschbecken. „…ich glaube, sie hat sich die Haare abgeschnitten.“

 

„Ja, verdammt!“ Gibbs nickte grimmig. „Ich denke, du hast recht. Und ich glaube, sie weiß, wo sie DiNozzo findet!“

 

„Was? Wie kommst du darauf?“

 

„Im Wohnraum liegt ein Telefonbuch. Aufgeschlagen ist die Seite mit den Krankenhäusern!“ Er ballte unbewusst die Fäuste. „Das verdammte Drecksweib ist uns immer noch einen Schritt voraus!“

 

 

9.46 Uhr – Bethesda Hosital – Intensivstation

 

Rebekka spürte, wie die Vorfreude auf DiNozzo´s Tod sie mehr und mehr packte. Jetzt musste sie nur noch das Schwesternzimmer mit dem Giftschrank finden. Sie griff nach Mary´s Schlüssel und steckte ihn in die Kitteltasche. Darin würde sich schon etwas finden, was für ihre Zwecke ausreichte. Sie entriegelte die Tür und trat hinaus auf den Flur. Bereits nach wenigen Metern hatte sie das Schwesternzimmer gefunden und wie erwartet, befand sich dort auch der Medikamentenschrank.

 

Rebekka blickte sich um. Es war niemand in der Nähe. Schnell probierte sie die verschiedenen Schlüssel aus und schon beim dritten Versuch hatte sie Glück. Sie sperrte den Schrank auf und wollte eben den Inhalt inspizieren, als sie im selben Moment von draußen Geräusche hörte. `Verdammt, ausgerechnet jetzt muss jemand kommen' dachte Rebekka alarmiert. Eiligst überflog sie die Namen der Medikamente und griff dann kurzentschlossen nach einem Fläschchen Atropin. Während ihrer Ausbildung beim Mossad hatte sie sich eine Menge Grundwissen in Sachen Medikamente, Chemikalien und dergleichen angeeignet. Atropin! Ja! Das war genau das, was sie brauchte. Ein giftiges Tropan-Alkaloid. Blitzschnell rekapitulierte Rebekka, was sie einmal gelernt hatte: Atropin - ein Medikament, das sowohl heilen als auch töten konnte. Im medizinischen Bereich unter anderem in geringen Dosen als Gegengift bei Vergiftungen mit Pflanzenschutzmitteln oder auch Nervenkampfstoffen eingesetzt, obwohl es im Grunde selber ein Giftstoff war. In der Natur enthalten in bestimmten Nachtschattengewächsen wie z.B. der Engelstrompete. Der Name des Alkaloides rührte von der schwarzen Tollkirsche her, der Atropa belladonna. Rebekka lächelte böse vor sich hin. Wenn sie DiNozzo Atropin in ausreichender Menge injizierte, würde sich seine Herzfrequenz innerhalb kürzester Zeit so stark beschleunigen, dass der Muskel schließlich aufgeben würde. Wie genau dieses Mittel dosiert werden musste, war ihr entfallen, aber sie würde einfach die ganzen 10 mg injizieren, das würde schon reichen, um DiNozzo endgültig über den Jordan zu schicken. Sie erinnerte sich dunkel, dass bei einer Reanimation eines Erwachsenen bereits 3 mg als absolutes Maximum galten, damit das Herz-, Kreislaufsystem nicht überlastet wurde. Sie riss die Plastikhülle auf, in der die Spritze steril verpackt war und stach die Nadel durch den Verschluss der Atropin-Flasche. Schnell zog sie 10 mg auf und ließ die gefüllte Spritze in ihrer Kittel-Tasche verschwinden. Leise und unbemerkt verließ sie das Schwesternzimmer und beglückwünschte sich im Stillen wieder einmal für ihr Gedächtnis.

 

Ja! Gleich war es endlich soweit! Als sie über den Gang auf DiNozzo´s Zimmer zuging, bemerkte sie, wie sie vor lauter Aufregung und Vorfreude leicht zitterte. Endlich! Endlich konnte sie es zu Ende bringen.

 

„Moment.“ Tobias erhob sich von dem Stuhl und sah Rebekka leicht argwöhnisch an. „Vor einer halben Stunde ist doch noch eine andere Schwester bei Agent DiNozzo gewesen? - Sie habe ich hier noch nicht gesehen!“

 

Gott, wie ärgerlich! Musste sich dieser Typ unbedingt jetzt profilieren? Nur mit Mühe gelang es Rebekka, den FBI-Agenten ihre Wut nicht merken zu lassen. „Natürlich nicht, ich habe eben erst mit meiner Schicht begonnen. Die Nachtschwester, die den Patienten bisher betreut hat, ist nach Hause gegangen. Glauben Sie mir, eine 12-Stunden-Schicht auf der Intensiv-Station ist lange genug.“ Dabei blickte sie Fornell freundlich lächelnd und absolut selbstsicher an. Sie durfte ihm keine Zeit lassen, nachzudenken, ob er ihr womöglich doch den Zutritt verweigern sollte. Aber durch die roten Haare hatte Rebekka so gar nichts mehr an sich, das auch nur im entferntesten an eine Israelin erinnern würde und so gelang es ihr, den sonst so misstrauischen Routinier zu täuschen. Wie selbstverständlich ging sie an Fornell vorbei und betrat Tony´s Krankenzimmer.

 

Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und Rebekka trat neben das Bett des Bundesagenten. Wieder übermannte sie dieser unbändige Hass auf DiNozzo und sie wartete extra noch einen Moment, um dieses Gefühl voll auskosten zu können. Sie wusste zwar sehr gut, dass sie besser daran täte, zu tun, was sie tun wollte, und dann so schnell wie möglich hier wieder zu verschwinden, aber sie konnte einfach nicht widerstehen. Sie beugte sich über den ruhig daliegenden Tony und flüsterte leise in sein Ohr.

 

„Was bist du doch für ein Schwächling! Du hattest von Anfang an keine Chance gegen mich. Du hättest es sehr viel einfacher haben können, wenn du dich nicht so sehr dagegen gestemmt hättest. Aber beruhige dich: Gleich erlöse ich dich von deinen Schmerzen, du…du…“ Sie brach ab, ihr fiel einfach kein Schimpfwort ein, das ihr passend schien, ihre Verachtung genügend zum Ausdruck zu bringen.

 

Sie richtete sich wieder auf und griff nach der Spritze in ihrer Tasche. Nur Sekunden später setzte sie die Spitze auf DiNozzo´s Ellbogenbeuge und drückte langsam, aber stetig den Inhalt der Spritze in den Körper des verhassten Mannes. Gerade, als sie fertig war, öffnete sich die Tür des Zimmers und Rebekka griff hastig nach dem Krankenblatt, das auf dem Nachttisch bereitlag.

 

Fornell stand in der Tür und blickte Rebekka fragend an. „Gibt es Komplikationen bei Agent DiNozzo?“

 

„Nein, keine Komplikationen. Wie kommen Sie darauf?“

 

„Nun, weil sie so lange brauchen?“ Irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl, das er sich nicht erklären konnte. Skeptisch beobachtete er, was die Schwester an DiNozzos Bett tat.

 

„Ich habe alle seine Werte überprüft und eingetragen“, antwortete Rebekka geistesgegenwärtig. „Das dauert nun mal einen Moment. Aber…“ Sie legte das Krankenblatt zurück auf den Tisch. Es wurde Zeit, dass sie hier heraus kam. „…ich bin jetzt fertig. Ich hoffe, Sie sind zufrieden?“

 

„Entschuldigen Sie. Geht es ihm gut?“

 

„Oh ja, es geht ihm sogar sehr gut“, antwortete Rebekka mit einem verschlagenen Lächeln und verließ an Fornell vorbei das Krankenzimmer. Es erschien ihr ein wenig gewagt, jetzt schon – vor den Augen des FBI-Mannes – den Ausgang anzusteuern – schließlich hatte sie ihm eben erst erklärt, dass sie gerade ihren Dienst angetreten hatte - daher ging sie zunächst zurück in Richtung Schwesternzimmer.


Kapitel 42

9.46 Uhr – East Riverdale – Wohnung von Alan Porter alias Aaron Rosen

 

McGee hatte schon sein Handy in der Hand. „Mann, wir müssen Fornell…Mist, ich hab´ hier drinnen keinen Empfang.“

 

„Dann nichts wie raus hier!“ Auf der Straße angekommen setzte Gibbs seine Befehlskette fort, während er gleichzeitig verzweifelt in seinen Taschen nach seinem Handy suchte. „McGee, hol´ Ziva und Eli her! Dann fährst du zurück ins Hauptquartier. Nimm Eli David mit! Du musst so schnell wie möglich alle entsprechenden Stellen informieren, dass sich die Fahndungsmerkmale von Rebekka verändert haben. Sag Abby, was wir gefunden haben. Sie soll versuchen, anhand dessen ein neues Fahndungsfoto zu erstellen. Du hilfst ihr dabei! Los! Bewegung!“

 

McGee setzte sich wortlos in Bewegung und Gibbs zerrte an seinem Handy, das durch ein Loch in seiner Jackentasche ins Futter durchgerutscht war. Endlich gelang es ihm, das Gerät zu packen. Er riss es hervor, drückte eine Kurzwahl und presste das Gerät gleich darauf erleichtert ans Ohr, während er schon ungeduldig darauf wartete, dass die Verbindung endlich zustande kam. Als es soweit war, brüllte er fast in den Hörer: „Tobias? Ich bin´s! Hören Sie, höchste Alarmstufe! Ich schicke Ihnen Verstärkung! Ziva und ich machen uns auch gleich auf den Weg. Rebekka Rivkin weiß, wo Tony ist und ich glaube, dass sie bereits auf dem Weg zu ihm ist!“ Ohne Fornell auch nur die Chance auf eine Antwort zu geben, rief er noch in den Apparat: „Moment, bleiben Sie dran!“ Im gleichen Augenblick senkte er auch schon sein Telefon.

 

Ziva, Eli und McGee tauchten im Laufschritt beim Wagen auf und Gibbs schaute Ziva kurz fragend an: „Hat McGee...?“

 

„Ich weiß Bescheid!“ unterbrach ihn Ziva.

                                                                                                                 

„Gut! - McGee, wir schicken dir ein Taxi! Eli – Sie bleiben bei McGee.“

 

 

„Warum soll ich bei McGee bleiben...?“, begehrte der Direktor des Mossad auf. „Ich begleite Sie“.

 

„Ich habe jetzt keine Zeit für Diskussionen - es wird gemacht, wie ich es sage!“, fauchte Jethro mit eisiger Bestimmtheit zurück und drückte Ziva das Handy in die Hand. „Hier! Steig ein! Beeil dich! Du musst Fornell informieren wie Rebekka jetzt vermutlich aussieht.“

 

Ziva tat wie ihr geheißen. Doch plötzlich brach sie mitten im Satz ab und horchte nur noch. Je länger sie zuhörte, desto entsetzter wurde ihr Gesichtsausdruck. Schließlich sagte sie mit so seltsam gepresster Stimme „Okay“, dass Gibbs ihr einen fragenden Seitenblick zuwarf. Ziva schob das Handy zusammen, erwiderte den Blick und sagte nur: „Drück auf den Beutel, Boss. Mach schnell! Es ist Tony! Es stimmt etwas nicht mit ihm! Es geht ihm schlechter!“

 

Gibbs knirschte mit den Zähnen, verkniff sich eine Verbesserung von Ziva´s Versprecher, sondern folgte lieber ihrer Ansage. Er brachte die Reifen des Autos abermals dazu, erbärmlich zu quietschen: Dieses Mal jedoch nicht, weil er bremste, sondern weil er das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat. Trotz allem kam es ihm immer noch so vor, als würden sie durch die Straßen DC´s lediglich schleichen. Er hatte schon lange nicht mehr gebetet, doch jetzt war er kurz davor.

 

 

9.48 Uhr – Im Taxi auf dem Weg ins NCIS Hauptquartier

 

Kaum, dass Ziva und Gibbs davongeprescht waren, hatte McGee ein zufällig vorbeifahrendes Taxi anhalten können und beschlossen, nicht auf den Wagen zu warten, den die beiden ihm schicken wollten. Er und Eli stiegen ein, Tim nannte dem Fahrer ihr Ziel und begann dann umgehend mit den nötigen Telefonaten. Gerade, als er sein drittes Telefonat beendet hatte, erreichte ihn ein ankommendes Gespräch. Schnell warf er einen Blick auf das Display. Ziva! Verdammt! Was war jetzt wieder passiert?

 

„Ja?“

 

„Tim, wo seid ihr?“

 

„Im Taxi. Auf dem Weg ins Hauptquartier. Wieso? Was ist los?“

 

„Kehrt um. Schnell! Wir brauchen euch im Krankenhaus! Tony geht es schlechter! Wahrscheinlich ist Rebekka schon vor Ort. Fordere Verstärkung an – wir sind gleich da!“

 

„Alles klar!“ McGee beendete das Gespräch, ohne groß darüber nachzudenken, wie um alles in der Welt, Ziva und Gibbs jetzt schon in der Nähe des Krankenhauses sein konnten. Stattdessen gab er dem Taxifahrer mit erstaunlich ruhiger Stimme das neue Fahrtziel an.

 

Fragend sah ihn Ziva´s Vater an und bedrückt erstattete Tim ihm Bericht. Danach rief er Abby an und bat sie, alles Weitere zu organisieren. Wie erwartet, brach für die quirlige Forensikerin erneut eine Welt zusammen und McGee hatte alle Mühe, sie zu beruhigen.

 

„Abbs, Abbs, jetzt hör´ mir doch zu…“ Doch er musste massiver vorgehen, um sich Gehör zu verschaffen. „ABBY!“ Die quäkende Stimme am anderen Ende verstummte abrupt. McGee atmete erleichtert auf und berichtete in kurzen Worten, was geschehen war. „Mach schnell. Es eilt“, schloss er überflüssigerweise. „Dann schnappst du dir Ducky und ihr kommt rüber in die Klinik, okay?“

 

„Natürlich! Bin schon bei der Arbeit“, war die überraschend knappe Antwort und schon war das Gespräch beendet.

 

Der MIT-Absolvent rollte mit den Augen und wich Eli David´s neuerlichem fragenden Blick aus, indem er aus dem Fenster schaute, um sich zu orientieren, wo sie inzwischen waren. Dabei schickte er ein stummes Stoßgebet gen Himmel, denn er fürchtete zu Recht, dass der Direktor des Mossad für Gebete dieser Art nicht allzu viel übrig hatte. Aber es konnte und durfte doch einfach nicht sein, dass alle Mühen und Qualen der letzten zwei Tage umsonst gewesen waren. Es hatte doch bereits so gut ausgesehen…

 

 

9.49 Uhr – Bethesda Hospital - Intensivstation

 

Fassungslos hatte Tobias Fornell in der offenen Tür von Tony´s Krankenzimmer gestanden und nur hilflos dabei zuschauen können, wie sich zwei Ärzte und eine Krankenschwester um DiNozzo´s Leben bemühten. Dabei bemühte er sich, zu realisieren, was überhaupt geschehen war. Kurz nachdem die Krankenschwester nach Tony gesehen hatte, hatte er glücklicherweise festgestellt, dass die regelmäßigen Piepslaute, die er nun schon seit Stunden in beruhigender Weise leise aus dem Zimmer heraus gehört hatte, sich plötzlich verändert hatten. Alarmiert hatte er daraufhin wieder in das Zimmer geschaut und den Anblick, der sich ihm dort geboten hatte, würde er so bald nicht wieder vergessen. Das stand fest.

 

DiNozzo krampfte offensichtlich. Sein Körper unter der Decke zuckte unkontrolliert und außerdem schien er plötzlich sehr stark zu schwitzen. Am schlimmsten war jedoch, dass er trotz des künstlichen Komas mit weit aufgerissenen Augen gegen die Decke starrte. Zuerst hatte Fornell gedacht, er wäre unvorhergesehen erwacht, doch als er näherkam und den Agent vorsichtig angesprochen hatte, musste er feststellen, dass Tony nichts mitbekam. Seine unnatürlich erweiterten Pupillen starrten weiterhin leer nach oben an die Zimmerdecke, während ihm vermehrt der Speichel aus den Mundwinkeln rann und das Kopfkissen einnässte. Daraufhin hatte Tobias sofort den Knopf für den Notalarm gedrückt, doch in diesem Moment erreichte schon der erste Arzt in Begleitung einer Schwester das Zimmer und schubste ihn rüde beiseite.

 

„Was ist passiert?“, hatte der Doktor ihn angefahren, während er schon mit Hilfe der Schwester die ersten Untersuchungen an DiNozzo durchführte.

 

„Ich weiß es nicht. Die Geräusche aus dem Zimmer hatten sich verändert und als ich hereinkam, fand ich ihn in diesem Zustand vor. Kurz zuvor war noch eine Schwester bei ihm gewesen und hat gemeint, es sei alles in Ordnung. Was ist denn los mit ihm?“

 

Der Arzt tauschte einen schnellen Blick mit der Krankenschwester, doch diese schüttelte verneinend den Kopf. „Das kann gar nicht sein. Ich bin bis jetzt alleine hier gewesen. Mary ist noch nicht aufgetaucht und sie hat auch nicht angerufen. Ich wundere mich schon, wo sie bleibt. Das ist sonst gar nicht ihre Art.“

 

Die Frau klang eindeutig verärgert und in Fornell wuchs plötzlich ein furchtbarer Verdacht heran: „Aber es war jemand hier! Kurze rote Haare und Brille. Es muss jemand vom Personal sein! Sie trug den gleichen Kittel wie Sie.“

 

„Hier auf der Station arbeitet niemand mit roten Haaren“, kam postwendend die vernichtende Antwort der Krankenschwester. „Sie müssen sich irren!“

 

Bevor Fornell antworten konnte, schaltete sich der Arzt wieder ein. Er griff nach dem Krankenblatt von Tony und blaffte die Schwester an: „Los, rasch, holen Sie Dr. Forster. Ich hab´ keine Erklärung für diese Reaktion hier. Er hat den Mann behandelt, also schaffen Sie ihn her. Egal, wo er ist. Verstanden?“

 

In diesem Augenblick klingelte Fornell´s Handy und mechanisch nahm er das Gespräch an. Gibbs! Wieder einmal – wie schon so oft in der Vergangenheit – schoss Tobias durch den Kopf, dass der Chef des NCIS-Teams einen sechsten Sinn zu haben schien. Das, was Gibbs ihm in kurzen Worten mitteilte, bestätigte nur seine Befürchtung - nämlich dass Rebekka den Weg ins Bethesda schon längst gefunden hatte. Gerade wollte er Bericht erstatten, als Gibbs das Gespräch abrupt unterbrach. Im Hintergrund konnte Fornell mithören, wie Jethro wild entschlossen Befehle erteilte und bevor er Zeit hatte, sich mental darauf vorzubereiten, hatte er plötzlich Ziva am Apparat. Eine Schrecksekunde lang stockte sein Herzschlag, denn er konnte sich lebhaft vorstellen, wie die temperamentvolle Lebensgefährtin DiNozzo´s auf seine nächsten Worte reagieren würde. Gleichzeitig war er froh, dass er ihr die schlechten Neuigkeiten nur am Telefon mitteilen musste, denn nach wie vor beschlich ihn manchmal immer noch ein merkwürdiges Gefühl, wenn er es mit Ziva David zu tun hatte. Natürlich wusste er, dass sie dem NCIS und Gibbs zu 100 % loyal gegenüber stand und alles für die Behörde und ihre Kollegen tun würde, aber er wollte auf gar keinen Fall einer derjenigen sein, der ihren Zorn erregte. Schließlich hatte er schon mehr als einmal in der Vergangenheit miterleben „dürfen“, wie die Israelin ihrer Wut Ausdruck verleihen konnte und das Zielobjekt ihres Zornes zu sein, war mit Sicherheit alles andere als wünschenswert.

 

Ohne sich seine zwiespältigen Gefühle anmerken zu lassen, informierte Fornell Ziva knapp über das aktuelle Geschehen, nahm mit aufgewühltem Gemütszustand ihr „Okay“ zur Kenntnis und beendete das Telefonat. Sein Blick streifte die große Uhr, die im Flur von der Decke hing. Wahnsinn! Seitdem er bemerkt hatte, dass sich ein neuerliches Drama um DiNozzo anbahnte, waren noch nicht einmal fünf Minuten vergangen.

 

Die Schwester hastete hinaus und beim rausgehen stieß sie mit ihrem Fuß an etwas, das daraufhin unter den Nachttisch rollte. Fornell hatte plötzlich wieder das Bild vor Augen, als er die Tür geöffnet und sich bei der rothaarigen Schwester erkundigt hatte, ob es Probleme gäbe. Im Nachhinein hatte er den Eindruck, als hätte er sie erschreckt. Vielleicht…. Schnell ging er zum Nachttisch und bückte sich.

 

„Was zum Teufel machen Sie da? Mann, stehen Sie hier nicht im Weg ´rum!“, herrschte ihn der Mediziner unfreundlich an.

 

Fornell tauchte wieder auf – in der Hand die leere Spritze. Nur mit Mühe schaffte er es, seine Wut zu zügeln, die sich allerdings in der Hauptsache gegen ihn selber richtete und nicht gegen die harsche Art, mit der der Arzt ihn behandelte. Den Doktor noch mehr gegen sich aufzubringen, würde DiNozzo im Augenblick nur schaden. „Hier, hilft Ihnen das weiter?“, fragte er deshalb mit ruhiger, fester Stimme und hielt dem Mann die leere Hülle hin.

 

Der Arzt griff danach unddrehte die Kanüle hin und her. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, stürzte Dr. Forster in Begleitung der Schwester ins Zimmer. Der Mediziner drückte der Frau die leere Spritze in die Hand und sagte: „Sehen Sie im Giftschrank nach, ob etwas fehlt. So bringt uns das nicht weiter. Eine Analyse würde zu lange dauern.“

 

In dieser Sekunde bekam Tony einen neuerlichen Krampfanfall und plötzlich fielen die gezackten Kurven auf dem Bildschirm in sich zusammen und verschmolzen zu einer geraden, furchteinflößenden Nulllinie. Das Gerät piepste nun nicht mehr, sondern gab nur noch einen widerlichen langgezogenen Klagelaut von sich.

 

Entsetzt starrte Fornell den Apparat an und brüllte dann unbeherrscht: „Verflucht, tun Sie doch endlich was! Der Mann stirbt ja hier vor unseren Augen!“

 

**************

 

Rebekka war klar, dass sie sich in dem Schwesternzimmer nicht lange aufhalten durfte. Hier saß sie geradewegs in der Falle. Vorsichtig spähte sie auf den Gang hinaus, der in diesem Moment leer vor ihr lag. Schnell trat sie hinaus und lief ein paar Schritte in Richtung Treppenhaus, als sie Stimmen aus der Richtung hörte, die sich rasch näherten. Sie stoppte abrupt und sah sich hektisch um. Ohne lange darüber nachzudenken, huschte sie flink durch die Tür in den OP-Bereich, und wieder war ihr das Glück hold, denn im Moment hielt sich niemand dort auf. Beide Ärzte und die Schwester waren zu Tony geeilt und im Augenblick schien gerade keine OP zu laufen. Blitzschnell schnappte sie sich ein paar der grünen Kleidungsstücke, die an mehreren Haken bereit hingen. Den weißen Kittel und die lästige Brille warf sie in einen Behälter für gebrauchte Kleidung und schlüpfte schnell in die OP-Kluft hinein. Dann zog sie noch die grüne Haube auf und bemühte sich, ihr Haar sorgfältig darunter zu verstecken. Auf den ersten Blick war diese neue Tarnung gar nicht schlecht. Vorsichtig schlich sie zurück zur Tür und lauschte nach draußen.

 

***************

 

Wütend herrschte Dr. Forster den aufgebrachten Fornell an: „Wir können ihm nicht einfach irgendetwas spritzen -   nicht bevor wir wissen, was ihm diese Verrückte injiziert hat! Es könnte alles nur noch verschlimmern!“

 

Der FBI-Agent konnte einfach nicht fassen, welches Drama sich da gerade vor seinen Augen abspielte. Du lieber Gott, man musste doch irgendetwas für Tony tun können. Man konnte doch immer etwas tun! Im Fernsehen wussten die Ärzte immer direkt, was zu tun war. Sie rollten einen Defibrilator heran, spritzten dem Patienten irgendein Wundermittel, oder, oder, oder. Und hier standen nur alle herum und warteten, während DiNozzo… „Ich verstehe das nicht“, murmelte er zutiefst verstört vor sich hin. Diese verdammte Hilflosigkeit machte ihn wahnsinnig. Er war, wie Gibbs, ein Mann der Tat und hier zu stehen und nichts tun zu können, war definitiv mehr, als er verkraften konnte.

 

Einige Sekunden starrte Dr. Forster abwechselnd Tony und das Gerät an, das unerbittlich diesen durchdringenden, gleichbleibenden Ton ausspuckte. „Ich werde es mit Herzmassage versuchen“, teilte er dann unvermittelt seinem Kollegen mit, schwang sich auf Tony´s Bett und begann augenblicklich mit der Herzmassage. Immer und immer wieder drückte er in regelmäßigem Rhythmus mit den flachen Handinnenflächen auf Tony´s Brustkorb.

 

In diesem Moment kehrte die Schwester atemlos zurück. „Atropin!“, rief sie noch bevor sie das Zimmer betreten hatte. „Ich habe ein leeres Fläschchen Atropin gefunden, das garantiert niemandem hier auf der Station verschrieben worden ist.“

 

„Mein Gott, jetzt wundert mich nichts mehr!“, konstatierte der 2. Arzt und wechselte dann einen wissenden Blick mit Dr. Forster. Die Herzmassage war das einzig Richtige gewesen, was in diesem Fall zu tun war. Dann hatte er Fornell direkt angeschaut: „Sie warten jetzt besser draußen und lassen uns unsere Arbeit tun.“

 

„Aber ich…“

 

„Bitte. Glauben Sie uns, wir tun, was wir können.“ Der Arzt konnte eine immense Autorität an den Tag legen, wenn er wollte. „Gehen Sie.“

 

Kapitel 43

9.51 Uhr – Bethesda Hospital – Intensivstation – Im Vorraum des OP-Bereiches

 

Sie musste hier weg! Jeden Augenblick konnte hier jemand hereinschneien, der sie entdeckte und erkannte, dass sie hier nichts verloren hatte. Außerdem war sie sich sicher, dass bereits das Wachpersonal alarmiert worden war. In Kürze würde es hier vor Leuten, die nach ihr Ausschau hielten, nur so wimmeln. Gehetzt blickte Rebekka sich um. Sie brauchte dringend etwas, das ihre Tarnung noch glaubhafter erscheinen ließ. Nur was? Da entdeckte sie ein Stück weiter hinten einen Wandschirm an dem mehrere Röntgenaufnahmen hingen. Genau! Sie stürzte dorthin und griff sich wahllos zwei der größeren Bilder. Schon war sie wieder an der Tür und atmete noch einmal tief durch, bevor sie sie schließlich vorsichtig einen Spalt breit öffnete.

 

Am hinteren Ende des Ganges trat gerade eine Pflegerin aus einer Tür, ging aber zielstrebig zum nächsten Krankenzimmer und verschwand gleich darauf wieder aus Rebekkas Blickfeld. Jetzt oder nie! Sie trat auf den Gang und eilte in anscheinend wichtiger Hektik mit den Röntgenbildern vor sich Richtung Treppenhaus. Ihr Messer hielt sie dabei unauffällig zwischen den Röntgenbildern und ihrem Körper verborgen, jedoch so, dass sie jederzeit einen eventuellen Widersacher damit hätte angreifen können. Sie war aufs äußerste angespannt, doch niemand stellte sich ihr in den Weg. Als Rebekka DiNozzo´s Zimmer passierte, drangen für einen kurzen Moment die verzweifelten Bemühungen des Personals an ihr Ohr, diesen verdammten Amerikaner zu retten. Wieder packte sie kalte Wut. Am liebsten wäre sie umgedreht und hätte alle Personen in dem Zimmer eigenhändig abgestochen, nur um zu verhindern, dass das unvermeidliche wieder geschah. Nein, verbot sie sich sofort, so durfte sie nicht denken! Dieses Mal musste es ihr einfach gelungen sein, diesen verfluchten Mörder seiner gerechten Strafe zuzuführen. Es kribbelte ihr in den Fingerspitzen, einen kurzen Blick in das Zimmer zu werfen, um den Stand der Dinge zu erfahren, aber dies kam natürlich nicht in Betracht, schließlich war sie nicht verrückt! Sie wusste, sie musste sich schnellstens in Sicherheit bringen. Noch ein paar Schritte, dann hatte sie es geschafft! Gleich darauf huschte sie aufatmend durch die Stationstür ins Treppenhaus.  

 

***************

 

Nur wenige Sekunden, nachdem Rebekka Rivkin das rettende Treppenhaus erreicht hatte, war Tobias Fornell wie ein geprügelter Hund aus Tony´s Krankenzimmer auf den Gang geschlichen. Im Unterbewusstsein hörte er sogar, wie die schwere Glastür zum Treppenhaus sich wieder schloss, doch er maß dem keine weitere Bedeutung bei. Zu tief saß der Schock über das gerade Erlebte. Aus irgendwelchen perversen Beweggründen brachte er es nicht fertig, die Tür zum Unglückszimmer direkt fest hinter sich zu schließen. Durch einen Spalt hindurch hatte er das grausame Ringen um DiNozzo´s Leben noch einen Augenblick lang wie gebannt mitverfolgt, während sich in seinem Kopf die Gedanken überschlagen hatten: Wie hatte ihm nur ein solch eklatanter Fehler passieren können? Und wie um Himmels Willen sollte er das Gibbs beibringen? Er hatte nicht die geringste Ahnung…

 

Fornell atmete tief durch und gab sich einen Ruck. Es half niemandem, wenn er hier wie ein Ölgötze ausharrte und auf das Geschehen im Zimmer starrte. Das Einzig sinnvolle, was er im Augenblick für DiNozzo tun konnte, war, sich nach dieser falschen Schlange von Krankenschwester umzusehen.

 

 

9.52 Uhr – Bethesda Hospitel – Eintreffen von Gibbs und Ziva

 

Während oben Rebekka im OP-Vorraum noch auf ihre Chance wartete, die Intensivstation verlassen zu können, kreischten unten vor dem Bethesda die Bremsen von Gibbs Wagen zum Gotterbarmen, als dieser das Fahrzeug rigoros zum Stehen brachte.

 

Noch bevor sie richtig standen, hatte Ziva bereits ihre Tür aufgestoßen und stürmte die Treppen zum Eingang hinauf. Gibbs machte sich nicht die Mühe abzuschließen, sondern folgte der Israelin auf dem Fuße. Nachdem Ziva mit einem flüchtigen Blick auf die Anzeigentafel über den Fahrstühlen erkannte, dass sich diese allesamt relativ weit vom Erdgeschoss entfernt befanden, schlug sie einen Haken, änderte die Laufrichtung und rannte so schnell ins Treppenhaus, dass Gibbs tatsächlich seine Schwierigkeiten hatte, ihr zu folgen. Nur wenige Sekunden später hatten beide den 4. Stock erreicht und stießen nun ihrerseits die schwere Glastür auf, die das Treppenhaus von der Intensivstation trennte.

 

Dort breitete sich inzwischen helle Aufregung aus. Von der diensthabenden Schwester zusätzlich angefordertes Personal wuselte auf den Fluren herum. Zimmertüren klapperten in kurzen Abständen und blieben beim Verlassen der Zimmer der Einfachheit halber offen stehen, um einen besseren Überblick zu gewährleisten. Anordnungen wurden leise, aber nachdrücklich den laufend neu ankommenden Personen, unter anderem vom Wachdienst des Krankenhauses, zugerufen und trotz des Trubels schien jeder zu wissen, was er zu tun hatte. Von der durch McGee angeforderten Verstärkung war indes noch nichts zu sehen, aber das war nicht verwunderlich; schließlich verfügten nicht alle Agenten über die Fahrtkünste, die Gibbs und Ziva auszeichneten.

 

Einer der Wachdienst-Leute des Krankenhauses machte einen Fehler, der beinahe schwerwiegende Folgen für seine Gesundheit gehabt hätte. Er packte die an ihm vorbei stürmende Ziva am Arm und hielt sie mit den Worten: „Halt, was haben Sie hier zu suchen?“, zurück. Wie ein Derwisch fuhr Ziva herum und funkelte den Mann in einer Art und Weise an, dass diesem Hören und Sehen verging. Unwillkürlich lockerte er seinen Griff und Ziva riss sich mit einer ruckartigen Bewegung los, bevor sie wortlos weiter in Richtung Tony´s Zimmer stürmte. Kaum hatte sie dieses erreicht, ertönte plötzlich der markerschütternde Schrei einer Frau aus einem Raum, der noch ein Stück weiter den Flur entlang lag. Ruckartig hielt Ziva inne und schaute sich nach Gibbs um, der ihr mit einem Kopfnicken bedeutete, dass sie zu Tony gehen sollte - um den Schrei würde er sich kümmern. Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und eilte in das Krankenzimmer ihres Freundes. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu und was sie im Inneren zu sehen bekam, ließ sie stocken und auf der Stelle stehenbleiben.

 

Dr. Forster kniete quer über DiNozzo auf dem Bett und bemühte sich nach Leibeskräften, ihren Geliebten mit einer Herzmassage ins Leben zurückzuholen. Jeden kräftigen Druck auf Tony´s Brust zählte er mit und man sah ihm die Anstrengung an. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, die die anwesende Krankenschwester just in dem Moment mit einem Baumwolltuch beiseite wischte. Ein alarmierendes Knacken aus Tony´s Brustkorb verriet, dass er diese intensiven Bemühungen gerade mit einer weiteren Verletzung bezahlte. Doch am allerschlimmsten war für Ziva der durchdringende Ton, der aus der Maschine neben Tony´s Bett kam und der ihr mehr als deutlich sagte, dass es wohl noch nie so eng gewesen war.

 

„Wie lange schon?“, stieß Dr. Forster zwischen zwei Druckmassagen hervor.

 

„Ca. vier Minuten, vielleicht fünf“, teilte ihm die Schwester knapp mit.

 

„Wechsel!“ Dr. Forster sprang vom Bett und der andere Arzt nahm umgehend seinen Platz ein und fuhr mit der Herzmassage fort. Zweifelnd warf Dr. Forster ein Blick auf seinen Patienten. „Wenn er nicht bald reagiert…“, verkündete er dann.

 

„Soll ich aufhören?“, presste sein Kollege hervor und sah kurz zwischen zwei Druckmassagen auf.

 

„NEIN!“, schrie Ziva entsetzt aufund als sich für einen Augenblick lang alle Blicke auf sie richteten, setzte sie leiser hinzu. „Bitte nicht! Noch nicht! Versuchen Sie es weiter! Er ist stark! Er schafft es! Sie werden sehen! Bitte geben Sie noch nicht auf!“

 

Dr. Forster seufzte und wechselte einen skeptischen Blick mit seinem Kollegen, der daraufhin unvermindert mit seinen Wiederbelebungsversuchen fortfuhr. Dann sagte er an die Schwester gewandt: „Schalten Sie endlich den Ton aus – das Geräusch macht einen ja verrückt.“

 

Ziva gab dem Mann insgeheim recht – allerdings war die plötzlich eintretende Ruhe in dem Zimmer auch nicht viel besser. „Danke“, flüsterte sie trotzdem leise, wobei nicht klar war, ob sie sich auf die Tatsache bezog, dass die Ärzte ihre Bemühungen fortsetzten, oder darauf, dass das nervtötende Piepsen endlich ein Ende hatte.

 

„Sechs Minuten“, teilte die Schwester den Ärzten wieder einmal die Zeit mit und Ziva verfluchte sie im Stillen. Sie wusste, was das bedeutete. Sechs Minuten, in denen Tony mehr tot als lebendig war. Sechs Minuten, in denen sein Gehirn nicht den so dringend benötigten Sauerstoff erhielt. Jede weitere Sekunde, die verging, verringerte ihre Chancen auf ein gemeinsames Glück und in diesem Moment fühlte auch sie sich, als ob ein Teil von ihr starb. Sie spürte, wie sie plötzlich taumelte und rettete sich an die Wand, an der sie sich rücklings hinunter gleiten ließ. Mit verkniffenem Gesicht und geballten Fäusten lauschte sie angstvoll auf jedes Geräusch und wartete…

 

 

9.52 Uhr – Bethesda Hospital - Im Treppenhaus

 

Ein triumphierender Ausdruck war über Rebekkas Gesicht gehuscht, als sich die Türen hinter ihr geschlossen hatten. Leichtfüßig war sie die Treppe ein Stockwerk hinuntergelaufen und hatte sich schon fast in Sicherheit gewähnt, als sie eilige Schritte unter sich gehört hatte, die rasch näherkamen. Blitzschnell hatte sie kehrt gemacht, war drei Stufen zurück zur Eingangstür der Station gelaufen, die unter der Intensiv lag und war eiligst eingetreten. In dem Moment hatte sich ihre neue Tarnung bezahlt gemacht, denn die Schwester, die ihr, kurz nachdem sie die Schwingtür hinter sich gelassen hatte, begegnete, hatte sie nur kurz angesehen, sie aber nicht weiter beachtet. Sich nach allen Seiten umsehend, war Rebekka schnell in die Besucher-Toilette getreten und wartete gespannt ab.

 

In dieser Sekunde waren Gibbs und Ziva im Treppenhaus am 3. Stock vorbei gerannt und noch ein Stockwerk höher zur Intensiv-Station gehetzt.

 

 

9.54 Uhr - Im Schwesternzimmer                                              

Während Ziva zu Tony geeilt war, stürmte Gibbs in den Raum hinein, aus dem der Schrei der Frau ertönt war. Eine Schwester stand völlig aufgelöst seitlich an der Wand und wurde von einem Pfleger gerade tröstend in den Arm genommen. Der Senior-Agent hielt sich nicht lange mit Freundlichkeiten auf.

 

„Was ist hier los?“, erkundigte er sich knapp.

 

Die Schwester deutete zitternd auf die Spinde und Jethro folgte ihren Fingern mit den Augen. Vor einem der Blechschränke war deutlich eine Blutlache zu erkennen. Energisch ging er auf den Schrank zu und rüttelte am Schloss. Verschlossen. „Wem gehört dieser Schrank?“

 

„Einer Kollegin. Mary“, bekam er zur Antwort. „Und das dort ist ihr Rucksack. Eigentlich sollte sie im Dienst sein, doch bislang hat sie noch niemand gesehen. Wir haben unten nachgefragt. Sie ist vor ihrem Dienstantritt noch mit einer Kollegin in der Cafeteria gesehen worden. Glauben Sie, dass…“ Die Schwester ließ das Ende ihres Satzes offen, traute sich offensichtlich nicht, das Unvorstellbare auszusprechen.

 

Gibbs blickte sich schon nach etwas um, mit dem er das Schloss knacken konnte und griff schließlich in Ermangelung etwas Besserem nach einem Stockschirm der seitlich an der Wand lehnte. „Bitte warten Sie draußen“, bat er, während er das Ende des Schirms schon in das Schloss einklinkte. Die beiden Krankenhausangestellten flüchteten dankbar aus dem Zimmer und Gibbs knackte mit einem kräftigen Ruck mühelos das Zahlenschloss. Sofort riss er die Tür des Spinds auf und Mary – wer sollte es sonst sein – fiel ihm quasi vor die Füße. Jethro fluchte leise vor sich hin. Ihm war sofort klar, dass für Mary jede Hilfe zu spät kam. Das erklärte zumindest, wieso Rebekka mit ihrem veränderten Aussehen in Krankenhauskleidung an Fornell vorbei zu Tony gelangen konnte. Dieses verdammte Weibsstück! Schon wieder war sie ihnen um Haaresbreite voraus. Entschlossen richtete er sich auf und verließ den Aufenthaltsraum der Schwestern. Für Mary konnte er nichts mehr tun. Draußen wandte er sich noch kurz an den Pfleger: „Schließen sie die Tür hier ab. Niemand darf vorläufig den Raum betreten. Meine Leute werden bald hier sein.“

 

Dann konzentrierten sich seine Gedanken wieder auf Rebekka. Jetzt galt es, sie zu finden und zwar endgültig! Weit konnte sie noch nicht gekommen sein. Sie musste sich noch hier im Gebäude befinden. Mittlerweile wussten alle Bescheid und auch das Eingangspersonal hatte Rebekkas Beschreibung erhalten. So einfach, wie sie das Krankenhaus betreten hatte, würde sie es auf keinen Fall wieder verlassen können. Außerdem zweifelte Gibbs daran, ob sie das überhaupt wollte. Würde sie sich ihren Triumph so einfach entgehen lassen? Sie wollte Tony tot SEHEN. Unbedingt und mit allen Mitteln würde sie versuchen, dies zu erreichen. Sie war schon einmal, durch das Stürmen ihres Verstecks, um das Ergebnis ihrer Bemühungen gebracht worden. Nein, Rebekka war noch in der Nähe. Er spürte ihre Gegenwart förmlich. Sie mussten sie nur noch finden. Nur…


Kapitel 44

 

9.55 h – Auf dem Flur der Intensivstation

 

Auf dem Gang begegnete ihm ein aufgeregter Fornell, der sofort auf ihn zukam. „Jethro, ehrlich, es tut mir Leid, ich weiß nicht, wie …“

 

„Geschenkt“, unterbrach Gibbs den FBI-Mann. „Was ist mit DiNozzo?“

 

„Sieht nicht gut aus“, berichtete Tobias bedrückt. „Ziva ist bei ihm, aber ich fürchte…“

 

„Nichts fürchten Sie, klar? Irgendeine Spur von Rebekka Rivkin?“

 

„Nein, bis jetzt nicht. Ihr Anruf kam leider einen Tick zu spät. Ich hatte keine Chance.“

 

„Schon klar“, knurrte Gibbs. „Niemand macht Ihnen einen Vorwurf. Ist das Krankenhaus abgeriegelt?“

 

„Die Wachleute sind informiert, von der Verstärkung ist noch niemand eingetroffen.“

 

 „Himmel!“ Gibbs klatschte mit der flachen Hand gegen die Wand. Dann beruhigte er sich wieder. „Hat McGee sich schon gemeldet?“

 

„Nein, bis jetzt nicht.“

 

„Gut, okay…“ Jethro überlegte kurz. „Er und Eli David müssten in wenigen Minuten hier eintreffen. Können Sie sich um die beiden kümmern? Ich hole Ziva und dann suchen wir Rebekka. Irgendetwas sagt mir, dass sie durchs Treppenhaus geflohen ist. Erst einmal. Den Trick hat sie schon einmal erfolgreich angewandt. Von dort aus wird sie versuchen, unbemerkt zum Ausgang zu kommen. Wahrscheinlich wird sie in irgendeinem Stockwerk den Fahrstuhl nehmen und einfach auf ihr Glück vertrauen. Wir können nur hoffen, dass ihr dabei nicht noch ein Unschuldiger in die Quere kommt. Sie muss ein hohes Risiko eingehen, aber das wird sie nicht davon abhalten. Sie wird alles tun, was in ihren Augen nötig ist, um hier mit heiler Haut raus zukommen.“ Je länger er sprach, desto mehr war er davon überzeugt, was er sagte. Er verwarf, die Gedanken, die er eben noch gehabt hatte: Rebekka Rivkin war sicher vieles, aber eines war sie ganz gewiss nicht: Dumm! Sicher, sie wollte Tony tot sehen – lieber jetzt als gleich, aber in ihrer jetzigen Situation war es schlauer, das Weite zu suchen und auf die nächste Chance zu warten. Ja, genau das würde sie versuchen.

 

„Ich werde Ihnen Deckung geben“, bot Tobias an. „Lassen Sie Agent David bei Tony bleiben.“

 

Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Nichts für ungut, aber ich brauche Ziva. Sie und ich…nun, wir sind kein eingespieltes Team. Ich will jetzt einfach kein unnötiges Risiko eingehen. Verstehen Sie? Ich bin Ihnen für Ihre Unterstützung wirklich sehr dankbar, aber wir müssen diese Frau unbedingt endlich dingfest machen, bevor sie noch mehr Unheil anrichtet. Ziva ist ein Profi. Da muss sie jetzt durch.“

 

„Wie Sie meinen.“ Zweifelnd schüttelte Fornell mit dem Kopf, aber er akzeptierte, dass Gibbs sich wohl nicht umstimmen ließ.

 

 

9.55 Uhr – Bethesda Hospital – In Tony´s Zimmer

 

Die beiden Männer waren vor Tony´s Zimmer angekommen. Gibbs nickte Fornell noch kurz zu, bevor er eintrat. Sein erster Blick fand Ziva, die immer noch wie ein Häufchen Elend, mit dem Rücken zur Wand, auf dem Boden hockte und dann erfasste er die Geschehnisse an Tony´s Bett, wo Dr. Forster und sein Kollege immer noch verzweifelt um das Leben seines Freundes kämpften. Die einzigen Geräusche, die die Stille durchbrachen, waren die rhythmischen Ansagen, mit denen die Ärzte die Herzmassagen zählten. Gibbs´ Herz wurde schwer wie Blei. Tobias hatte noch untertrieben. Dieses Mal stand es wohl wirklich auf des Messers Schneide. Er ertappte sich dabei, wie er die Luft anhielt, doch im nächsten Moment schüttelte er die beklemmenden Gedanken ab und konzentrierte sich nur auf Ziva, die mit angstvoll geweiteten Augen zu ihm hoch sah. Langsam ging er vor ihr in die Hocke und griff nach ihren eiskalten Händen.

 

„Ziva?“

 

„Du hast es mir versprochen.“ Gequält brachte Ziva ihre Anklage vor.

 

„Was?“ Gibbs war verwirrt. Worauf wollte die Israelin hinaus?

 

„Du hast mir versprochen, dass sich dieses Mal niemand ins Krankenhaus einschleichen wird. Erinnerst du dich?“

 

Oh Gott, dass sie sich ausgerechnet jetzt daran erinnern musste! Das war nun wirklich der ungünstigste Moment. Stockend sprach er auf seine Agentin ein. „Ziva, es tut mir Leid, ich…  aber es konnte doch niemand ahnen, wie sich die Dinge entwickeln würden.“ Entgegen seiner eigenen Regel bat er hier um Entschuldigung, aber in diesem Augenblick war es ihm egal, ob das ein Zeichen von Schwäche wäre. Mit verzweifeltem Gesichtsausdruck beobachtete er kurz, wie sich Dr. Forster und sein Kollege weiter abmühten, dann wandte er sich wieder der Israelin zu. „ Ziva, ich brauche jetzt deine Hilfe. Du musst mir Deckung geben. Die anderen sind noch nicht da.“ 'Und vielleicht ist es auch besser, wenn du nicht weiter zusiehst', schoss es ihm durch den Kopf.

 

Seine Worte schienen nicht bei Ziva anzukommen. Unendlich traurig blickte sie ihn an. „Er ist tot“, sagte sie tonlos. „Schon wieder! Ich meine, wie …  wie oft kann ein Mensch denn sterben, Gibbs? Immer, wenn ich gerade glaube, dass wir es geschafft haben…“

 

Es kam selten vor, aber jetzt hatte selbst Gibbs einen dicken Kloß im Hals. „Ziva…“ Hilflos brach er ab. Was sollte er sagen? `Wir müssen los.´ Er spürte selber, wie falsch das schon in seinen Gedanken klang. Er fühlte eine tiefe Trauer in sich aufsteigen. Großer Gott, es konnte doch nicht sein, dass Rebekka doch noch ihr Ziel erreicht hatte. Und das nach all´ dem, was Tony schon durchgemacht hatte! 'Bitte, lass das nicht zu!' flehte er in Gedanken.

 

Erregte Diskussionen an DiNozzo´s Bett rüttelten ihn plötzlich auf und er drehte sich hektisch um. Der 2. Arzt sprang gerade vom Bett und Dr. Forster gab der Krankenschwester in schneller Folge einige Anweisungen. Dann wischte er sich den Schweiß von der Stirn und wandte sich Gibbs zu.

 

„Er ist wieder da! Es grenzt an ein Wunder, aber der Mann scheint ein echtes Stehaufmännchen zu sein. Nach allem, was ich gehört habe, scheint er wie eine Katze über sieben Leben zu verfügen. Es ist nahezu unglaublich! Wir werden ihn jetzt stabilisieren und dann müssen wir abwarten, ob der lange Sauerstoffmangel Schädigungen hervorgerufen hat. Aber für den Moment haben wir unser Ziel erreicht.“

 

„Gott sei Dank“, stieß Gibbs hervor. Dann wandte er sich wieder Ziva zu. Er packte sie an den Oberarmen und zwang sie dazu, ihm ins Gesicht zu sehen. „Ziva? Hast du gehört? Tony lässt uns nicht im Stich. Jetzt tu´ du das auch nicht. Reiß´ dich zusammen und lass uns unsere Arbeit tun. Um Tony´s Willen!“

 

Ungläubig blickte Ziva ihren Chef an, als könne sie nicht glauben, was er ihr gerade mitgeteilt hatte. Langsam richtete sie sich auf und blickte über Gibbs´ Schulter hinweg zum Bett ihres Verlobten. Dr. Forster hatte ihn gerade extubiert, doch er hatte bereits wieder eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht und schien einigermaßen ruhig und vor allen Dingen selbstständig zu atmen. Dr. Forster überprüfte noch einmal sämtliche Vitalfunktionen. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass Tony es tatsächlich ein weiteres Mal geschafft hatte, dem Tod von der Schippe zu springen.

 

Ein entschlossener Ruck ging durch ihren Körper und der Blick, den sie ihrem Chef jetzt zuwarf, sprach Bände. „Du hast recht! Schnappen wir uns die Schlampe! Die Sache muss ein- für allemal zu Ende gebracht werden! Es reicht!“

 

Ein erleichtertes Lächeln huschte über Jethro´s Gesicht. „Ich bin ganz deiner Meinung! Los!“

 

 

9.56 Uhr – Bethesda Hospital – Im Treppenhaus

 

Rebekka war klar, dass sie so schnell wie möglich, das Krankenhaus verlassen musste, wenn sie überhaupt noch eine Chance haben wollte, mit heiler Haut zu entkommen. Der Drang, zu erfahren, ob ihr Anschlag von Erfolg gekrönt gewesen war und dieser verdammte Mörder nun im Nirvana weilte, wütete zwar beinahe übermächtig in ihr, doch im Augenblick war das eindeutig zweitrangig. Sie musste aus diesem Krankenhaus raus! Mit angehaltenem Atem wartete sie nun hinter der Tür und linste durch den geöffneten Spalt hinaus in den Flur.

 

Jetzt! In diesem Moment befanden sich nur zwei Personen im Gang und die liefen in die andere Richtung. Sie setzte alles auf eine Karte und trat hinaus. Zur Tür waren es nur wenige Meter, die sie in Sekundenbruchteilen zurücklegte. Sie riss die Schwingtür auf  -  und erstarrte. Nur wenige Meter vor sich stürmten zwei Wachleute die Treppe herauf und blickten ihr misstrauisch entgegen. Aber sie wäre kein Profi, wenn sie nicht auch in ausweglos erscheinenden Situationen Ruhe bewahren würde. Geistesgegenwärtig schrie sie den beiden Männern entgegen: „Schnell! Kommen Sie! Sie ist am anderen Ende der Station gesehen worden!“ Dabei wedelte sie erregt mit den Armen und deutete auf die Tür. Die beiden Beamten waren von ihrer Spontanität derart überrascht, dass sich nicht im Mindesten auf die Idee kamen, es könne sich bei dieser aufgeregten OP-Schwester um die gesuchte Person handeln. Der Beschreibung nach trug diese eine Schwesterntracht, eine Brille und hatte rote Haare. Ahnungslos rannten sie an der Frau vorbei und hetzten den Flur hinunter.

 

Das war ihre Chance und die würde sie verdammt noch mal nicht ungenutzt verstreichen lassen. Geschmeidig und leise wie ein Panther bewegte sich Rebekka nun zügig durch das Treppenhaus nach unten – immer auf der Hut, eventuell doch noch einen ungebetenen Angreifer abwehren zu müssen.

 

 

10.01 Uhr – Bethesda Hospital – Auf der Suche nach Rebekka

 

Im Laufschritt hetzten Gibbs und Ziva den Gang hinunter bis ins Treppenhaus. Dort hielten sie kurz inne.

 

„Wahrscheinlich hat sie sich schon auf den Weg nach unten gemacht. Was denkst du?“

 

„Gott, sie könnte überall sein“, stöhnte Ziva, die ihre neu gewonnene Energie kaum noch zügeln konnte. Frustriert blickte sie Jethro fragend an. „Und was jetzt?“

 

Ihr Boss dachte kurz darüber nach, wie er seiner Agentin seine Gedankengänge am besten vermitteln konnte: „Glaubst du, sie wird es riskieren, hier noch einmal zuzuschlagen?“, fragte er schließlich. „Ich weiß, sie will Tony sterben sehen, aber würde sie dieses Risiko, hier einen erneuten Anschlag auf ihn zu verüben, tatsächlich eingehen? Diese Frau tickt so völlig anders. Sie ist eine Psychopathin. Was meinst du? Vielleicht kannst du sie ja besser einschätzen?“

 

Die Israelin starrte Jethro mit weit aufgerissenen Augen an: „Was willst du damit sagen? Das ich auch eine Psychopathin bin? Eine Killerin? Ist es das, was du in mir siehst?“

 

Erst da ging ihm auf, was er gerade unbewusst angedeutet hatte und er machte eine hilflose Geste mit den Armen. „Nein, Ziva, natürlich nicht. Und das weißt du auch! Ich dachte nur, du warst beim Mossad, Rebekka war beim Mossad…“ Er ließ das Ende des Satzes offen, in dem Bewusstsein, es nur noch verschlimmern zu können. Einerseits verstand er Ziva ja: Es war alles ein bisschen viel gewesen in den vergangenen zwei Tagen und zurzeit war sie einfach extrem dünnhäutig, aber bei Gott, sie mussten doch auch weiterkommen und er war davon ausgegangen, dass sie wusste, was er von ihr hielt. Das allerwichtigste war jetzt, dass Rebekka dingfest gemacht wurde. Frustriert setzte er erneut an: „Ziva, hör zu…“

 

Sie unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Lass gut sein, Boss. Schon okay. Und um deine Frage zu beantworten: Nein, ich glaube nicht, dass sie es hier noch einmal probieren wird – so gern sie es auch wahrscheinlich täte. Sie weiß mittlerweile, dass ihr auch so kaum noch Zeit zum Verschwinden bleibt. Ich denke, sie wird versuchen, hier möglichst ungesehen raus zu kommen, um dann in Ruhe einen neuen Plan schmieden zu können.“

 

„Genau das denke ich auch. Aber sie wird keine Gelegenheit mehr haben, irgendwelche neuen Pläne in die Tat umzusetzen“, knurrte Gibbs. „Nach oben, oder nach unten?“

 

„Nach unten“, entschied Ziva nach kurzer Überlegung.

 

„Gut, dann los! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich nehme den Aufzug.“ Gibbs hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Über die Schulter rief er Ziva zu: „Geh du durch´s Treppenhaus – und pass auf dich auf, hörst du?“

 

Ziva nickte und machte sich auf den Weg.

 

 

10.03 Uhr – Eingangshalle des Bethesda-Hospitals

 

Ein leises Pling ertönte und Gibbs trat mit gezogener Waffe aus dem Aufzug. Gleich darauf wunderte er sich, dass sich trotz des Aufruhrs, der mittlerweile in den oberen Stockwerken herrschte, immer noch sehr viele Personen in der Eingangshalle des Krankenhauses befanden. War denn niemand auf die Idee gekommen, die Leute hier raus zu schaffen? Überhaupt – er konnte keinen einzigen Wachmann entdecken und diese verdammte Verstärkung war immer noch nicht da! Hatten die unterwegs eine Kaffeepause eingelegt? Denen würde er gehörig den Marsch blasen, wenn das hier vorbei wäre, das schwor er sich in diesem Moment. Und die Wachmannschaft hatte sich anscheinend im ganzen Krankenhaus verteilt, nur in der Halle war keiner geblieben. Jethro entwich ein leise gemurmelter Fluch. Anfänger! Wenn man nicht alles alleine machte…

 

Er registrierte die irritierten und ängstlichen Blicke der Personen in der Halle. Da wurde ihm klar, dass er wahrscheinlich einen ziemlich bedrohlichen Anblick für Nichteingeweihte bieten musste. Wenn er nicht aufpasste, würde hier gleich eine Panik ausbrechen und das wäre wahrscheinlich Wasser auf Rebekkas Mühle. Er beobachtete, wie sich eine junge Frau angstvoll ihre Hand vor den Mund schlug, um einen Schrei zu unterdrücken. Es wurde Zeit, dass er handelte. Er holte tief Luft: „Okay, NCIS- ich bin Bundesagent! Bitte bleiben Sie ruhig! Keine Panik! Verlassen Sie ruhig und geordnet die Halle! Alles ist gut! Keine Panik! Ganz ruhig!“ Erleichtert beobachtete er, wie die Leute mehr oder weniger geordnet, auf alle Fälle aber äußerst zügig seiner Anordnung Folge leisteten.

 

Unauffällig blickte er sich um – Ziva schien noch nicht unten zu sein. Die Halle leerte sich rasch und alles schien ganz normal zu sein. Von Rebekka Rivkin war nichts zu sehen. Sein Blick streifte den Informationstresen und wanderte weiter. Doch er ließ sich nicht täuschen. Sein Instinkt, sein untrügliches Bauchgefühl rumorte bereits, seitdem er hier unten angekommen war und zwar in einer Art und Weise, die er nicht ignorieren konnte. Hier stimmte etwas nicht. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht! Die kleinen, feinen Haare in seinem Nacken richteten sich auf und kribbelten unaufhörlich. Mittlerweile war er auf das Äußerste angespannt und wachsam. Langsam und bedächtig wandte er seinen Blick wieder der Krankenhausangestellten hinter dem Empfangstresen zu. Nein, er hatte sich nicht getäuscht. Die junge Frau schaute ihn nun mit angstvoll aufgerissenen Augen an.

 

Vorsichtig ging er ein paar Schritte in Richtung Tresen, bewegte sich aber gleichzeitig seitlich in die Nähe einer Säule im Empfangsraum, die ihm als Deckung dienen konnte. „Ich bin Agent Gibbs vom NCIS“, stellte er sich kurz vor. „Und Sie?“

 

„Michelle Mulligan“, antwortete die Frau und Gibbs vernahm das leichte Zittern in ihrer Stimme.

 

„Ich vermute, Sie sind dort nicht alleine hinter dem Tresen?“ Jethro sprach leise, bestimmt und, wie er hoffte, beruhigend. „Sie werden bedroht, nicht wahr?“

 

Etwas, das wie ein unterdrücktes Schluchzen klang, kam aus dem Mund von Miss Mulligan und Gibbs nickte verstehend. „In Ordnung. Fragen Sie sie, wie es nun weitergeht.“

 

Rebekka schnellte hinter dem Tresen hoch, packte Michelle, die ängstlich aufschrie, von hinten und hielt ihr die Waffe des getöteten FBI-Agenten an den Hals. Das Messer hatte sie inzwischen wieder in den Stiefelschaft zurückgesteckt. Solange leise zu sein erste Priorität war, um nicht aufzufallen, war es die bessere Waffe gewesen, aber jetzt hielt sie die Schusswaffe doch für effektiver, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Voller Hass blickte sie ihrem Kontrahenten ins Gesicht. „Ich benötige kein Sprachrohr, Agent Gibbs.“ Ihre Stimme klang fest und ruhig. „Reden Sie mit mir.“

 

„Also gut“, antwortete Jethro. „Wie geht´s nun weiter? Was haben Sie vor?“

 

Langsam kam Rebekka mit Michelle im Schwitzkasten hinter dem Tresen hervor und zog diese mit sich in Richtung Ausgang. „Ganz einfach. Dass Sie nicht selber darauf kommen, wundert mich ein wenig. Ich werde hier jetzt gleich raus spazieren und Sie werden mich gehen lassen. Ich denke, sicherheitshalber wird Michelle mich noch ein Stück begleiten – damit Sie nicht auf dumme Gedanken kommen.“

 

Gibbs kochte vor ohnmächtiger Wut. Warum konnte nicht jetzt in diesem Augenblick jemand von der Verstärkung auftauchen und der Israelin den Fluchtweg versperren. Kaum merklich bewegte er sich ein wenig zur Seite, um die Deckung der Säule nicht zu verlassen: „Lassen Sie die Frau hier und wir werden Sie unbehelligt fahren lassen“, sagte er trotz allem.

 

Rebekka lachte leise und gefährlich: „Das glauben Sie doch selber nicht“, antwortete sie dann. „So blöde seid noch nicht einmal ihr Amerikaner.“ Dann stellte sie die Frage, die sie einfach stellen musste. „Was ist mit DiNozzo?“

 

Gibbs lächelte grimmig: „Tony? Oh, es geht ihm gut“, log er, ohne zu zögern. „Es scheint so, als hätten Sie in ihm Ihren Meister gefunden, Rebekka.“

 

Der Israelin entfuhr ein wütender Aufschrei. Doch schon den Bruchteil einer Sekunde später hatte sie sich wieder im Griff. Völlig unvermittelt gab Rebekka Michelle einen mächtigen Stoß in den Rücken, so dass diese förmlich auf Gibbs zuschoss, der mit dieser Aktion nicht gerechnet hatte und nur instinktiv reagieren konnte. Er fing die Frau auf, bevor sie ihn mit zu Boden reißen konnte, musste dadurch aber für einen Moment lang seine Deckung vernachlässigen. Diesen Augenblick der Unachtsamkeit nutzte Rebekka und richtete ihre Waffe auf Gibbs´ Kopf.

 

Im gleichen Moment stürmte endlich auch Ziva – ebenfalls mit gezogener Waffe – in die Eingangshalle. Hektisch flog ihr Kopf von rechts nach links und blitzschnell erfasste sie die Situation! „Ducken, Boss!“, schrie sie laut und riss ihre Pistole hoch, um auf Rebekka anzulegen. Doch bevor Ziva auch nur einen Schuss abgeben konnte, krachte Rebekkas Waffe mehrmals.

 

Ohne zu überlegen hatte sich Jethro auf den Boden fallen lassen. Dabei hatte er gleichzeitig versucht, die unbeteiligte Frau mit seinem Körper zu schützen, was ihm auch gelang. Trotzdem schrie Michelle beim Knall des ersten Schusses hysterisch auf  und Gibbs` unterdrücktes Stöhnen drang bis zu Ziva, als die Kugel in seine rechte Schulter schlug. Rebekka nutzte den Moment der Verwirrung, feuerte noch einige Schüsse in Richtung Ziva, die sich augenblicklich auf den Boden warf und rannte blitzschnell aus der Empfangshalle des Krankenhauses. 

 

Ziva hatte gesehen, wie der Chefermittler getroffen wurde und schrie mit sich überschlagender Stimme: „Gibbs!!!“ Gleichzeitig kam sie auf die Knie hoch und blickte hektisch der flüchtenden Rebekka hinterher. Da von dieser keine unmittelbare Gefahr mehr drohte, sprang Ziva auf und stürzte hinüber zu Jethro, der gerade Michelle von sich schob und versuchte, sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aufzurappeln.

 

„Boss, alles klar?“ stieß Ziva heiser hervor und versuchte, die Schwere der Verletzung abzuschätzen.

 

„Wie man´s nimmt“, knirschte Jethro mit zusammengebissenen Zähnen, während er sich von Ziva auf die Beine helfen ließ. „Alles in Ordnung mit Ihnen, Michelle? Sind Sie okay?“

 

„Ja, ja, ich denke schon“, antwortete diese total am Boden zerstört. „Ich…danke...“

 

„Keine Ursache“, unterbrach Gibbs sie knapp und hielt sich die Schulter, während er sich schon auf den Weg nach draußen machte. „Ziva, los, dieses Mitstück darf uns nicht entkommen!“

 

Die ließ sich das nicht zweimal sagen und rannte los.

 

To be continued - im neuen Thread !!

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0