Auge um Auge - Thread II

Kapitel 7

18.13 Uhr Ortszeit - 01.13 Uhr – Bei Eli David – Mossad-Hauptquartier

               

Tief in Gedanken versunken saß der stellvertretende Direktor des Mossad, Eli David, an seinem Schreibtisch. Vor ihm lag das Ergebnis der Suche nach der DNA, die er von Ziva erhalten hatte. Seine Tochter hatte einmal mehr einen guten Instinkt bewiesen. Das Resultat war positiv. Es handelte sich um die DNA von Thomas Aviel Rivkin!

 

Bereits seit fast zwei Stunden kannte er nun schon Rivkin's Namen und mittlerweile wusste er auch, dass Rivkin vor neun Tagen mit seiner Schwester Rebekka unter falschem Namen in die USA geflogen war. Beide Akten lagen auf seinem Schreibtisch und auch sämtliche Unterlagen aus den Schreibtischen und den Privatwohnungen. Beim Mossad wurde schnell gearbeitet, besonders wenn Eli David einem im Nacken saß. Er hatte eine Kopie der Aussage von Anthony DiNozzo über den Hergang von Michael Rivkin's Tod gefunden, und mehrere Fotos neueren Datums. Bilder vom Tagesablauf des NCIS-Agents und eines, das er nun bereits seit mehreren Minuten intensiv betrachtete. Darauf waren Tony und Ziva zu sehen, sie standen vor dem Eingang zu ihrer Wohnung. Dieser verdammte Italiener hielt seine Tochter zärtlich im Arm und Ziva lachte ihn glücklich an. Sie trug ihr Haar offen und wirkte gelöst, ohne die Anspannung, diese ständige Hab-Acht-Stellung, die er zeitlebens an ihr erlebt hatte. Er blickte auf zwei Menschen, die sich liebten und vertrauten, die mit sich und der Welt im Einklang waren. Er hatte seine Tochter schon lange, lange Zeit nicht mehr so lachen sehen, und es tat ihm weh, dies zuzugeben, wenn auch nur vor sich selbst.

 

Sein Land Israel kam bei Eli, seit er denken konnte, an 1. Stelle, aber Ziva war sein letztes Kind und er liebte sie, auch wenn er es ihr nie wirklich gezeigt hatte. Seine zweite Tochter Tali war tot, genauso wie sein Sohn Ari, der ihn abgrundtief gehasst hatte. Und auch Ziva hätte er in Somalia um ein Haar schon einmal verloren. Er hatte immer gehofft, dass sie eines Tages nach Israel zurückkehren würde und wenn sie einmal heiraten sollte, dann selbstverständlich einen der ihren, einen Israeli.

 

Doch es war alles ganz anders gekommen; sie sprachen kaum noch miteinander und nun hatte sie sich zu allem Unglück auch noch für diesen Italo-Amerikaner entschieden. Als wenn nicht eine der beiden Nationalitäten für sich allein schon schlimm genug gewesen wäre.

 

Aber womöglich spielte ihm das Schicksal nun ein Ass in die Hand, denn jetzt befand sich exakt dieses Mischblut in der Gewalt von Thomas und Rebekka Rivkin, zwei der besten und gefährlichsten Agenten, die der Mossad je hervorgebracht hatte. Besonders Rebekka hatte in der Vergangenheit selbst ihm bei ihren Aktionen den einen oder anderen Schauer über den Rücken gejagt. Diese Frau war absolut skrupellos. Die beiden wollten sich für den Tod ihres Bruders rächen und DiNozzo töten, das war ihm sofort klargeworden, als man ihm das Ergebnis der DNA-Analyse mitgeteilt hatte und er von nun an wusste, wer hinter DiNozzo´s Entführung steckte.

 

Nachdenklich trommelte Eli David mit den Fingern seiner rechten Hand auf der Schreibtischplatte herum. Wer konnte schon sagen, was passierte, wenn er nun seiner Tochter sagen würde, er hätte nichts gefunden? Es war ein reizvoller Gedanke: Er ließ den Dingen einfach seinen Lauf und vielleicht würde Ziva ja, nachdem ihr Geliebter tot wäre, endlich wieder in ihre Heimat zurückkehren, dorthin, wo sie hingehörte.

 

 

18.16 Uhr – Im Keller bei Tony

 

Tony lag auf einer Decke auf dem harten Kellerboden und war mit einer zweiten zugedeckt, trotzdem zitterte er nach wie vor am ganzen Körper. Obwohl es empfindlich kalt in dem Raum war und er bislang schrecklich gefroren hatte, standen ihm jetzt dicke Schweißperlen auf der Stirn. Sie hatten ihn geradezu unglaublich gequält, als sie seinen gebrochenen Arm auf den Rücken gedreht und seine Hände wieder mit den Handschellen gefesselt hatten. Dieses Mal war ihm vor Schmerzen so schlecht geworden, dass er seinen Brechreiz nicht mehr hatte unterdrücken können und sich übergeben musste. Nur noch halb bei Besinnung hatte er zur Kenntnis genommen, dass sie ihn gesäubert, auf eine Decke gelegt und ihm etwas zu trinken eingeflößt hatten. Und nun starrte er betäubt auf die Fensteröffnung unter der Decke, durch die das letzte kümmerliche Tageslicht in den Raum fiel.

 

Alle möglichen Gedanken geisterten durch seinen Kopf. Dass er sich nächste Spielsaison unbedingt ein Spiel seiner Lieblings-Mannschaft ansehen wollte und dass er Ziva zum Geburtstag eines dieser raffinierten Neglige's kaufen wollte; nur über die Farbe war er sich noch nicht so ganz im Klaren, schwarz oder vielleicht doch besser dieses zarte Mintgrün, das würde ihr sicher auch sehr gut stehen…Dann schweifte sein Geist wieder ab und er dachte an Gibbs. Wen würde er wohl als Ersatz für ihn ins Team berufen, oder arbeitete er nur mit Ziva und McGee weiter? Würde es ihm so schlecht gehen, wie damals, als Kate gestorben war und würde er seine Mörder ebenso gnadenlos jagen, bis er sie ihrer gerechten Strafe zuführen konnte? Oder würde sein Tod womöglich gar ungesühnt bleiben? Aber warum zerbrach er sich darüber überhaupt den Kopf? Eigentlich machte es für ihn doch gar keinen Unterschied mehr: Tot ist tot. Letzten Endes konnte es ihm doch egal sein, ob seine Mörder geschnappt wurden, oder nicht. Ach, und verdammt, das auch noch: Er würde Ducky's Thanksgiving-Essen verpassen, zu dem schon das ganze Team eingeladen war. Wirklich zu blöde, diese Treffen bei Ducky waren legendär und das Essen immer vorzüglich.

 

In diesem Moment fiel ihm auf, dass er in Gedanken schon mit dem Leben abgeschlossen hatte. 'Bin ich eigentlich verrückt!', fragte er sich gleichzeitig. `Ich bin noch nicht einmal einen Tag hier und will schon aufgeben!' Gibbs würde ihm die Kopfnuss des Jahrhunderts verpassen und Ziva ... Gott, Ziva hatte in Somalia Wochen und Monate ausgehalten und er dachte schon nach 10 Stunden daran, wie seine Freunde ohne ihn weitermachen würden. In diesem Moment gab er sich ein Versprechen: Egal, was sie ihm noch antun würden, er würde durchhalten, solange es irgendwie ging und fest darauf vertrauen, dass sein Team ihn rechtzeitig fand. Es hatte schließlich schon einmal funktioniert.

 

 

18.22 Uhr Ortszeit - 01.22 Uhr – Bei Eli David – Mossad-Hauptquartier

 

Nach wie vor sah Eli sich immer wieder die Fotos an, die auf seinem Tisch lagen. DiNozzo vor dem NCIS-Hauptquartier, dann vor einem Donut-Laden - 'Typisch für diese Amerikaner, dieses süße Zeug in sich reinzustopfen', dachte er. - DiNozzo und Ziva in irgendeinem Park, wie er sie gerade herumwirbelte und dann diese Nahaufnahme von seiner Tochter, die anscheinend mit einem sehr guten Teleobjektiv gemacht worden war: Ziva wie sie sanft lächelnd und eine Haarlocke zwischen ihren Fingern drehend mit glücklich strahlenden Augen zu jemandem aufsah. Dieser Jemand war auf dem Foto nicht zu sehen, doch das war auch nicht nötig, er wusste auch so, dass es DiNozzo war.

 

Was geschah wohl mit Ziva, wenn er zuließ, dass dieses Glück rücksichtslos zertrampelt wurde? Die Antwort, die er sich selbst darauf gab, gefiel ihm nicht: Es würde sie so hart treffen, dass er sich nicht sicher war, ob sich ihre Seele je davon erholen würde. Es könnte sein, dass sie daran zerbrach und nur noch als leere, gefühlskalte Hülle funktionierte, wie eine Art Zombie, über die diese Amerikaner ja so gerne Filme drehten. Wie auch immer: Wirklich leben würde seine Tochter nicht mehr.

 

Auf der anderen Seite gefährdete er zwei seiner Mossad-Agenten, wenn er seine Erkenntnisse weitergab und er setzte sie vermutlich der Liquidierung aus, wenn sich bestätigte, dass sie für die Entführung verantwortlich waren. Sich kampflos ergeben, käme für die beiden niemals in Frage.

 

Doch wenn er ihr nicht half, wenn er die Ergebnisse verschwinden und DiNozzo sterben ließ und Ziva sollte das jemals herausfinden, dann würde er nie wieder etwas von seiner Tochter hören. Das war ein unumstößlicher Fakt.

 

 

18.29 Uhr – Im NCIS-Hauptquartier

 

'Warum ruft er nicht an?' Zum wievielten Male sie sich diese Frage gestellt hatte, wusste sie nicht, nur, dass sie definitiv keine Geduld mehr hatte. Es konnte doch nicht so lange dauern, diese verfluchte DNA durch die Datenbanken zu schicken. Gibbs war mal wieder losgezogen, sich einen neuen Kaffee zu besorgen, nebenbei bemerkt, der sechste oder siebte an diesem Tag, und McGee wollte kurz zu Abby ins Labor. Er war fast gleichzeitig mit Jethro losgelaufen, fast so als hätte er Angst, mit ihr allein zu bleiben. 'Wäre ja auch kein Wunder, so wie ich ihn heute schon ein paar Mal angeschnauzt habe', dachte sie bei sich.

 

'Warum passiert das alles nur?', fragte sie sich immer wieder. 'Haben wir denn nicht endlich auch ein wenig Glück verdient?' Gleichzeitig bemerkte sie, wie ihre Augen schon wieder feucht wurden. So ein Mist, sie hatte sich diese Gefühlsduseleien doch heute schon mehrfach selbst verboten. Wütend wischte sie sich die Tränen fort und griff nach dem Telefon. Wenn ihr Vater nicht anrief, dann würde sie es eben tun; sie hielt diese Ungewissheit einfach nicht mehr länger aus.

 

 

18.31 Uhr Ortszeit - 01.31 Uhr – Bei Eli David Mossad Hauptquartier

 

Als das Telefon läutete, sah Eli sofort, dass es Ziva's Nummer war, aber er nahm nicht ab. Fast eine halbe Minute lang klingelte es, bis es endlich wieder verstummte. Er hatte immer noch keine Entscheidung getroffen. Er hätte jemanden um Rat bitten können, er hatte einige Vertraute beim Mossad, doch er wusste im Vorhinein, wie deren Antwort ausgesehen hätte: Israel und der Mossad kamen immer an 1. Stelle, nichts war wichtiger, die Familie war zweitrangig.

 

Wieder nahm er das Bild von Ziva und Tony zur Hand und blickte in die wunderschönen braunen Augen seiner Tochter. Sehr, sehr lange betrachtete er das Foto, bevor er es schließlich langsam und bedächtig auf den Tisch zurücklegte und zum Telefonhörer griff. Er hatte sich entschieden, und wenn Eli David eine Entscheidung traf, dann stand er auch dazu.

 

Die Würfel waren gefallen …egal, was es ihn kostete!

 

Kapitel 8

18.36 Uhr – Bei Tony im Keller

 

Tony war in einen unruhigen Schlaf gefallen, er träumte wirres Zeug von ekligen Krabbeltieren und wilden Verfolgungsjagden, doch schließlich tauchte Ziva in seinem Traum auf. Sie nahm ihn lächelnd bei der Hand und zusammen gingen sie im strahlendem Sonnenschein unter blühenden Apfelbäumen spazieren. Schließlich legten sie sich ins weiche Gras und er streichelte mit seiner Hand über ihren leicht gewölbten Bauch. Unendlich lange lagen sie einfach so da und blickten verträumt den weißen Wolken nach, die unermüdlich über ihnen am Himmel vorüber zogen.

 

Und das Wunder geschah! Im Banne dieses Traumes konnte Tony sich endlich ein wenig entspannen. Sein ruhiger werdender Atem verkündete, dass er sich nun wenigstens ein bisschen von den Strapazen des Tages erholen konnte.

 

 

18.37 Uhr  – Im NCIS-Hauptquartier

 

Gerade war Gibbs mit dem Kaffee zurückgekommen und hatte der Israelin auch einen Becher auf den Schreibtisch gestellt. „Vielleicht solltest du etwas essen Ziva, du hast doch den ganzen Tag noch nichts gehabt!“, stellte er seltsam fürsorglich fest.

 

„Nein, ich krieg nichts runter“, war ihre lapidare Antwort. „Aber danke für den Kaffee.“ Sie trank vorsichtig einen Schluck, um sich nicht die Zunge zu verbrennen, als ihr Telefon klingelte. Fast hätte sie den Becher fallen lassen, so schnell riss sie den Hörer an sich. „Ja?“, rief sie hinein und setzte sich automatisch kerzengerade auf, noch bevor sie die Stimme ihres Vaters hörte. „Und? Was ist? Hast du etwas herausgefunden?“, fragte sie ungeduldig und fürchtete sich gleichzeitig vor der Antwort.

 

„Shalom, Ziva“, begrüßte Eli David ruhig seine Tochter, kam dann aber gleich auf den Punkt, da er ihre ungeheure Anspannung spüren konnte, „Ja, ich hab´ was für dich.“   Wieder machte er eine Pause. Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht.

 

„Bitte Papa, sag schon, was hast du gefunden?“ Nervös wickelte Ziva die Telefonschnur um ihren Finger.

 

„Einen Namen.“ Der Mossad-Direktor atmete noch einmal tief ein, dann war er bereit: „Die DNA gehört: Thomas Aviel Rivkin!“ Das erste Mal in seinem Leben hatte er nicht im Sinne des Mossad entschieden und das machte ihm schwer zu schaffen, doch hier und heute hatte er seiner Tochter den Vorrang gegeben. Er betete, dass es die richtige Entscheidung gewesen sein möge.

    

Langsam, fast wie in Zeitlupe war Ziva nach dieser Eröffnung aufgestanden und starrte mit weit aufgerissenen Augen ins Leere. Sie fühlte sich, als ob ihr jemand mit voller Wucht in die Magengrube geboxt hätte. Sie wusste ja nicht, was sie erwartet hatte, aber das ganz gewiss nicht. Diese Mitteilung stand einem Super-Gau in nichts nach. Nein, lieber Gott, lass das bitte nicht wahr sein. - Michaels Bruder hatte Tony entführt und ihr war schlagartig klar gewesen, worauf das hinauslaufen musste: Tony's Tod!

 

Alarmiert registrierte Gibbs ihre Veränderung und sah seine Agentin besorgt an. Er wollte etwas fragen, doch Ziva stoppte ihn schon im Ansatz mit einem Kopfschütteln.

 

„Ziva, hörst du noch?“, erklang die Stimme ihres Vaters in diesem Moment.

 

„Ja“, antwortete sie tonlos. „Ich bin noch da.“

 

Eli fuhr fort: „Thomas ist vor neun Tagen zusammen mit seiner Schwester Rebekka in die USA eingereist, Zielort Washington, aber keine Adresse. Mit ziemlicher Sicherheit sind sie unter falschem Namen unterwegs. Ich weiß aber leider nicht, welche sie benutzt haben. Wir haben eine Menge Pässe in ihren Wohnungen gefunden. Pässe mit Tarnexistenzen, von denen der Mossad nichts wusste. Ich maile dir nachher die Fotos aus ihren Personalakten, dann habt ihr wenigstens etwas. Ich weiß, Thomas hast du damals mal kurz kennengelernt, aber soweit ich informiert bin, bist du Rebekka nie begegnet. Thomas hat sich auch seitdem sehr verändert. Ich schicke dir noch die Mobilphone-Nummern, die beim Mossad gespeichert sind, mehr kann ich im Moment nicht für dich tun!“ Nach einer weiteren, kleinen Pause bat er noch: „Bitte melde dich, wenn du etwas weißt“.

„Toda, Papa, ich melde mich“, flüsterte Ziva und wollte schon auflegen, als sie ihren Vater noch etwas sagen hörte. „Was?“

 

„Passt auf euch auf. Rebekka ist unberechenbar, gefährlich. Wenn ich noch etwas herausfinden sollte, melde ich mich bei dir. Aber ich muss vorsichtig sein. Versteh das bitte.“

 

„Ich weiß, Papa. Pass du auch auf dich auf.“ Ziva legte auf und blickte hoch. Langsam sah sie von McGee zu Gibbs, die sie beide fragend anblickten. „Die DNA gehört… sie gehört zu Thomas Aviel Rivkin.“ Mit bebender Stimme hatte sie den Satz ausgesprochen, dann ließ sie sich schwer auf ihren Stuhl fallen, urplötzlich überkam sie ein Gefühl, als ob ihre Beine sie nicht mehr tragen würden.

 

Eine endlos lange Minute herrschte bleiernes Schweigen in dem Großraumbüro. Die Tragweite und Konsequenz dieser Neuigkeit ließ selbst Gibbs schwer schlucken. Allen war klar, was das bedeutete. Rache für Michael – Auge um Auge, Zahn um Zahn.

 

*********

 

Als erster hatte Gibbs den Schock überwunden, er war nun wieder der nüchtern und rational denkende Special-Agent; er musste es sein, wenn Tony überhaupt eine Chance haben sollte.

„McGee, jag' den Namen durch sämtliche Datenbanken. Sofort! Ich will verdammt nochmal alles über diesen Kerl wissen...Und sei es auch nur, dass er mit neun Jahren vom Fahrrad gefallen ist. Hab´ ich mich klar aus…“

 

Er wurde von Ziva unterbrochen: „Gibbs, du weißt doch sehr gut, dass in hiesigen Datenbanken kaum etwas über Mossad-Agenten zu finden ist. Der Mossad schirmt die Daten seiner Agenten sehr gut ab. Nur, wenn sie hier schon einmal auffällig geworden wären, hätten wir eine Chance. Aber ich denke nicht, dass sie das sind. Trotzdem wissen wir etwas. Mein Vater sagt, Thomas ist zusammen mit seiner Schwester Rebekka vor neun Tagen in die USA gekommen, hierher nach Washington. Kann sein, dass sie falsche Namen benutzt haben. Mein Vater mailt mir gleich ihre Handy-Nummern. Das ist im Augenblick alles.“

 

„Gut. Tim, wir haben doch auch unsere Möglichkeiten, nicht wahr? Ich will, dass du trotzdem versuchst, etwas über diese beiden heraus zu bekommen. - Ziva, check deine E-Mails! Wenn die Nummern da sind, schick sie gleich zu Abby, sie soll prüfen, ob in den letzten 48 Stunden Anrufe darüber gelaufen sind. “

 

„Wir bekommen auch die Fotos aus den Personalakten.“

 

„Bestens! - Tim, was ist? Mach dich endlich an die Arbeit Ziva, du kommst mit mir. Du kannst deine Mails auch bei Abby abrufen.“ Plötzlich hielt er verunsichert inne. „Ähm…das geht doch, oder?“, vergewisserte er sich. Ziva nickte und folgte ihrem Boss, der bereits mit großen Schritten vorauseilte.

 

McGee blieb alleine in dem Großraumbüro zurück und machte sich hektisch an die Arbeit, indem er seine PC-Tastatur mit einer Vielzahl von Befehlen fütterte. Endlich kam Bewegung in diese vertrackte Geschichte.

 

Kapitel 9

2. Tag

 

6.48 Uhr – Im Keller bei Tony

 

Der Morgen begann für Tony wie der Abend geendet hatte – mit höllischen Schmerzen. Immer wieder war er während der Nacht aufgeschreckt, wenn er sich nur ein wenig bewegt hatte. Er lag fast ausschließlich auf seiner rechten Schulter, oder ab und zu etwas nach vorne verdreht, sonst hielt er es in keiner Position wirklich aus. Vor einer halben Stunde hatte er einen schlimmen Krampf in seinem rechten Arm gehabt, der einfach nicht nachlassen wollte. Verzweifelt hatte der Italiener versucht, sich zu entspannen, aber trotzdem dauerte es fast 10 Minuten, bis sich die Verkrampfung endlich langsam auflöste. Jede noch so kleine Bewegung von ihm wurde umgehend mit feurigen Stichen in seinem gebrochenen Arm bestraft. Auch seine malträtierte Hand machte ihm nach wie vor schwer zu schaffen. Im Grunde wusste er nicht, was schlimmer war: Der permanente Schmerz, den er in jedem einzelnem Knochen verspürte, die unendliche Erschöpfung, die ihn fast verzweifeln ließ, oder der reißerische Schmerz, der jedes Mal, wenn er sich bewegte, noch zusätzlich wie eine Woge über ihm zusammenschlug. Schwer atmend setzte er sich schließlich mit schweißnassem Gesicht auf, lehnte sich vorsichtig an die Wand und schloss matt die Augen. Die Decke war neben ihn gerutscht und er spürte wieder die beißende Kälte im Keller, aber merkwürdigerweise machte es ihm nichts aus. Irgendwie war ihm im Moment alles egal und wieder machten sich unaufhaltsam die Zweifel in ihm breit, ob sich das Kämpfen überhaupt noch lohnte.

 

 

7.26 Uhr – Im Haus bei den Rivkin-Geschwistern

 

Nachdenklich saß Thomas Rivkin am Frühstückstisch. „Wann willst du Ziva herholen?“ fragte er seine Schwester, „Oder hast du deine Pläne geändert?“ Obwohl er der ältere der beiden Geschwister war, hatte eindeutig Rebekka das Sagen. Er hätte es mit dem Tod von DiNozzo gut sein lassen, aber sie hatte darauf bestanden, dass auch die ehemalige Freundin ihres Bruders bestraft werden musste. Ihrer Ansicht nach hätte Ziva sich niemals mit Michaels Mörder einlassen dürfen. Damit hatte sie ihr Leben verwirkt, daran ließ Rebekka keinen Zweifel. Sie hatte sowieso nie verstanden, dass Michael sich ausgerechnet mit Ziva David eingelassen hatte.

 

Jetzt richtete sie sich steif auf, blickte ihrem Bruder wütend ins Gesicht und fühlte sich wieder einmal darin bestärkt, dass sie den falschen Bruder verloren hatte. Thomas war schon immer zu weich gewesen, nicht so wie Michael. Der war ein richtiger Mann gewesen. Thomas erwies sich mehr und mehr als Weichei.

 

„Hörst du endlich auf, darüber zu diskutieren! - Ich will ihr in die Augen sehen, wenn sie ihrem Liebhaber dabei zusieht, wie er elendig krepiert! - Sie war mit Michael zusammen, hat miterlebt, wie er starb und dann hat sie die Chuzpe, sich diesem ... diesem ... gottverdammten amerikanischen Macho an den Hals zu werfen!“ -   Die Israelin hieb mit der Faust so fest auf den Tisch, dass ihre volle Kaffeetasse ins Wanken geriet und laut klirrend auf den Bodenfliesen zerbrach. „Ich will, dass sie stirbt! Aber vorher wird sie ihren Liebhaber sterben sehen! Und da ich nicht weiß, wie lange dieser verweichlichte Amerikaner noch durchhält, werden wir sie uns heute Mittag holen. Basta!“

 

„Heute Mittag schon, wie willst du denn das anstellen? Sie ist bestimmt extrem wachsam. Sollten wir uns nicht im Moment besser ein wenig zurückhalten?“

 

Rebekka blickte ihrem Bruder verächtlich ins Gesicht. War sie denn nur von Schlappschwänzen umgeben? „Mach dir keine Sorgen“, sagte sie kalt. „Ich regle das schon. Wart´s ab. Und jetzt will ich kein Wort mehr darüber hören! Ich will wenigstens in Ruhe frühstücken.“ Sie stand auf, schob mit dem Fuß die Scherben achtlos beiseite und holte sich eine neue Tasse aus dem Hängeschrank über der Spüle.

 

 

7.28 Uhr – NCIS Hauptquartier


Müde, mit rot geäderten Augen blickte McGee von seinem Computer auf, als Gibbs mit weit ausgreifenden Schritten das Büro betrat und vor seinem Schreibtisch stehenblieb. Die ganze Nacht hatte er Thomas und Rebekka Rivkin's Lebenslauf bis in kleinste Detail durchforstet. Er hatte jede einzelne Zeile auseinandergenommen. Er hatte auf Listen, Tabellen und Videoaufnahmen gestarrt, bis die Reihen und Bilder vor seinen Augen verschwommen waren. Er hatte unzählige Telefonate geführt und sich dadurch bei einer Menge Menschen unbeliebt gemacht, die alles andere als begeistert gewesen waren, mitten in der Nacht angerufen zu werden. Noch nie seit seinem Einstieg beim NCIS hatte er so unbedingt Erfolg mit seinen Ermittlungen haben wollen. Er wusste sehr gut, wie immens wichtig das für Tony war. Die ersten 48 Stunden nach einer Entführung waren erfahrungsgemäß die wichtigsten. Jede weitere Stunde, die ergebnislos verstrich, verringerte die Chancen für das Entführungsopfer beträchtlich. Immer wieder, wenn ihn die Müdigkeit zu übermannen drohte, hatte er sich eingetrichtert, dass er etwas finden musste. Für Tony! Und er hatte etwas gefunden! Jetzt konnte er nur noch beten, dass es ihnen auch weiterhalf.

 

„McGee?“ Erwartungsvoll blickte ihn sein Boss an und Tim begann zu sprechen: „Also, ich habe sämtliche Flüge aus Israel gecheckt, die vor 8 bis 10 Tagen hier in Washington angekommen sind. Der Name Rivkin ist nirgends aufgetaucht. Doch das hatte ich auch nicht wirklich erwartet. Aber anhand der Fotos bei der Einreisekontrolle konnte ich sie schließlich ausfindig machen. Sie sind unter den Namen Emma Parker und Daniel Stuart vor zehn Tagen um 16.25 Uhr auf dem Dulles International Airport gelandet. Ich habe zusammen mit Abby alle Bänder der Überwachungskameras überprüft und so haben wir rausgefunden, dass sie gegen 17.32 Uhr auf dem Parkplatz vor dem Flughafen in ein schwarzes Auto gestiegen sind ...“ Tim erhob sich und klickte mit der Fernbedienung ein Bild auf den großen Bildschirm. Es zeigte eine dunkle Limousine, die von einem jüngeren Mann gefahren wurde. „Es sieht so aus, als wären sie erwartet worden. Ich habe versucht, die Auto-Nummer zu kriegen, doch bislang konnte ich sie noch nicht ermitteln, ich werde aber weiterhin jede Überwachungskamera, an der dieser Wagen vorbeikommt, prüfen. Abby hilft mir dabei. Sie ist unten im Labor und nutzt jede freie Minute. So können wir parallel arbeiten. Außerdem wollte sie sich um die Handy-Nummern kümmern, die wir von Zivas Vater bekommen haben“

 

„War es das?“ Gibbs starrte unverwandt auf den Großbildschirm und würdigte McGee keines Blickes.

 

„Nein. Es ist mir gelungen, den Fahrer zu identifizieren.“ Der junge Agent klickte ein Bild weiter und das Gesicht eines jungen Mannes tauchte auf. „Das ist Aaron Rosen. Israelischer Staatsbürger. Er ist vor 9 Monaten in die USA eingereist, angeblich um Urlaub zu machen, aber seitdem gibt es nichts über ihn. Es ist, als hätte ihn der Erdboden verschluckt. Das Land wieder verlassen hat er aber definitiv nicht. Anscheinend ist er erfolgreich abgetaucht. Er hat zeitgleich mit Thomas Rivkin seine Ausbildung beim Mossad begonnen.“ McGee musste ein Gähnen unterdrücken, was ihm aber nur schlecht gelang. „Das war´s“, nuschelte er ein wenig undeutlich. „Aber ich bleib' dran, Boss...“

 

„Gut gemacht, Tim, sehr gut!“ Ein Lob aus Gibbs' Mund war nicht sehr häufig, aber diesmal kam es ihm aus dem Herzen. Sein junger Mitarbeiter hatte sich wirklich reingekniet und die Ergebnisse waren durchaus erfolgversprechend. Er wusste sehr gut, wie schwer es war, an Informationen aus den Datenbanken des Mossad zu kommen. Dass es McGee gelungen war, das herauszubekommen, was er ihm gerade präsentiert hatte, grenzte schon fast an ein Wunder. „Ich geh´ dann jetzt runter zu Abby und hör´ nach, was sie für mich hat. Hol´ dir einen Kaffee, du siehst furchtbar aus“, schloss er mit der Andeutung eines Lächelns im Gesicht.

 

Leider hatte Abby nicht so viel vorzuweisen, sie hatte versucht, mit Hilfe der Handy-Nummern, die sie von Eli David erhalten hatten, irgendeine Spur der Rivkin-Geschwister zu entdecken, aber ihre Bemühungen waren erfolglos geblieben. Die junge Goth hatte alle erdenklichen Suchprogramme ablaufen lassen, aber entweder existierten die Mobil-Nummern nicht mehr oder sie waren absolut sicher abgeschirmt. Außerdem hatte sie inzwischen weitere Überwachungsbänder durchgesehen und war dabei auch noch einige Male auf den schwarzen Wagen gestoßen. Leider war jedoch niemals das Kennzeichen zu erkennen. Sie ärgerte sich sehr, dass sie nicht mehr für ihren Boss hatte, doch was sollte sie machen? Gibbs versuchte sich seine Enttäuschung hierüber nicht anmerken zu lassen und nahm Abby mit hoch zu einem kurzen Brainstorming im Großraumbüro.

 

„Wo sollen wir jetzt noch suchen?“, fragte Abby resigniert. „Wir wissen nur, dass es die Geschwister von Michael Rivkin sind, die Tony entführt haben, aber wie um Himmels Willen sollen wir sie finden? Die beiden haben eine perfekte Ausbildung genossen. Ja, vielleicht, wenn wir Wochen Zeit hätten ... aber so?“

 

Ziva hatte die ganze Zeit über nicht ein Wort gesprochen. Sie hatte sämtliche Daten des Mossad, auf die sie noch Zugriff hatte, nach Thomas und Rebekka Rivkin durchsucht. Bis jetzt hatte sie schon einige Kontakte in die USA herausfiltern können, aber es war nichts Handfestes dabei herausgekommen. Die beiden hatten ihre Spuren verdammt gut verwischt.

Kunststück, sie hatten es schließlich mit Profis zu tun. Leider.

 

„Irgendetwas haben wir übersehen!“, stellte Gibbs plötzlich fest und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Er hatte schon die ganze Zeit grüblerisch auf seinen Monitor gestarrt, als erwartete er, dass dort plötzlich die Lösung des Rätsels erscheinen würde.

 

„Ähm, Boss, ... was meinst du?“, meldete sich Tim mit gerunzelter Stirn.

 

„Ich weiß es nicht, McGee! - Ich weiß nur, dass wir etwas übersehen!“, herrschte Jethro seinen Untergebenen an. „Wahrscheinlich ist es ganz einfach – wir erkennen es nur nicht.“ Unvermittelt sprang er von seinem Stuhl auf und griff nach seiner Jacke: „Ziva, los, komm mit, du begleitest mich, wir fahren zum Flughafen. Vielleicht kann sich dort ja irgendwer an die beiden oder den Fahrer erinnern und wir finden was, das uns weiterhilft. McGee, Abby, ihr macht hier weiter! Und findet etwas! Ich hab´ so ein Gefühl, dass uns die Zeit davonläuft!!“ Er griff nach der Mappe auf seinem Schreibtisch, in der sich unter anderem die Fotos der drei Israelis befanden, und machte sich mit Ziva im Schlepptau auf den Weg.

 

Kapitel 10

8.13 Uhr – Bei Tony im Keller

 

Tony hatte sich während der letzten Stunde kaum bewegt und mittlerweile war ihm die Kälte im Keller sogar willkommen. Er hatte das Gefühl, als ob die Kühle, die immer tiefer in seine Knochen hineinkroch, sein Leiden irgendwie erträglicher machte - die verfluchten Schmerzen zumindest andeutungsweise betäubte. Etwas anderes erschien ihm im Augenblick fast noch schlimmer. Neben den allgegenwärtigen Schmerzen quälte ihn wahnsinniger Durst. Sein Mund war ausgedörrt und er brachte kaum den Speichel zusammen, um seine trockenen Lippen ab und zu wenigstens ein wenig zu befeuchten. Er spürte, wie sie bereits zusehends rissig wurden und an einigen Stellen auch schon aufsprangen. Wie schon so oft in den vergangenen Stunden, rief er sich Ziva ins Gedächtnis. Allein, das er an sie dachte, verschaffte ihm ein wenig Trost. Was sie wohl jetzt gerade tat? Sicher hatte sie bereits Gott und die Welt in Bewegung gesetzt, um nach ihm zu suchen.

 

Die Vorstellung, dass seine Freunde und Kollegen alle Register ziehen würden, um ihn zu finden, half Tony in seiner tiefen Verzweiflung und sie zauberte sogar ein kleines Lächeln auf sein Gesicht.

Doch dann verspannte er sich abrupt wieder, als er hörte, wie das Drehen des Schlüssels die Rückkehr seiner Peiniger ankündigte.

 

Alle vier Israelis betraten den Raum und der Blick, den Rebekka ihm zuwarf, sagte alles. Die Folter ging weiter.

 

 

8.14 Uhr – Washington D.C. Dulles Airport

 

Nachdem Gibbs und Ziva die Fotos der drei Israelis schon ein halbe Stunde lang allen Angestellten, die auch vor zehn Tagen im Dienst gewesen waren, gezeigt hatten, gaben sie resigniert auf. Zwar konnten sich einige zumeist an die Frau erinnern, aber es war nichts Zweckdienliches dabei. Keine neue Spur, die auch nur den Anschein erweckte, dass eine Verfolgung derselben lohnenswert sein könnte. Die Mossad-Agenten hatten in ihrem Visum als Reisegrund „Urlaub“ angegeben, genau wie Aaron Rosen vor neun Monaten und genau wie er waren sie nach ihrer Ankunft offenbar spurlos verschwunden. In dem als Reiseziel in Washington genannten Hotel waren sie auf jeden Fall nie aufgetaucht. Das hatte Abby in wenigen Minuten herausgefunden, nachdem ihr Ziva den Namen des Hotels durchgegeben hatte. Aaron war niemanden aufgefallen. Die Drei waren zusammen mit tausenden weiteren Personen, die an diesem Tag den Flughafen verlassen hatten, in der breiten Masse verschwunden. Es war schlichtweg frustrierend. Sicherheitshalber klapperten die beiden auch noch alle Stände der verschiedenen Autovermietungen am Flughafen ab und zeigten auch dort den Mitarbeitern ihre Fotos, doch wie erwartet kamen sie auch hier keinen Schritt weiter.

 

Wenigstens hatte sie die Adressen aller Flughafenmitarbeiter, die vor zehn Tagen Dienst gehabt hatten, aber zurzeit gerade frei. Gibbs wollte sich später darum kümmern, dass auch diese Leute noch einen Blick auf die Fotos werfen konnten. Außerdem wussten Sie nun, wer im Flugzeug unmittelbar in der Nähe der Rivkin-Geschwister gesessen hatte. Diese Personen wollte Gibbs später unbedingt nochbefragen. Vielleicht hatte ja jemand Gesprächsfetzen der beiden aufgeschnappt. Es war die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen, doch sie hatten einfach nichts anderes, womit sie arbeiten konnten.

 

 

8.15 Uhr – Bei Tony im Keller

 

Auf einen Wink von Rebekka hin, gingen Aaron und Erez die wenigen Schritte zu Tony und zerrten ihn auf die Beine. Er hatte ihnen entgegengesehen und versucht, sich irgendwie steif zu machen oder seinen linken Arm zu entlasten – vergeblich. Er keuchte laut auf, als sie ihn grob packten, zu der gegenüberliegenden Wand schleiften und ihn mit dem Rücken fest dagegen drückten. Anschließend fesselten sie seinen rechten Arm neben seinem Körper an die Mauer und begaben sich danach zur gegenüberliegenden Seite des Raumes. Tony registrierte am Rande überrascht, dass sie diesmal seinen gebrochenen Arm verschont hatten, als seine Aufmerksamkeit auch schon wieder auf Rebekka gelenkt wurde.

 

Bedächtig holte sie ein Seil aus dem Regal, das an einem Ende zu einer Schlinge geknüpft war. Nervös fixierte Tony zuerst den Strick und dann Rebekka, die langsam und diabolisch lächelnd auf ihn zukam. 20 cm vor dem Italiener blieb sie stehen und sah zu dem einen Kopf größeren Mann auf. Vor seinen Augen spielte sie mit dem Seil und zog die Schlaufe auf und zu. „Genau wie früher in eurem Wilden Westen!“, schnurrte sie mit verdächtig sanfter Stimme. „Nur eine alte Eiche, an der wir dich aufknüpfen können, fehlt. Aber ein bisschen Improvisieren muss erlaubt sein!“ Dann hob sie die Arme, um Tony die Schlinge um den Hals zu legen.

 

Reflexartig hob der junge Agent seinen ungefesselten Arm, um die Israelin an ihrem Vorhaben zu hindern, doch blitzschnell packte sie sein Handgelenk und drückte seinen Arm zur Seite. Ein heiserer Schrei entrang sich seiner Brust, als sein gebrochener Unterarm erneut so heftig verdreht wurde, dass ihm im ersten Augenblick schier die Luft wegblieb; dass Rebekka im selben Moment die Schlinge um seinen Hals legte, bemerkte er kaum. Er presste seine Hand stöhnend an seinen Körper und versuchte, die tobenden Schmerzen irgendwie in Griff zu bekommen.  

 

Inzwischen war Thomas neben seine Schwester getreten, nahm ihr das Seil aus der Hand und legte es über eine Rolle, die an der Decke über Tony befestigt war. Er fasste das lose Ende und zog den Strick ein wenig an, so dass er locker gespannt war. Schließlich griff er nach DiNozzo's verletztem Arm und zog diesen unbarmherzig nach oben. Der Italiener gab ohne Widerstand nach, denn seine ganze linke Seite fühlte sich an, als ob sie in Flammen stünde. Thomas hielt Tony's Hand etwa 10 cm über dessen Kopf fest, während Rebekka das Seil um sein Handgelenk knotete.  

 

Sowie sie fertig war, trat sie zufrieden zur Seite und wandte sich an ihr wehrloses Opfer: „Ich glaube, eine weiterführende Erklärung ist nicht nötig, oder? Du bist doch ein cleveres Kerlchen und hast unser neues Spiel sicher verstanden. Es ist eine Mischung aus Gedulds- und Geschicklichkeitsspiel. Das Seil führt von deiner Hand über die Rolle dort oben zu deinem Hals. Wenn du deinen Arm sinken lässt, zieht sich die Schlinge um deinen Hals zusammen und du erwürgst dich selbst. Es gewinnt derjenige, der seine Position am längsten halten kann. Und nur derjenige! Leider hat es bis jetzt noch niemand geschafft.

Allerdings habe ich das Spiel auch noch nie mit einem amerikanischen Supermann gespielt. Jetzt bin ich neugierig, wie stark so ein echter amerikanischer Agent wirklich ist.“ Damit drehte sie sich um und ging zur Tür. „Aaron, du bleibst hier und beobachtest ihn. Ruf' mich, wenn es interessant wird.“ Sie warf einen letzten Blick auf Tony, bevor sie den Raum verließ: „Ach ja, das hätte ich ja fast vergessen: Ihr Amis legt doch soviel Wert auf Preise, nicht wahr? Also, der Preis für den Gewinner des Spiels sieht folgendermaßen aus: Du lebst einfach länger. Wenigstens ein bisschen.“ Ihr hämisches Lachen begleitete Rebekka nach draußen.


Kapitel 11

9.01 Uhr – Auf dem Rückweg zum NCIS


Der Chefermittler und seine Agentin hatten sich auf dem Weg zurück ins Hauptquartier gemacht. Es war unnatürlich still im Fahrzeug. Seit 10 Minuten hatten sie kein Wort miteinander gesprochen, jeder hing stumm seinen eigenen Gedanken nach. Gibbs versuchte zum wiederholten Male darauf zu kommen, was ihn schon die ganze Zeit über störte und je mehr er darüber nach grübelte, desto schlechter wurde seine Laune.

 

Ziva indes war schon seit sie den Flughafen verlassen hatten fahrig und unkonzentriert. Sie war froh, dass sich Gibbs hinters Steuer gesetzt hatte, denn sie nahm den Straßenverkehr eigentlich nur am Rande wahr. Irgendwie fühlte sie, dass es Tony nicht gut ging. Er brauchte sie und sie war nicht da. Schon wieder zermarterte sie sich ihr Gehirn, wie sie ihren Partner finden könnte. Sie hatte schon versucht, sich in Rebekka Rivkin hineinzuversetzen, aber das hatte sie eher entmutigt. Die Rivkin-Geschwister hatten die gleiche Ausbildung genossen wie sie, und die war nun einmal erstklassig. Man konnte also davon ausgehen, dass sie etwas davon verstanden, unterzutauchen, ohne Spuren zu hinterlassen. Sie machte sich nichts vor, die beiden zu finden war beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Außer, es verriet sie jemand. Sie mussten Helfer in den Staaten haben, soviel war klar. Diesen Aaron Rosen und wer weiß, vielleicht noch mehr. Trotzdem…

 

Ziva seufzte tief auf, ohne dass sie sich dessen bewusst war. Wer, der noch ein bisschen an seinem Leben hing, verriet schon freiwillig einen oder gar mehrere Mossad-Agenten? Dem Mossad eilte schließlich seit langem schon der Ruf voraus, relativ humorlos zu sein. Ein Zinker war so gut wie tot, kaum, dass er seine Nachricht an den Mann gebracht hatte. Und doch – sie hatte immerhin die gleiche exzellente Ausbildung genossen wie die Rivkin-Geschwister. Vielleicht musste sie nur einfach die Mossad-Agentin in ihr wieder wachrütteln und überlegt, kalt und effizient ihr Ding durchziehen und die Amerikanerin, die sie immerhin bald werden wollte, Tony zuliebe, kurzzeitig wieder in die Verbannung schicken. Einerseits wollte sie nie wieder die „alte Ziva“ werden, andererseits war das eventuell der einzige Weg, zu den Rivkin´s durchzudringen. Und sie wollte schließlich das Unmögliche wahr machen: Tony finden und ihn retten! Sie musste es schaffen und sie würde es, verdammt nochmal, schaffen! Sie verbot sich einfach, etwas anderes zu denken.

 

Plötzlich wurde sie aus Ihren Gedanken gerissen, als Gibbs unvermittelt mit der Faust so fest auf's Lenkrad hämmerte, dass es schepperte und die ganze Konsole erzitterte. „Tony wollte doch ausschlafen?“, fragte er Ziva, während er weiterhin mit halsbrecherischem Tempo durch die Straßen Washingtons raste. „Richtig?“

 

Ziva kommentierte das mit einem einfachen „Ja, wollte er.“ Worauf wollte er hinaus?

 

„Ich glaube nicht, dass er plötzlich die Idee hatte, noch etwas kaufen zu müssen. Und ich glaube auch nicht, dass die Kerle unten vor eurem Haus gewartet haben, ohne wissen zu können, ob überhaupt und wenn ja, wann DiNozzo auftaucht oder nicht. – Nein, sie haben ihn aus dem Haus gelockt!“, stellte er mit grimmiger Bestimmtheit fest, „Sie haben ihn angerufen und haben ihm irgendetwas erzählt, woraufhin er dann aus dem Haus gestürmt ist. Dann haben sie ihn abgefangen und überwältigt.“ Gibbs warf Ziva einen kurzen Seitenblick zu. „Was meinst du?“

 

„Natürlich!“, rief Ziva aus. „Das haben wir die ganze Zeit übersehen! - Unser Festnetzanschluss! Tony's Handy-Nr. kriegt nicht jeder. Wenn sie aber auf dem Festnetz angerufen haben, müsste der Anrufer nachvollziehbar sein!“ Erregt blickte sie ihren Boss an. Das war´s – sie spürte es genau. Sie hatten endlich die Chance auf eine Spur. „Am besten, du fährst bei uns zu Hause vorbei, dann kann ich direkt die Unterlagen mitnehmen. Dann brauchst du nicht extra eine Genehmigung zu besorgen. Gott sei Dank geht der Anschluss auf mich.“

 

„Läuft, Ziva, läuft. Eine Lokalrunde geht auf dich, aber der Telefonanschluss läuft auf dich“, verbesserte Gibbs die Israelin automatisch. „Entschuldige“, schob er gleich darauf hinterher, als er Zivas´s entrüsteten Blick bemerkte.

 

 

9.03 Uhr – Im Keller bei Tony

 

Tony hatte keine Ahnung, wie lange er schon so dastand. Längst kribbelten seine Muskeln beinahe unerträglich und protestierten so gegen die unnatürliche Haltung. Abwechselnd hatte er seinen Arm ausgestreckt, so gut es eben ging und die Schulter gedreht, aber all das stellte keine wirkliche Entlastung dar. Die Schmerzen, die der gebrochene Knochen pausenlos ausstrahlte, zermürbten ihn mehr und mehr. Als er vor einigen Minuten versehentlich seinen Arm etwas gesenkt hatte, hatte sich sofort die Schlinge ein wenig zugezogen und er spürte den rauen Hanf an seinem Adamsapfel unangenehm kratzen.

 

Immer wieder wanderte sein Blick nach oben zu der Rolle und zu seinem Handgelenk, aber er sah einfach keine Möglichkeit, sich aus seiner prekären Lage zu befreien. Er versuchte, sich zu konzentrieren und das Brennen in seinen Muskeln zu ignorieren, doch von Minute zu Minute schwanden seine Kräfte. Plötzlich fühlte er, wie sich seine malträtierte Schultermuskulatur verkrampfte und ihn zusätzlich schwächte. Mit zusammengebissenen Zähnen bemühte er sich, die Muskeln wieder zu entspannen, doch es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Muskelkontraktionen endlich nachließen. Verdammt, lange würde er das nicht mehr aushalten! Aus halb zugeschwollenen Augen beobachtete er, wie Aaron grinsend den Raum verließ. Er konnte sich schon denken, was er vorhatte. Der Mann hatte sicher bemerkt, dass seine Kräfte langsam aber sicher erlahmten. Jetzt informierte er, wie befohlen, die Hexe, wie Tony Rebekka insgeheim seit ein paar Stunden nannte.

 

„Braves kleines Hündchen“, nuschelte er undeutlich vor sich hin. Aaron hörte ihn schon nicht mehr, aber das war sowieso egal. Viel interessanter war der Gedanke, was die Hexe gleich wieder mit ihm anstellen würde. Er hatte in seiner Laufbahn als Polizist und Agent schon einige sadistische Frauen erlebt, aber Rebekka schlug noch so manchen Mann um Längen.

 

Während Tony noch verzweifelt versuchte, der Verkrampfung standzuhalten, betraten Rebekka und die anderen beiden Israelis den Kellerraum. Aaron hatte sie wie erwartet verständigt, dass es wohl nicht mehr allzu lange dauern würde, bis DiNozzo die Kräfte verlassen würden. Wie eine Zuschauerin bei einem Theaterstück setzte Rebekka sich in einen Stuhl, den Aaron für sie hereingetragen hatte. Nur zwei Meter entfernt von dem Akteur an der Wand, beobachtete sie in aller Seelenruhe das makabre Schauspiel, das sie selbst inszeniert hatte und das Tony ihr nun bot.

 

„Na, bist du zufrieden“, krächzte Tony, dessen Stimmbänder vor lauter Flüssigkeitsmangel und Anstrengung schon schwer gelitten hatten. Rebekka lächelte und nickte ihm zu. „Höchst zufrieden. Danke der Nachfrage.“

 

Schwer atmend, mit schweißnassem Gesicht lehnte Tony seinen Kopf an die Wand und versuchte weiterhin, seinen Arm über seinem Kopf zu halten. Doch es ging nicht mehr.

Unaufhaltsam senkte sich die Gliedmaße millimeterweise nach unten. Tony bemerkte es kaum mehr. Erst als sich die Schlinge um seinen Hals erneut ein Stückchen zuzog, riss er panisch die Augen auf und schaffte es unter Aufbringung seiner allerletzten Kräfte, seinen Arm wieder ein wenig nach oben zu strecken, doch nur für einen kurzen Moment. Entsetzt stellte er fest, dass er mit seinen Kräften am Ende war: Nur noch ein paar Sekunden und er musste aufgeben. Dann waren alle seine Anstrengungen umsonst gewesen. Mittlerweile hatte sich die Schlinge so weit verengt, dass die Luftzufuhr schon drastisch eingeschränkt war.

 

'Lieber Gott, hilf' mir!', dachte Tony verzweifelt, doch er blieb mit seiner Angst, seinen Schmerzen, seiner Panik allein und kämpfte einen einsamen Kampf ums nackte Überleben.

 

Nur wenige Augenblicke später, ohne dass Tony dem noch irgendetwas entgegenzusetzen hatte, sank sein Arm mit einem Ruck nach unten und die Schlinge um seinen Hals zog sich unbarmherzig zu. Plötzlich fiel ihm Ducky ein, der einmal während einer Autopsie erwähnt hatte, dass Ersticken ein grausamer Tod sei. Nie hätte er geglaubt, dass er das selbst einmal erfahren müsste. Verzweifelt rang er nach Luft, doch das Seil hatte sich bereits so tief in seinen Hals gegraben, dass nicht einmal mehr ein kümmerlicher Atemhauch durchkam. Seine Augen waren weit aufgerissen und irrten hilfesuchend in dem düsteren Kellerraum umher. Plötzlich kreuzten sie den Blick von Rebekka. Sie saß völlig entspannt auf ihrem Stuhl und verfolgte seinen Todeskampf. Kein Blinzeln, gar nichts. Diese Frau war ein Roboter! Wie hypnotisiert starrte er in ihre dunklen, eiskalten Augen und konnte seinen Blick nicht von ihr lösen.

 

Gott, was hätte er darum gegeben, seinen unwiderruflich letzten Blick in Ziva´s wunderschöne, braune Augen versenken zu können. Seine Lippen, die durch den Sauerstoffmangel schon blau waren, hatte er leicht geöffnet. Unartikulierte, krächzende und pfeifende Laute verließen seinen Mund. Merkwürdig. Was war das? Sein Atem? Nein, das konnte nicht sein, atmen konnte er doch schon seit   … egal, er konnte nicht mehr atmen, das war absolut sicher. Ob Ducky wohl wusste, dass ein Erstickender sich komplett lächerlich anhörte? So kam es ihm zumindest vor: Lächerlich. Ducky hätte das wohl bestritten und ihm jetzt einen langen ausschweifenden Vortrag über den Ursprung dieser Geräusche gehalten. `Tja, Ducky, alter Junge, glaub´ mir, du bist mir oft mit deinen Vorträgen auf die Nerven gegangen, aber jetzt würde ich dir wirklich liebend gerne zuhören.’ Merkwürdig, zu welchen Gedanken er noch fähig war.

 

Tony´s Körper bäumte sich ein letztes Mal ruckartig auf. Er zitterte krampfhaft, seine Lungen brannten wie Feuer, in seinen Ohren tobten Geräusche, wie er sie noch nie zuvor gehört hatte und ein letztes Mal versuchte er zu atmen. Ein allerletztes, völlig verzweifeltes Ringen um ein bisschen Luft, bevor seine Augenlider anfingen zu flattern und er hinüber driftete in die schwarze Ewigkeit.

 

`Zivaaaaa…´ Weiter kam er mit seinen Gedanken nicht mehr. Ein letztes gnädiges Zucken durchfuhr Tony’s Körper, bevor alle seine Gliedmaßen endgültig erschlafften.

 

Kapitel 12

9.09 Uhr – In Gibbs Auto – kurz vor dem NCIS Hauptquartier

 

Gleich hatten sie es geschafft. Nachdem sie noch verschiedene Unterlagen aus der Wohnung von Ziva und Tony geholt hatten, wartete Gibbs jetzt an der letzten großen Kreuzung vor der Einfahrt ins Parkhaus des Hauptquartiers an einer roten Ampel. Nervös trommelte er mit den Händen auf dem Lenkrad herum. Es nervte ihn total, dass sie nicht weiterkamen, doch bei dem Verkehr konnte er es nicht riskieren, einfach über die Kreuzung zu rasen. Noch nervöser machte ihn allerdings seine Beifahrerin. Schon allein aus dem Grund wäre er froh, wenn sie endlich aus dem Auto raus könnten.

 

Ziva schien völlig durch den Wind zu sein. Seit einigen Minuten saß sie schweigend neben ihm und knetete wie verrückt ihre Hände im Schoß. Zwischendurch hatte er sie sogar dabei erwischt, dass sie an ihren Fingernägeln gekaut hatte. Das fehlte ihm jetzt noch, dass seine einzige Agentin, die wusste, wie Mossad-Agenten tickten, die Nerven verlor. Und im Augenblick sah es ganz danach aus. Er kannte Ziva und so hatte er sie noch nie erlebt. Was jetzt allerdings passierte, darauf war er nicht vorbereitet. Gerade als er leise: „Verdammte Ampel“, vor sich hinknurrte, schrie Ziva unvermittelt auf und riss ruckartig die Hände vor ihr Gesicht. Gibbs zuckte erschrocken zusammen und schaute zur Seite.

 

„Ziva! Verdammt! Du hast mich zu Tode erschrocken! Was zum Teufel ist los?“ Als Gibbs zur Seite blickte, bemerkte er, dass Ziva am ganzen Körper zitterte. Langsam ließ sie die Hände sinken und Gibbs sah die Tränen, die lautlos über ihr Gesicht rannen. Mit angstvoll aufgerissenen Augen schaute sie ihren Boss an. Ihre Lippen bewegten sich, doch sie brachte keinen Laut hervor. Beruhigend legte Gibbs eine Hand auf ihren linken Unterarm. „Hey“, sagte er nun sanfter. „Was ist denn bloß los mit dir?“

 

„Es ist etwas passiert“, antwortete Ziva mit einer ihr selbst fremd klingenden, seltsam tonlosen Stimme. „Mit Tony! Etwas Schlimmes!“ Die Tränen schürten ihr die Kehle zu.

 

„Was?“, fragte Gibbs entgeistert. „Woher willst du das wissen?“ Soweit er mitbekommen hatte, hatte sie keinen Anruf entgegengenommen. Oder war ihm da womöglich etwas entgangen?

 

„Ich weiß nicht – ich … ich weiß es einfach.“ Ein neuerlicher Schluchzer entrang sich gequält ihrer Brust. „Gibbs … er ist … Oh Gott, ich glaube wirklich, er ist …“

 

„Schluss damit! Ich will nichts davon hören!“, schnauzte Gibbs und bereute seinen heftigen Ausbruch gleich darauf. „Ziva, beruhige dich. Wir werden Tony finden, das verspreche ich dir. Lebend!“ Bis jetzt hatte er noch immer seine Versprechen gehalten – warum also nicht auch jetzt? Na ja, seine Eheversprechen mal ausgenommen.

 

„Aber…“

 

„Kein `Aber´, hörst du. Er ist gerade einmal einen Tag verschwunden. Wir tun alle, was wir können und wir werden ihn finden. Klar? Überleg' doch mal, wie das war, als die Russen ihn in ihrer Gewalt hatten.“

 

„Das waren Russen – keine ausgebildeten Mossad-Agenten“, antwortete Ziva verächtlich und mit einer Spur Bitterkeit in der Stimme.

 

„Das bist du doch auch! Du bist unsere Trumpfkarte. Tony´s Trumpfkarte. Wir alle tun unser Menschenmöglichstes, aber das musst du auch, hörst du! Lass ihn jetzt nicht im Stich. Er braucht dich und deine Erfahrungen als Mossad-Agentin. Du musst denken und handeln wie ein Profi. Für Tony!“

 

„Ich werde es versuchen, Boss, aber ich kann für nichts garantieren.“ Ziva atmete tief durch und horchte in sich hinein. Langsam kam sie zur Ruhe und sie musste beinahe lächeln, als sie registrierte, wie Gibbs erleichtert aufatmete. „Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass er … ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber ich glaube fast, Tony… Er ist wieder da.“

 

Gibbs starrte sie an, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank, doch er zwang sich, ruhig zu bleiben. „Dann ist es ja gut“, antwortete er ein wenig barscher als beabsichtigt. „Können wir jetzt weiter?“, fragte er dann. „Wir werden zum Verkehrshindernis.“ Er deutete durch die Scheibe auf die grüne Ampel und beide registrierten erst jetzt die wütend hupenden Fahrzeuge hinter ihnen. Ziva nickte und gerade als die Ampel wieder auf gelb sprang, raste Gibbs mit durchdrehenden Reifen über die Kreuzung.

 

Innerlich schwor er sich, bei nächster Gelegenheit noch einmal intensiv über Regel Nr. 12 nachzudenken. Gut, aus der Nummer mit Ziva und Tony kam er jetzt nicht mehr raus, aber er wäre nicht Leroy Jethro Gibbs, wenn er das noch einmal zulassen würde. So etwas wie eben war ihm noch nie passiert und er wollte verdammt sein, wenn er zuließ, dass er noch einmal in so eine Situation kam. Nicht nur, dass es unheimlich gewesen war. Es war auch völlig an den Haaren herbeigezogen. Ziva´s Nerven hatten ihr einen Streich gespielt. Das war die ganz einfache und rationale Erklärung für ihr Verhalten. Punkt. Natürlich würde er den anderen nichts von Ziva´s irrationalem Ausbruch erzählen, was aber seinen Vorsatz, sie ab jetzt besonders gut im Auge zu behalten, erheblich erschwerte, denn es bedeutete, dass er ganz allein dafür zuständig war, Ziva zu beobachten. Hoffentlich ging das gut.

 

 

9.16 Uhr – Im Keller bei Tony

 

In gleichen Augenblick, als Tony den Kampf gegen den Erstickungstod verloren hatte, sprang Rebekka auf und durchtrennte mit einem Messer, das sie die ganze Zeit verdeckt in der Hand gehalten hatte, das Seil zwischen Tony's Hand und seinem Hals. Aaron fing den haltlos zu Boden sinkenden Italiener auf, während Erez gleichzeitig die Fesseln an seiner rechten Hand löste. Aaron legte ihn auf den Rücken und hieb sofort mit der rechten Faust kräftig auf Tony's Brust. Als sich kein Lebenszeichen abzeichnete, begann er mit Wiederbelebungsmaßnahmen wie bei einem Ertrunkenen. Und tatsächlich, nach kurzer Zeit reagierte der junge Agent auf die Bemühungen. Plötzlich schnappte er röchelnd nach Luft und öffnete im gleichen Moment die Augen. Verständnislos starrte er in die Gesichter über ihm, während er immer wieder wild und unkontrolliert nach Atem japste. Er versuchte hektisch, sich aufzusetzen. Im Liegen bekam er einfach zu wenig Sauerstoff, denn seine Luftröhre war immer noch verengt. Erstaunlicherweise war Aaron ihm dabei behilflich und nach und nach konnte er seine Lungen wieder mit ausreichend Sauerstoff versorgen.

 

Langsam erhob sich die Mossad-Agentin, die während der Wiederbelebungsmaßnahmen neben ihm gekauert war und befahl ihren Kumpanen: „Fesselt ihn wieder drüben an die Wand“. Sie schleiften Tony quer durch den Raum und ketteten sein rechtes Handgelenk an die Mauer. Wie durch einen Nebel aus Blut und Schmerzen hörte er Rebekka sagen:

 

„Das war wirklich ganz großes Kino DiNozzo, das magst du doch so gern und jetzt warst du auch noch der Hauptdarsteller! Ich denke, ich werde mir heute Nachmittag die Wiederholung ansehen ... freu' dich drauf, du darfst wieder mitspielen! Wer weiß, wenn du gut bist, schlage ich dich vielleicht für den ´Oscar´ vor.“ Lachend warf sie eine kleine Flasche Wasser neben ihn auf den Boden, „Da, damit du nicht schlapp machst, bevor das große Finale kommt!“ Sie drehte sich um und verließ gemeinsam mit ihrem Bruder und den anderen den Kellerraum. Ihr Lachen dröhnte noch in Tony's Ohren, als sich die Tür schon längst geschlossen hatte und er allein zurückblieben war.

 

'Wiederholung – Wiederholung ....' Dieses eine Wort hatte sich in seinem Bewusstsein festgesetzt - die Hexe wollte ihn dieses Martyrium noch einmal durchleiden lassen! Er wusste beim besten Willen nicht, wie er das ertragen sollte. Gestern hatte er sich noch geschworen, dass er durchhalten würde, so lange es ging, egal was sie ihm noch antun würden, doch jetzt? - Lieber wollte er tot sein, als das noch einmal aushalten zu müssen. Die Verzweiflung übermannte ihn und er drehte sein Gesicht zur Wand. Nur seine zuckenden Schultern verrieten, dass er lautlos vor sich hin weinte.

 

Kapitel 13

9.18 Uhr – NCIS-Hauptquartier

 

Mit quietschenden Reifen bog Jethro ins Parkhaus des NCIS ein. Kurz darauf trafen er und Ziva auch schon im Büro ein. Schwungvoll knallte er die Unterlagen von Ziva´s und Tony's Festnetzanschluss auf Tim´s Tisch.

 

„McGee, du überprüfst sofort Tony's Festnetzanschluss und auch sein Handy. Ich will über jedes ankommende Gespräch von heute Morgen informiert werden. Ziva, wann hast du das Haus verlassen?“, wandte er sich kurz an die Israelin.

 

„Um 7.30 Uhr, ziemlich genau!“, erwiderte sie und war schon hinter Tim getreten, um wie gebannt auf dessen Bildschirm zu starren. „Nun mach schon“, forderte sie ihn ungeduldig auf, und augenblicklich begann McGee auf die Tastatur einzuhämmern. „Vielleicht sollten wir Abby auch raufholen, womöglich kann sie McGee ja helfen?“, fragte die ehemalige Mossad-Agentin an Gibbs gewandt.

 

„Sicher, ruf sie an!“, stimmte ihr Boss zu und registrierte erleichtert, dass Ziva wieder deutlich ruhiger wirkte.

 

Kurz darauf stürmte die junge Forensikerin auch schon aus dem Fahrstuhl und rannte hinüber zu McGee. „Hast du schon was?“ wollte sie sofort hektisch von ihrem Kollegen wissen und im selben Moment erschien auf dem Bildschirm ihres Kollegen eine kurze Liste mit Telefonnummern, die seit dem Morgen auf Ziva's und DiNozzo's Festnetzanschluss eingegangen waren. „Da, das muss es sein! 7.41 Uhr, das ist der einzige Anruf heute Morgen, eine Handy-Nummer. Danach ist erst wieder um 9.27 etwas registriert, aber das ist so eine Werbe-Nummer, diese Dinger erkenne ich blind“, verkündete sie aufgeregt und fuchtelte mit der einen Hand vor dem Bildschirm herum.

 

„Kannst du zurückverfolgen, wo der Anruf herkam, Tim?“, fragte Jethro ungeduldig.

 

McGee, der schon damit begonnen hatte, bestätigte mit einem knappen: „Klar, Boss!“ Nach einigen endlos langen Minuten, in denen Gibbs ruhelos auf und ab lief und Ziva wie paralysiert über die Schulter des MIT-Absolventen auf den Bildschirm starrte, ruckte McGee plötzlich hoch: „Ich hab' was Boss! - Die Nummer gehört zum Handy eines gewissen Alex Portsmith.

 

„Alex Portsmith – nie gehört!“, resümierte Jethro. „Jagt den Namen sofort durch sämtliche Datenbanken. Legal oder illegal, das ist mir egal! Mit irgendwelchen Formalitäten können wir uns jetzt nicht aufhalten. Ich will die Adresse dieses Kerls! Schnell! - Abby, kannst du das Handy orten?“

 

„Moment ...“, die junge Goth ließ ihre Finger über die Tastatur flitzen, aber schon kurz darauf stellte sie ernüchtert fest: „Leider kein Erfolg Gibbs, entweder ist es ausgeschaltet oder kaputt!“.

 

„Mist!“, quetschte Jethro wütend zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor, dann wandte er sich wieder der Forensikerin zu: „Hast du was über das schwarze Auto rausgekriegt, in dem die Rivkins den Flughafen verlassen haben?“

 

„Ich hab' den Wagen durch halb Washington verfolgt. Die Auto-Nummer habe ich auch rausgekriegt, aber die stammte von einem gestohlenen Fahrzeug. Ganz anderer Fahrzeugtyp. Es wurden auch nur die Kennzeichen geklaut. Als unser Wagen D.C. dann verlassen hat, hab' ich ihn verloren. Sie haben auf jeden Fall keine Hauptstraße benutzt und sie waren in südlicher Richtung unterwegs, als ich sie das letzte Mal orten konnte. Aber praktisch könnten sie im Moment fast überall sein. Tut mir leid.“ Entschuldigend warf Abby einen zerknirschten Blick in Gibbs´ Richtung. Sie war selbst am meisten enttäuscht, dass sie nicht mehr hatte herausfinden können, um Tony zu helfen.

 

Ziva, die bislang immer noch leicht gebeugt hinter McGee gestanden und ihm über die Schulter gestarrt hatte, richtete sich plötzlich entschlossen auf und ging rüber zu ihrem Schreibtisch. Ihre Hand zitterte nur leicht, als sie nach dem Telefon griff und die ihr wohlbekannte Nummer in schneller Folge eintippte. Während sie darauf wartete, dass sich am anderen Ende jemand meldete, holte sie mehrfach tief Luft. Sie wusste sehr gut, dass Gibbs Recht hatte. Sie musste sich unbedingt zusammenreißen. Sie musste denken und handeln wie ein Profi – am besten, wie ein Mossad-Profi. Für Tony! Für ihn würde sie einfach alles tun!

 

Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Es läutete und läutete, doch am anderen Ende der Leitung blieb alles still. Sie fürchtete schon, niemand zu erreichen, als es am anderen Ende der Leitung plötzlich doch noch leise klickte. Ziva drückte ihre Wirbelsäule noch ein wenig mehr durch wie sie es normalerweise schon tat. Steif und gerade aufrecht stehend sprach sie mit fester Stimme in den Hörer.

 

„Shalom. Bist du es, Papa?“

 

 

9.19 Uhr Ortszeit - 16.19 Uhr – bei Eli David – Mossad Hauptquartier

 

Als Eli die Nummer im Display erkannte, seufzte er tief auf. Ziva! Um diese Zeit! War seine Tochter jetzt von allen guten Geistern verlassen? Er beschloss, den Anruf zu ignorieren und Ziva später zurückzurufen. Doch es klingelte unaufhörlich weiter. Es war wie früher: Ziva hatte es schon als Kind gehasst, wenn man sie ignorierte. Sie konnte entsetzlich halsstarrig sein, wenn sie etwas wollte. Und im Augenblick wollte sie ihn offensichtlich sprechen. Jetzt, und nicht irgendwann später. Er stand kurz auf, ging zur Tür und spähte kurz hinaus. Nur gut, dass er seine Sekretärin heute früher nach Hause geschickt hatte. Die hätte sich sicher darüber gewundert, dass er seine direkte Durchwahl so lange klingeln ließ. Für gewöhnlich kamen dort nur wichtige Anrufe an. Weiter hinten im Großraumbüro saßen eine Reihe von Agenten und gingen ihrer Arbeit nach. Einer blickte auf und hob kurz die Hand zum Gruß in Richtung Eli. Der nickte flüchtig und schloss die Tür. Sein Telefon klingelte immer noch. Mit einem leisen Fluch auf den Lippen ging Eli zurück zum Schreibtisch, griff nach dem Hörer, hob ab und … schwieg. Erst nachdem er die bange Frage seiner Tochter gehört hatte, entschloss er sich zu antworten.

 

„Ja, Ziva. Ich bin´s. Wer sonst sollte sich auf dieser Leitung melden?“

 

„Es hat lange gedauert“, sagte Ziva. „Ich schätze, du wolltest nicht mit mir sprechen.“ Es war keine Frage, sondern eine schlichte Feststellung.

 

„Ziva, was soll ich sagen? Du weißt doch, was um diese Zeit noch hier los ist. Hier haben die Wände Ohren. Können wir später reden? Ruf mich zu Hause an.“

 

„Nein! Sagen dir die Namen Aaron Rosen oder Alex Portsmith etwas?“

 

„Verdammt, Ziva! Ich sagte, ruf mich später an.“ Eli klang jetzt wirklich ungehalten. „Du kannst mich in echte Schwierigkeiten bringen, das weißt du.“

 

„Tony steckt bereits in echten Schwierigkeiten, wie du es nennst. Und er hat keine Zeit mehr, ich spüre das. Also, was ist? Kennst du die Namen oder einen von ihnen? Nach dem, was wir wissen, muss Rosen mal beim Mossad gewesen sein.“

 

„Nein, Ziva. Weißt du, ich kenne verdammt noch mal nicht jeden, der hier mal einen Fuß durch die Tür gesetzt hat.“ Er machte eine Pause und meinte, das enttäuschte Gesicht seiner Tochter förmlich vor sich sehen zu können. „Aber ich werde sehen, was ich für dich tun kann“, fuhr er dann wider besseres Wissen fort. Er hörte deutlich, wie Ziva am anderen Ende der Welt erleichtert aufatmete.

 

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich noch einmal soweit kriege, dass du uns hilfst“, gestand sie leise.

 

„Schon gut, du brauchst mir nicht zu danken. Ich melde mich. Du rufst nicht an, ist das klar?“

 

„Ja, sicher, ich werde auf deinen Anruf warten.“

 

 

9.28 Uhr – Im Haus der Rivkin-Geschwister

 

Thomas Aviel Rivkin, Aaron und Erez saßen um den Küchentisch herum und unterhielten sich leise, während Rebekka unter der Dusche war.

 

„Und? Wie geht´s jetzt weiter?“, fragte Aaron an Thomas gewandt.

 

„Ich weiß nicht, frag Rebekka“, knurrte Thomas.

 

„Sicher nicht“, entfuhr es Aaron. „Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass dein liebes Schwesterchen so langsam aber sicher völlig austickt.

 

„Wie meinst du das?“ Aufmerksam blickte Thomas Aaron an.

 

„Wie ich das meine? Ursprünglich mal war nur die Rede von Rache. Ihr wolltet euch an dem Schweinehund rächen, der Michael auf dem Gewissen hat. Okay, das konnte ich gut nachvollziehen. Michael war auch mein Freund. Ich hatte ihn zwar lange nicht gesehen, aber er war mein Freund. Ich hab´ mich auf euren Plan eingelassen und habe mich hier 9 Monate lang versteckt wie ein räudiger Hund. Habe alles vorbereitet und die Dinge ans Laufen gebracht. Ich habe dieses Haus hier draußen gekauft, den Keller eingerichtet; alles, wie ihr es wolltet. Aber jetzt kommen mir langsam Zweifel. Ich meine, was zum Teufel ist los mit deiner Schwester? Das, was die da unten mit dem Amerikaner praktiziert, geht weit über normale Rachegelüste hinaus. Hast du sie mal beobachtet? Sie hat Spaß an der ganzen Chose. Und jetzt will sie auch noch Ziva holen. Ziva David! Die Tochter des legendären Eli David. Wie verrückt ist das denn? Ich will irgendwann wieder nach Hause zurück oder habt ihr allen Ernstes geglaubt, ich will als langweiliger Buchhalter Alex Portsmith hier sterben? Wenn Eli David auch nur den Hauch eines Verdachtes hegt, dass ich etwas mit der Entführung seines letzten Kindes zu tun hatte, kann ich mir Israel abschminken. Dann bin ich nirgendwo mehr sicher – im Gegenteil, dann bin ich ein toter Mann, ganz egal, wo auf der Welt ich mich verstecke. Das ist mir eure Rache nicht wert!“ Gegen Ende seiner Rede war Aaron etwas lauter geworden und drehte sich jetzt unbehaglich zur Tür um. Erleichtert atmete er unauffällig auf. Keine Spur von Rebekka. Nicht auszudenken, wenn sie etwas von seiner Rede mitbekommen hätte.

 

„Viele Worte für einen so wortkargen Mann wie dich“, stellte Thomas trocken fest.

 

„Das musste mal gesagt werden“, brummte Aaron. „Rebekka ist in höchstem Maße gefährlich. Dich hat sie ja auch schon völlig unter Kontrolle.“ Einen kurzen Gedanken daran, wie gern er die dunkelhaarige Schönheit früher gehabt hatte, verbannte er sofort wieder aus seinem Bewusstsein.

 

„Ist das auch deine Meinung?“, fragte Thomas Erez, der bis jetzt schweigend zugehört hatte.

 

„Na ja, sie kann einem schon Angst einjagen“, gab Erez zögernd zu und wich Thomas´ eindringlichem Blick unbehaglich aus.

 

„Wollt ihr aussteigen?“, fragte Thomas nun lauernd. „Ihr müsst es nur sagen.“

 

„Nein“, antworteten die beiden anderen Männer wie aus einem Mund. Sie wussten genau, dass sie das nicht überleben würden. „Ich möchte nur, dass du deine Schwester etwas besser kontrollierst“, fügte Aaron hinzu.

 

Thomas lächelte kurz, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Macht euch keine Sorgen. Rebekka kriegt sich schon wieder ein. Sie weiß ganz genau, was sie tut. Heute Mittag holen wir uns wie geplant Ziva und dann sehen wir weiter. Eli kann uns hier nichts anhaben. Keine Angst. Er wird nie erfahren, wie das hier abgelaufen ist.“ Im Stillen jedoch musste er Aaron und Erez Recht geben. Rebekka hat sich in den letzten Monaten in Israel schon sehr verändert, doch seitdem sie amerikanischen Boden betreten hatten, war sie kaum mehr zu bändigen. Auch er hatte sich schon gefragt, wohin das noch führen würde, aber er würde sich hüten, das den beiden zu sagen. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr und drehte sich zur Tür:

 

„Rebekka. Alles klar? Wann willst du los?“

 

Rebekka stand schweigend im Türrahmen und warf einen verächtlichen Blick auf die kleine Männerrunde. Diesen Blick hatte Thomas in letzter Zeit häufiger gesehen; er hatte ihn kennen und fürchten gelernt, denn er versprach für gewöhnlich nichts Gutes.

 

„Gibt es Probleme?“, erkundigte sie sich lauernd.

 

„Nein, alles in Ordnung“, versicherte Thomas eine Spur zu schnell.

 

„Dann ist es ja gut. Los, gehen wir in den Keller! Das hier ist schließlich kein Kaffeeklatsch. Wir haben noch eine Menge zu tun.“

 

Kapitel 14

9.44 Uhr – bei Tony im Keller

 

Nach einer Phase unendlicher Verzweiflung, in der Tony seinen Emotionen freien Lauf gelassen hatte, hatte er sich jetzt wieder weitgehend im Griff und lehnte erschöpft an der kalten Mauer. Er war froh, dass er alleine gewesen war, selbst in dieser vertrackten Situation wäre es ihm peinlich gewesen, bei so einem Gefühlsausbruch beobachtet zu werden. Ein DiNozzo klappte nicht zusammen, ein DiNozzo gab nicht auf und vor allen Dingen, ein DiNozzo weinte nicht.

 

Er lebte noch, das war doch immerhin etwas. Wenn er auch keine Vorstellung davon hatte, warum sie ihn wieder ins Leben zurückgeholt hatten. Nur um ihn später der „Wiederholung“ auszusetzen? War das wirklich alles? Irgendwie zweifelte Tony daran und diese Zweifel beunruhigten ihn zutiefst.

 

Gerade eben hatte ihn ein Hustenanfall geschüttelt und bei seinem Glück hatte er sich auch noch eine böse Erkältung eingefangen oder gar Schlimmeres. Jedenfalls hatte er seine Lungen deutlich gespürt, als er wieder etwas zu Atem kam. So gut es ging, hatte er sich in die Decke gehüllt, um die beißende Kälte ein wenig abzuhalten. Es nützte nichts, er zitterte am ganzen Körper und klapperte in einem fort mit den Zähnen.

 

Nachdenklich betrachtete er die Flasche Wasser, die er zur Hälfte leer getrunken hatte. Es war gar nicht so leicht gewesen, sie mit seiner gebrochenen Hand zu öffnen und er hatte die Zähne stark zusammenbeißen müssen, während er sie mit der linken Hand festhielt und mit der Rechten den Verschluss aufschraubte. Aber die wenigen Schlucke Wasser waren das Köstlichste, das er seit langem getrunken hatte und er musste sich schwer zusammenreißen, um die Flasche nicht in einem Zug zu leeren. Als er sich zur Seite drehte, um ein wenig bequemer zu sitzen, zuckte er zum wiederholten Male zusammen. Ein gerade frisch verschorfter Striemen auf seinem Rücken war wieder aufgebrochen und frisches Blut tropfte aus der brennenden Wunde. Sein schlimmster Durst war nun wenigstens vorübergehend gestillt, jetzt begann der Hunger an ihm zu nagen. Immerhin hatte er seit Freitagabend nichts mehr zu sich genommen. Aber er würde den Teufel tun, Rebekka Rivkin um etwas zu bitten…

 

Nachdem er sich eine Weile den Kopf darüber zerbrochen hatte, was wohl der wahre Grund für seine Wiederbelebung gewesen war, gab er es auf. Er war sich sicher, dass er nicht darauf kommen würde, schließlich war er nicht so paranoid wie diese völlig durchgeknallte Frau dort oben. Wer wusste schon, was in so einem Kopf vorging? Früher oder später würde er es sowieso erfahren. Je länger es dauerte, umso besser.

 

Wichtiger war für ihn jetzt, sich auf eine andere Frage zu konzentrieren. Wie sollte er sich verhalten, wenn die vier für die „Wiederholung“ im Keller auftauchten? Er musste sich dringend etwas einfallen lassen, denn er konnte sich nicht vorstellen, dieses Procedere noch einmal durchzustehen. Was, wenn sie ihn womöglich beim nächsten Mal zu spät zurückholten und sein Gehirn zu lange ohne Sauerstoff blieb? Am Ende müsste er sein Leben auf dem geistigen Stand eines Kleinkindes weiterführen. Was würde dann aus ihm und Ziva werden? Gott, das würde alles verändern, soviel war sicher. Es lag an ihm, einen Weg zu finden, solange wie möglich klar im Kopf zu bleiben. Irgendwann würden seine Freunde kommen und ihn befreien. Er musste nur weiter ganz fest daran glauben. Das Team würde einen Weg finden, ihn hier rauszuholen. Sicher waren sie längst alle auf der Suche nach ihm. Wochenende hin oder her. Wie er seine Freundin kannte, hatte sie bestimmt bereits kurz nach seinem Verschwinden alle zusammengetrommelt und jetzt arbeiteten sie fieberhaft daran, ihn zu finden.

 

Tony lächelte gequält vor sich hin. Wahrscheinlich war Gibbs mal wieder wütend auf ihn. Dass er jetzt nicht hier war, bewahrte ihn mit Sicherheit vor einer Kopfnuss biblischen Ausmaßes. Dabei konnte er dieses Mal wirklich nichts dafür, dass er schon wieder in einer solchen Bredouille steckte. Als dieser Anruf kam, hatte er einfach nur unheimliche Angst um Ziva gehabt. Jeder andere hätte doch in einer solchen Situation genauso reagiert, oder etwa nicht? Nein, er hatte sich nichts vorzuwerfen! Darüber brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Was er brauchte, war einen Schlachtplan, um weiter durchzuhalten, bis die anderen ihn fanden. Wenn bloß die verdammten Schmerzen nicht wären … Er konnte ja kaum noch einen klaren Gedanken fassen, doch er brauchte unbedingt einen klaren Kopf. `Also, DiNozzo´, dachte er. `Reiß dich gefälligst zusammen und denk dir was aus.’

 

Tony veränderte leicht die Position und stöhnte unwillkürlich wieder leise auf. Doch gleich darauf riss er die Augen auf. Mann, das war es! Wenn die vier wiederkamen würde er einfach ´toter Mann´ spielen. Wenn er den Bewusstlosen spielte, würden sie ihn hoffentlich erstmal in Ruhe lassen. Sie würden nicht riskieren, dass er starb, denn sie hatten schließlich noch etwas mit ihm vor – was auch immer. Schlimmstenfalls die `Wiederholung´. Im Augenblick war er wahrlich nicht scharf darauf, das herauszufinden. Die Frage war nur, ob er das durchhielt, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihn einfach ruhig liegen ließen, war sehr gering. Ach was, er würde das schon irgendwie hinkriegen…

 

Vor seiner Tür wurden Geräusche laut. Schritte näherten sich. `Mist´, dachte Tony. `Nicht doch jetzt schon! Ich brauche noch etwas Zeit! Verdammt, ihr seid doch eben erst hier weg.’

Die Schritte näherten sich unaufhörlich und Tony merkte schnell, dass ihm keine Zeit mehr für lange Vorbereitungen blieb. Er ignorierte seine Schmerzen und versuchte hektisch, sich noch rechtzeitig in eine wenigstens einigermaßen bequeme Position zu bringen, was mit seinen gebrochenen und geschundenen Knochen wirklich nicht einfach war. Insbesondere da er ja auch immer noch mit einer Hand an die Wand gekettet war. Er bettete seinen Kopf in die Mulde zwischen Schulter und Achselhöhle und schloss die Augen. Dabei trichterte er sich immer wieder ein, dass er sich in den kommenden Minuten absolut ruhig verhalten musste, ganz egal, was sie mit ihm anstellen würden. `Du schläfst nicht, DiNozzo, du liegst in tiefer Bewusstlosigkeit. Merk dir das, alter Junge!’

 

Schon hörte er, wie die Kellertür aufgeschlossen wurde und seine Peiniger den Raum betraten. Er wagte es nicht mehr, den Kopf zur Tür zu drehen. Jetzt galt es! Noch einmal tief Luft holen und dann ruhig und gleichmäßig weiteratmen. Tony schloss die Augen und ergab sich in sein Schicksal.

 

 

9.47 Uhr – NCIS Hauptquartier

 

Gibbs, der kurzzeitig das Großraumbüro verlassen hatte, um mit Vance zu telefonieren und gleichzeitig auch Ducky zu informieren, der an diesem Wochenende Dienst in der Pathologie hatte, kehrte mit einem Tablett voll Caf-Pow zurück. Wortlos stellte er jedem seiner Agenten und Abby je einen Becher vor die Nase. Abby griff umgehend danach und trank wie eine Verdurstende. McGee blickte überrascht auf:

 

„Ähm, danke Boss“, sagte er leicht verunsichert, denn zumeist versorgte Gibbs nur Abby und sich selber.

 

„Wir brauchen alle etwas, was uns wach und bei der Stange hält“, antwortete Gibbs kurz. „Also trink!“ Automatisch griff McGee nach dem Becher und setzte ihn gehorsam an die Lippen. „Also? Was haben wir?“ Gibbs schaute sein Team abwartend an. Es war klar, dass er selbstverständlich davon ausging, dass sie in seiner Abwesenheit neue Informationen für ihn gefunden hatten.

 

McGee stellte seinen Becher ab und fütterte seine Tastatur mit einem kurzen Befehl. Unmittelbar darauf wurde ein Passbild auf dem großen Bildschirm sichtbar. Es zeigte einen Mann mittleren Alters mit mittelblondem kurzem Haar, das er korrekt gescheitelt trug. Dem Gesicht nach zu urteilen schien er zumindest untersetzt zu sein. Auf der Nase trug er eine etwas altmodische Nickelbrille. Der Mann auf dem Foto wirkte absolut durchschnittlich.

 

„Das ist Alex Portsmith“, verkündete McGee. „Der Mann von dessen Handy aus der Anruf in Ziva´s und Tony´s Wohnung getätigt wurde“, fügte er überflüssigerweise hinzu.

 

„McGee, DAS wissen wir bereits. Was haben wir sonst über den Mann?“

 

„Er ist 42 Jahre alt. Ledig und so wie es aussieht Single. Er arbeitet für verschiedene Firmen freiberuflich als Buchhalter.“

 

„So sieht er auch aus“, murmelte Gibbs leise vor sich hin, während er das Foto genau studierte, dann wandte er sich wieder an McGee: „Habt ihr es nochmal mit dem Handy probiert?“

 

„Ähm, ja, es ist immer noch ausgeschaltet“ antwortete dieser.

 

Mit stechendem Blick starrte Jethro nochmal auf das unauffällige Gesicht von Alex Portsmith, als könnte er so in dessen Gedanken eindringen. Schließlich löste er sich von dem Bild und drehte sich wieder zu McGee um. „Weiter, was hast du noch?“

 

„Vor knapp einem Jahr ist er hier nach Washington gezogen.“

 

„McGee, die Adresse“, forderte Gibbs ungeduldig.

 

„Er ist gemeldet in Washington D.C, South Kensington, Colchester Nr. 107.

 

„Ziva, schnapp dir deine Sachen“, befahl Gibbs. „Wir werden Mr. Portsmith mal freundlich fragen, was er von euch wollte. Und gnade ihm Gott, wenn er dafür keine plausible Erklärung hat.“

 

Ziva sprang auf und griff nach ihren Sachen. Endlich gab es wieder etwas zu tun. Das Herumsitzen machte sie noch wahnsinnig. Gibbs reichte einen Zettel an McGee.

 

„Tim, du fährst raus zu diesen Adressen. Das sind die Personen, die im Flugzeug in unmittelbarer Nähe der Rivkin-Geschwister saßen. Du weißt, wie du vorzugehen hast?“

 

„Ja, klar Boss. Du kannst dich auf mich verlassen.“

 

Abby war aufgesprungen. „Ich fahre mit Tim.“

 

„Nein“, erwiderte Gibbs.

 

„Aber…“

 

„Nein, Abby. Dich brauch´ ich hier. Beschäftige dich weiter mit deinen Babys. Lote den Background von Portsmith aus. Ich will alles wissen. Wo kommt er her? Was hat er früher gemacht? Hat er vielleicht Dreck am Stecken? Es muss eine Verbindung geben zwischen Portsmith und Rebekka und Thomas Rivkin. Finde sie! Außerdem brauche ich hier jemanden, der beim Telefon ist. Wenn du was findest, ruf mich an.“

 

„Okay, du bist der Boss.“ Abby schien nicht begeistert, aber sie sah ein, dass es noch viel zu tun gab. „Passt auf euch auf.“

 

„Sicher, werden wir. – Und gib Ducky Bescheid. Der reißt uns den Kopf ab, wenn wir ihn nicht auf dem Laufenden halten.“

 

Kapitel 15

9.49 Uhr – bei Tony im Keller

 

Tony spürte den Luftzug, als die Kellertür sich schloss. Er gab keinen Mucks von sich und rührte sich keinen Millimeter, obwohl er es sehr irritierend fand, seinen Gegnern dieses Mal nicht in die Augen sehen zu dürfen. Gespannt und nervös wartete er ab, was passieren würde.

 

„Was ist los mit ihm?“, fragte in diesem Augenblick Rebekka und ihre Stimme klang verwirrt. „Aaron, sieh´ nach, ob er tot ist. Scheiße, wenn der uns hier so einfach krepiert ist, krieg' ich `nen Anfall.“

 

Aaron kniete schon neben Tony und fühlte seinen Puls. „Beruhige dich, er lebt. Aber es sieht so aus, als wäre er bewusstlos.“

 

„Bist du sicher?“ Rebekka trat Tony in die Seite und er hatte alle Mühe, nicht aus seiner Rolle zu fallen. „Vielleicht markiert er ja nur.“

 

Als Rebekka erneut zutrat, biss sich Tony reflexartig so fest auf die Zunge, dass er gleich darauf den metallischen Geschmack seines Blutes im Mund schmeckte. Er bemühte sich, alles möglichst unauffällig zu schlucken, doch offensichtlich lief ihm ein schmales Rinnsal aus dem Mundwinkel heraus. Er spürte, wie die warme Flüssigkeit sich ihren Weg über seine Wange suchte und betete, dass es niemandem auffiel. Doch da bemerkte Aaron:

 

„Wenn du so weitermachst, bringst du ihn noch um.“

 

„Was? Wieso? Ein paar Tritte wird er doch wohl noch aushalten.“

 

„Ich weiß nicht, wie viel er noch aushält. Er blutet schon aus dem Mund. Ich bin kein Mediziner, aber das ist sicher kein gutes Zeichen. Soweit ich weiß, willst du ihn doch lebend.“

 

„Natürlich! Du weißt doch, was wir vorhaben. Verweichlichter Ami“, antwortete Rebekka und spuckte Tony ins Gesicht. Es kostete Tony alle Überwindung, die er aufbringen konnte, sich Rebekkas Speichel nicht umgehend aus dem Gesicht zu wischen.

 

„Halt dich einfach etwas zurück, okay“, mischte sich jetzt Thomas ein. „Wir haben ihm in den letzten 24 Stunden ganz schön zugesetzt. Gönn' ihm `ne Pause. Dann ist er auch nachher vielleicht wieder in einer besseren Verfassung.“

 

„Gut“, sagte Rebekka und dann sagte sie die Worte, die Tony das Blut in den Adern gefrieren ließen. „Holen wir uns Ziva. Sie sollte unbedingt erleben dürfen, wie ihr Lover seinen letzten Atemzug tut, bevor es sie selber trifft.“

 

 

9.58 Uhr – Vor Alex Portsmith´s Wohnung in Washington

 

Alex Portsmith´ Meldeadresse lag in einer ruhigen Wohngegend Washingtons. Der Mann wohnte in einem relativ neuen Apartmentkomplex mit gepflegter Gartenanlage, Swimming-Pool und Spielplatz. Während Gibbs und Ziva noch nach der richtigen Hausnummer suchten, blickten sie sich um und schauten sich mehrfach zweifelnd an. Jeder von beiden wusste, was der andere dachte. Diese Umgebung passte nicht wirklich zu einem Mann, dem sie unterstellten, an der Entführung eines Bundesagenten beteiligt zu sein. Nachdem ihnen jedoch einige Passanten begegnet waren, die mehr oder weniger alle grußlos an ihnen vorbeigegangen waren, verlor Ziva die Geduld und sprach die nächste Person, die ihnen begegnete einfach an:

 

„Entschuldigung, vielleicht können Sie uns helfen. Wir suchen die Wohnung von Alex Portsmith?“

 

Die junge Frau, die einen Kinderwagen vor sich her schob, blieb kurz stehen. „Portsmith? Nie gehört. Aber ich wohne auch noch nicht lange hier. Ich könnte Ihnen noch nicht einmal sagen, ob er in unserem Haus wohnt, oder nicht.“

 

„Oh, na ja, schade. Vielen Dank trotzdem. Aber wie wir zur Hausnummer 107 kommen, können Sie uns doch sicher sagen?“

 

„Nein.“ Die Frau zuckte bedauernd mit den Schultern. „Wissen Sie, hier wohnt man ziemlich anonym. Ich kenne noch nicht einmal meine direkten Nachbarn. Das ist auch ein Grund, warum ich hier so bald wie möglich wieder weg möchte. Wenn mein Mann arbeitet komme ich mir total isoliert vor. Ich fühle mich hier einfach nicht wohl. Deshalb verlasse ich so oft wie es geht den Komplex und besuche Freunde.“

 

Ziva nickte verstehend. „Trotzdem vielen Dank. Einen schönen Tag noch.“

 

„Danke und viel Erfolg bei der Suche nach ihrem Freund.“ Die Frau wandte sich ab und ging weiter in Richtung Hauptein- und –ausgang des Komplexes.

 

Ziva blickte ihren Chef vielsagend an: „Sieht so aus, als könne man hier prima unbemerkt kommen und gehen.“

 

Gibbs nickte: „Du hast Recht. Es wirkt hier zwar nicht so, aber wenn sich hier niemand um den anderen schert, ist das der ideale Ort, um unterzutauchen. Komm, suchen wir weiter.“

 

Ein paar Minuten später hatten sie endlich die richtige Hausnummer gefunden. Sie suchten die Klingeln ab und fanden ein handgeschriebenes Schild „A. Portsmith“. Gibbs legte den Finger auf den Klingelknopf und wartete ab. Nichts geschah. Er wiederholte den Vorgang und ließ seinen Zeigefinger diesmal etwas länger auf der Klingel. Noch immer blieb alles ruhig.

 

„Sieht so aus, als wäre der Geier ausgeflogen“, meinte Ziva enttäuscht.

 

„Vogel, Ziva. Einfach nur Vogel“, korrigierte Gibbs automatisch, während er den Kopf in den Nacken legte und an der Hausfront hochblickte.

 

„Von mir aus auch das“, sagte Ziva unwirsch. „Ich versteh´ nicht, was das für einen Unterschied macht. Ein Geier ist doch schließlich ein Vogel, oder etwa nicht? Was machen wir jetzt? Wir haben keine Handhabe, in das Haus einzudringen.“

 

Just in diesem Augenblick öffnete sich die schwere Eingangstür und ein junges Paar trat aus dem Haus. Bereitwillig hielten sie Gibbs und Ziva die Tür auf.

 

„Möchten Sie rein?“

 

„Gerne“, antwortete Gibbs reaktionsschnell. „Danke.“ Er nickte kurz zu Ziva hin. „Sie ersparen uns eine Ehekrise. Ich habe meinen Schlüssel im Büro vergessen und meine Frau kann ihren mal wieder nicht in dieser riesigen Handtasche finden.“ Er wies mit einer Hand auf Ziva´s große braune Umhängetasche, die sie über der Schulter trug. Dafür erntete er einen empörten Blick seiner Agentin, den er jedoch gewohnt souverän ignorierte.

 

„Oh Mann, das kenne ich“, lachte der junge Mann. „Frauen und ihre Handtaschen… Na ja, schön, dass wir Ihnen helfen konnten. Wir müssen los. Schönen Tag noch.“

 

„Danke.“ Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, sagte Gibbs zufrieden. „Na, das klappte ja schon mal ganz hervorragend. Jetzt müssen wir nur noch die Wohnung finden.“

 

Kurz darauf hatte die beiden auch das geschafft und nun standen sie in einem langen, schlecht ausgeleuchteten Flur vor Portsmith´s Wohnungstür.

 

„Was hast du vor?“, fragte Ziva.

 

„Was glaubst du wohl?“, antwortete Gibbs. „Einer meiner Männer ist verschwunden und der Kerl, der hier wohnt, hat offensichtlich damit zu tun.“ Er holte ein flaches Mäppchen aus der Innentasche seines Jacketts, öffnete den Reißverschluss und zog einen Dietrich hervor. „Ich sehe das so: Hier ist Gefahr im Verzug und wir müssen uns unverzüglich Zutritt verschaffen. Ein Bundesagent könnte in dieser Wohnung in akuter Gefahr schweben.“

 

„Hier? Das glaubst du doch wohl selber nicht.“

 

„Natürlich nicht. Aber es könnte immerhin so sein.“ Gibbs ging in die Knie und machte sich an dem Schloss zu schaffen. „Halt die Augen auf“, forderte er Ziva auf. „Es muss ja nicht gerade jemandem auffallen, dass wir hier einbrechen.“

                                                                                             

Eine Minute später standen sie im Flur des kleinen Apartments. Beide hatten sicherheitshalber ihre Waffen gezückt, doch wie erwartet blieb alles ruhig. Schweigend schickte Gibbs Ziva durch ein Kopfnicken zur rechten Tür, die vom Flur abging, während er sich vorsichtig nach vorn ins Wohnzimmer schob.

 

„Sauber“, teilte er Ziva gleich darauf mit.

 

„Hier auch“, kam prompt ihre Antwort und er hörte wie sie über den Flur ging und die gegenüberliegende Tür öffnete. Gleich darauf sagte sie alarmiert: „Gibbs, das solltest du dir mal ansehen.“

 

Er steckte seine Waffe ein und betrat das kleine Badezimmer des Apartments. Ziva stand am Waschbecken und wies auf eine blonde Perücke, die in einem Regal lag. Daneben befand sich etwas, das verdächtig nach Wangenpolstern aussah. Ein Regalbrett höher fanden sie professionelle Theaterschminke und falsche Frontzähne zum überschieben.

 

„Sieht so aus, als wären wir auf der richtigen Spur“, meinte Ziva. „Portsmith hat etwas zu verbergen – und wenn es nur sein richtiges Aussehen ist.“

 

„Wir sind auf der richtigen Spur“, antwortete Gibbs grimmig. „Ich wüsste nicht, wozu ein freiberuflicher Buchhalter den Kram braucht. Pack alles ein! Das Zeug muss zu Abby. Wenn Portsmith die Sachen getragen hat, müssen Spuren daran sein. Beeil dich. Ich will so schnell wie möglich zurück ins Hauptquartier.“

 

Den Befehl hätte er sich sparen können, denn Ziva war schon bei der Arbeit.

 

„Ich werde inzwischen mal die direkten Nachbarn befragen. Vielleicht kann uns ja doch einer weiterhelfen.“

 

„Tu das, ich komme dann gleich nach.“

 

 

10.02 Uhr – Bei den Rivkin´s

 

Rebekka, Thomas und Erez saßen bereits am Tisch, nur Aaron fehlte noch. Ungeduldig fauchte Rebekka ihren Bruder an: „Wo ist er!?“ Doch im gleichen Moment, als Thomas schulterzuckend bekundete, dass er es nicht wusste, betrat Aaron die Küche und wurde augenblicklich angekeift:

 

„Ich hatte 10.00 Uhr gesagt, soviel ich weiß. Was hast du daran nicht verstanden?“

 

„Zwei Minuten!“ Aaron blickte auf seine Uhr. „Es ist zwei Minuten nach 10.00, das wird doch wohl nicht so schlimm sein! Kein Grund, sich aufzuregen.“

 

„Ach, findest du?“

 

Der mörderische Blick Rebekkas jagte Aaron einen Schauer über den Rücken, wie so oft in letzter Zeit. Es wurde wirklich höchste Eisenbahn, diese Aktion zu beenden. Er hatte einfach keine Lust mehr auf diese durchgeknallte Person und ihre Launen. Wenn er daran dachte, wie er sie als Teenager angebetet hatte, kam ihm das beinahe vor wie aus einem anderen Leben. Was war bloß aus dem hübschen, fröhlichen, unternehmungslustigen Mädchen geworden, in das er sich damals verliebt hatte? Und verdammt noch mal, er hatte sie geliebt. Mehr als gut für ihn gewesen war.

 

„Das nächste Mal bist du pünktlich, und zwar auf die Minute, hast du mich verstanden?“ Mit eisesklirrender Stimme machte Rebekka deutlich, dass für sie nicht einmal eine Minute akzeptabel war.

 

„Okay, okay, können wir jetzt anfangen?“, erwiderte Aaron, ohne sie anzusehen, setzte sich und konzentrierte sich auf den Notizblock, den er vor sich liegen hatte. Himmel, warum hab´

ich mich bloß darauf eingelassen, dachte er still bei sich. Das Ganze wird mehr und mehr zum Himmelfahrtskommando.

 

Nacheinander blickte die schwarzhaarige Israelin ihre drei Komplizen an, bevor sie zu sprechen begann. „Ziva irgendwo alleine zu erwischen und zu überwältigen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Dieser grauhaarige Typ ist ja permanent in ihrer Nähe. Es wäre auch viel zu gefährlich. Also dachte ich mir, wir müssen sie dazu bringen, dass sie sich uns freiwillig ausliefert!“

 

„Freiwillig?“ Aarons Kopf fuhr hoch und er starrte Rebekka aus großen Augen an. Langsam zweifelte er wirklich an ihrem Geisteszustand.

 

„Wie willst du das denn anstellen. Sie ist doch nicht verrückt!“ wandte auch Erez ungläubig ein.

 

„Ich glaub's einfach nicht! Kommt denn wirklich keiner von euch auf die Idee, sie mit ihrer Liebe zu dem Kerl in unserem Keller zu ködern?“, giftete Rebekka. Beredtes Schweigen erfüllte das Zimmer. Nachdem sie die drei Männer, die alle ziemlich kleinlaut ihren bohrenden Blicken auswichen, nacheinander gemustert hatte, fuhr sie kopfschüttelnd fort. „Wie gut, dass wenigstens ich meinen Kopf zum Denken benutze“, meinte sie mit vor Hohn triefender Stimme. „Hört zu. Eine alte Freundin beim Mossad hat mir ihre Handy-Nr. besorgt und ich werde sie gegen 11.30 Uhr anrufen. Wenn ich ihr klar mache, dass wir diesem DiNozzo um Punkt 12.oo Uhr das Licht ausblasen, wenn sie nicht unbewaffnet und allein zu einem vereinbarten Treffpunkt kommt, dann wird sie nichts eiligeres zu tun haben, als sofort los zu rennen, um das armselige Leben ihres Liebhabers zu retten.“

 

„Aber wie willst du verhindern, dass sie ihren Kollegen Bescheid gibt, sie zu beschatten. Vergiss nicht, das sind keine Amateure. Wir sollten nicht den Fehler machen, sie zu unterschätzen. Die Typen sind nicht schlecht, womöglich überrumpeln sie uns“, wagte Thomas einen Einwand.    

 

„Glaubst du etwa, daran hätte ich nicht gedacht?“, fragte Rebekka ihren Bruder verächtlich. „Keine Angst, das werde ich ihr schon ausreden. Erstens werde ich ihr keine Zeit lassen, irgendwelche Überlegungen anzustellen. Die Entfernung des Treffpunktes lege ich so, dass sie es gerade so schaffen kann, ihn rechtzeitig zu erreichen. Und ich lasse sie pausenlos in der Leitung bleiben, so dass ich alles mithören kann, was sie sagt.“ Selbstsicher wanderte ihr Blick über die anderen. „Glaubt mir, ich werde es merken, wenn sie mich reinlegen will. Aber das wird sie nicht tun. Ich bin mir vollkommen sicher, sie wird allein kommen. Sie wird absolut nichts tun, um das Leben von Michaels Mörder zu gefährden.“

 

Keiner der Männer wagte einen Einspruch, selbst ihnen schien der Plan ziemlich erfolgversprechend zu sein. Zustimmend nickte Thomas schließlich mit dem Kopf. „Also gut, dann machen wir es so.“ Er griff zu einem Stift, der vor ihm auf dem Tisch lag und sah die anderen an. „Wie sieht der genaue Zeitablauf aus?“, fragte er.

 

Rebekka zog ein Blatt hervor, auf dem sie schon einen groben Ablauf festgelegt hatte. Konzentriert begannen sie nun, gemeinsam den Plan für die Gefangennahme Zivas auszuarbeiten.

 

Fortsetzung im neuen Thread...

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Kommentare: 1
  • #1

    Masticating Juicer (Mittwoch, 24 April 2013 12:15)

    This is an excellent write-up! Thanks for sharing!