20.55 h - oder "die erste Stunde vom Rest eines Lebens" - Thread II

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Kapitel 6

In Abby´s Labor

 

Abby, … Abby, wo steckst du?“ Ziva blickte sich suchend im Labor um, doch die quirlige Gothbraut war nirgends zu entdecken. Die Israelin schüttelte verwirrt den Kopf. Abigail Sciuto, ihre beste Freundin, die wohl verrückteste, ungewöhnlichste, aber gleichzeitig auch beste Forensikerin dies- und jenseits von Washington, musste hier sein. Immerhin drohte Abby´s unverwechselbares Anwesenheitsprofil ihr gerade das Trommelfell platzen zu lassen. Aus dem CD-Player dröhnte mit ohrenbetäubender Lautstärke hämmernder Rock; so laut, dass der Boden zu vibrieren schien Ziva nahm zumindest an, dass es sich um Rock handelte – sie kannte sich da nicht so aus. Letztendlich war es ihr aber auch egal und sie beeilte sich, den Krach, den Abby stets so großspurig als Musik bezeichnete, abzustellen. Die plötzlich eintretende Stille war im ersten Moment fast unheimlich, doch die NCIS-Agentin atmete erleichtert auf und fragte sich zum wiederholten Male, wie ihre Freundin das bloß immer aushielt. So, nun musste sie erfahrungsgemäß nur noch abwarten. Entspannt lehnte sie sich an eine Schreibtischkante, während ein kleines Lächeln um ihre Lippen spielte.

 

„Hey, hey…Was zum Teufel soll das?“, erklang gleich darauf eine ziemlich erboste Stimme, die im ersten Moment nicht sofort zu lokalisieren war. Ziva schaute sich um und im nächsten Augenblick erkannte sie, warum Abby nicht zu sehen gewesen war. Ihr Lächeln wurde breiter und sie beobachtete höchst amüsiert, wie die dunkelhaarige Forensikerin sich rückwärts auf allen Vieren krabbelnd, leise vor sich hin schimpfend, zwischen einem unglaublichen Gewirr von Kabeln und Verbindungssteckern unter einem der Schreibtische im Nebenraum hervorkämpfte. Erst als sie sich sicher sein konnte, dass sie sich beim Aufstehen nicht den Kopf anschlagen würde, kam sie umständlich auf die Füße, rückte ihren feuerroten Faltenminirock wieder in die richtige Position, strich sich ihren weißen Kittel glatt, atmete einmal tief durch und fuhr schließlich mit wehenden Rattenschwänzen herum – offenbar bis in die Fingerspitzen dazu bereit, dem dreisten Eindringling, der es wagte, sich ungefragt an ihrem CD-Player zu vergreifen, gehörig die Meinung zu geigen. Als sie ihre Freundin erkannte, die immer noch lächelnd am Schreibtisch lehnte, hielt sie mitten in der Bewegung inne und ihr bereits geöffneter Mund schloss sich wieder. Sie warf einen schnellen Blick über die Schulter zurück und es war offensichtlich, dass ihr Problem unter dem Schreibtisch noch nicht gelöst war.

 

Ziva nickte kurz als Begrüßung: „Hallo Abby. Hast du einen Moment Zeit für mich?“

 

 „Sicher, Ziva. Worum geht´s?“ Wieder ein sehnsüchtiger  Blick über die Schulter zurück in den Nebenraum. „Aber warum hast du mich denn nicht einfach gerufen?“

 

„Oh, ich habe dich gerufen – aber bei dem Krach hier hast du mich wohl nicht gehört“, stellte die Israelin mit einem Kopfschütteln fest. Dann gab sie sich einen Ruck. Sie wusste, sie musste Abby erst auf ihr Problem ansprechen, bevor ihre Freundin sich dann voll auf Ziva konzentrieren würde. Es kostete in ihren Augen zwar nur unnötig Zeit, aber sie kannte Abby inzwischen lange genug, um zu wissen, wie ihre Freundin und Kollegin tickte. „He, was hast du da übrigens unter dem Tisch gesucht? Sieht ja wüst aus“, fügte sie mit einer Handbewegung in Richtung des Schreibtisches hinzu.

 

„Oh ja, ich… ähm, ich habe mir überlegt, die Verbindung von meinem Computer hier zu ein paar der forensischen Geräte dort drüben zu optimieren. Das könnte den Vorteil haben, dass unser aller Bossman schneller an seine geliebten Ergebnisse kommt. Hmm, soweit der Plan. Aber irgendwie funktioniert das noch nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe und das macht mich wahnsinnig. Ich glaube, bevor ich alles endgültig zusammen stöpsle, sollte ich besser erst noch McGee um Rat fragen…bei einem der Anschlüsse bin ich mir noch nicht so ganz sicher ...ich habe zwar eine Idee, aber ob das auch so zu verwirklichen ist, weiß ich nicht. Ich meine, Gibbs reißt mir den Kopf ab, wenn ich hier das ganze System zusammenbrechen lasse, soviel ist mal sicher, oder? Verstehst du, was ich meine?“

 

Ziva pustete die Wangen auf und hob ratlos beide Hände an. Wenn sie ehrlich war, verstand sie kein Wort von dem, was Abby da plante, aber in einem Punkt gab sie ihrer Freundin ganz sicher recht: „Wenn du hier das System zusammenbrechen lässt, möchte ich nicht in deiner Haut stecken, wenn Gibbs das rauskriegt.“ Sie nickte heftig zur Bekräftigung ihrer Worte: „Es ist sicher eine gute Entscheidung, erst noch McGee zu fragen – he, ich werde ihn dir gleich runterschicken, okay?“

 

„Hmm, hmm, tu‘ das. Danke, eine gute Idee. Ja, das ist es sicher.“  Einen Moment lang betrachtete Abby noch mit schief gelegtem Kopf und ernstem Gesicht ihre Gerätschaften, doch dann riss sie sich vom Anblick ihrer geliebten „Mitarbeiter“ los und wandte sich wieder Ziva zu: „Übrigens, meine Liebe, das ist kein Krach, das ist Android Lust…eine absolut geile Band. Wenn du willst, nehme ich dich mal mit zu `nem Konzert.“

 

„Na, wenn du das sagst. – Und, äh…nein danke, nett von dir, aber kein Bedarf.“

 

„Schade, glaub mir, du versäumst was. - Aber du bist doch sicher nicht ohne Grund hier? Sprich! Ich bin ganz Ohr.“

 

Ziva konnte es mal wieder kaum fassen, wie schnell Abby einen Themenwechsel vollziehen konnte. Eigentlich sollte sie sich längst daran gewöhnt haben, aber erstaunlich fand sie es doch immer noch. „Ja, klar. Es geht um den Fall Lieutenant Matthew North. Den Jungen aus bestem Haus – bei dem sich herausgestellt hatte, dass er homosexuell und sein Freund ein Farbiger aus dem Armenviertel war. Du erinnerst dich?“

 

„Ja klar! Ich bin voll im Bilde. Und? Wie kann ich euch helfen?“

 

„Du sollst diese Proben hier untersuchen. Sie sind von drei Kameraden von Lieutenant North. McGee und ich haben in den letzten Tagen mindestens 200 Matrosen überprüft und diese Drei haben sich verdächtig gemacht. Sie sind irgendwie nicht koscher, doch wir haben nichts wirklich Greifbares gefunden, um tätig werden zu können. ABER: Wir haben in der Waschküche des Schiffes noch ein paar Kleidungsstücke finden können, die noch nicht gewaschen waren. Das war das erste Mal, dass ich mich über diese Namensschildchen so richtig gefreut habe…“ Ziva grinste kurz und reichte Abby eine Tüte. „Hier! Vielleicht finden sich daran ja irgendwelche Spuren vom Tatort oder besser noch von Lt. North. Wenn etwas mit den Proben übereinstimmt, stehen sie unter dringendem Verdacht, ihn umgebracht zu haben. Das gäbe uns einen Grund, sie vorübergehend festzusetzen und – sollten die Beweise nicht ausreichen – die Ermittlungen fortzusetzen. Die Drei sind erstens Rassisten und zweitens Schwulenhasser allererster Güteklasse. Das ist ein offenes Geheimnis auf dem Stützpunkt und damit halten sie auch nicht hinter dem Berg. Gibbs´ Gefühl sagt, dass sie schuldig sind und ich glaube das auch, wir müssen es ihnen nur noch einwandfrei nachweisen.“ Ziva legte zusätzlich noch mehrere kleinere Probenbeutel auf den Tisch. „Ähm, was meinst du, wie lange es dauert, bis du die Ergebnisse hast?“

 

Abby warf ihr einen forschenden Seitenblick zu: „Fragst du mich das, oder kommt das vom Bossman?“

 

Statt einer Antwort zuckte Ziva nur mit den Schultern und bemühte sich, um einen entschuldigenden Blick. Ihre Freundin wusste sofort, was sie davon zu halten hatte und schnaubte kurz.

 

„Sag´ unserem silberhaarigen Fuchs, es dauert, solange es eben dauert! - Ich beeil´ mich, okay“, schob Abby dann noch nach, da sie ja wusste, wie ungeduldig Jethro war. Ihrer Meinung nach war der Mann ein Widerspruch in sich: Einerseits hasste er alles, was mit Technik zu tun hatte und andererseits erwartete er von ihr und ihren heißgeliebten Maschinen Ergebnisse – wenn möglich mit Lichtgeschwindigkeit. Dabei war es ihm völlig gleichgültig, wie sie es anstellte – ihm war nur wichtig, dass sie am Ende etwas vorzuweisen hatte. Abby musste kurz schmunzeln, als sie daran dachte, wie damals der Strom ausgefallen war und sie alle damit zu kämpfen hatten. Es hatten Zustände geherrscht wie in der Steinzeit, und doch…sie hätte schwören können, dass Gibbs das Spektakel irgendwo sogar genossen hatte.

 

„Alles klar, danke.“ Ziva wollte sich schon wieder auf den Weg zum Aufzug machen, als die Forensikerin ihre Freundin am Arm packte und zurückhielt. „Ziva, warte kurz.  – Wie geht’s Tony?“ Sie machte eine kurze Pause. „Und wie geht’s dir?“ Sie sah der ehemaligen Mossad-Agentin fragend in die Augen, jedoch keinesfalls neugierig, sondern in ihrer typischen, mitfühlenden, sich Harmonie in allen Lebenslagen wünschenden Art. „Du weißt sicher, dass ich ihn angerufen habe und vorbeikommen wollte, aber er meinte, es wäre besser, wenn er im Moment noch keine Gäste empfängt.“ Als sie an das Telefonat dachte, dass sie vor einigen Tagen mit Tony geführt hatte, konnte sie nicht anders, als kurz wütend mit dem Fuß aufzustampfen. „Als ob ich ein Gast wäre“, setzte sie dann – immer noch enttäuscht über seine Ablehnung – hinzu,

 

Ziva nickte und wollte Abby´s Frage zuerst schon mit einem lapidaren „Gut“ abtun. Allerdings wollte sie die gemeinsame Freundin nicht auch noch vor den Kopf stoßen. Also hielt sie inne und dachte einige Sekunden nach, bevor sie antwortete. Viel, sehr viel war in den letzten Wochen auf sie eingestürzt und auch wenn sich ihr Alltag nach und nach normalisiert hatte, war doch noch längst nicht alles wieder wie früher. Zuviel hatte sich durch Rebekkas brutales Eingreifen in ihr Leben verändert. Tony hatte sich verändert. Ob sie selber sich auch verändert hatte, war etwas, dass sie sich selber gar nicht beantworten konnte. Wer weiß, vielleicht konnte Abby ihr da ja etwas zu sagen? Aber was sie in der letzten Zeit mit am meisten beschäftigte, war, dass sie und Tony beide bewusst oder unbewusst das Thema 'Heirat' mieden. Dass ihr Lebensgefährte Probleme hatte, das Geschehene zu verarbeiten, hatte sie längst erkannt. Sie versuchte ja auch, ihm bei der Bewältigung zu helfen, aber ob es ihr auch gelang …? Mittlerweile hatte sie da so ihre Zweifel und der häufige Sex alleine machte sie noch nicht zu einem glücklichen Paar, da machte sie sich nichts vor. Zu oft erwischte sie Tony, wenn er sich unbeobachtet glaubte, wie er einfach nur mit leerem Blick vor sich hinstarrte und stumm irgendwelche Probleme wälzte, an denen er sie nicht teilhaben ließ. Fragte sie ihn dann, was los sei, so antwortete er meist nur „Nichts, alles in Ordnung.“ Dabei war es alles andere als `in Ordnung´, das spürte sie sehr wohl, doch sie spürte auch mit zunehmender Verzweiflung, dass sie immer weniger an ihn herankam – weil er es nicht mehr zuließ!

 

Es machte sie schon ein wenig traurig, dass Tony, seit sie beide aus dem Folterkeller befreit worden waren, nicht mehr über eine Heirat gesprochen hatte. Und sie selber wollte das Thema auch nicht ansprechen, weil sie befürchtete, dass Tony ihr damals den Antrag womöglich nur in dem Irrglauben gemacht hatte, dass sie ihr Gefängnis nicht mehr lebend verlassen würden und es somit auch nie zu einer Hochzeit kommen konnte. Vielleicht war er doch noch nicht dazu bereit, sich ganz offiziell an sie zu binden und schwieg deshalb das Thema so beharrlich tot.

 

„Ziva? Hör zu, wenn du nicht darüber reden möchtest, ist das in Ordnung“, sagte Abby vorsichtig und berührte ihre Freundin sanft am Arm. „Ehrlich, ich verstehe das.“

 

„Nein, nein, das ist es nicht. Ich möchte ja reden. Ich MUSS sogar mit jemandem reden, Abby…“ Ziva´s Stimme klang plötzlich unsicher und Abby bemerkte ein verräterisches Glänzen in den Augen ihrer Freundin.

 

„So schlimm?“, fragte sie mitfühlend.

 

Ziva schüttelte mit dem Kopf und riss sich zusammen. Das fehlte noch, dass sie hier im Labor – wo jederzeit jemand hereinkommen konnte – anfing zu heulen wie ein Baby. „Ehrlich, es geht uns ganz gut, soweit. … aber Tony knabbert halt noch ganz schön … 'daran', ... auch wenn er es nicht zugeben will…na ja, du kennst ihn ja…“ Sie zuckte mit den Schultern und sah Abby zustimmend nicken. „Abby, … er hat mich in diesem Keller etwas gefragt…“ Sie holte einmal tief Luft: „Er hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten will ...“

 

Abby riss überrascht die Augen auf und klatschte begeistert in die Hände, aber bevor sie etwas sagen konnte, fuhr Ziva schon bestimmt fort:

 

„Nein, warte, hör mir zu, ich bin noch nicht fertig…Ja, er hat mir die Frage gestellt, aber…seitdem hat er nicht wieder davon gesprochen.…“ Sie stockte und schluckte die Tränen, die hartnäckig schon wieder in ihr aufsteigen wollten, runter. Abby war zwar ihre beste Freundin und doch fiel es ihr immer noch unheimlich schwer mit jemand anderem über ihre Gefühlswelt zu sprechen. Zu lange hatte man ihr eingebläut, dass Gefühle ein Zeichen von Schwäche waren. Und sie wollte nicht schwach sein. In ihrer jetzigen Situation durfte sie auch gar nicht schwach werden. Im Gegenteil: Sie brauchte alle ihre Kraft für Tony…aber wenigstens reden musste sie doch mit jemandem, sonst würde sie noch verrückt werden. „Verstehst du, Abbs…erst stellt er mir diese alles entscheidende Frage und jetzt weiß ich nicht, ob er mich überhaupt noch will...! Ich weiß noch nicht einmal, ob es ihm überhaupt ernst damit war.“ So! Nun war es raus! Endlich! Ein wenig deprimiert blickte Ziva auf. Die Frage, ob Tony es damals wirklich ernst gemeint hatte, und nach wie vor zu seinem Antrag stand, war ihr doch viel, viel wichtiger, als sie selbst für möglich gehalten hätte.

 

Sofort kam Abby auf Ziva zugeeilt und zog sie spontan in eine ihrer bekannten und manchmal gefürchteten Umarmungen. Doch diesmal war die Israelin sogar froh darüber, es tat ihr gut, diese ehrliche Herzlichkeit und Anteilnahme zu spüren. Sie, die sonst immer eher auf Distanz zu ihren Mitmenschen ging, brauchte tatsächlich jemanden, an den sie sich einfach nur einmal anlehnen konnte. Bei ihrem Partner war dies ja zurzeit nicht möglich, der hatte mit sich selber genug zu tun. Da tat ihr Jemand, wie Abby, die ihr gerade sanft und beruhigend über den Rücken streichelte und unaufhörlich „Tstststs“ in ihre Haare murmelte, einfach nur gut. Als sich Abby schließlich von ihr löste, fühlte Ziva sich tatsächlich  besser. Sie schniefte einmal kurz und lächelte entschuldigend.

 

„Ich muss wieder hoch…Abbs…Danke, danke für alles.“

 

„NOCH habe ich ja gar nichts gemacht“, antwortete die Goth, die heute ihre Haare zu zwei festen, dünnen Zöpfen geflochten hatte. Dann baute sie sich vor Ziva auf. „Und jetzt, meine Liebe, werde ich dir mal meine Meinung dazu sagen: Wenn Tony das zu dir gesagt hat, wenn er dir da unten in diesem Keller einen Heiratsantrag gemacht hat, dann hat er es auch verdammt noch mal so gemeint. Er mag früher ein Luftikus gewesen sein, der vieles nicht ernst genommen hat, aber seit er mit dir zusammen ist, da hat er seinen Platz gefunden – und das weiß er! Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, er war all die Jahre über nur auf der Suche nach der richtigen Frau. Und mit einigen Umwegen hat er sie endlich gefunden – in dir! Wenn er nun zu dir gesagt hat, dass er dich heiraten will, dann hat er das auch so gemeint. Davon bin ich 100-%ig überzeugt.“

 

„Aber warum sagt er dann nichts mehr? Ich verstehe ja, dass er vieles zu verarbeiten hat, aber deswegen könnte er ja mal wieder davon sprechen. Wir müssen ja auch nicht gleich heiraten, es ist nur … Abby, kannst du mir erklären, warum mir das alles plötzlich so wichtig ist?“ Ziva blickte Abby fragend an und kam sich in diesem Moment wie ein dummer Teenager vor. Großer Gott, dabei war sie doch eine erwachsene Frau. Noch dazu eine ausgebildete Mossad-Agentin. Sie hatte Männer eliminiert, ohne mit der Wimper zu zucken. Und wenn es jetzt um so ein simples Thema wie das Heiraten ging, benahm sie sich wie eine überspannte Furie! Noch vor einem Jahr hätte sie jedem, der ihr das prophezeit hätte, eins auf die Nase gegeben. Doch Abby hatte natürlich auch hierfür wieder eine passende Erklärung parat. 

 

„Weil du ihn liebst. Ganz einfach. Nicht mehr und nicht weniger. Was fühlst du, wenn du an ihn denkst - mit ihm zusammen bist?“

 

„Ach, Abby…“

 

„Komm schon, versuch´s. – Sprich es aus.“

 

Ziva hatte nie gelernt, über ihre Gefühle zu sprechen und es war ihr auch immer extrem unangenehm gewesen, wenn jemand nur ein wenig in ihre Seele blicken konnte. Doch hier, vor Abby, schien es ihr plötzlich so einfach und richtig. Sie musste keinen Augenblick überlegen: „Dass ich mich einfach nur wohl fühle, wenn er da ist. Dass ich keinen Tag ohne ihn sein will. Dass selbst, wenn ich mich mit ihm streite oder mich über ihn ärgere – was häufig vorkommt, weil er ein unverbesserlicher Chaot ist...“ Kopfschüttelnd unterbrach sie sich und musste schmunzeln, als ihr einige von Tony´s Eskapaden durch den Kopf schossen. Abby erging es wohl ähnlich und zusammen lachten sie herzlich auf, bevor Ziva fortfuhr: „Nun…“, ihr Blick schweifte ab und verträumt schien sie irgendetwas Schönes vor ihrem inneren Auge zu sehen, „… dass ich einfach nicht mehr ohne ihn leben will; ich glaube, gar nicht mehr ohne ihn leben kann. Dass ich ihm vertraue, blind und bedingungslos, was ich noch nie bei einem Menschen getan habe. Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, dass das ein wenig beängstigend für mich ist…“ Sie stockte.

 

Abby schaute sie abwartend an und wedelte ein wenig mit den Händen in der Luft. „Weiter…Das war doch noch lange nicht alles.“

 

Ziva musste trotz allem lächeln. „Du gibst keine Ruhe, was? Du willst immer alles?“

 

„Na klar“, antwortete Abby vergnügt. „Mit weniger begnüge ich mich nicht. Also?“

 

„Na gut, du gibst ja doch keine Ruhe“, seufzte die Israelin, obwohl ihr ihr Monolog leichter fiel, als sie gedacht hatte. „Ich will, wenn ich abends einschlafe, seine Wärme neben mir fühlen,  und wenn ich morgens aufwache, gilt mein erster Gedanke ihm. Sein Gesicht ist das Erste, was ich mir zu sehen wünsche. Es wird dich überraschen zu hören, aber es ist so, dass mir seine Verbesserungen eigentlich gar nichts ausmachen - auch wenn ich das ihm gegenüber nie zugeben würde. Ach ja, und ich rate dir, Abbs, hüte deine Zunge, denn sonst wirst du einen furchtbaren Tod sterben, dass das klar ist.“

 

„Oh ja, sonnenklar!“ Abby nickte ernsthaft. „Weiter…“

 

„Manchmal freue ich mich schon darauf dass er McGee wieder ärgert. Weil ich es oft kaum erwarten kann, dass er mich zum Lachen bringt. Ich finde es sehr schön, wenn er das tut, denn…na ja, du weißt ja, früher hatte ich nicht allzu viel zu lachen, obwohl ich im Grunde sehr gerne lache … Dass ich mir manchmal vorstelle, wie unsere Kinder aussehen würden. Dass ich darüber nachdenke, wie wir wohl aussehen werden, wenn wir alt und klapprig sind und trotzdem noch Händchen haltend durch die Straßen schlurfen...... Dass ich … Dass er … Einfach, dass ich mein Leben lang mit ihm zusammenbleiben will. Dass er mein Mann ist!“ - Überrascht über sich selbst, über diese ungewohnte Bloßlegung ihrer Seele, blickte Ziva verwirrt auf. „Ich glaube, das war´s – war nicht so gut, oder? Ach, Abbs, ich bin einfach nicht gut in so was.“

 

Abby hatte Tränen der Rührung in den Augen und zog Ziva soeben wieder in eine Mega-Umarmung. „Was redest du denn da? Nicht so gut? Spinnst du? Ich glaube, das war die schönste Liebeserklärung, die ich je in meinem Leben gehört habe. – Ich an deiner Stelle würde Tony einfach das gleiche sagen, was du mir eben gesagt hast. Es spricht doch nichts dagegen, dass du den ersten Schritt machst. Wahrscheinlich ist er froh darüber. Manchmal sind Männer eben furchtbar umständlich. Besonders, wenn´s um Gefühle geht.“

 

„Hmm, vielleicht tue ich das, mal sehen.“ Ziva drückte die Forensikerin ein wenig von sich weg und sah sie dankbar an. „Danke, dass du mir zugehört hast. Du bist ein Schatz, Abby!“ Dann verließ sie mit einem Zwinkern das Labor. - 'Oh Gott – Gibbs!' schoss es ihr auf dem Weg zum Aufzug plötzlich durch den Kopf. 'Hoffentlich reißt er mir nicht den Kopf ab, weil ich so lange weg war.' 

 

Im Hintergrund hörte sie Abby durch die geschlossene Tür rufen: „Du musst es ihm unbedingt sagen, hörst du? Du mu..huu..sst!“ Gleich darauf dröhnte wieder Android Lust durch den Keller und Ziva bestieg mit einem Lächeln auf den Lippen den Aufzug, froh, dem Getöse entkommen zu können. Froh darüber, dass sie es geschafft hatte, solche Freunde zu gewinnen…

 

Als sie zurück ins Großraumbüro kam, warf Gibbs ihr einen schnellen Seitenblick zu und fragte: „Und? Hast du alles erledigt?“

 

„Ja, hab´ ich, und bevor du fragst…Abby macht so schnell sie kann, okay? Wo steckt McGee? Ich denke, er sollte mal  zu ihr runtergehen. Sie hat da so ein technisches Problem, das sie nicht loslässt und bräuchte seine Hilfe.“

 

„Ich sag´s ihm, wenn er zurückkommt.“ Gibbs lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte Ziva mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck. „Weißt du was? Fahr nach Hause – es ist schon spät und heute können wir eh nichts mehr ausrichten. Tony wartet bestimmt schon auf dich.“

 

„Im Ernst? Ich meine, sollte ich nicht noch…“

 

„Ziva“, unterbrach der Teamleiter die Israelin. „Fahr nach Hause und kümmere dich um Tony. Und grüß ihn von mir, hörst du?“

 

Ziva griff nach ihrem Rucksack. „Mach´ ich bestimmt. Und „Danke“.“

 

„Keine Ursache – sieh zu, dass du verschwindest, bevor ich es mir noch anders überlege.“

 

Das wollte sie nun doch nicht riskieren und lief deshalb schnell zum Aufzug. Als sie in der Tiefgarage den Lift verließ, zog sie fröstelnd ihre Jacke vor der Brust zusammen. Es war schon empfindlich kalt geworden in Washington D.C. und ihr Mini stand ganz allein am anderen Ende der Garage. Morgen würde sie ihre Winterjacke aus dem Schrank holen. In solchen Situationen sehnte sie sich manchmal nach den Temperaturen in ihrem Heimatland. `Was soll´s´ dachte sie sich, bald wäre sie zuhause und würde zusammen mit Tony auf dem Sofa kuscheln und einen heißen Tee trinken…

 

Kapitel 7

Einige Tage später - Streit und Versöhnung

 

Am Abend war das ganze Team bei Ducky zu Thanksgiving eingeladen. Er wollte einen riesigen Truthahn braten und jeder der Gäste sollte irgendetwas als Beilage mitbringen. Seit dem Tod seiner Mutter lud er gerne hin und wieder das gesamte Team zu sich nach Hause ein. Der Verdacht drängte sich auf, dass der Seniorpathologe womöglich etwas einsam war, aber niemand wollte ihn so direkt darauf ansprechen. Das wäre auch eigentlich Gibbs´ Aufgabe gewesen und der drückte sich bislang sehr erfolgreich darum herum. Wenn aber Ducky einlud, sagten sie alle immer sehr gerne zu, denn er hatte den meisten Platz zur Verfügung und die gemeinsamen Abende bei ihm bekamen schon langsam Kultstatus.

 

Ziva war schon den ganzen Vormittag mit Feuereifer dabei, eine jüdische Spezialität zuzubereiten, die nach ihrer Aussage ganz hervorragend zu einem Truthahn passen würde. Tony beobachtete ihre Aktivitäten zwar mit einem gewissen Argwohn, doch er hütete sich, etwas dazu zu sagen und sagte sich stattdessen, dass die anderen ja schließlich auch etwas mitbringen würden.

 

Die Israelin hatte die Blicke ihres Freundes sehr wohl bemerkt, aber sie ignorierte sie gekonnt. Sie hatte beschlossen, darüber hinwegzusehen, solange Tony den Mund hielt. Gestritten hatten sie in der der letzten Zeit wahrlich genug und sie wollte es nicht schon wieder darauf anlegen. Außerdem lag ihr das Gespräch mit Abby immer noch im Magen. Bis jetzt hatte sich nämlich absolut keine passende Gelegenheit dazu ergeben, Tony all´ das zu sagen, was sie ihrer Freundin so bereitwillig anvertraut hatte. Aber dass sie das tun würde, stand für Ziva außer Frage. Die ständigen mahnenden Erinnerungsblicke von Abby gingen ihr schon leicht auf die Nerven und sie wusste genau, dass die einzige Möglichkeit wäre, diese Blicke zu stoppen, dass sie mit Tony sprach. Und das wollte sie ja schließlich auch. Sie musste nur noch den passenden Zeitpunkt finden.

 

Während der Arbeiten in der Küche summte Ziva leise vor sich hin. Wieder einmal ging ihr dabei durch den Kopf, wie verteufelt normal sie und Tony neben der Arbeit ihr Leben lebten. Na ja, gut, schränkte sie gleich darauf ein…in den letzten Wochen, seitdem Rebekka Rivkin aufgekreuzt und alles durcheinandergebracht hatte, natürlich nicht mehr, aber zuvor schon. Und sie hätte es nie für möglich gehalten, aber sie hatte sich an dieses Leben gewöhnt, es schätzen gelernt – und sie würde alles dafür tun, dass sie es wiederbekäme. Wenn der Vorfall mit Rebekka überhaupt etwas Gutes an sich gehabt hatte, dann, dass das Verhältnis zu ihrem Vater sich tatsächlich seitdem gebessert hatte, noch etwas, was sie zuvor nie für möglich gehalten hatte und doch war es geschehen. Seitdem Eli wieder nach Tel Aviv abgereist war, telefonierten sie in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen miteinander. Das letzte Mal war nun auch schon wieder fast 3 Wochen her – wenn sie es nicht tat, würde sicherlich er sich bald bei ihr melden…sie konnte nur hoffen, dass er nicht bemerkte, was gerade zwischen ihr und Tony falsch lief. Es war schwer genug gewesen, Eli David davon zu überzeugen, dass sie mit Tony die richtige Entscheidung getroffen hatte und noch war das Verhältnis der beiden Männer nicht so fest, dass es nicht erschüttert werden konnte. Es lag an ihr, dafür zu sorgen, dass dies nicht geschah.

 

 Ziva war an diesem Morgen relativ gut gelaunt, nachdem sie und Tony sich in der letzten Nacht einmal mehr absolut leidenschaftlich und hemmungslos geliebt hatten. Zwei Tage zuvor war der Haussegen nämlich kolossal schief gehangen, als Ziva von der Arbeit nach Hause gekommen war und Tony angetrunken auf dem Sofa vorgefunden hatte. Sie war wütend geworden, weil er so unvernünftig handelte. Er nahm schließlich Medikamente und somit durfte er keinen Alkohol trinken. Schon bei der bloßen Erinnerung daran spürte Ziva die Wut erneut in sich aufsteigen. Es war ihr ein Rätsel, wie jemand bewusst so fahrlässig mit seiner Gesundheit umgehen konnte. Kleinlaut hatte Tony versucht, ihr zu erklären, dass er eigentlich für sie hatte kochen wollte, aber restlos alles schiefgegangen war. Doch sie war viel zu aufgebracht gewesen, um seine, in ihren Augen lahme, Entschuldigung zu akzeptieren. Zudem nagte die Enttäuschung darüber, dass dieser Abend, den sie sich so schön ausgemalt hatte, eine solch üble Wendung genommen hatte, vehement an ihr. Schweigend hatte sie das Essen zubereitet und ebenso wortkarg war das Abendessen verlaufen. Als Ziva fertig war, hatte Tony kaum die Hälfte seiner Portion gegessen. Lustlos hatte er in seinem Essen herumgestochert, bis er schließlich den Teller von sich geschoben und nochmals einen Vorstoß gewagt hatte:

 

 „Ziva … bitte, jetzt mach doch nicht so ein Drama draus. Es war doch nur ein Glas Whisky ...“.

 

„Erstens war es mehr als nur ein Glas. Hältst du mich für blöd? Die Flasche war voll! Gestern zumindest noch! Jetzt ist sie halb leer! Das Zeug wird ja wohl kaum verdunstet sein. Und zweitens fasse ich es nicht, wie unvernünftig du bist!“ Ruckartig war sie aufgestanden, hatte nach den Tellern gegriffen und sie in die Küche gebracht. Unüberhörbar für Tony hatte sie das Geschirr in die Spüle geknallt, wobei sogar einer der Teller zerbrochen war. Danach hatte sie die Arme auf die Arbeitsplatte gestützt und zwei-, dreimal tief durchgeatmet, bevor sie zurück ins Wohnzimmer gegangen war und zu Tony, der immer noch wie ein Häufchen Elend am Esstisch saß, gesagt hatte: „Lass´ uns morgen noch einmal darüber reden. Ich bin müde und wütend und möchte nichts sagen, was mir hinterher Leid tut. Ich werde jetzt schlafen gehen und das solltest du vielleicht auch tun.“ Ohne eine Antwort abzuwarten war sie ins Badezimmer gegangen und hatte Tony niedergeschlagen am Tisch zurück gelassen.

 

Als sie eine halbe Stunde später alleine in ihrem Bett gelegen hatte, waren ihre Gedanken immer wieder zu dem vorangegangenen Streit zurückgekehrt. Seit dem Gespräch mit Abby suchte sie nach dem richtigen Augenblick, um mit ihrem Partner zu sprechen. Sie wollte ja dem Rat der schwarzhaarigen Goth folgen und ihm ihre Gefühle offenbaren, ihm gestehen, wie es wirklich in ihr aussah. Aber bis jetzt hatte sie es immer wieder verschoben, nie schien die Gelegenheit wirklich passend zu sein, doch in Wahrheit hatte sie einfach nicht den Mut dazu aufbringen können. Wütend und verletzt hatte sie mit der Faust auf sein Kopfkissen eingeschlagen. Warum machte er es ihr auch so schwer? Warum konnte nicht er endlich den ersten Schritt machen? Ruhelos hatte sie sich lange hin und her gewälzt – an Einschlafen war nicht zu denken gewesen. Schon lange nicht mehr war ihr Innerstes so in Aufruhr gewesen und daran war nur Tony schuld. Warum ließ er sie jetzt alleine? Er musste doch spüren, wie sehr sie ihn brauchte…Warum zog er sich zurück und kam nicht einfach ins Bett? 

 

***********

 

Am nächsten Tag hatte sich Tony große Mühe gegeben, seinen Fehler auszubügeln. Nachdem er vormittags engagiert seine Reha hinter sich gebracht hatte, war er einkaufen gegangen. Dieses Mal hatte er nur Lebensmittel besorgt, die er auch mit einer Hand verarbeiten konnte. Er hatte fertig geputzten Salat gekauft, tiefgefrorene Kartoffelspalten und ein wirklich köstliches Abendessen gezaubert. Der Tisch war liebevoll gedeckt und er hatte eine rote Rose auf ihrem Teller drapiert.

 

Als Ziva diesen Abend nach Hause gekommen war und registriert hatte, wie sehr Tony sich bemüht hatte, alles so perfekt wie möglich herzurichten, verebbte nach und nach ihre Verstimmung und langsam sah sie sich dazu imstande, ihm seinen Ausrutscher zu verzeihen. Offenbar waren ja ihre Vorwürfe bei ihm angekommen, sonst hätte er sich wohl kaum solche Mühe gegeben. Einerseits hätte sie es ja schon für wichtig erachtet, noch einmal in Ruhe über alles zu reden, doch andererseits konnte man natürlich auch viel zerreden. Also hatte sie beschlossen, seine stumme Bitte um Entschuldigung zu akzeptieren und sogar ausnahmsweise nichts zu dem Weißwein, der sich bereits in den Gläsern befand, zu sagen. Umso größer war ihre Überraschung gewesen, als sie beim ersten Schluck feststellen musste, dass es überhaupt kein Weißwein war, sondern Apfelsaft. Ihr Gesichtsausdruck musste ihre Überraschung widergespiegelt haben, denn Tony hob wissend eine Augenbraue an und prostete ihr breit grinsend über den Tisch hinweg zu. Die Mahlzeit war vorwiegend schweigend verlaufen, doch es war kein unangenehmes, peinliches Schweigen gewesen, sondern vielmehr ein friedvolles.

 

Nachdem sie ihr Abendessen genossen hatten, war Tony aufgestanden und hinter Ziva getreten. Wortlos hatte er ihr offenes Haar beiseitegeschoben und begonnen, sanft ihren Hals und ihre Schulterpartie zu küssen. Dann hatte er zärtlich nach Ziva´s Hand gegriffen und sie behutsam vom Stuhl hochgezogen. Vollständig versöhnt hatte sie sich zu ihm umgedreht und ihm ihre Lippen dargeboten. Doch zu ihrer Überraschung schüttelte Tony nur leicht den Kopf und widmete sich stattdessen der zarten Hautpartie an ihren Schlüsselbeinen. Ziva hatte geschnurrt wie eine rollige Katze und es war ihr schwergefallen, ruhig stehen zu bleiben, während eine Gänsehaut nach der anderen über ihren Körper fuhr. In dem Augenblick, als sie seine Zunge mit ihren Ohrläppchen spielen fühlte, war es um ihre Beherrschung geschehen gewesen. Ungestüm hatte sie einen Schritt nach vorne gemacht und sich fest an ihren Freund gepresst.

 

„Hey, was treibst du denn da mit mir?“, hatte sie atemlos hervorgestoßen und sich heftig an ihm gerieben. „Und anscheinend bist du auch schon mehr als bereit.“

 

Ein kehliges Knurren war die Antwort gewesen, bevor Tony sie am Armgelenk gepackt und immer noch wortlos in Richtung Schlafzimmer gezogen hatte, das er ebenfalls aufwändig und liebevoll dekoriert hatte. Flackernde Teelichter standen auf dem Fensterbrett, eine weitere Rose lag auf dem Bett und ein betörender Duft hing schwer in der Luft. Staunend war Ziva in den Raum getreten und hatte sich sprachlos umgesehen. So einen Aufwand hatte noch niemand jemals für sie betrieben – selbst Tony nicht. Und die Männer, die sie vor Tony gehabt hatte…Michael und all die anderen…es war zumeist nur auf schnellen bedeutungslosen Sex hinausgelaufen – mal mehr und mal weniger heftig, aber nie wirklich gefühlvoll. Meist war es beiden Parteien nur um die körperliche Befriedigung gegangen. Deshalb hatte sie ja auch in der letzten Zeit diese Angst beschlichen, als sich ihrer beider Beziehung mehr und mehr nur noch auf den schnellen Sex beschränkte. Und nun dies hier! Ohne jede Vorwarnung! Ziva hatte heftig schlucken müssen und gespürt, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Sie war zutiefst gerührt. Wahrscheinlich war es Tony gar nicht bewusst, was dieses kleine Szenario für sie bedeutete. Plötzlich hatte sie ihn hinter sich gespürt und gleich darauf hatte er sie mit seinem gesunden Arm gefangengenommen.

 

„Na“, hatte seine liebgewonnene Stimme dicht an ihrem Ohr geraunt. „Wie findest du es?“

 

„Oh, Tony…ich…ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, hatte sie ehrlich geantwortet und pragmatisch, wie sie nun einmal war, hatte sie hinzugefügt: „Du hättest diesen dummen Radiowecker umdrehen sollen. Diese blöden Leuchtziffern zerstören die ganze schöne Stimmung.“

 

Ihr Partner hatte gelächelt und ihr einen Kuss auf die Schläfe gehaucht: „Aber warum denn?“, hatte er immer noch flüsternd gefragt. „Nimm es als ein Zeichen…“ Er hatte einen Blick in Richtung Wecker geworfen und sie hatte den Eindruck, als hätte er kurz gestutzt. „Es ist 20.55 h, ich liebe dich, und von jetzt an wird alles besser“, versprach er, während er seine rechte Hand zielsicher unter ihr Shirt gleiten ließ. Ohne sich damit aufzuhalten, den Verschluss ihres BH´s zu öffnen, schob er diesen ohne zu zögern nach oben und begann, leidenschaftlich ihre Brüste zu streicheln und zu liebkosen.

 

Mit einem lustvollen Aufstöhnen hatte sie ihren Kopf nach hinten sinken lassen und ihren Rücken so durchgebogen, dass sie Tony´s Erregung nicht nur deutlich an ihren Pobacken fühlen konnte, sondern sie gleichzeitig durch geschmeidige Bewegungen auch noch etwas anheizen konnte. Dabei hatte sie sich den teilweise fordernden und dann wieder sinnlichen und zärtlichen Berührungen von Tony´s Hand und Mund völlig hingegeben. Als er kurz darauf hastig ihre Jeans geöffnet hatte, diese dann ungeduldig über ihre Hüften nach unten schob und mit einer sanften, gleitenden Bewegung den Weg zwischen ihre Beine fand, versank sie in einem Schauer der Lust und beinahe stolpernd waren sie endlich gemeinsam auf das Bett gesunken….

 

***********

 

„Autsch!“ Verflixt, jetzt hatte sie sich doch glatt in den Finger geschnitten.

 

„Alles in Ordnung“, kam Tony´s Stimme aus dem Wohnzimmer.

 

Schnell öffnete Ziva den Wasserhahn und ließ kaltes Wasser über die kleine Schnittwunde an ihrem Finger laufen. „Ja, ja, alles in Ordnung. Nix passiert!“, antwortete sie und musste grinsen, als sie hörte, wie Tony den Ton flugs wieder lauter stellte und Tom Sellecks, alias Magnums Stimme wieder an ihr Ohr drang.

 

Ziva David, rief sie sich in Gedanken streng zur Ordnung. Du bist selber schuld! Konzentrier dich gefälligst bei dem, was du tust, dann passiert dir so etwas auch nicht. Leicht beschämt registrierte sie, dass nicht nur ihre Hände plötzlich feucht geworden waren. Kunststück, die Erinnerung an die vorangegangene Liebesnacht hatten sie noch einmal völlig überwältigt. Der erste Höhepunkt war bei beiden sehr schnell gekommen – viel zu schnell! Doch danach hatten sie sich viel, viel Zeit gelassen und Ziva konnte mit Fug und Recht von sich behaupten, dass sie so etwas Schönes bis dato noch nie erlebt hatte.

 

Jetzt musste Tony nur noch sein Versprechen wahr machen, dass von nun an alles besser würde – dann wäre sie der glücklichste Mensch auf Erden!

Kapitel 8

Außerhalb Washingtons – einige Wochen zuvor

 

Als Ken Whiteshaw vom Einkaufen nach Hause kam, war das Haus leer. Nichts deutete darauf hin, dass er sein Haus mit irgendjemandem teilte und doch war dies seit einigen Wochen so – auch wenn die wenigen Nachbarn, die hier in seiner Nähe lebten, sicher nicht damit gerechnet hatten, dass er noch einmal eine feste Bindung eingehen würde. Tja, sie hatten sich geirrt – zumindest die, die davon wussten und das waren noch einmal deutlich weniger, als tatsächlich Nachbarn vorhanden waren. Hier in Greenbelt, einem kleinen Vorort vor Washington D.C. konnte man meinen, die Uhren tickten ein wenig langsamer als in der nur ca. 20 Meilen entfernten Hauptstadt. Es gab reichlich Grün hinter den Häusern und in seiner direkten Nachbarschaft war ein Reiterhof angesiedelt, dessen Koppeln direkt an seinen Garten anschlossen. 

 

 „Kate?“, rief er fragend in das Haus hinein und ging in Richtung Küche, aus der ihn dieses Mal jedoch keine guten Düfte empfingen, wie es in den letzten Wochen sonst schon einmal der Fall gewesen war. Sicher, Susan hatte regelmäßiger – und auch besser – für ihn gekocht, aber Kate gab sich zumindest Mühe und das wollte er auch anerkennen.

 

Er hatte sehr lange und intensiv um seine Frau Susan, die vor 4 Jahren elendig an Brustkrebs gestorben war, getrauert, aber seitdem Kate so überraschend in sein Leben getreten war, spürte er es genau. Er war bereit für eine neue Liebe und wenn alles so lief, wie er es geplant hatte, wäre er bald wieder in festen Händen.

 

Trotzdem musste er sich immer wieder selber ermahnen, Kate nicht mit Susan zu vergleichen. Die beiden waren so verschieden wie Tag und Nacht, aber das lag sicher auch daran, dass ihre Lebensläufe sich so grundverschieden darstellten. Das wusste er zwar auch nicht so 100%ig, doch er war sich sicher, dass Susan und Kate nicht allzu viele Gemeinsamkeiten aufzuweisen hatten.

 

Susan war aus gutem Hause gewesen, umsorgt und behütet von ihren Eltern, deren einziges Kind sie gewesen war. Sie hatten sich schon in der High School kennengelernt und es war ihnen beiden schnell klar gewesen, dass sie zusammengehörten. Noch während der Collegezeit hatten sie geheiratet und gehofft, dass sich ihre kleine Familie nun bald vergrößern würde. Aber dann war Susan krank geworden und im Zuge von Bestrahlungen, kraftraubenden Chemo-Therapien und immerwährender Versuche der Regeneration, war an Kinder natürlich nicht mehr zu denken gewesen. Ein paar Mal hatten sie schon fast geglaubt, Susan hätte es geschafft, doch jedes Mal hatte sie kurz darauf einen Rückschlag erlitten und der Krebs war schlimmer und stärker zurückgekehrt, als er vorher gewesen war. Gegen Ende hatte die verdammte Krankheit ihren ganzen zarten Körper in Besitz genommen und schließlich hatte Susan dem nichts mehr entgegenzusetzen gehabt. Der Tod war eine Erlösung für sie gewesen. Gott, wenn er an den Tag ihres Todes dachte, kamen ihm noch immer die Tränen. Susan hatte ihn trösten müssen, dafür schämte er sich noch heute. Nie, nicht einmal hatte seine Frau während all der kraftzehrenden Jahre mit ihrem Schicksal gehadert und sich beschwert. Immer hatte sie versucht, ihn aufzurichten – dabei hätte es eigentlich eher umgekehrt sein müssen.

 

Kate war da ganz anders. Sie war härter, ungeduldiger und ging mit sich selbst und ihrer Umwelt oft hart ins Gericht. Es machte sie wahnsinnig, dass sie sich nicht daran erinnerte, wer sie war, oder woher sie kam. Nur ihre Angst vor der Polizei, die war allgegenwärtig und egal, woher sie rührte: Er war davon überzeugt, dass sie zu Recht bestand. Kate hatte mit Sicherheit Schlimmes durchmachen müssen. Aufgewühlt erinnerte er sich an den Tag, als er sie im Heizungskeller des alten Mietshauses am Potomac gefunden hatte, zu dem er wegen Problemen mit den Heißwasser-Kesseln gerufen worden war. Fiebernd, mit Verletzungen übersät und am ganzen Körperzitternd hatte sie ihn aus braunen Augenangstvoll angestarrt und er hatte im ersten Augenblick wie vom Donner gerührt dagestanden und sie nur anschauen können. Trotz aller oberflächlicher Verletzungen war ihm vom ersten Augenblick an klar gewesen, dass sie sehr schön sein musste und … so genau wusste er selber nicht mehr, wie es dazu gekommen war … auf jeden Fall hatte er diese wildfremde Frau mit nach Hause und sich ihrer angenommen. Natürlich hatte er ihr angeboten, einen Krankenwagen und/oder die Polizei zu rufen, doch sie hatte dem so heftig widersprochen, dass er es schließlich sein gelassen hatte. Er hatte sie mit zu sich genommen, sich um ihre Verletzungen gekümmert und zugesehen, wie sie sich rein äußerlich langsam wieder in die schöne Frau verwandelte, die sie vor ihrem Unfall schon gewesen sein musste. Was er nur ein wenig merkwürdig fand war, dass es Kate offenbar gar nicht mehr so sehr interessierte, wer ihr das alles angetan hatte. Zu Anfang, ja, da hatte sie vieles verteufelt, hatte geschrien und gewettert, dass sie es demjenigen heimzahlen würde, aber jetzt…sie sprach immer seltener davon und mittlerweile hätte er wetten mögen, dass er ein größeres Interesse an ihrer Identität hatte, als sie selber. Andererseits, vielleicht war es für sie auch einfach nur fürchterlich deprimierend, nichts über sich selber zu wissen.

 

„Kate? Wo steckst du denn?“ Immer noch keine Antwort. Ken ging die paar Schritte durch die Küche und warf einen Blick aus dem Fenster. Da, dort hinten, da war sie! Er lächelte und beobachtete wohlwollend, wie Kate langsam und mit gemäßigtem Schritt aber durchaus zielgerichtet vom Haus weg in Richtung der Pferdeweiden ging. Sie trug eine alte Windjacke von Susan, die er ihr herausgelegt hatte, falls sie einmal den Wunsch verspüren sollte, das Haus zu verlassen. Bislang war das zu seinem Bedauern nie der Fall gewesen, doch jetzt fühlte er sich, als hätten sie einen wahrlich großen Durchbruch zu verzeichnen. Das lange, dunkle Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und die Hände hatte sie – vermutlich gegen die Kälte, denn es pfiff ein empfindlich kalter Wind – rechts und links in die Jackentaschen gestopft. Den Kopf leicht zwischen die Schultern eingezogen machte sie Schritt für Schritt voran.

 

Ken´s erster Impuls war es, aus dem Haus zu laufen, Kate in die Arme zu schließen und ihr zu ihrem Durchbruch zu gratulieren. Er hatte sich schon umgewandt, als er plötzlich stockte. Das war ein Wink des Schicksals, die Chance, auf die er seit Wochen gehofft hatte. Er hatte einen alten Schulfreund bei der Polizei, der ihm noch einen Gefallen schuldig war. Wenn er sich nun mal ein wenig in Kate´s Zimmer umsah…wer weiß, vielleicht fand er ja etwas, das ihnen half, ihre Identität endlich aufzudecken. Bruce war 100%ig zuverlässig; wenn er ihm sagte, dass davon nichts in irgendeinem Bericht erscheinen dürfte, dann würde auch nichts durchsickern. Da war er sich ganz sicher. Wobei er sich gerade nicht so sicher war, war, ob er tatsächlich Kates Vertrauen missbrauchen und ungebeten in ihrem Zimmer schnüffeln sollte. Wenn sie ihn dabei erwischte, wäre sie bestimmt ganz schön sauer, da wiederum war er sich sicher, denn ihr Temperament konnte einem bisweilen schon ein bisschen Furcht einflößen. Aber letztlich würde sie natürlich einsehen müssen, dass er es nur getan hatte, um ihr zu helfen, nicht um ihr zu schaden. Genau, er würde sich jetzt einfach nur ein wenig umschauen und dann würde er zu Kate nach draußen gehen und sie würden gemeinsam einen kleinen Spaziergang machen. Wer weiß, vielleicht konnte er sie ja sogar dazu überreden, dass sie abends mit ihm essen ging.

 

Entschlossen verließ Ken die Küche und machte sich auf den Weg in den ersten Stock. Vor Kates Zimmertür blieb er noch einen Moment lang unschlüssig stehen, seine Finger schwebten kurz über der Türklinke. „Ach, was soll´s – was soll schon passieren?“, sagte er schließlich und drückte die Klinke herunter. Nichts geschah. Ken versuchte es noch zwei-, dreimal, bevor er verwirrt innehielt. Es war abgeschlossen! Warum zum Teufel schloss Kate ihre Tür ab? Dafür gab es doch überhaupt keinen Grund. Traute sie ihm etwa nicht? Nach allem, was er für sie getan hatte? Ärgerlich runzelte Ken die Stirn und ging den Flur entlang zu einer kleinen Kommode. Er öffnete einer der Schubladen, wühlte ein wenig herum und zog schließlich das kleine Kästchen hervor, in dem er alle Ersatzschlüssel aufbewahrte. Schnell hatte er gefunden, was er suchte, ging zurück zu Kates Zimmer und öffnete die Tür mit dem Nachschlüssel. Kopfschüttelnd betrat er das Zimmer und blickte sich um.

 

Auf den ersten Blick war nichts Auffälliges zu sehen. Viel hatte Kate ja nicht bei sich gehabt, als er sie aufgelesen hatte. Er öffnete den Kleiderschrank. Alle Kleidungsstücke, die dort hingen und in den Fächern lagen, konnte er eindeutig als die von Susan identifizieren. Kate hatte ihm erzählt, dass sie ihre Kleidung im Garten verbrannt hatte, während er arbeiten war. Sie wollte nicht, dass irgendetwas sie noch an die Vergangenheit erinnert hatte sie gesagt und ihm war das durchaus einleuchtend erschienen. Sein schlechtes Gewissen wurde größer und größer, je länger er sich in dem Zimmer aufhielt und nur der Vollständigkeit halber ging er noch auf die Knie, um unter das Bett zu sehen, fest davon überzeugt, dass er auch hier nichts finden würde. Doch hier sollte er sich irren. Unter dem Bett lag eine Reisetasche – und wie es auf den ersten Blick aussah, handelte es sich um die Tasche, die er Kate gegeben hatte, um die wenigen Halbseligkeiten, die sie bei sich gehabt hatte, aufzubewahren.

 

Doch wozu brauchte sie die Tasche noch, wenn sie doch alle Sachen verbrannt hatte?

 

Schnell zog Ken die Tasche hervor, richtete sich auf und schüttete der Einfachheit halber deren Inhalt direkt auf dem Bett aus. Heraus fielen die Kleidungsstücke, die Kate am Leib getragen hatte, als er sie in dem feuchten Kellergefunden hatte. Gut, sie hatte sie also nicht verbrannt – offensichtlich hatte sie sie noch nicht einmal gewaschen, aber warum machte sie daraus so ein Geheimnis? Im Grunde war es doch logisch, dass sie die einzigen Gegenstände behalten wollte, die sie mit ihrer wirklichen Identität verbanden. Er nahm jedes einzelne Kleidungsstück in die Hand, betrachtete und schüttelte es sogar, so erwartete er, dass plötzlich irgendetwas daraus hervorkam. Natürlich geschah nichts dergleichen – es hätte ihn auch gewundert. Ken schüttelte den Kopf und stopfte alles wieder zurück in die Tasche. Er schämte sich für das, was er gerade getan hatte und wollte nun schnell sehen, dass er nach draußen kam. Aber? Was war das? Innen in der Tasche fühlten seine Hände plötzlich etwas Hartes. Er fingerte herum und zog schließlich entnervt die Kleidung wieder aus der Tasche, um genau nachsehen zu können.

 

Unter dem Futter befand sich zweifellos ein Gegenstand, der zwar irgendwie gepolstert war, aber er war eindeutig vorhanden. Er untersuchte die Tasche genauer und bemerkte, dass das Futter an der Seite etwa 20 cm aufgetrennt war. Nachdemer kurz gestutzt hatte, griff er beherzt in die Öffnungund beförderte gleich darauf ein eingewickeltes, großes Jagdmesser zutage, Eines mit einer gefährlich gezackten Klinge – soweit er wusste, benutzte man diese Art Messer zum Ausweiden der Beute. Mit großen Augen starrte er auf das Messer in seiner Hand. Wozu zum Teufel brauchte Kate so ein Messer? Die Antwort gab er sich gleich darauf selber. Selbstverteidigung! Na klar, war doch logisch! Schließlich war sie auf der Flucht gewesen und irgendjemand hatte sie übel zugerichtet – sicher hatte sie es zu ihrer Verteidigung eingesteckt und mochte sich jetzt nicht davon trennen. Schließlich hatte sie zu Beginn ja auch nicht sicher sein können, dass er ihr nicht auch übel mitspielen wollte.

 

Aber das war noch nicht alles. Als er seine Hand das nächste Mal aus der Tasche hervorzog, hatte er einen ausländisch aussehenden Ausweis in der Hand.Fassungslos blickte er auf den Reisepass in seiner Hand. Ein israelisches Dokument. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Mit zitternden Fingern öffnete er den Ausweis. Das Bild zeigte eindeutig Kate – der Name jedoch lautete Rebekka Rivkin. Er starrte auf Kate´s Antlitz und wusste nicht, was er davon halten sollte. War der Ausweis echt? Aber wieso hatte Kate dann behauptet, dass sie nicht wisse, wer sie sei? Und falls der Ausweis nicht echt war? Woher hatte sie ihn und was wollte sie damit? Wollte sie ihn womöglich verlassen – heimlich – nach allem, was er für sie getan hatte?

 

„WAS…“

 

Ken fuhr erschrocken herum. In der Tür stand Kate und sie wirkte alles andere als begeistert, ihn in ihrem Zimmer vorzufinden.

 

„…zum Henker tust du da?“

 

Ihre Stimme klang schneidend kalt und ihr Blick, ihre Augen…Allmächtiger, ihm war wirklich gerade das Herz in die Hose gerutscht. Ein unsicheres Lächeln schlich über Ken´s Gesicht:

 

„Kate, du meine Güte, du hast mich erschreckt…“

 

„Ach ja?“ Ihre Stimme zitterte vor Wut und ihre Augen…oh Gott, ihr Blick konnte einem wirklich Angst einjagen.

 

„Ja…hör zu, ich weiß, es war falsch, dass ich hier in deinen Sachen geschnüffelt habe, aber ich wollte dir doch nur helfen, herauszufinden, wer du wirklich bist.“

 

„Das hättest du besser lassen sollen“, antwortete Kate, die Ken plötzlich wie eine völlig andere Frau vorkam, kalt. Sie machte einen Schritt auf Ken zu, der unwillkürlich zurückwich und rücklingsan das Nachttischchen stieß.

 

„Kate, ich versteh´ dich nicht. Ich dachte, wenn wir erst wissen, wer du bist, dann hätten wir die Chance auf…“

 

Ken hatte schon häufiger die Gelegenheit dazu gehabt, die Frau, die er gerettet hatte, heimlich zu beobachten und wenn er ehrlich war, er hatte die Gelegenheiten auch weidlich ausgenutzt. Daher hätte er eigentlich gewarnt sein sollen, dass Kate sich schnell und geschmeidig wie ein Raubtier zu bewegen wusste. Leider dachte er in diesem Augenblick an alles andere, bloß nicht daran und so traf ihn ihre Attacke völlig unvorbereitet. Sie schnellte nach vorne, wand ihm mit einer schnellen geschickten Bewegung das Messer aus der Hand und hatte ihn gleich darauf so fest im Schwitzkasten, dass er nach Luft schnappte. Sie hingegen atmete völlig normal, nicht die geringste Anstrengung war ihr anzuhören und Ken begriff allmählich, dass er in Schwierigkeiten steckte, in großen Schwierigkeiten.

 

„Hey, was soll das denn?“, protestierte er und versuchte, sich aus der Umklammerung zu winden, was sich schnell als zwecklos erwies. „Findest du nicht, du übertreibst ein wenig?“

 

„So, findest du, du kleiner, widerlicher Spanner?“

 

Scheiße! Offenbar hatte sie doch bemerkt, dass er sie beobachtet hatte.

 

„Du bist selber schuld…weißt du, dass ich tatsächlich vorhatte, dich am Leben zu lassen? Aber jetzt? Ken, du lässt mir keine Wahl, das ist dir doch hoffentlich klar?“ Kates Stimme klang nun fast bedauernd und Ken schlotterte vor Angst.

 

„Hey“, sagte er mit zitternder Stimme, während er einen neuen Versuch startete, seinen Kopf aus dem Schwitzkasten heraus zu bekommen. „Es reicht jetzt – das ist nicht mehr lustig, Kate.“

 

„Du, ich habe nie versucht, lustig zu sein.“ Intensiv betrachtete sie mit einem fast verträumten Gesichtsausdruck die gezackte Schneide ihres Messers. „Du musst wissen, ich bin kein besonders witziger Mensch – war ich nie.“

 

„Okay, okay, ich hab´s verstanden“, keuchte Ken. „Könntest du mich jetzt bitte loslassen?“

 

Er hatte kaum ausgesprochen, als er fühlte, wie Kate mit einem Ruck seinen Kopf und somit seinen ganzen Körper ein Stück nach oben zog. Er hätte nie gedacht, dass eine so zarte Person solche Kräfte entwickeln könnte. Gleich darauf fühlte er den ersten stechenden Schmerz, der durch seine Seite jagte. Er schrie auf und sein Körper versteifte sich.

 

Seine Gegnerin stieß einen abfälligen Ton aus. „Was bist du doch für eine Memme! Ich hätte dich für stärker gehalten. Mein Bruder Ari hätte noch nicht einmal mit den Zähnen geknirscht.“ Sie machte eine kleine Pause, während sie auf Ken’s hektischen Atem lauschte, „Und jetzt hör mir gut zu – ich hab´dir noch was zu sagen:  Ich bin keine zweite Susan – mein Name ist Rebekka Rivkin, damit du weißt, wer dich gleich auf den Weg schickt!“ Im selben Moment rammte sie dem Mann, der sie so hilfsbereit gepflegt und umsorgt hatte, das Messer noch mehrmals in die Seite und den Bauchraum. Dabei achtete sie jedoch pedantisch darauf, dass keine der Verletzungen, die sie ihm zuführte, direkt tödlich war. Schließlich ließ sie ihn los und Ken fiel wie ein gefällter Baum vor ihr auf die Knie. Verzweifelt versuchte er, mit seinen Händen das Blut aufzuhalten, das warm aus den diversen Wunden floss und auf den Boden tropfte. Sein Blick verriet, dass er realisiert hatte, was ihn erwartete, doch In einem letzten, ungläubigen Aufbäumen flüsterte er: „Warum?“

 

„Du warst einfach zu neugierig, hier und heute und auch schon die vergangenen Wochen – oder glaubt du, ich hätte nicht bemerkt, wie du mich beobachtet hast.“

 

„Ich…ich…“

 

„Pssst“, unterbrach Rebekka Ken, der am ganzen Leib zitterte. Mittlerweile war es nicht mehr nur Angst, sondern auch der Blutverlust, der sich inzwischen bei ihm bemerkbar machte. „Ich werde dir jetzt zeigen, was ich mit Spannern wie dir mache, okay?“ Bevor ihr Opfer realisieren konnte, was sie vorhatte, blitzte das Messer vor seinen Augen auf und ein alles umfassender Schmerz durchströmte heiß seinen Körper. Er schrie wie von Sinnen und wusste doch im ersten Moment nicht, was mit ihm geschehen war. Eine kurze drehende Bewegung mit dem Messer, wie wenn man einen Obstkern entfernen wollte, und dann war es auch schon vorbei. Anscheinend völlig ungerührt wischte Kate, nein Rebekka, anschließend die Klinge am Bettzeug ab und strich danach fast liebevoll mit den Fingern darüber.

 

Ken hatte laut schreiend versucht, ihr auszuweichen, doch es war viel zu schnell gegangen. Mit einem leisen Lachen beobachtete Rebekka nun, wie er mit dem Rücken gegen die Bettkante schlug und schließlich halt- und kraftlos zu Boden fiel. Mit weit von sich gestreckten Beinen saß er an die Längsseite des Bettes gelehnt und versuchte weiterhin verzweifelt, das Blut, das aus den zahlreichen Wunden quoll, irgendwie zu stoppen. Sein linker Augapfel baumelte lose vor seinem Gesicht und das rechte Auge war vor Entsetzen weit aufgerissen und starr. Blut floss in Strömen aus der verletzten Augenhöhle und in Sekundenschnelle war der dicke hochflorige Teppich vor dem Bett, völlig besudelt. Als Ken realisierte, was da vor seinem Gesichtsfeld hin und her schwenkte, versuchte er wie besessen, sein Auge zurück in die leere Höhe zu drücken. Einzig und allein die Tatsache, dass er bereits auf dem Boden saß, verhinderte, dasser vollends zusammenbrach. Seine Schreie waren inzwischen zu einem leisen, fortwährenden Wimmern geworden, das Rebekka zunehmend auf den Geist ging.

 

„Hör auf mit diesem Gewinsel!“, herrschte sie ihn an, dann stellte sie sich dicht vor ihren Retter und beugte sich ein wenig zu ihm hinunter. „Du hättest einfach nur die Finger von meinen Sachen lassen sollen. Siehst du das jetzt ein?“

 

Ihr Opfer, inzwischen längst wahnsinnig vor Schmerz und Angst nickte heftig, was ein ziemlich groteskes Bild abgab, da durch das Nicken der Augapfel, den er gerade erst wieder an seinen Platz gedrückt hatte, sofort wieder nach vorne purzelte. Rebekka lachte kurz auf und tätschelte Ken fast sanft die Wange, bevor sie fragte:

 

„Hast du Schmerzen, Ken?“, was dieser lediglich mit einem Aufschluchzen bestätigte. „Na gut, komm, dann ich will dich mal erlösen – immerhin hast du ja auch `ne Menge für mich getan.“

 

Mit einem kurzen, sauberen Schnitt von links nach rechts durchtrennte sie die Kehle des unglücklichen Mannes vor ihr. Ungläubig, verzweifelt und unendlich traurig sah Ken sie noch einige Sekunden mit seinem verbliebenen Auge an, Tränen liefen seine Wange herab, ein letztes kurzes Röcheln war zu hören, ein allerletztes Auf und Ab des Brustkorbes, dann sank sein Kopf auf seine Brust und seine Hände rutschten in die riesige Blutlache, die sich mittlerweile um seinen Körper gebildet hatte. Dann starb Ken Whiteshaw, leise – wie er gelebt hatte. Lediglich sein linker Augapfel baumelte noch in leicht schwingenden Bewegungen vor seinem Gesicht hin und her.

 

Nach und nach legte sich bei Rebekka die Euphorie ihrer Bluttat. Ohne jede Spur von Mitleid warf sie noch einen letzten Blick auf die Leiche des einsamen Mannes, der sich noch vor wenigen Minuten ein Leben mit ihr an seiner Seite erträumt hatte, dann wandte sie sich anderen Problemen zu und blickte sich in dem Zimmer, in dem sie die letzten Wochen gelebt hatte, um. Jetzt musste Sie erst malaufräumen.Sie hatte lange genug bei Ken gelebt, um zu wissen, dass sie sich relativ sicher sein konnte, dass die Leiche in den nächsten Tagen unentdeckt bleiben würde. Die Nachbarhäuser waren weit weg, Ken hatte nur wenig soziale Kontakte gepflegt – wenn, hatte er meist telefoniert – und außerdem hatte er noch ein paar Tage Urlaub. Natürlich durfte sie nicht riskieren, dass durch den Verwesungsprozess womöglich irgendjemand auf das Haus aufmerksam wurde – also musste sie den Leichnam in den Keller in die große Gefriertruhe schaffen. Zu dumm, sie hätte Ken am besten noch lebend in den Keller dirigieren sollen, aber daran hatte sie in ihrem Blutrausch gar nicht gedacht.

 

Drei Stunden später war sie endlich soweit, dass sie unter die Dusche springen konnte. Ken lag säuberlich zusammengefaltet in der Gefriertruhe im Keller und sie hatte das Haus und alles, was sie angefasst hatte, so gut es ging mit Bleiche gesäubert, damit auch kein Gestank entstehen konnte, denn wie sie nur zu gut wusste: Getrocknetes Blut stank erbärmlich – gut, dass der Sommer bereits vorbei war und der Herbst sich bislang auch kühl gezeigt hatte.

 

Sie seifte sich ab und shampoonierte ihr Haar. Danach griff sie noch zu dem Haarfärbemittel, das sie in einer Ecke des Badezimmerschrankes gefunden hatte. Blond! Öfter mal was Neues, sagte sie sich trocken. „Danke Susan. Offenbar warst du doch nicht so perfekt, wie dein Mann mir weismachen wollte. Hast ein bisschen nachhelfen müssen, was?“ Nach dem Färben packte sie in aller Ruhe einen Koffer mit Susans Sachen, durchsuchte noch auf die Schnelle Ken´s Schreibtisch, was ihr noch zusätzlich etwas Bargeld einbrachte und verließ dann – nachdem sie sicherheitshalber noch einmal alles abgewischt und sich ein Taxi gerufen hatte – Ken Whiteshaw´s Haus, ohne sich noch einmal umzublicken.

 

„Zum Bahnhof“, befahl sie dem Fahrer kurz und knapp und hüllte sich dann in Schweigen.

 

Wiederum eine Stunde später bestieg Rebekka Rivkin den Schnellzug Richtung Baltimore. Besser, sie ließ sich noch ein Weilchen nicht in DC blicken. Die ganzen Arbeiten in Ken´s Haus – besonders dessen Transport vom 1. Stock bis in den Keller – hatten ihr noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass sie doch immer noch nicht 100%ig fit war. Aber genau das wollte sie unbedingt sein, wenn sie Tony DiNozzo das nächste Mal gegenübertrat. Eine kleine, ärgerliche Zeitverzögerung – nichts weiter.

Kapitel 9

Thanksgiving bei Ducky – 25. November

 

Ziva und Tony hatten sich in Schale geschmissen und waren auf dem Weg zu Ducky. Tony saß auf dem Beifahrersitz und warf seiner Begleiterin immer wieder bewundernde Blicke zu. Ziva sah wirklich gut aus! Ihr Haar trug sie offen und gelockt, mit einem Seitenscheitel. Sie hatte sich für ein schlichtes rotes Wollkleid entschieden, das am Oberkörper eng anlag und ihre Kurven perfekt betonte und dessen leicht schwingender Rock ihr bis eine Handbreit über die Knie reichte, so dass noch genügend von ihren wohlgeformten Beinen sichtbar war. Eine blickdichte Strumpfhose und hochhackige Schuhe in der gleichen Farbe des Kleines vervollständigten das harmonische Bild. Ziva war eine natürliche Schönheit, die nicht viel Schmuck oder Schminke benötigte, um sich richtig in Szene zu setzen. Auch heute Abend trug sie lediglich ihre Kette mit dem Davidstern und kleine silberne Ohrstecker in Form eines Halbmondes. Tony konnte sich kaum an ihr satt sehen. Es war ihm durchaus bewusst, dass er seine Freundin anstarrte, doch seiner Meinung nach hatte er jedes Recht dazu, also war es ihm egal. Ein Lächeln umspielte Ziva´s Lippen, als sie seine Blicke auf sich spürte. Sie drehte ihren Kopf zu ihm herum und sah ihn schmunzelnd an.

 

„Ist etwas?“, fragte sie mit unschuldigem Augenaufschlag.

 

„Du siehst zum Anbeißen aus“, antwortete Tony rasch. „Und wenn wir nicht auf dem Weg zu Ducky wären, würde ich das auch auf der Stelle tun. Aber jetzt sieh´ bitte wieder auf die Straße, Ziva. Wir wollen an Thanksgiving doch nicht im Krankenhaus landen. Davon hab´ ich in letzter Zeit wirklich genug! Außerdem hab´ ich Hunger.“ Mit einem Auge schielte Tony auf die Straße vor ihnen, denn auch wenn Ziva´s Fahrstil heute als durchaus human zu bezeichnen war, fuhr sie doch noch ein ziemliches Tempo und dabei nicht auf die Straße zu sehen, erschien ihm auf jeden Fall als ein gewisses Risiko.

 

Auflachend tat ihm die Dunkelhaarige den Gefallen. Mit ihrer Art, Auto zu fahren, würde er sich wohl nie anfreunden können. Irgendwann einmal würde sie ihn mit nach Israel nehmen – Dort Auto zu fahren barg nicht nur ein gewisses Risiko in sich, nein, selbst ihr kam es manchmal so vor, als wären dort auf den Straßen ausschließlich konkurrierende Stuntfahrer unterwegs. Tony würde vermutlich grün im Gesicht werden. Der Einzige, dem sie zutraute, sich in dieses Abenteuer zu schmeißen, wäre unzweifelhaft Gibbs, der ihr schon manches Mal den Rang des waghalsigsten Fahrers Washingtons streitig gemacht hatte. Kurz darauf bremste sie ungewohnt vorsichtig vor Ducky´s Haus. Nicht, dass noch ihr vorbereitetes Essen vom Rücksitz rutschen würde. Für diese Köstlichkeit hatte sie schließlich stundenlang in der Küche gestanden.

 

Wenig später öffnete ihnen der freundliche Pathologe die Tür und bat sie herein. „Die anderen sind auch grade eben gekommen, mit euch sind wir jetzt vollzählig“, erklärte er fröhlich und nahm Ziva die Schüssel aus der Hand. „Oh, das duftet ja spektakulär, meine Liebe“, stellte er mit einem genießerischen Blick fest, „Was ist das?“

 

„Eine jüdische Spezialität; wenn siedir schmeckt, erzähl´ ich dir nach dem Essen, wie sie gemacht wird“, versprach ihm die Israelin nicht ohne Stolz.

 

„Oh,  wenn das nur halb so gut schmeckt, wie es duftet, bin ich jetzt schon ein Fandavon. Aber geht doch schon mal ins Wohnzimmer und nehmt euch einen Aperitif, ich bringe diese Köstlichkeit derweil ins Esszimmer. - Es gibt Eierpunsch oder für die, die möchten, auch etwas Härteres, Abby gibt euch, was ihr wollt.“ Damit verschwand er auch schon geschäftig im Nebenraum und Ziva und Tony gesellten sich zu den anderen, die sich im Wohnzimmer bereits angeregt unterhielten. Es gab ein großes Hallo, kaum, dass sie den Raum betreten hatten.

 

„Ziva, Tony!“ Abby sprang aus dem gemütlichen Ohrensessel, in den sie sich eben noch gelümmelt hatte und tippelte auf ihren mörderisch hohen Blockabsätzen so schnell sie konnte hinüber zu den beiden. Sie gab Ziva links und rechts einen Kuss und sah sie kurz fragend an, erkannte aber sofort daran, wie diese die Augen niederschlug und kaum merklich mit dem Kopf schüttelte, dass sie noch immer nicht mit Tony gesprochen hatte. Nun, sie hoffte, Ziva würde schon noch den richtigen Augenblick finden. Jetzt war erst einmal ihr Tiger an der Reihe. Sie zwängte Tony in eine Umarmung, die einer Bärenmutter alle Ehre gemacht hätte und drückte ihm anschließend ebenfalls zwei dicke Küsse auf die Wangen. Tony schnappte lachend nach Luft und rief:

 

„Hilfe, Hilfe, Abby, gib mir `ne Chance!“

 

 Abby packte ihren Freund bei den Schultern und drückte ihn energisch ein Stückchen von sich weg. Dann begutachtete sie ihn mit schief gelegtem Kopf und kritischen Gesichtsausdruck von oben bis unten. „DU, DU…Du siehst heute echt cool aus“, stieß sie schließlich anerkennend hervor und lachte befreit auf, als sie bemerkte, dass Tony zunächst ganz erschrocken geguckt hatte. Aber sie meinte was sie gesagt hatte: Er sah in seiner schwarzen Jeans, dem schwarzgestreiften Hemd und dem flott geschnittenen Jackett wirklich gut aus. Als ihr Blick aber an seinem Gesicht hängen blieb, stahlen sich prompt sofort ein paar Sorgenfalten auf ihre Stirn. „Allerdings wirkst du müde und du bist ganz schön schmal geworden! Geht’s dir wirklich gut?“ Abby hatte ein feines Gespür, wenn es um ihre Freunde ging.

 

Doch Tony wiegelte anscheinend unbekümmert ab. „Aber klar geht’s mir gut. Die Lungenentzündung hängt mir noch ein wenig nach, aber in ein paar Tagen ist alles vergessen. Und sobald ich kann, werde ich wieder mit Sport anfangen. Das ich jetzt dünner aussehe, liegt nur daran, dass sich die Muskeln zurückgebildet haben.“

 

Nach kurzem Zögern entschloss sich Abby, diese Erklärung zu akzeptieren, obwohl sie nicht 100%ig davon überzeugt war, dass es auch stimmte, was Tony gesagt hatte. Aber heute sollte ein unbeschwerter Abend werden und so ging sie zur Tagesordnung über. „Also – wer will etwas von diesem grandiosen Eierpunsch, den Ducky nach einem alten Rezept seiner lieben Mutter gemixt hat? - Oder wollt ihr lieber einen Whisky, Single Malt, bestimmt 30 Jahre alt  … nicht wahr, Ducky? Ist doch richtig, oder?“, rief sie in die Küche, aus der als Antwort nur ein undefinierbares Brummen zu hören war.

 

Tony warf Ziva einen etwas unsicheren Blick zu und als er, in Erinnerung an ihren heftigen Streit, den sie vor zwei Tagen wegen des Alkohols gehabt hatten, schon dankend ablehnen wollte, kam ihm Ziva schnell zuvor und antwortete für sie beide: „Eierpunsch hört sich gut an. Wollen wir den probieren…“ Sie nahm Tony´s Hand und fügte leise und nur für ihn hörbar hinzu „... mein kleiner Pelzarsch.“ Laut fügte sie dann wieder hinzu: „Was meinst du?“

 

Tony riss einigermaßen entsetzt die Augen auf und blickte sich schnell um, aber anscheinend hatte niemand Ziva´s „Kosenamen“ für ihn gehört. Es wäre ihm doch unangenehm gewesen, wenn Gibbs oder McGee das mitgekriegt hätten. Dieser Name war etwas für mehrere Bürogenerationen und er hatte keine Lust die Quelle des Spotts zu werden.

 

Mittlerweile hatte Abby zwei Gläser gefüllt und an Ziva weitergereicht, die Tony eines davon abgab und ihm damit noch einmal ihre Zustimmung für dieses eine Glas an alkoholischem Getränk bekundete.  

 

Inzwischen hatte sich auch Gibbs zu ihnen gesellt, um mit ihnen anzustoßen. „Wie geht’s mit der Reha voran? Wirst du die Schiene bald los?“, begann Jethro das Gespräch. „Ziva erzählt ja nichts“, setzte er mit einem schiefen Grinsen hinzu.

 

„Hee“, beschwerte die sich prompt. „Wann haben wir denn mal Zeit zum Reden?“

 

„Schon gut, schon gut“, brummelte ihr Boss und wandte sich dann wieder Tony zu. „Und? Auch wenn wir heute Zeit haben, musst du dir nicht die Würmer aus der Nase ziehen lassen.“

 

„Ein bis zwei Wochen muss sie noch bleiben, dann kann sie hoffentlich weg. Das mit der Hand wird wohl noch länger dauern. Prof. Stern muss unter Umständen noch mal zwei Finger operieren, die Probleme bereiten, mal sehen“, gab Tony Auskunft, obwohl es ihm offensichtlich unangenehm war, darüber zu sprechen. Deshalb schnitt er auch gleich ein anderes Thema an. „Was denkst du, Boss, kann ich bald an meinen Schreibtisch zurück? Die rechte Hand ist ja einsatzfähig und soweit bin ich ja auch wieder fit. … Und … na ja, wenn ich ehrlich sein soll, zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf!“ Er sah Gibbs treuherzig an, gerade dieser würde ihn doch verstehen, er war ja selbst trotz seiner Schusswunde bereits nach kürzester Zeit schon wieder ins Büro zurückgekehrt, jedoch erkannte er nach einem Blick in die stahlblauen Augen seines Chefs sofort, dass er hier auf Granit beißen würde.

 

„Tony, in dieser Angelegenheit ist Vance unerbittlich. Bevor nicht wenigstens die Schiene ab ist, hast du keine Chance. Ich hab´ schon mal auf den Busch geklopft. Ich kenn´ dich ja schließlich. Sieh´ zu, dass deine Reha gut anschlägt, umso eher kannst du wieder mitmischen!“

 

Das war zwar nicht das was Tony hören wollte, aber vermutlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu gedulden. Dann kam auch noch die Frage, vor der er sich am meisten fürchtete.

 

„Und? Wie läuft es mit dem Psychologen?“ Gibbs fragte anscheinend ohne besonderen Grund, doch Tony entging nicht der wachsame Ausdruck, der sich plötzlich in Gibbs Blick geschlichen hatte.

 

„Ganz gut soweit“, antwortete er ausweichend. „Wir stehen ja noch am Anfang. So etwas braucht seine Zeit.“ Frustriert nippte er an seinem Eierpunsch, aber dann erinnerte er sich plötzlich an den Moment in dem Folterkeller, als er gedacht hatte, nie wieder an Ducky´s legendärem Thanksgiving-Fest teilnehmen zu können … und jetzt stand er hier, inmitten seiner Freunde, seiner Familie, mit seiner Frau – wie er Ziva seit dem Wochenende im Keller in seinen Gedanken immer nannte – also beschloss er, diesen Abend zu genießen und verbannte seine trüben Gedanken in die hinterste Ecke seines Bewusstseins.

 

„Bleib am Ball, hörst du?“

 

„Klar, Boss, was denkst du denn.“ Tony riss sich zusammen und es gelang ihm tatsächlich seiner Stimme den alten, von sich selbst überzeugten, Ton zu verleihen.    

 

**********

 

Später lehnte Tony in Gedanken versunken an einer der Säulen neben dem Eingang von Ducky´s Veranda und blickte versonnen den kleinen Wölkchen nach, die sein Atem in der bereits kalten Novemberluft bildete. Irgendwie war es ihm plötzlich zu eng geworden in dem Esszimmer, das von Gelächter und allen möglichen Gerüchen von Punsch und irgendwelchen Leckereien erfüllt war. Er war aufgestanden, hatte Ziva einen Kuss aufs Ohr gehaucht und gesagt, dass er nur ein wenig frische Luft schnappen wollte.

 

„Ich begleite dich“, hatte sie sofort angeboten, aber er hatte ihr seine gesunde Hand auf die Schulter gelegt, sie sanft wieder auf ihren Stuhl zurück gedrückt und leichthin darauf bestanden, dass sie ruhig weiter mit ihren Freunden feiern sollte..

 

„Nur ein paar Minuten – ich bin gleich wieder da …“, flüsterte er, dann verließ er die fröhliche, lachende Runde. Ein wenig beunruhigt sah Ziva ihm nach, ebenso wie Gibbs, der tief in seinem Inneren spürte, dass Tony noch lange nicht wieder der alte war.

 

**********

 

„Tony – was tust du denn hier draußen? Es ist empfindlich kalt. Eine neuerliche Erkältung wäre wirklich Gift für deine Lungen.“ Ducky war neben seinen jüngeren Kollegen getreten und sah ihn besorgt von der Seite her an.

 

Sofort setzte Tony sein unverkennbares Lächeln auf und wandte sich dem Pathologen zu: „Ducky, das weiß ich doch. Ich bin kein kleines Kind mehr. Behandelt mich doch nicht alle wie ein rohes Ei. Mir ist nicht kalt, die Jacke ist warm genug.“  Zur Unterstützung seiner Worte stellte er noch den Kragen seiner warmen Wolljacke auf. „Ein wenig frische Luft schadet mir bestimmt nicht!“

 

„Was ist los mit dir, mein Junge? Ich merke doch, dass dich etwas belastet. Ich würde dir wirklich gerne helfen, wenn ich kann!“ Begütigend blickte der kleine Engländer zu Tony auf. „Und wenn du mich lässt“, setzte er nach einer Pause hinzu.

 

Tony, der zuerst schon wieder abwiegeln wollte, so wie es eben seine Art war, stockte und dachte über das Angebot seines alten Freundes nach. Sicher, ein DiNozzo bekämpfte seine Probleme alleine; so hatte sein Vater es ihm eingebläut und so hatte er es all die Jahre über gehandhabt. Doch irgendetwas in seinem Inneren, ein unbestimmtes Gefühl, sagte ihm, dass es dieses Mal so nicht funktionieren würde. Dr. Randolph – undenkbar – mit diesem aufgeblasenen Gott würde er garantiert nicht reden – dann doch lieber Ducky, oder nicht? Also schluckte er die Erwiderung, die er schon auf den Lippen gehabt hatte, hinunter und sah wieder hinaus in die Ferne. Nach einer Weile senkte er langsam seinen Kopf und sagte dann so leise, dass Ducky es gerade noch verstehen konnte: „Ducky, ich glaube, ich könnte deine Hilfe wirklich gebrauchen...“

 

**********

 

Stockend hatte Tony von seinen Alpträumen erzählt, davon, dass er ohne Tabletten einfach keine Ruhe mehr fand und er sich trotz der Schlafmittel und der Besuche bei Dr. Randolph immer schlechter fühlte.

 

„Was meinst du“, hatte er schließlich mit schiefem Lächeln gefragt. „Bin ich noch zu retten oder falle ich unter die Kategorie „hoffnungslose Fälle“?“

 

Ducky hatte zwar schon geahnt, dass es Tony keineswegs so gut ging, wie er sie alle glauben machen wollte, aber diese Tatsache jetzt so unverblümt aus seinem Mund zu hören, erfüllte ihn mit ziemlicher Sorge. „Hier und jetzt kann ich nicht viel für dich tun, mein Junge, aber hast du vielleicht morgen Vormittag Zeit? - Wir haben gerade keinen dringenden Fall; ich würde mir frei nehmen, du kommst vorbei und dann können wir hier in Ruhe über alles reden und überlegen, was zu tun ist.“ Ducky wollte noch fortfahren, als er und Tony die Tür hinter sich hörten. Als sie sich umwandten, trat ihnen Gibbs entgegen.

 

„Jethro – steht dir auch der Sinn nach frischer Luft?“, ließ Ducky sofort verlauten, um den Eindruck zu vermitteln, Tony und er hätten lediglich ein wenig im Freien geplaudert. „Vielleicht sollte ich im nächsten Jahr die Veranstaltung als Gartenparty ausrufen.“

 

„Ihr seid schon eine ganze Weile hier draußen – und es ist ziemlich kalt“. Er ging nicht auf die Bemerkung des Pathologen ein, sondern fixierte DiNozzo mit seinem durchdringenden Blick, als könnte er so dessen Gedanken lesen. 

 

„Wir wollten eigentlich sowieso grade wieder rein kommen“, antwortete Tony scheinbar leichthin, „Vielleicht erlaubt mir Ziva ja noch ein Glas von deinem phantastischen Eierpunsch, Ducky, was meinst du?“ Er blickte mit seinem typischen Lächeln zwischen dem kleinen Schotten und seinem Boss hin und her, obwohl ihm eigentlich nicht zum Lachen zumute war. Aber er wollte seine wahren Gefühle auf keinen Fall vor Gibbs offenbaren, wenngleich er ahnte, dass dieser längst bemerkt hatte, dass er sich mit Problemen herum schlug. Er drückte sich von dem Pfeiler, an dem er gelehnt hatte, ab und ging immer noch lächelnd an dem Grauhaarigen vorbei, dabei warf er Ducky noch einen kurzen Blick zu und bedeutete ihm mit einem kurzen Nicken, dass er mit dem Vorschlag, sich morgen zu treffen, einverstanden war.

 

„Ein Glas wird dir wohl nicht schaden“, erklärte Ducky gleich darauf. „Warte, ich werde mit Ziva sprechen“.

 

„Danke“, antwortete Tony und damit meinte er sowohl Dr. Mallard´s Fürsprache bei seiner Freundin, als auch dessen angebotene Hilfe. Dann ging er zurück ins Haus.

 

Der kleine Pathologe wollte ihm schon folgen, als ihn Jethro am Arm zurückhielt. „Was ist mit Tony los?“, fragte er ohne Umschweife und sah seinem langjährigen Freund forschend ins Gesicht. „Und komm mir jetzt nicht mit irgendwelchen Ausflüchten.“

 

„Das habe ich nicht vor, Jethro, … aber wir alle wissen doch, was er durchgemacht hat. So etwas geht nicht völlig spurlos an einem vorüber. Er wird wohl noch einige Zeit brauchen, bis er dieses traumatische Erlebnis überwunden hat. Vielleicht kann ich ihm dabei helfen.“ Ducky sah zu dem grauhaarigen Ermittler auf. „Wir müssen ihm Zeit lassen. Und wenn ich dir einen guten Ratschlag geben darf…du solltest dich nicht einmischen. Lass mich machen.“

 

Gibbs atmete seufzend tief ein und aus und nickte schließlich wortlos. Er hatte sich schon so etwas gedacht und hoffte aufrichtig, dass sein Dienstältester Agent seine Probleme in den Griff bekommen würde. Dann fiel ihm doch noch etwas ein und er sagte:

 

„Ducky? Hör zu, wenn du…ich meine…wenn ich irgendwie helfen kann…“

 

„Werde ich auf dich zukommen. Verlass dich darauf, Jethro.“

 

To be continued - im neuen Thread !!!

 

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