DEIN GRAB SEI DIR GEWISS_Thread II

TEIL 10

Gibbs zieht sich gerade das Jackett über, als McGee das Großraumbüro betritt und mit fragendem Gesichtsausdruck vor dem Schreibtisch seines Vorgesetzten stehen bleibt.

„Du wolltest mich sprechen?“

„Nicht wirklich.“ Müde winkt Gibbs ab und wieder schüttelt ein Schauer seinen Körper durch. „Geh´ nach Hause, Tim. Mach Schluss für heute – es ist spät. Wir machen morgen weiter.“

„Fehlt dir was, Boss? Du siehst nicht gut aus.“

„Fängst du jetzt auch noch damit an?“ Der Grauhaarige faucht seinen Untergebenen unwirsch an. „Mit geht´s gut – außer, dass es hier saukalt ist. Irgendein Idiot hat wohl die Klimaanlage auf Eiseskälte gestellt.“

Die Miene von Tim spricht Bände. Es ist Sommer und im Büro ist es auch alles andere als kalt. Doch er hütet sich, noch eine Bemerkung zu machen. Wortlos dreht er ab, geht zurück zu seinem Tisch und greift sich seinen Rucksack. Gerade als er sich auf den Weg machen will, wird er doch noch einmal zurückgehalten.

„Tim?“

Auf halbem Weg zum Aufzug hält der Angesprochene inne und dreht sich um.

„Ja?“

„Kommst du klar? Ich meine…mit allem…was in den letzten Tagen passiert ist.“

Tim ist klar, dass allein die Tatsache, dass Gibbs ihn danach fragt, beweist, dass er selber Probleme damit hat, das Geschehene zu verarbeiten, was er selbstverständlich niemals so formulieren würde. Daher antwortet er sehr vorsichtig.

„Ich…na ja, es geht so.“ Abwartend bleibt der MIT-Absolvent stehen und beobachtet mitleidig, wie sein ehemals so knallharter Boss mehr und mehr in sich zusammen zu sinken scheint. Seine äußere Schale hat definitiv Risse bekommen.

„Es ist sicher schwer. Aber…wir müssen damit leben…wir dürfen uns nicht davon beeinflussen lassen, dass wir ein so persönliches Verhältnis zu den Toten hatten.“

„Ich wundere mich, dass Vance uns den Fall nicht wegnimmt“, rutscht es McGee heraus.

Ein schiefes Grinsen huscht kurz über Gibbs´ Gesicht. „Oh, das wollte er. Glaub mir, das wollte er.“

„Alles klar, Boss.“ In diesem Augenblick bemerkt Tim etwas, was seine Sorgen um Gibbs ins Unermessliche steigert. Das kann, das darf er nicht totschweigen. „Äähhm…Boss?“

„Nun spuck schon aus, was du auf dem Herzen hast.“

„Du…du hast Nasenbluten.“

Da tropfte auch schon der erste Tropfen auf die Schreibtischunterlage vor Jethro und der zweite Tropfen folgte umgehend. Tim eilt zum Tisch und reicht seinem Chef ein Taschentuch.
„Bist du sicher, dass es dir gut geht?“ Aus der Nähe sind die Schweißtropfen auf Gibbs´ Stirn unübersehbar.

„Ja, verdammt! Und jetzt mach, dass du wegkommst!“, herrscht sein Boss ihn sauer an. „Wir sehen uns morgen.“

McGee nickt und geht zurück zum Aufzug. Er drückt den Knopf und als sich kurz darauf die Tür öffnet, wirft er noch einen Blick über die Schulter zurück zum Schreibtisch, wo Gibbs gerade verzweifelt versucht, den Blutstrom, der inzwischen aus seiner Nase läuft, zu stoppen. Er hebt eine Hand zum Abschied und sagt:

„Bis morgen, daaaaaaa….."

Als der markerschütternde Schrei ertönt, gefriert Gibbs das Blut in den Adern. Es dauert nur Bruchteile von Sekunden, in denen der Schrei leiser wird und schließlich mit einem dumpfen Platschlaut endet. Fassungslos springt er Chefermittler auf, stößt seinen Stuhl beim Aufstehen glatt um und rennt so schnell ihn seine Beine tragen zum Aufzug. Er stoppt und registriert, dass dort, wo eigentlich die Kabine den einsteigenden McGee aufnehmen sollte, ihn lediglich ein schwarzes Loch angähnt. Er beugt sich vor und sieht einige Stockwerke weiter unten den Körper seines Junioragenten in merkwürdig verdrehter Pose liegen…

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Smith hatte in die Mitte des Plakats einen großen Kreis gezeichnet, darin prangten jetzt dick und fett die Worte: TONY´S TOD. Das war das entscheidende Thema. Das Non-plus-Ultra-Thema, um das seit Stunden, ach was, seit Tagen, seine Gedankenwelt kreiste. Das Thema, das ihm den Schlaf raubte. Das Thema, das ihn langsam aber sicher an seinem Verstand zweifeln ließ. Er wollte, er könnte es so machen, wie dieser Gibbs. Sich einfach eine gute, eine wirklich gute Idee befehlen, doch so einfach, wie sich das anhörte war das leider nicht.

Schön und gut, jetzt brauchte er ein paar Hauptpunkte. TÖDL.SCHUSS – ERSTICKEN – UNFALL – EIGENE DUMMHEIT (nein, das verbannte er gleich wieder aus seinen Gedanken) – GIFT – STUMPFE GEWALTANWENDUNG (nein, das taugte auch nichts, das kam in jedem 2. Krimi mindestens einmal vor und er hatte keine Lust, mit etwas in Verbindung gebracht zu werden, dass auf eine Art Massenproduktion hinauslief) – KÖRPERLICHE GEWALTANWENDUNG/FOLTER – …

Jeder Mordart gönnte er einen eigenen Ast, der vom Mittelpunkt ausging. Im nächsten Schritt wollte er zu den gesammelten Hauptpunkten die wichtigsten Aspekte sammeln. Jeweils das „Für“ und das „Wider“ abwägen. Minutenlang stand er stumm in Gedanken versunken vor dem Flipchart und spielte geistesabwesend mit dem Filzstift in seiner Hand. Die von ihm gezeichneten Nebenäste warteten auf ihre Unterpunkte, doch der Raum unter den jeweiligen Überschriften blieb leer.

„Verdammt“, entfuhr es ihm. Zu jedem einzelnen Ast fiel ihm leider nur eine einzige Formulierung als Unterpunkt des Nebenastes ein. LANGWEILIG! Alles schon dagewesen. Was er brauchte war etwas Neues – etwas wirklich Neues!

Es war zum davonlaufen. Dieses Teflongesicht eines Möchtegern-Halbitalieners raubte ihm noch den letzten Nerv. Smith wollte sich nicht die Blöße geben, tatsächlich auch noch die Methode des Problem-Analyse-Schemas anzuwenden. Okay, das wäre vermutlich gut, um das Thema noch tiefer zu intensivieren. Es wäre gut, um das Problem, das er scheinbar mit DiNozzo hatte, zu durchleuchten. Vielleicht gelänge es ihm dadurch auch, die Ursache zu erkennen, warum dieser Teletubbi in dieser Ausgiebigkeit seiner Kreativität schadete.

 

TEIL 11

Thomas hatte sich mal wieder in seinen Keller zurückgezogen. Er war sauer – Gott, sauer war noch heftig untertrieben. Er kochte vor Wut. Grund war der Anruf, den er heute Morgen von Fisher erhalten hatte. Dieser Anruf hatte ihm die Stimmung so was von gründlich verhagelt, dass er im Grunde nichts dringender brauchte als ein Ventil, um seine Wut an irgendetwas oder irgendjemand auszulassen. Er hatte es mit Elisabeth versucht, doch seine holde Gattin hatte den Braten gerochen und sich geschickt mit der Bemerkung „Ich fahre dann jetzt mal einkaufen“ aus der Gefahrenzone gebracht. Jetzt hatte er am späten Vormittag schon wieder drei Scotch intus – von dem richtig Guten, versteht sich – und stand grübelnd vor seinem Flipchart. Zu allem Unglück war ihm immer noch nicht eingefallen, wie man DiNozzo am besten um die Ecke bringen sollte.

Zeit! Er brauchte Zeit! Die Zeit war ein wichtiger Faktor, denn immerhin zeigte Gibbs inzwischen bereits deutliche Symptome seiner Erkrankung. Und da geplant war, dass der Chefermittler als letzter in Gras beißen sollte, lief ihm so langsam die Zeit davon. DiNozzo musste sterben! Grausam und doch schnell! Hmm…

Wieder kochte die Wut in ihm hoch und ließ ihn sein Glas unbeherrscht in Richtung Flipchart pfeffern. Es klatsche kurz, dann zerschellte es auf dem staubigen alten Steinboden des Kellers. Zähneknirschend beobachtete Thomas, wie die goldgelbe Flüssigkeit sich langsam über das Papier ihren Weg gen Erde suchte und dabei seine krakeligen Filzstiftworte in Schlieren nach unten verschmierten. Himmel, er war sein Unglück ja auch noch selber schuld. Hätte er sich gestern nicht freigenommen, dann wäre das nie passiert. Doch er hatte sich – zum ersten Mal überhaupt – mit der Entschuldigung an einem akuten Migräneanfall zu leiden – ausgeklinkt und somit eine Besprechung versäumt. Dabei war ihm anscheinend viel entgangen, denn damit, was Fisher ihm eben berichtet hatte, hätte er im Leben nie gerechnet. Aber offenbar hatten die Auftraggeber Fishers Plan voreilig abgenickt und so hatte das Schicksal seinen Lauf genommen.

Stümper waren sie! Allesamt! Er war von Stümpern umgeben und das Ergebnis war, dass McGee den Anschlag überlebt hatte. Schwer verletzt zwar, wie Fisher betont hatte, aber er hatte überlebt. Wenn er dabei gewesen wäre, wäre dies mit Sicherheit nicht passiert. Dann wäre Timothy McGee – wie alle anderen auch – in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Und jetzt? Lag er mit zahlreichen Knochenbrüchen und inneren Verletzungen im Bethesda Hospital und… Ja, was und? Was sollte das ganze Theater überhaupt? Konnten die sich nicht einmal an einen vorgegebenen Weg halten? Wie hatte der Auftrag gelautet? Bringt das Team um! Eine einfache, eine glasklare Anweisung! Seit Jahren mordete er sich höchst erfolgreich durch die Lande und jetzt so was! Niemand hatte ihn schließlich engagiert, einen davonkommen zu lassen. Er konnte nur hoffen und beten, dass das nicht auf ihn zurückfallen würde… Nie wieder würde er in einem Team arbeiten – nie wieder! Soviel stand mal fest!

Thomas hob schnuppernd seine Nase in die Luft. Bildete er sich das nur ein, oder roch es hier … irgendwie verbrannt? Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Kehle, als ihm mit einem Mal klar wurde, was das zu bedeuten hatte. Elisabeth war wieder zu Hause und vermutlich wollte sie ihm wegen seiner schlechte Laune etwas Gutes tun und kochte gerade mal wieder sein vermeintliches Lieblingsgericht: Lasagne. Leider waren die Qualitäten seiner Frau als Köchin sehr…nun, mit äußerstem Wohlwollen würde er sie immer noch als höchst fraglich bezeichnen. Das war jetzt wirklich das Tüpfelchen auf dem „i“ – zu allem Überfluss bekam er gleich auch noch verbranntes Essen vorgesetzt. Na, super!!! Moment mal…

Verbrannt? Thomas Gehirn begann zu rattern. Schneller, als er seine Gedanken ordnen konnte. Doch, das war es! Zwei schnelle Schritte und schon stand er vor dem Flipchart. Festhalten, er musste seine Gedanken festhalten, bevor sie sich wieder ins Nirvana verkrümelten. Flugs riss er die nasse erste Seite ab und ließ ihr gleich die zweite noch folgen, denn auch diese war inzwischen scotchgetränkt. Wo zum Teufel war sein Filzstift, wenn er ihn brauchte? Ah, auf der Truhe. Er griff so hektisch danach, dass er sich gleich noch einen Splitter in den Finger rammte. Egal! Fünf Minuten später betrachtete er zufrieden sein Werk:
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Memo zu DiNozzo´s Tod:

Todesursache: Ein gezielter Brandanschlag

Ort: ????

Vorteile: Er sieht seine Kollegen sterben, Grausamkeiten können besonders hervorgehoben werden.

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Ja, das war´s, dachte er still bei sich. Das würde ihm Spaß machen. Alleine bei der Vorstellung , wie DiNozzo sich im Todeskampf winden würde – wie er währenddessen sein Leben und das seiner Kollegen wie in Zeitlupe noch einmal vor seinem inneren Auge vorbeiziehen sieht, während sich das Gewebe seiner Kleidung langsam, aber unaufhörlich in seine Hautoberfläche frisst, ließ Thomas´ Stimmungspegel gleich wieder in ungeahnte Höhen steigen. Er glaubte förmlich, den Gestank verbrannter Haare und Haut in seiner Nase zu spüren, doch gleich darauf lachte er kurz auf. So ein Blödsinn. Seine Phantasie ging mit ihm durch…das war natürlich nicht möglich – dabei handelte es sich lediglich um sein verbranntes Mittagessen. Doch selbst die Erwartung dessen konnte ihn jetzt nicht mehr schrecken. Nichts konnte ihn mehr erschrecken. Noch nicht einmal das Unvermögen seiner Partner. Er hatte die Lösung vor Augen – endlich wusste er, wie er Anthony DiNozzo, diesem selbstverliebten italienischen Womanzier, das Grinsen aus seinem Gesicht austreiben würde. Und das Beste an der Geschichte war: Er würde definitiv seinen Spaß daran haben…

„Thomas?“

Ungehalten darüber aus seinen Gedanken gerissen zu werden, ging er die paar Schritte zurück zur Kellertreppe und antwortete den Schacht hinauf: „Ja?“

„Kommst du essen, Schatz? Es gibt Lasagne – extra für dich!“

`Man kann es riechen´, dachte Thomas mit einem diabolischen Grinsen bei sich, während er laut sagte: „Ich bin gleich da – ich freu´ mich schon drauf.“ Bevor er die Treppe nach oben stieg warf er einen letzten Blick zurück über die Schulter auf seinen Flipchart. Oh ja, er konnte es nicht leugnen, er freute sich darauf. Um genau zu sein konnte er es kaum noch erwarten zuzuschlagen. Doch noch mussten ein paar Einzelheiten geklärt werden. Aber der Knoten war geplatzt. Endlich!

 

TEIL 12

Mit stolz geschwellter Brust betrat Smith den Fahrstuhl, der ihn in die oberste Etage bringen sollte. Während sich die Türen geräuschlos hinter ihm schlossen, blickte er in den Spiegel, der an einer Seitenwand der Kabine angebracht war. Die Ringe unter seinen Augen zeugten von den vielen schlaflosen Nächten der letzten Wochen. Seine Haut war fahl und ausgelaugt. Doch dieses Mal waren nicht die Albträume schuld, die ihn in den vergangen Monaten Nacht für Nacht gequält hatten, sondern seine Arbeit. Die detailgenaue aufwendige Planung von Anthony DiNozzos Tod…

Aber jetzt war es vorbei und Thomas registrierte wieder einmal die grenzenlose Erleichterung. Er hatte es einmal mehr geschafft. Bis in die letzte Finesse wusste er nun, was zu tun war. Sein Plan schien perfekt und er freute sich schon auf den großen Knall, wenn er die Bombe in wenigen Minuten vor all seinen Kollegen und seinen Auftraggebern platzen ließ. Allerdings war ihm auch bewusst, dass es nicht ganz einfach werden würde, seine Vorstellungen allen – wirklich allen – schmackhaft zu machen.

Ja, sicher, es war ein hartes Unterfangen, gewiss auch ein Risiko, in letzter Sekunde noch einmal alles umzuschmeißen und vermutlich kam damit nicht nur verdammt viel Arbeit auf das Team und ihn zu, sondern auch erhebliche Zusatzkosten auf seine Auftraggeber. Sein flammendes Inferno war nicht billig. Doch in seinen Augen war es das jeden einzelnen und noch so verrosteten Cent wert. Und wenn die anderen das nicht erkannten, waren sie nichts weiter als nutzlose Rentiere. An Weihnachten fühlen sie sich groß, doch in Wirklichkeit werden sie noch nicht mal in dieser festlichen Zeit von Santa Claus benötigt. So war das Leben eben. Aber er war sich sicher, alle überzeugen zu können – er musste seinen Plan nur gewohnt selbstbewusst präsentieren. Dann würden sie ihm alles abkaufen.

Thomas Smith betrat den kleinen, gelb gestrichenen Flur, der ihn zum Besprechungsraum am hinteren Ende führte. Pfeifend setzte er einen Fuß vor den anderen und stellte keinen Versuch an, seine gute Laune auch nur ansatzweise vor den, ihm entgegenkommenden Menschen zu verbergen. Einige davon kannte er – andere wiederum nicht, doch er grüßte sie allesamt mit einem freundlichen „Guten Morgen“. Er wusste nicht, ob er es sich nur einbildete, oder ob die Leute sich hinter seinem Rücken tatsächlich umdrehten und ihm leicht befremdet nachsahen. Oh Gott, wahrscheinlich wirkte er gerade wirklich etwas grotesk auf seine Umwelt. Seine Frau hatte heute Morgen vermutlich den Nagel auf den Kopf getroffen, als sie ihm sagte, er sähe wie eine aufgeschreckte Vogelscheuche aus, die in der Nacht von Krähen ordentlich durch gekitzelt worden war. Seine vor Freude funkelnden Augen und seine überschwängliche gute Laune standen sicherlich im krassen Kontrast zu den aufgeschwollenen dunklen Ringen unter den Augen und den sonstigen unübersehbaren Spuren, die die letzten Wochen an seinem Äußeren hinterlassen hatten. Er wusste sehr gut, dass seine Frau meistens recht hatte, wenn sie derartige Äußerungen von sich gab. Wie hatte der italienische Regisseur Federico Fellini einmal gesagt? ‚Zweifle nie am guten Urteil deiner Frau. Immerhin hat sie ein Genie geheiratet‘.

Ein breites Grinsen überzog sein Gesicht. Na und? Sollten Sie ihn doch ruhig anstarren, wie einen armen Irren. Das machte ihm schon lange nichts mehr aus, denn er wusste es besser. Es war schon öfters einmal vorgekommen, dass er gegen Ende eines Auftrages etwas … na ja, derangiert wäre wahrscheinlich der passende Ausdruck, wirkte, aber das erledigte sich nach getaner Arbeit meist wieder schnell!

Schwungvoll betrat er den Raum und ein lockeres „Einen wunderschönen Guten Morgen wünsch ich allen“ kam über seine Lippen. Verhaltene Blicke trafen ihn, ein paar Kollegen nickten ihm kurz zu, doch nach dem kurzen Moment der stillen Aufmerksamkeit wendeten sie sich wieder von ihm ab und konzentrierten sich auf den vorherigen Gesprächspartner oder beschäftigen sich auffallend intensiv mit ihren Arbeitsblättern.

„Wie schön, dass sie uns auch mal wieder beehren, Mr. Smith“, vernahm er die dunkle Stimme eines seiner Auftragsgeber, der sich zuvor in der hintersten Ecke des Raumes aufgehalten hatte und den Smith zunächst gar nicht wahrgenommen hatte. Nun kam der Anzugträger, mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der einen und einem französischen Croissant in der anderen Hand auf ihn zu. „Ich hoffe doch stark, Sie haben ihre schöpferische Pause genutzt und haben etwas für uns?“ Er nahm einen Schluck, trat dann ganz dicht an Smith heran und beugte sich ihm entgegen. „Unter uns gesagt, ich zähl´ auf Sie. Ich bin hier nur von Idioten umgeben.“

Thomas schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln und warf einen Blick in die Runde. Es waren ein paar kluge, wirklich begabte Köpfe darunter, das wollte und konnte er nicht abstreiten. In ihrer Kreativität vielleicht ein wenig einfältig, aber es konnte ja auch nicht jeder so sein, wie er. Das gäbe vermutlich Mord und Totschlag. Und davon hatten sie wahrlich genug. Sie waren hier zusammengekommen, um ein wahnwitziges Unterfangen auf die Bein zu stellen, ein Knaller, ein unvergessliches Erlebnis. Eines, das nachhaltig in den Köpfen der Menschen widerhallen sollte.

„Lassen Sie uns anfangen!“ Der oberste Boss trat forschen Schrittes in den Konferenzraum und schloss die Tür hinter sich. Während das Gemurmel versiegte und das Geräusch von unzähligen Stuhlbeinen, die über das alte abgewetzte Parkett in die richtige Position geschoben worden, den Raum erfüllte, öffnete Smith in aller Seelenruhe seine Aktentasche, wühlte zwischen den Heften und Blättern herum und zog schließlich beinahe theatralisch sein Meisterstück hervor.

„Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne beginnen.“ Selbstbewusst lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. „Ich habe die letzten Tage und Nächte unsere Notizen geordnet, ergänzt und abgeändert. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen jetzt sagen muss, dass viele Szenen überarbeitet werden müssen. Aber es war leider unmöglich, auf alle bisherigen Skripte einzugehen, daher müssen wir uns mit dem Gedanken anfreunden, umzudenken.“ Natürlich hatte er selbst längst umgedacht und für ihn war das Thema durch, aber er hielt es für schlauer, wenn er sich in diesem Moment nicht von der Gruppe distanzierte.

Es setzte wieder ein Gemurmel ein. Dieses Mal eher erzürnt als heiter, doch damit hatte Smith gerechnet. „Glauben Sie mir, es wird sich lohnen“, beendete er seine Einleitung. „Ich werde Ihnen den Ablauf nun darstellen, danach können wir gerne diskutieren.“ Aber ich werde mich nicht davon abbringen lassen, ergänzte er in Gedanken und um seine zuckenden Mundwinkel im Zaum zu halten, räusperte er sich ein-, zweimal laut. Abwartend blickte er seinen Auftraggeber an, der ihm durch ein leichtes Nicken signalisierte, dass er beginnen sollte.

„Also gut, wir beginnen die Folge mit einer Nahaufnahme von DiNozzo. Ein leidvolles Gesicht, die Augen panisch aufgerissen und den Mund zum Schrei geöffnet. In Schwarz-Weiß natürlich! Allerdings würde ich ausnahmsweise davon abweichen, es nur als Foto darzustellen, sondern ich würde ein kurze Filmsequenz bevorzugen.“ Smith beobachtete wie einige Teamkollegen sich gemütlich im Stuhl zurücklehnten, während andere die Augen verdrehten. Na wartet, dachte er bei sich. Ihr werdet mir noch dankbar sein. Ungerührt fuhr er fort: „In Szene 1 müssen wir einiges abändern. Der Anfang bleibt, die Szene sollte allerdings vor Leidenschaft triefen, damit hier die Tiva-Fans auf ihre Kosten kommen. Allerdings müssen wir hier auch einbauen, dass die Beiden sich quasi verabschiedet haben, weil DiNozzo einen längeren Undercoverauftrag übernehmen soll. Das ist wichtig, damit im späteren Verlauf die anderen Teammitglieder sein Verschwinden nicht bemerken. Ziva wird vom Angreifer an ihrem Wagen angegriffen, aber nicht getötet. Sie kann ihn überwältigen. Da schwebt mir eine grandiose Kampfszene vor, allerdings gelingt es dem unbekannten Täter zu flüchten.“

„Du wolltest doch unbedingt, dass Ziva David stirbt. Warum jetzt dieser plötzliche Sinneswandel?“, warf einer aus dem Team ein.

„Weil wir sie brauchen, damit wir ihre Figur mit der bisherigen Tonyposition austauschen können. Ich nehme nicht an, dass ihr das komplette Memo umschreiben wollt? Oder?“ Grinsend und siegessicher blickte er in die Runde.

„Ich versteh jetzt gar nichts mehr“, maulte Fisher und auch die stahlblauen Augen seines Auftraggebers blickten etwas verwirrt drein: „Da bin ich aber jetzt wirklich mal gespannt, was Sie uns da servieren.“

„Abwarten“, murrte Smith. Die Ungeduld mancher Kollegen brachte ihn stets auf die Palme, doch den Auftraggeber wollte er auf keinen Fall verärgern. „In einer Zwischenszene werden wir dann ein paar verwackelte Aufnahmen sehen, darauf ist allerdings nur eine Hand zu sehen, die eine Flasche festhält und die darin befindende Flüssigkeit über die Werkzeuge in Gibbs Keller verteilt.“

Einzelne Aaahs und Ooohs waren zu hören. So langsam schienen einige den Faden wieder aufnehmen zu können.

„Szene 2 bleibt unverändert. Dr.Mallards Haus fliegt in die Luft. Nur die Überleitung müssen wir anders aufziehen. Denn aus der Explosion raus, wagen wir einen Blick zu Tony. Er wird von einem Psychopaten festgehalten. Er sieht Filmaufnahmen von der Explosion. Hier werden wir, genau wie in der vorherigen „Filmszene“, diesen Spezialeffekt beibehalten. Ihr wisst schon, wie in diesem Horrostreifen ‚Blair with project‘: Schlechte Kameraführung, miserable Tonaufnahmen, amateurhaft und dadurch so realistisch wie nur möglich.“ Smith wagte einen Blick in die Gesichter in der Runde, doch keinerlei Reaktionen waren zu erkennen. Nur versteinerte Visagen und weit aufgerissene Augen spiegelten das Interesse seiner Zuhörer wieder. Er hatte es nicht anders erwartet.

„In Szene 4, die im Büro spielt, wird nun Tony durch Ziva ersetzt. Man sieht an ihr noch die Spuren des Angriffs, aber ansonsten wirkt sie gefasst. Wie geplant, machen wir dann den Wechsel rüber in Abbys Wohnung. Ich hoffe ich muss nicht erwähnen, dass auch hier Tony und Ziva ausgetauscht werden müssen. Oder?“

Leises Kichern war zu hören und auch Smith konnte sich dieses Mal ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Dabei war seine Frage tatsächlich ernst gemeint, denn wenn ihn die Vergangenheit etwas gelehrt hatte, dann, dass man in der Regel von vielen Idioten umgeben war.

„Hier werden wir wieder die normalen Kameraaufnahmen durch Amateuraufnahmen ergänzen. Danach werden wir uns Tony widmen. Es muss deutlich werden, dass er alles live mit ansehen muss. Die Verzweiflung und Trauer müssen in seinen Augen erkennbar sein. Aber auch die Angst und der Schmerz. Hier können wir nun übelste Foltermethoden für unsere Whump-Fans einbauen. Vom Täter sieht man allerdings immer nur die Hände und die Schuhe.“

„Oh ja“, fiel ihm ein neuer Kollege eifrig ins Wort. „Wir könnten ihn knebeln, ihn danach mit…“

„Später“, stoppte Smith die aufkochende Begeisterung des jungen Kollegen, den er insgeheim sehr wegen seiner abartigen Ideen schätzte, was er allerdings nie offen zugeben würde. „Bleiben wir zunächst beim Ablauf.“

Sein Gegenüber nickte und presste seine Lippen fest aufeinander. Man sah ihm an, wie seine Gedanken im Kopf Purzelbäume schlugen und wie schwer es ihm fiel, sich zurückzuhalten.

„Als nächstes kommen wir zu Jimmy Palmer. Der Unfall kann bleiben. Bis auf eine Sache, ihr wisst schon…“, Smith zwinkerte verschwörerisch in die Runde. „…der Tony-Ziva-Tausch.“

„Und Tony wird wieder gezwungen, alles über die Amateurkamera mit anzusehen“, ergänzte ein anderer.

„Richtig!“ Thomas machte daraufhin eine bedeutungsschwangere Pause und holte tief Luft. Jetzt war es an der Zeit, seinen Trumpf auszuspielen. „In einer weiteren Szene hören wir nun zunächst das laute hysterische Auflachen des Psychopaten. Dann sehen wir, wie er Benzin verteilt und weitere Vorbereitungen trifft ein Feuer zu legen.“ Es war, wie er es sich insgeheim erhofft hatte, die Münder standen offen. Allesamt. Einige vermutlich, weil sie ihn nun endgültig für übergeschnappt hielten, andere, weil sie sich mitreißen lassen konnten.

„Dann wechseln wir ins Büro. Der neue Pathologe kommt, stellt sich vor. Alles wie bereits geplant. Achtung: hier brauchen wir eine Großaufnahme der Schuhe des FBI-Pathologen. Wir folgen ihnen noch ein kleines Stück, wechseln dann zu McGees Schuhen, die seinen Weg kreuzen und kehren danach zu Gibbs zurück.“

„Cooler Übergang“, hörte er aus der Ecke, doch Smith ignorierte gekonnt den Kommentar.

„Während McGee in den Fahrstuhl stürzt, kämpft Tony verzweifelt gegen das Flammenmeer. Gibbs blickt nach unten in den Fahrstuhlschacht und bricht endgültig zusammen. CUT. Schwarz-Weiß Bilder von McGee, Gibbs, dann die Videoaufnahme von DiNozzo.“

„Was ist mit Ziva?“, wollte jemand wissen.

„Hallo??? Irgendjemand muss die anderen doch in der nächsten Staffel retten. McGee überlebt, das habt ihr ja schon festgehalten, Gibbs bekommt in letzter Minute sein Gegenmittel, Ziva fährt statt nach Hause, in Tonys Wohnung, weil sie ihren Ohrring sucht und findet entsprechende Hinweise. Selbst Abby wird wieder lebendig. Da gibt es diese Droge, die einen Tot erscheinen lässt.“

„Wie? Alle überleben?“

„Nein, nicht alle!“

„Dr.Mallard und Jimmy Palmer?“

„Wie ihr ja sicherlich gehört habt, möchte Ducky aufgrund seines Alters freiwillig ausscheiden und Jimmy Palmer – nun ja, ein bisschen Schwund ist schließlich immer. Wir werden die Autopsie ab der nächsten Staffel einfach neu besetzen.“ Thomas wollte den anderen nicht verraten, dass Jimmy alleine aufgrund seines ganz persönlichen Albtraumes keine Daseinsberechtigung mehr hatte. Was der Typ da alles mit ihm angestellt hatte…nee, das würde er der Figur nie vergessen und so hatte er wenigstens eine Gelegenheit gefunden, ihm eins auszuwischen. Aber das musste er seinen Mitstreitern ja nicht verraten - er konnte auch im Stillen seinen kleinen Triumpf genießen.

Leroy Jethro Gibbs, seines Zeichens als Mitproduzent einer der Hauptauftraggeber nahm einen weiteren Schluck Kaffee und lächelte breit, bevor er süffisant in den Raum warf: „Na, ich schätze, dann habe ich ja wohl Glück gehabt, dass der alte Spanner in der nächsten Staffel in letzter Minute doch noch sein Gegenmittel bekommt.“

Thomas konnte nicht verhindern, dass ihm seine gesammelten Notizen aus der Hand rutschten und zu Boden fielen. Jetzt war es an ihm, den Schauspieler mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund anzustarren: Woher zum Teufel wusste Gibbs von seinem Albtraum???

EPILOG

September 2013


Für Los-Angeles-Verhältnisse war es kalt – saukalt um genau zu sein – und wieder einmal war Thomas froh, dass er ein Mann war und sich nicht großartig um irgendwelche Kleidungsfragen kümmern musste. Rein in den dunklen Anzug, Krawatte oder Fliege – in diesem Fall eine Fliege – schwarze Schuhe dazu und fertig. Ganz anders Elisabeth, die sich schon Wochen vorher mit dem Problem „Was zieh´ ich bloß an?“ herumgequält hatte. Sie hatte gejammert, entsetzlich genervt und so lange gequengelt, bis er schließlich, völlig am Ende mit seinen Nerven, zugestimmt hatte, dass sie sich dieses schweineteure Abendkleid leistete. Dazu noch ein paar Schuhe, die a) unter dem Kleid sowieso nicht auffielen und b) locker 3 Raten seiner Hypothek finanziert hätten – aber was tat man nicht alles, um endlich seine Ruhe zu haben???

Jetzt stöckelte seine Frau zu seiner heimlichen Schadenfreude unsicher neben ihm auf den Eingang des Nokia-Theatres zu. Das heißt, eigentlich blieb sie immer weiter hinter ihm zurück.

„Thomas, so warte doch auf mich“, rief sie prompt leise, doch der eindringliche Unterton war ihm eine Warnung und so blieb er stehen; allerdings ohne sich umzudrehen. Das fehlte gerade noch, dass seine Frau hier wie eine Sirene herumtönte und alle Welt auf sie aufmerksam machte. Kurz darauf spürte er, wie sie sich aufatmend in seine Armbeuge hing.

„Du liebe Güte“, schimpfte sie flüsternd, während sie sich mit einem irgendwie leicht grotesken…es sollte wohl ein Lächeln darstellen … Gesichtsausdruck nach rechts und links umwandte und huldvoll nickend Menschen begrüßte, die sie nicht einmal kannte. „Dass es aber auch ausgerechnet heute so kalt sein muss – ich friere wie ein Schneider. Und dieser Teppich ist ein absolutes No-Go. So ein bescheidenes Material. Können die sich hier denn nichts Besseres leisten? Dauernd bleibt man mit den Schuhen in diesem blöden tiefen Flor hängen.“

„Hättest du dir halt andere Schuhe anziehen sollen“, rutschte es Thomas unbedacht heraus. Seine Holde nervte ihn gerade mal wieder vom feinsten und er hatte wirklich keine Lust, sich den Abend verderben zu lassen.

„Thomas“, fauchte Elisabeth erbost.

„Ist doch wahr! Komm, wir gehen rein – drinnen dürfte es auch wärmer sein…“

„Thomas! Da! Sieh doch!“ Elisabeth ließ ihren Mann los und zeigte aufgeregt auf einen großgewachsenen, gutaussehenden Mann, der sie gerade mit weit ausholenden Schritten überholte. An seiner Seite tippelte rasch und gekonnt eine perfekt frisierte Blondine, die ihm trotz ihrer mörderischen Highheels gerade bis an die Schulter reichte. Allerdings schien diese Frau keinerlei Probleme mit dem Teppich zu haben, frohlockte Thomas still bei sich.

„D…d…da…Das war doch dieser…oh Mann, jetzt fällt m…m…mir der Name n…n…nicht ein“, stammelte seine Frau mit klappernden Zähnen. Thomas seufzte tief, packte seine Gattin an der Hand und zog sie kurzerhand weiter in Richtung Eingang. Wenn er nicht aufpasste, dann würde Elisabeth ihn noch hier – auf dem roten Teppich – bis auf die Knochen blamieren. Es wurde Zeit, dass er sie aus dem Blitzlichtgewitter entfernte. Schon allein, die Vorstellung, dass sie sich hier womöglich noch vor lauter Aufregung und Unvermögen auf diesen dämlichen Schuhen zu laufen, vor Dutzenden von Kameras lang machte, trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn…

*****


Kurz darauf hatte sie ein Beauftragter der CBS, des turnusgemäßen Produzenten der Veranstaltung an ihre Plätze geleitet und Elisabeth ließ sich genauso aufatmend nieder, wie Thomas. Geschafft! Sie hatten es tatsächlich heil und ohne weitere Vorkommnisse bis an ihren Tisch geschafft. Sie waren die Ersten, doch sie blieben nicht lange alleine und nach ein wenig Smalltalk nach rechts und links brandete schließlich Beifall auf und die 65. Emmy-Verleihung nahm ihren Lauf.

Kategorie um Kategorie wurde abgehandelt und Thomas hatte mittlerweile Mühe, seine Nervosität nach außen zu verbergen. Als seine Nominierung – na ja, strenggenommen war es ja die des Teams, mit dem er an dieser speziellen Serienfolge gearbeitet hatte – bekanntgeworden war, hatte er dies äußerlich sehr cool aufgenommen. Wie selbstverständlich hatte er die Glückwünsche der anderen entgegengenommen, denn schon alleine die Nominierung war schließlich aller Ehren wert. Innerlich hatte er sich gefreut wie ein kleiner Junge. Zeigte es ihm doch, dass es die vielen Arbeitsstunden und die schlaflosen Nächte wert gewesen waren. Nachdem er vor einiger Zeit die Produzenten der Serie endlich davon hatte überzeugen können die Folge zum Staffelende, trotz einiger immer noch bestehender Bedenken hinsichtlich der Kosten und der Frage, ob nicht die ein oder andere Szene doch zu heftig für die Primetime wäre – insbesondere der grausame Tod von gleich 2 beliebten Teammitgliedern – nach seinen Vorstellungen und Plänen zu drehen, hatte sich herausgestellt, dass sein Instinkt mal wieder goldrichtig gewesen war. Die Folge war eingeschlagen wie eine Bombe! Die Einschaltquoten waren aufgrund geschickt vorher gestreuter Vorschausequenzen immens in die Höhe geschossen und in den verschiedenen Foren im Internet hatte man noch Wochen später über „seine“ Folge diskutiert.

Thomas…Thomas…!“ Aufgeregt zerrte Elisabeth an seinem Arm. „Du, Schatz, ich glaube, jetzt kommt eure Kategorie!“

„Ja, doch! Ja, ist ja schon gut“, raunte er unwillig in Richtung seiner Frau und befreite seinen Arm aus ihrer Umklammerung. Es fiel ihm schwer, so zu tun, als ginge ihn das alles gar nichts an, doch innerlich zitterte er wie Espenlaub, als ein bekannter Seriendarsteller, der jahrelang höchst erfolgreich einen sehr, sehr böswilligen Arzt dargestellt hatte, schließlich zu den Nominierungen für das beste Drehbuch einer Dramaserienfolge kam. Fünf Nominierte – sie wurden an 3. Stelle genannt – ein gutes oder ein schlechtes Omen? Thomas bekam kaum noch mit, was um ihn herum passierte. Erst als der Beifall aufbrandete und ihm alle möglichen Leute auf die Schultern klopften und ihn vom Stuhl hochrissen, realisierte er, dass er es tatsächlich geschafft hatte und ein breites, glückliches Grinsen legte sich auf sein Gesicht.

Gefolgt von seinen nutzlosen Handlangern schritt er nach vorne zur Bühne und als Hauptverantwortlicher bekam natürlich er den Emmy zuerst in die Hand gedrückt. Er ließ sich kurz dazu hinreißen, das wertvolle Stück gegen die Decke zu heben, bevor er es schließlich widerstrebend an Fisher weitergab und ans Mikro trat. In seiner Dankesrede – die er natürlich (man weiß ja nie) – von langer Hand äußerst akribisch vorbereitet hatte, dankte er allen, die ihm bei seiner Arbeit unterstützt hatten und er dankte auch den Produzenten für deren Mut zum Ungewöhnlichen.

Er dankte tatsächlich allen – fast allen, um genau zu sein, denn Elisabeth, die ein wenig verloren im Publikum saß, vergaß er schlichtweg. Nicht aus bösen Willen, sondern weil er gedanklich schon bei seinem nächsten Projekt war, dass ihn die Erfolgsleiter noch höher klettern lassen sollte:

Dem Drehbuchoscar!

 

In diesem Augenblick spürte er es stärker als jemals zuvor. Er konnte es schaffen! Ja, verdammt, er konnte alles schaffen, was er sich vornahm – er musste es nur wirklich wollen! Und natürlich hart dafür arbeiten – aber das war für ihn noch nie ein Problem gewesen. Nein, der Gedanke an den Drehbuchoscar war alles andere als vermessen. Im Gegenteil: Mit diesem Abend hatte er bereits die erste Stufe zum Olymp erklommen.

Smith blickte ins Publikum. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Gespannt warteten sie auf sein Schlusswort. Theatralisch hielt er noch einen Moment inne, bevor er ein letztes Mal tief Luft holte. Und gerade als er mit Sprechen anfangen wollte, durchbrach ein Schrei die spannungsgeladene Stille.

„Du Mistkerl“, schrie ein Mann durch den riesigen Saal. „Du gottverdammter, elender Mistkerl!“ Es war eine Stimme, die Thomas nur allzu gut kannte. Zu oft hatte sie ihn in seinen Albträumen heimgesucht und ihn um seinen wohlverdienten Schlaf gebracht. Himmel, wurde er dieses Trauma auf zwei Beinen denn nie los?

Es kam, wie es kommen musste: Die Köpfe des Publikums schnellten sensationsgierig herum. Vergessen war seine Rede, verloren die potentielle Aufmerksamkeit seines Publikums und das Rampenlicht. Und während Smith noch säuerlich die Stirn runzelte, begannen unvermittelt seine Knie zu zittern. Auf der Balustrade erkannte er den Schauspieler, der ihn in so vielen Nächten erbärmlich gequält hatte. Mittlerweile in gleißendes Scheinwerferlicht getaucht. Verdammt noch mal, was sollte das? DAS WAR SEINE BÜHNE – SEIN AUFTRITT!!!

Smith spürte, wie sein Blut in Wallung geriet. Sein Blutdruck stieg und er merkte, wie er rot anlief. Wie in Trance vernahm er die Worte von Jimmy. „ICH hatte es verdient, ICH wäre an der Reihe gewesen. ICH! Du hattest kein Recht, mich einfach aus der Serie zu schreiben. Du eingebildeter egozentrischer Schreiberling!“

Auch das Publikum erkannte nun den Zusammenhang und laute Aahs und Ooh-Rufe mischten sich unter das nunmehr hysterische Gejammer des ehemaligen Teammitglieds.

„Jahrelang musste ich immer hinter dem Doktor zurückstecken. Nie durfte ich in erster Reihe stehen. Ich war zum Stichwortgeber verdammt und wurde immer wieder vertröstet! Und jetzt das! Was fällt dir eigentlich ein? Wer zum Teufel glaubst du, dass du bist?“, schrie Jimmy Palmer mit sich überschlagender Stimme, während er sich tief über das Geländer beugte und mit der Faust in Thomas´ Richtung Löcher in die Luft schlug. Kameras blitzten auf und es war unklar, wer mehr darauf wartete, dass der junge Mann dort oben abstürzte: Die Fotografen oder das nach einer Sensation geifernde Publikum.


Entsetzt riss Smith die Augen auf, als ihm das sabbernde Gesicht des jungen Pathologieassistenten wieder in Erinnerung kam, als dieser mit der Knochensäge vor seinem entblößtem Körper stand, weil er von dem alten Pathologen endlich das langersehnte O.K. bekommen hatte, eigenständig den ersten Brustkorb zu öffnen. Seinen Brustkorb! Smith schluckte trocken. Ein Königreich für ein Glas Wasser, schoss es ihm durch den Kopf, während die Tirade im Saal weiterging: „Jetzt wo er endlich zu alt ist und aus der Serie aussteigt, bringst du mich um. DAS ist so U N G E R E C H T!!! Ich schwöre, das wirst du mir büßen!“

Smith sah von weitem, wie mehrere Sicherheitsleute heraneilten, den Unruhestifter von der Brüstung wegzogen und mit vereinten Kräften versuchten, den tobenden Schauspieler aus dem Saal zu zerren. Doch dieser wehrte sich mit Leibeskräften. Eine solche Muskelkraft hätte er dem ansonsten mageren und eher schwächlichen Mann gar nicht zugetraut. Wenn er sich dieses Schauspiel so ansah…vielleicht hatte er doch einen Fehler gemacht – im Grunde war die Figur ja durchaus noch ausbaufähig gewesen. Er hatte es doch nur getan, weil er dieses verdammte Trauma endlich loswerden wollte. Unwillkürlich entfuhr ihm ein „Es tut mir leid“ genau ins Mikrofon und in diesem Moment meinte er es sogar ehrlich.

Die Köpfe im Saal flogen wieder herum und die Aufmerksamkeit der Leute war nun wieder voll und ganz bei ihm. Selbst der Wüterich hielt mitten in der Bewegung inne.

„LEID? Es tut dir leid?“ Brüsk schüttelte er die Hände des letzten Sicherheitsbeamten ab und kam wieder bis an die Balustrade heran. „Du hast mein Leben zerstört und jetzt glaubst du, mit einem simplen „Es tut mir leid“ geht in meinem Leben wieder die Sonne auf? Nein, mein Lieber, so einfach funktioniert das nicht. Ich schwöre, das werde ich nicht ungestraft auf mir sitzen lassen. Man sieht sich immer zweimal im Leben, Smith und eins verspreche ich dir: Wir beide, wir werden uns wiedersehen…“

 

ENDE

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Juicers Reviews (Sonntag, 05 Mai 2013 15:46)

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