"20.55 h" oder "die erste Stunde vom Rest eines Lebens" - Thread VIII"

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41. Kapitel

Es wäre besser, ich wäre tot

 

Mit ziemlicher Anstrengung hatte der ältere Gerichtsmediziner Tony ins Haus geholfen und ihn ächzend im Wohnzimmer auf die Couch sinken lassen. Der braunhaarige Halbitaliener hatte ihm inzwischen mit schwerer Zunge die ganze Geschichte erzählt und saß jetzt zusammengesunken wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa.

 

„Ach ja, ich hab´ da noch eine Kleinigkeit vergessen. Liiert bin ich auch nicht mehr! Das ist doch so ein Ausdruck, der dir gefällt, Ducky, oder nicht? Liiert! Hört sich hochgestochen an und bedeutet doch nichts weiter, als dass ich Ziva verlassen habe. Ich meine, was soll sie denn auch noch mit einem Versager wie mir?“

 

„Anthony!“ Eine Hiobsbotschaft jagte die nächste, es kam wirklich knüppeldick für DiNozzo. Dabei war seine Psyche noch immer schwer angeschlagen, wie Ducky ja nur zu gut wusste. Diese ganzen Tragödien resultierten ja daraus. Das alles würde sicher an niemandem spurlos vorübergehen. Er war erschüttert. „Anthony, mein Junge, es tut mir Leid. Ich habe versagt!“

 

„DU? Duuu hast versagt? Wieso du? – Ich bin doch derjenige, der nichts mehr auf die Reihe kriegt!“

 

„Aber du bist zu mir gekommen, hast Hilfe gesucht, aber im Grunde habe ich dir nicht weiter helfen können. Vielleicht ja, weil du gleichzeitig auch mein Freund bist. Und jetzt auch noch das! Das habe ich wirklich weder erwartet noch gewollt.“ Der Pathologe stockte. „Moment, lass mich kurz überlegen, ich glaube, mir ist da gerade eine Idee gekommen.“  Der Engländer erhob sich und ging zum Telefon. „Warte, ich bin gleich wieder da.“

 

Tony hatte seinem Freund und Kollegen schon gar nicht mehr richtig zugehört. Er hatte den Kopf auf die Rückenlehne des Sofa´s gelegt, starrte ins Leere und sprach mehr mit sich selbst, als mit Ducky: „Vielleicht wäre es ja besser gewesen, ich wäre in diesem Keller gestorben, dann wäre es wenigstens vorbei. – Ich kann einfach nicht mehr... Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr!“ Tränen waren in seine Augen getreten, als er abrupt aufstand und schwankend nach seinen Autoschlüsseln suchte. „Es wäre ... wäre besser, ... ich wäre tot, ... aber das lässt sich ja nachholen. Nehme ich eben Rebekka diese Arbeit ab! Kein Problem – DAS werde ich ja wohl noch hinkriegen.“

 

Ducky warf den Telefonhörer, den er schon in der Hand gehalten hatte, schnell wieder auf die Gabel seines altmodischen Telefons zurück und eilte zurück zu Tony ins Wohnzimmer. Der suchte dort noch immer nach seinen Autoschlüsseln, die ihm der Pathologe aber vorsorglich schon gleich nach seiner Ankunft abgenommen und sicher versteckt hatte. Er packte DiNozzo an den Schultern und drückte ihn resolut zurück auf die Couch. „Anthony, hör sofort auf, solchen Unsinn zu reden! Du hast nicht all diese Schmerzen und Quälereien ertragen, um jetzt noch aufzugeben. Diese Psychopathin wird nicht gewinnen, hast du mich verstanden! Sie ist tot – sie kann und sie wird dir nicht mehr wehtun!“ Er schrie Tony jetzt an und ganz allmählich drang er damit zu ihm durch.

 

Mit einem unendlich traurigen Ausdruck in den grünen Augen sah dieser zu ihm auf und langsam liefen die Tränen über seine Wangen. „Du…du wusstest es wirklich nicht?“ Irgendwie machte diese Vorstellung es für Tony etwas leichter.

 

„Was Anthony – was wusste ich nicht?“ Es war offensichtlich, dass Ducky nicht verstand, worauf Tony hinauswollte.

 

Der holte einmal tief Luft. „Ducky, du irrst dich. Rebekka ist nicht tot. Sie ist wieder da und alle, alle haben sie es gewusst … alle, außer mir. Mir haben sie nichts gesagt. Weil ich es nicht verkraftet hätte, wie sie meinen. Das muss man sich mal vorstellen. In diesem Punkt waren sich anscheinend alle einig. Kaum zu glauben, nicht wahr?“ Hohntriefend hatte Tony diese Worte ausgespuckt.

 

Mit blankem Entsetzen registrierte Ducky diese Nachricht: „Aber – nicht auch das noch…“, stammelte er. Nun wunderte ihn tatsächlich nichts mehr. Diese Nachricht war wahrlich zu viel für Tony´s desolaten Gemütszustand. Voller Mitgefühl nahm Ducky den jüngeren in seine Arme und in diesem Moment brach Tony endgültig zusammen. Er weinte…weinte um seine verlorenen Träume, seine Liebe, seine Zukunft – er weinte um sein ganzes, in Trümmern liegendes Leben.

 

 

Zur gleichen Zeit beim Rest des Teams

 

Niedergeschlagen verließ Gibbs, gefolgt von Ziva nnd McGee die 24-Stunden-Spelunke.

 

Gerade als Tim die Bar verlassen wollte, rempelte ihn einer der anderen Gäste rüde an. Rücksichtlos drängte er sich an McGee vorbei, um vor diesem durch die Tür treten zu können und schubste ihn dabei rigoros zur Seite.

 

„Hey! Deine Kinderstube war anscheinend für den …!“ rief ihm der NCIS-Agent hinterher, verzichtete aber darauf, seinen Satz zu beenden. Er war einfach zu frustriert, um auch noch mit so einem Menschen ohne Manieren zu streiten. Aufseufzend folgte er den beiden anderen, die beim Wagen schon auf ihn warteten.

 

Schnell sprang er auf die Rückbank, denn Gibbs hatte den Motor schon angelassen. Tim hatte kaum die Tür geschlossen, da gab der Teamchef schon in gewohnter Manier Gas und preschte vom Parkplatz auf die Straße. Sie waren noch nicht weit gekommen, da drehte sich Ziva plötzlich elektrisiert zu McGee um:

 

„Tim, der Barkeeper sagte doch, Tony hätte jemanden angerufen“, rief sie euphorisch aus. „Geh´ auf Wahlwiederholung, vielleicht erfahren wir ja so, wo er hinwollte.“   

 

Der MIT-Absolvent, der verzweifelt um seine Position im Wagen kämpfte, während er gleichzeitig vergeblich versucht hatte, sich anzuschnallen, nickte und versuchte an seine Jackentasche zu kommen, ohne dabei die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren, denn das würde unweigerlich blaue Flecken zur Folge haben. „Nun mach schon, beeil dich“, forderte Ziva ungeduldig und streckte die Hand nach dem begehrten Objekt aus.

 

Endlich konnte McGee seine Jackentasche erreichen und gleich darauf wurde er blass. Er vergaß seine Körperkontrolle und kontrollierte eilig auch noch die Tasche auf der anderen Seite, bevor er schließlich fassungslos hervorstieß: „Es ist weg!“

 

„Wie? Weg?“

 

„Keine Ahnung, einfach weg!“, schnauzte Tim zurück, während er mit zunehmender Panik auch noch seine Hosentaschen kontrollierte, obschon er sich sicher war, Tony´s Handy in die Jacke gesteckt zu haben.

 

Gibbs bremste hart und McGee wurde fast nach vorn geschleudert. Unsanft prallte sein Kopf gegen Gibbs´ Kopfstütze, doch das war ihm in diesem Augenblick völlig egal. „Boss, ehrlich, ich hab´s eingesteckt. Ich habe keine Ahnung, wo es geblieben sein könnte“, stammelte er, während er mit den Händen die Sitzfläche abtastete und gleichzeitig seine Augen über den Fußraum glitten. Nichts! Das war doch nicht möglich.

 

„Der Typ an der Tür!“, rief Ziva plötzlich aus und hämmerte voller Wut auf das Armaturenbrett. „Der ist mir schon in der Bar aufgefallen. Die ganze Zeit hat er zu uns rübergeochst.“

 

„Gestiert, er hat gestier…“ McGee verschluckte den Rest des Wortes, als er Ziva´s Blick bemerkte. „Du meinst, das war gar kein zufälliger Zusammenprall an der Tür?“

 

„Offensichtlich nicht!“ Gibbs knirschte vor Wut mit den Zähnen und wendete bereits in einem wilden Manöver den Wagen. Das durfte doch alles nicht wahr sein – hatte sich denn alles gegen sie verschworen? In einem Affenzahn bretterte er zurück auf den Parkplatz der 24-Stunden-Bar, doch als er den Wagen dort mit jämmerlich quietschenden Bremsen stoppte, war von dem Dieb selbstverständlich weit und breit nichts mehr zu sehen.

 

Dieses Mal brachte auch das Verhör des Barkeepers nichts ein, denn dieser blieb steif und fest bei seiner Behauptung, dass er den Kerl auch zum ersten Mal an diesem Abend gesehen hatte. Obwohl ihm die anderen keine Vorwürfe machten, war McGee untröstlich, dass ausgerechnet ihm das passiert war, Ziva war glattweg am Boden zerstört und an Gibbs nagte eine Woge der Wut und Enttäuschung. Aber alle Emotionen nützten nichts: Tony´s Handy war weg und sie waren keinen Schritt weiter gekommen.

 

 

Am frühen Morgen in Ducky´s Haus

 

Gegen 6.oo Uhr morgens wurde Tony wach und sah sich im ersten Moment verständnislos um. Er brauchte einige Zeit, um zu realisieren, wo er sich befand. So wie es aussah hatte er auf Ducky´s Sofa übernachtet, zwei Decken auf dem Boden, die er wohl im Laufe der Nacht von sich gestrampelt hatte, zeugten davon. Er schwang die Beine von der Couch und wollte zügig aufstehen, als er sich mit einem Aufstöhnen zurück sinken ließ. In seinem Kopf feierte anscheinend eine Samba-Kapelle Karneval und sein Rücken und sein Nacken waren steif und verspannt. Langsam und vorsichtig dehnte und streckte er sich und bewegte seinen Kopf hin und her, wobei er die Kopfbewegungen schnell wieder sein ließ. Dann stand er behutsam auf. Vorsichtshalber hielt er sich an der Sofalehne fest, denn irgendwie drehte sich alles um ihn. Sein Kopf pochte auf eine fast unerträgliche Weise und sein Magen schien mit sich selbst zu ringen, ob er sich nicht doch noch umstülpen sollte. `Verdammt, den letzten Whisky hätte ich mir besser schenken sollen´, dachte er bei sich, während er sich mit langsamen und sehr kontrollierten Bewegungen auf den Weg zu Ducky´s Badezimmer machte.

 

Nach einer viertel Stunde kam er aus dem Bad und schlurfte noch kaum merklich fitter in die Küche. Er brauchte unbedingt etwas zu trinken, sein Hals war förmlich ausgedörrt. Er fand ein Glas, schenkte sich ein Glas Wasser direkt aus der Leitung über der Spüle ein und trank einige große Schlucke, bevor er sich umschaute. 'Eine Tasse Kaffee wäre jetzt auch nicht schlecht' dachte er, obwohl er sich gar nicht sicher war, ob er diese vertragen würde oder ob das Koffein seinem sowieso schon rebellierenden Magen den endgültigen K.O. versetzen würde.  Er öffnete einige Schränke und blickte hinein, wurde aber nicht fündig. 'Vielleicht gibt es bei Ducky nur Tee', fiel ihm ein, er hatte ihn eigentlich immer nur Tee trinken sehen. 'Na ja, irgendwie ja typisch für einen Schotten', sagte er zu sich selbst, als ihn urplötzlich eine Welle der Übelkeit überraschte. Er krümmte sich leicht zusammen und wartete tief ein- und ausatmend ab, bis die Welle wieder abebbte. Mit geschlossenen Augen, kaltem Schweiß auf der Stirn und wackeligen Knien lehnte er anschließend am Küchenschrank und fühlte sich einfach nur schwach und elend. In diesem Moment glitt seine Hand automatisch in die Tasche seiner Jeans. Leicht zitternd zog er sie gleich darauf wieder heraus und beförderte ein Röhrchen Tabletten hervor, das er schon seit Wochen bei sich trug. Ohne ging er ja schon gar nicht mehr aus dem Haus. Er zögerte nur einen kurzen Augenblick, dann klopfte er entschlossen zwei Tabletten heraus und schluckte sie mit einem Schluck Wasser hinunter.

 

„ANTHONY!“, rief da unvermittelt Ducky hinter DiNozzo aus, der ertappt herum fuhr und dabei fast das Gleichgewicht verlor. „Was nimmst du da?“ Resolut riss der Pathologe dem Braunhaarigen das Tabletten-Röhrchen aus der Hand und las das Etikett. Langsam hob er seinen Kopf und sah zu Tony auf, der schuldbewusst seinen Blicken auswich.

 

So wütend hatte DiNozzo den kleinen Briten selten gesehen. In der Regel war dieser Mann das Verständnis in Person, doch jetzt schlug er hart mit der flachen Hand auf die Anrichte und drehte sich dann erzürnt zu ihm um. „Ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Was zum Teufel ist nur in dich gefahren – ich kenne dich ja gar nicht mehr wieder. Du bist doch lange genug Agent, um zu wissen, was diese Pillen anrichten!“

 

Kleinlaut versuchte Tony, dagegen zu halten: „Aber wenn sie mir doch helfen…“ Seine Antwort klang fast trotzig.

 

„NEIN! Schluss damit! Ich will davon nichts hören! Du weißt, dass sie dir nicht helfen! Das Zeug wird dich zugrunde richten! Du musst damit aufhören! Sofort!“

 

„ABER ICH KANN ES NICHT!!!“ Tony schrie die Worte ungeachtet seiner Kopfschmerzen voller Schmerz heraus. “Es geht einfach nicht mehr ohne! Verdammt, jede Nacht quält mich diese Hexe Rebekka aufs Neue. In meinen Träumen verfolgt sie mich! Jede Nacht neue Folterungen – oder auch solche, die sie schon an mir ausprobiert hat. Verstehst du? Jede gottverdammte Nacht! Ich habe Angst davor, einzuschlafen. Nur mit den Tabletten bin ich so betäubt, dass die Träume wegbleiben. Aber morgens bin ich dann total kaputt und fühl´ mich wie gerädert, ... dann brauche ich diese hier, um wieder hochzukommen; um den Tag anzugehen und durchzustehen. – Ich... ich ...ich will doch einfach nur meinen Frieden – ist das denn zu viel verlangt?“ Langsam rutschte Tony an der Küchenanrichte nach unten und blieb schließlich mit angezogenen Knien auf dem Boden sitzen. Verzweifelt fuhr er sich mit beiden Händen durch die Haare: „Mein Gott, Ducky, was soll ich bloß tun? Ich weiß nicht mehr weiter.“

 

Erschüttert blickte der alte Pathologe zu DiNozzo hinunter. Ein wenig ächzend ging er neben ihm in die Knie: „Du musst dein Leben wieder auf die Reihe kriegen, es ist noch nicht zu spät. – Allerdings musst du erst einmal wieder zu dir selber finden. Ich habe einen guten Freund, der mir noch einen Gefallen schuldig ist. Er ist Psychiater ... Keine Angst, ich kenne ihn schon seit meinem Medizinstudium und er ist wirklich gut“, warf er schnell ein, als er Tony´s skeptischen Blick aus feuchten Augen bemerkte, „Er hat so etwas wie ein Trauma-Center in Miami Beach. Ich habe ihn gestern Abend nachdem du eingeschlafen warst noch angerufen und er ist dazu bereit, dich zu behandeln...“

 

„Ducky, nein, du meinst es ja sicher gut, aber ich will nicht noch einen Psychiater“, unterbrach ihn Tony kopfschüttelnd, „Dr. Randolph hat mir auch nicht geholfen und in eine Anstalt geh´ ich erst recht nicht…Ich mag krank sein, aber ich bin noch lange nicht verrückt.“

 

„Dr. Seltwick ist eine andere Kategorie, glaub´ mir. Er betreibt keine Klinik im herkömmlichen Sinne und eine Anstalt, so wie du sie dir vorstellst, ist sein Center schon gar nicht. Es ist vielmehr eine Art Erholungszentrum. Er nimmt nicht mehr als 10 bis 15 Patienten gleichzeitig auf und seine Erfolgsquote liegt bei 95 %. Er kann dir wirklich helfen, mein Junge…wenn du dir wirklich helfen lassen willst.“ Begütigend legte der grauhaarige Schotte Tony seine Hand auf die Schulter, „Ich werde dich begleiten. Wir sollten keine Zeit verlieren, daher fliegen wir noch heute. Natürlich nur, falls du einverstanden bist.“ Er machte eine Pause und blickte Tony abwartend an.

 

„Du hältst das wirklich für eine gute Idee?“ Der Halbitaliener zweifelte immer noch und Ducky lächelte milde.

 

„Oh ja, das tue ich. Ich habe schon eine Tasche gepackt und werde mir ein paar Tage Urlaub nehmen. Unser Flug geht in zwei Stunden. Ich habe vorsorglich zwei Plätze reservieren lassen. Wir müssen nur noch etwas für dich einpacken, dann können wir los.

 

„Nicht nötig“, murmelte Tony leise. „Ich hab´ eine Tasche im Auto. – Schon vergessen? – Ich habe Ziva verlassen...jetzt bin ich ein arbeitsloser Single…quasi vogelfrei…Ich kann hingehen, wohin immer ich gehen will. Es kümmert ja eh Niemanden…“ Anscheinend hatte er jeglichen Widerstand aufgegeben.

 

„Aber Tony, das kann ich mir nicht vorstellen – da siehst du bestimmt ein wenig zu schwarz. Ich finde auch, wir sollten Gibbs…“

 

„NEIN!“, fuhr Tony auf. „Ducky, wenn du das tust, dann verschwinde ich auf Nimmerwiedersehen, das schwöre ich dir.“

 

„Mein Junge“, versuchte Ducky nochmals einzulenken, „sie machen sich doch sicher große Sorgen um dich, besonders Ziva.“ Das leicht verächtliche „Pfffhhh“ von Tony zeigte ihm, dass er härtere Geschütze auffahren musste. „Auch im Hinblick auf Rebekka …“, hob er an, doch er wurde schon im Ansatz unterbrochen.

 

„Das interessiert mich alles nicht mehr, verstehst du! Wochenlang haben sie mir nicht gesagt, dass dieses Monster wieder da ist. Vance hat mich rausgeschmissen und Gibbs hat nur still dabeigestanden, anstatt mir zu helfen. Ich steh´ allein da und ich will keinen von Ihnen sehen.  --- Zumindest jetzt noch nicht“, fügte er zum Schluss noch leise hinzu. „Du bist doch mein Arzt, oder nicht? Ich erinnere dich hiermit an deine Schweigepflicht, klar? Ich…“

 

„Jetzt beruhige dich wieder“, unterbrach der Pathologe den verzweifelten Agent. Er spürte, dass es kein guter Schachzug gewesen war, in diesem Moment das Team ins Spiel zu bringen, zu tief war die Wunde, als dass Tony für vernünftige Argumente zugänglich gewesen wäre. „Pass auf, mein Junge, ich mache dir einen Vorschlag. Wir fliegen zusammen nach Florida und sehen zu, dass du in Miami erst einmal Fuß fasst. Aber ich kann während deines Aufenthalts dort natürlich nicht die ganze Zeit bei dir bleiben. Ich verspreche dir aber eines: Nach meiner Rückkehr werde ich einen günstigen Moment abwarten und dann mit Vance und Gibbs sprechen. Vielleicht kann ich ja bezüglich deines Jobs doch noch etwas machen. Immerhin warst du ja so etwas wie in Behandlung bei mir. Und außerdem warst du noch nicht wieder gesund. Strenggenommen hattest du im HQ noch gar nichts zu suchen.“

 

„Und wenn sie wissen wollen, wo ich bin?“

 

„Du musst mir schon zugestehen, dass meine Antwort dann entsprechend der Situation ausfällt. Vertrau´ mir.“

 

„Das würdest du tun?“ Nach allem, was Tony in den letzten 24 Stunden hatte erleben müssen, konnte er Ducky´s Angebot kaum fassen.

 

„Natürlich. Aber du musst mir auch etwas versprechen. Du musst bereit sein, dir helfen zu lassen, sonst ist wirklich alles gelaufen. Du musst aufhören zu trinken und mit diesen Tabletten auch. Da kommen sicherlich harte Zeiten auf dich zu, doch du musst einfach härter sein, wenn Rebekka nicht doch noch gewinnen soll. – Und was Ziva anbelangt…ich bin mir sicher, wenn ihr euch wirklich aufrichtig liebt, wird sich auch hier sicherlich ein Weg aus der Misere finden lassen.

42. Kapitel

Im HQ bei Ziva

 

Ziva …funktionierte!

 

Sie hatte eine einsame und mehr oder weniger schlaflose Nacht hinter sich gebracht, war gegen halb fünf aufgestanden und hatte sich schließlich wie eine Marionette einen starken Kaffee aufgebrüht. Dann hatte sie sich fertig gemacht und war ins Büro gefahren. Irgendwie hatte sie es geschafft, die Angst um Tony in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins zu schieben. Kaum im HQ angekommen hatte sie sofort begonnen, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, nach ihrem Verlobten zu suchen. Während sie still und verbissen vor sich hin arbeitete, gestattete sie sich keinerlei Emotionen, sie handelte kalt und professionell, als ob es sich um eine fremde Person handeln würde, nach der sie suchte. Mit anderen Worten: Sie funktionierte – so wie man es ihr vor etlichen Jahren während ihrer Mossad-Ausbildung beigebracht hatte.

 

McGee, der eine Stunde nach der Israelin aufgetaucht war, hatte seine Kollegin schon mehrmals verstohlen beobachtet; die eisige Ruhe, die Ziva ausstrahlte, machte ihm förmlich Angst. Kein Außenstehender wäre jemals auf die Idee gekommen, dass diese Frau hier gerade nach ihrem Verlobten fahndete. Für ihn war es unverständlich, wie jemand derartig alles ausschalten konnte, doch es schien, als wäre dies für die zierliche Frau mit dem dunklen Pferdeschwanz kein Problem. Noch immer tief geknickt über die Tatsache, dass er sich so einfach hatte beklauen lassen, kontrollierte er die nun andauernd laufende Ortung von Tony´s Handy, die er noch in der Nacht angestoßen hatte. Ohne Ergebnis. Das Gerät war inzwischen nicht eingeschaltet worden. Wer zum Teufel stahl ein fast niegelnagelneues Handy, um es dann nicht zu benutzen, fragte er zum wiederholten Male deprimiert.

 

Auch der Schutzschild, den Ziva um sich aufgebaut hatte, bröckelte zunehmend und gegen 9.30 Uhr konnte sie einfach nicht mehr. Unvermittelt sprang sie auf und hetzte in die Toiletten, wo sie sich in einer Kabine einsperrte und endlich ihre Verzweiflung ausbrechen ließ. Heiße Tränen rannen über ihr Gesicht und mit einem unterdrückten Aufschrei trommelte sie mit den Fäusten gegen die Toilettenwand.

 

Erst eine halbe Stunde später, als Tim sich gerade dazu durchgerungen hatte, Abby in ihrem Labor anzurufen und sie zu bitten, nach Ziva zu sehen, kehrte sie mit immer noch geröteten Augen an ihren Schreibtisch zurück. Sie bemerkte Tim´s Blick und sah ihn nur wortlos an.

 

„Ziva … ich…“ setzte er ein wenig hilflos an. Seine Kollegin wirkte so verzweifelt, ihr Blick aus braunen Augen war so leer und trostlos, dass er keine Ahnung hatte, was er ihr tröstendes sagen sollte.

 

„Ist schon gut Tim. Du musst nichts sagen.“ Sie sah sich an ihrem Arbeitsplatz um und plötzlich sprang sie wieder auf. „Hör zu: Ich kann hier nichts mehr tun. Das kannst du vom Computer aus viel besser. Aber ich MUSS etwas tun, sonst werde ich noch verrückt. Ich fahr´ los und mach mich auf die Suche nach ihm.“ Sie bemerkte McGees skeptische Reaktion, ließ ihn aber nicht zu Wort kommen. „Ich weiß – ich weiß, es ist vermutlich aussichtslos, aber ich werd´ einfach mal ein paar Orte abklappern, wo wir in letzter Zeit schon mal waren…dort mit ein paar Leuten sprechen. Wer weiß, vielleicht hat ihn ja jemand gesehen. Wenn Gibbs´ kommt, sag ihm einfach, dass ich unterwegs bin.“ Damit schnappte sie sich ihre Marke und die Waffe und ließ einen deprimierten McGee zurück.

 

„Okay, ich sag´s Gibbs. Hoffentlich reißt er mir nicht den Kopf ab, dass ich dich allein da draußen rumsuchen lasse, wenn er hier heute noch irgendwann mal auftauchen sollte“, murmelte er an sich selbst gerichtet. Dass Gibbs bereits seit Stunden selbst auf der hoffnungslosen Suche nach Tony war, konnte er ja nicht ahnen. Auch dem Teamleiter hatte Tony´s Verschwinden keine Ruhe gelassen – auch er hatte er eine schlaflose Nacht hinter sich gebracht. Gepeinigt noch zusätzlich von seinem schlechten Gewissen, dass er Tony nicht mehr beigestanden hatte.

 

 

Ankunft in Miami Beach

 

Vor einer halben Stunde waren Ducky und Tony gelandet und sahen sich im Ausgangsbereich des Flughafens nun nach einem Taxi um. Widerspruchslos und schweigsam folgte DiNozzo dem alten Pathologen, so als sei es ihm völlig egal, was um ihn herum passierte. Der grünäugige Halbitaliener war inzwischen völlig fertig. Magenschmerzen quälten ihn und er schwitzte und fror gleichzeitig. Dass das sichere Anzeichen des Entzugs waren, kümmerte ihn gerade nicht die Bohne. Er lechzte förmlich nach einer Pille, und wenn er jetzt eine in die Finger bekommen hätte, dann hätte er sicherlich ohne zu zögern alle guten Vorsätze wieder über Bord geworfen. Aber Dr. Mallard hatte ihm vor dem Flug seinen gesamten Vorrat abgenommen und er hatte es nicht gewagt, etwas vor ihm zu verstecken. Jetzt bedauerte er das allerdings schon wieder, aber andererseits dämmerte es ihn, dass das seine letzte Chance war: Er musste Ducky vertrauen, um sein Leben wieder in Griff zu bekommen. Im Flugzeug hatte er schon mehrere Flaschen Wasser getrunken, trotzdem hatte er immer noch einen trockenen Mund. Es war einfach widerlich, doch leider hatte Ducky ihm nicht die Möglichkeit gegeben, sich vor dem Verlassen des Terminals noch etwas zu trinken zu kaufen. Hinzu kam, dass es hier draußen schwülwarm war mit einer sehr hohen Luftfeuchtigkeit. Er konnte nur hoffen und beten, dass der Wagen, den Ducky gerade energisch heranwinkte, eine funktionierende Klimaanlage besaß. Als sie endlich das Gepäck verstaut und in dem Taxi Platz genommen hatte, starrte Tony teilnahmslos aus dem Fenster, ohne wirklich wahrzunehmen, was er dort draußen sah.

 

„Wir sind da!“ Das Taxi stoppte vor einem riesigen, schmiedeeisernen, weiß gestrichenen Tor und Ducky warf Tony einen besorgten Blick zu. Es war offensichtlich, dass die Reisestrapazen DiNozzo sehr zugesetzt hatten – zusätzlich natürlich zu allem, was der Mann sonst noch zu verarbeiten hatte. Sein Allgemeinzustand schien sich mehr und mehr zu verschlechtern und er konnte nur hoffen, dass sein Freund und Kollege noch ein wenig durchhalten und nicht gerade jetzt endgültig zusammenbrechen würde. Das wäre ein denkbar schlechter Augenblick. Es wäre ihm sehr recht, wenn sein alter Studienfreund sich zunächst ein einigermaßen neutrales Bild von seinem neuen Patienten machen könnte.

 

„Was?“ Irritiert wandte sich das Sorgenkind des NCIS-Teams ihm zu und nahm nur allmählich sein Umfeld wieder bewusst wahr. Mit großen Augen blickte er nach draußen.

 

„Tony, wir sind da.“ Der alte Schotte ließ die Seitenscheibe herunter und drückte auf den Knopf einer Gegensprechanlage, die am Fahrbahnrand installiert war.

 

„Das? Das ist die Klinik von deinem Freund?“, fragte Tony ungläubig. „Das sieht ja aus wie eine Millionärsvilla.“ Hinter dem Tor erstreckte sich eine breite Auffahrt, die zu einem riesigen Haus im Kolonialstil führte und umgeben von parkähnlichen Anlagen war.

 

„Ich hab´ dir doch gesagt, dass das keine Klinik im herkömmlichen Sinne ist. Vielmehr ist es...“ Plötzlich unterbrach Ducky sich, als sich eine Stimme aus der Gegensprechanlage meldete.

 

„Hallo, ich bin Dr. Mallard aus Washington und möchte zu Dr. Seltwick. Er erwartet mich.“

 

„Einen Augenblick bitte“, bat die Stimme. Es knisterte kurz in der Anlage, dann wurde auch schon mit einem freundlichen: „Herzlich willkommen, Dr. Mallard. Bitte lassen Sie den Wagen bis zum Haupteingang durchfahren. Sie werden dort bereits erwartet“, das Tor geöffnet.

 

Einige Minuten später hielten sie vor einem riesigen, weißen Bau, der tatsächlich sehr an die monumentalen Herrenhäuser im alten Süden erinnerte. Sogar die prächtigen Säulen, die den Eingang säumten und der Balkon, der im ersten Stockwerk rund um das Haus zu führen schien, fehlten nicht. Überall blühten unterschiedlichste, exotische Blumen und verströmten einen betörenden Duft. Sichtlich beeindruckt stiegen die beiden NCIS-Mitarbeiter aus dem Taxi und ließen ihre Blicke gerade über die gesamte Anlage schweifen, als auch schon ein grauhaariger Herr in Ducky´s Alter auf der Treppe erschien und mit einem herzlichen Lächeln auf sie zueilte.

 

„Donald! Welche Freude! Wie lange ist es her, dass wir uns zuletzt gesehen haben? - Nein, sag nichts! - Wir waren zusammen auf dieser Tagung über posttraumatische Störungen in Albuquerque.  Das war im Sommer ... genauer gesagt im Spätsommer 1994. Ich kann mich noch genau daran erinnern, weil ich mich kurz darauf von Claire getrennt habe. Besser gesagt, sie hat sich von mir getrennt. Bis heute weiß ich nicht, ob es ein Verlust oder ein Segen für mich war.“ Der Arzt zog Ducky in eine herzliche Umarmung, die dieser lachend erwiderte. Beide Männer waren etwa gleich groß und grauhaarig und Tony hatte das Gefühl, einen Zwilling oder zumindest einen Bruder von Ducky vor sich zu haben, so ähnlich waren Aussehen, Gesten und Sprache der beiden Männer.

 

Immer noch lachend löste sich der NCIS-Pathologe von seinem Freund und drehte sich zu Tony um. „Charles, darf ich dir Anthony DiNozzo vorstellen, ich habe dir ja schon von ihm erzählt.“ Er legte eine Hand auf Tony´s Schulter, um diesem seine Unterstützung zu signalisieren, denn er spürte die Unsicherheit, die dessen ganze Haltung ausdrückte, nur allzu deutlich.

 

Dr. Seltwick ging herzlich lächelnd auf den Italiener zu und streckte ihm seine Hand hin, die dieser ein wenig zögerlich ergriff. „Bitte nennen Sie mich Tony. Anthony sagt eigentlich nur mein Vater zu mir – na ja, und Ducky eben.“

 

„Aber natürlich, gerne. Also Tony. Herzlich willkommen, ich hoffe, Sie werden sich hier bei uns wohlfühlen, Tony. Obwohl die Gründe für ihren Besuch ja nicht so glücklich sind, aber darüber reden wir später. Sie sehen so aus, als hätten Sie ein wenig Regeneration dringend nötig. Sicherlich sind Sie erschöpft von der Reise.“

 

Tony nickte und lächelte ein wenig, obwohl ihm eigentlich nicht danach zumute war, aber Dr. Seltwick wirkte wirklich sehr sympathisch und insgeheim atmete er erleichtert auf, denn trotz Ducky´s Beschreibungen hatte er eher jemanden wie Dr. Randolph befürchtet und das wäre wirklich das Letzte gewesen, was er gebrauchen konnte. Er entspannte sich ein wenig und wartete gespannt darauf, wie es nun weitergehen würde…

43. Kapitel

Miami Trauma Center – Randy

 

Ducky hatte gerade den Taxifahrer bezahlt, als ein Elektro-Rollstuhl in einem für ein Behindertenfahrzeug fulminanten Tempo um die Ecke schoss, der von einem jungen Mann, der schätzungsweise etwa Ende 20 sein mochte, gesteuert wurde. Er kam mit einem hinreißenden Lächeln auf die kleine Gruppe zu und stoppte so kurz vor Tony, dass dieser erschrocken einen Schritt zurückwich, um einen Zusammenstoß zu vermeiden, was seinem Gegenüber ein fröhliches Glucksen entlockte.

 

„Hi, ich bin Randy. Eigentlich heiße ich ja Randolph Montgomery McGuire der III., aber Randy reicht völlig.“ Er streckte Tony seine rechte Hand hin, die einzige Gliedmaße, die er noch zur Verfügung hatte. Beide Beine fehlten und der linke Arm lag gelähmt in Randy´s Schoß, wie Tony ziemlich bestürzt feststellte. Er ergriff die Hand und schüttelte sie und obwohl er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, lachte sein Gegenüber wissend auf. „Nur keine Verrenkungen. Immer schön locker bleiben – nicht verkrampfen. So reagiert Jeder, der mich zum ersten Mal sieht.  Ist aber kein Grund, nervös zu werden. Hab´ mich mit ´nem Auto angelegt – und verloren. Tja, so spielt das Leben. Schätze mal, dass wir uns jetzt häufiger sehen werden…na ja, du siehst nämlich auch ganz schön fertig aus.“ Er kicherte amüsiert, während Tony vollkommen sprachlos vor ihm stand. „Wie auch immer: Willkommen in unserem Verein.“

 

Er wandte sich in seinem Stuhl zu Ducky um und reichte diesem ebenfalls die Hand. „Schön, dass sie da sind, Dr. Mallard. Der Doc hat uns schon den ganzen Tag von ihren Schandtaten in ihrer Jugendzeit erzählt. Ich bin gespannt, ob er nicht übertrieben hat.“ Er zwinkerte dem überraschten Pathologen verschwörerisch zu, als sich Dr. Seltwick auch schon einmischte: „Randy, du altes Plappermaul! – Entschuldige, Donald, so schlimm wie Randy es darstellt, war es gar nicht. Im Zuge der Vorfreude sind wohl die Erinnerungen ein wenig mit mir durchgegangen.“

 

Er drehte sich wieder zu dem jungen Kerl im Rollstuhl um: „Würdest du bitte Emilio sagen, dass er das Gepäck von Dr. Mallard und Tony...“ Dr. Seltwick verzichtete bewusst auf die Anrede 'Agent', denn hier war Tony nur einer seiner Schützlinge, seiner Patienten. Herkunft, Beruf oder Stellung waren unerheblich. „...auf die Zimmer vier und fünf im Haupthaus bringen soll? Und wenn er Zeit hat, kann er ja schon mal den Hibiskus-Bungalow herrichten. In den kann Tony dann später umziehen, wenn er so weit ist.“

 

„Wird gemacht, Doc!“, antwortete Randy und wendete schon schwungvoll seinen Rollstuhl, um dann in beachtlichem Tempo die Auffahrt hinunterzufahren.

 

Dr. Seltwick und seine beiden Gäste sahen ihm noch nach, bis er um die nächste Ecke verschwunden war; Ducky und Tony sichtlich beeindruckt, der Psychologe mit einem stolzen Lächeln. „Ein bemerkenswerter junger Mann, finden sie nicht?“, wandte er sich an Tony, der dem nur stumm nickend zustimmte.

 

„Ich werde Ihnen ein wenig von ihm erzählen“, begann Dr. Seltwick, während er die beiden NCIS-Mitarbeiter mit einer einladenden Handbewegung in die Lobby bat. „Eigentlich überlasse ich es meistens ihm selbst, von seiner Geschichte zu berichten,  aber in Ihrem Fall werde ich eine Ausnahme machen.“ Er hatte bemerkt, wie sehr die unbekümmerte, lebensfrohe Art den jungen Agenten beeindruckt hatte und er erhoffte sich durchaus positive Effekte dadurch, wenn Tony erfuhr, wie Randy sein grausames Schicksal gemeistert hatte – wie er gelernt hatte, es anzunehmen, denn auch dies war nicht von heute auf morgen geschehen.

 

Sie nahmen auf einem bequemen Sofa Platz und Dr. Seltwick begann zu sprechen: „Randy war 23 Jahre alt, als der Unfall passiert ist. Er war in seinem Abschlussjahr am Collage und der beste Quaterback seines Jahrgangs landesweit. Mehrere Proficlubs waren hinter ihm her, aber er war sich mit den Miami Dolphins einig. Randy ist hier geboren und er wollte nur bei diesem Club spielen. An dem verhängnisvollen Tag hatte sein Team ein wichtiges Spiel gewonnen und Randy war mal wieder der beste Mann auf dem Platz gewesen. Er hatte einige unglaubliche Pässe gespielt und die Presse überschlug sich fast vor Begeisterung. Einige seiner Freunde, ein paar Mädchen, darunter seine feste Freundin und er, haben in einer Disco daraufhin ausgelassen den Sieg gefeiert. Gegen 23.oo Uhr war keiner von Ihnen mehr nüchtern.“

 

Dr. Seltwick bemerkte Ducky´s Blick, der ausdrückte, was er dachte: Dass sich einer aus der Gruppe alkoholisiert ans Steuer gesetzt hatte und dass dadurch dann dieser verhängnisvolle Unfall passiert war.

 

„Nein, Ducky, du irrst dich. Sie waren alle vernünftig genug, ihre Autos stehen zu lassen. Nur 300 Meter von der Disco entfernt war ein Taxi-Stand und die jungen Leute waren gerade auf dem Weg dorthin…als ein völlig betrunkener Autofahrer ausgerechnet in diesem Moment die Kontrolle über seinen Wagen verlor und mit extrem überhöhter Geschwindigkeit in die Gruppe auf dem Gehsteig gerast ist.“

 

Entsetzt blickten Dr. Mallard und Tony den Erzähler dieser Geschichte an. Sie hatten das Gehörte noch nicht verdaut, als Dr. Seltwick auch schon fortfuhr. „Einer von Randy´s Freunden war sofort tot. Seine Freundin, sie war drei Tage zuvor 21 Jahre alt geworden, starb wenige Stunden später im Krankenhaus. Sein bester Freund erlitt so schwere Kopfverletzungen, dass er seither auf dem Stand eines Kleinkindes lebt. Und Randy ... tja, er verlor bei dem Unfall beide Beine und an seinem linken Arm waren sämtliche Nerven und Sehnen zerfetzt, so dass er ihn seit dem nicht mehr benutzen kann. Fünf Monate lag er im Krankenhaus, bis alle Verletzungen soweit verheilt waren, dass er auf das Tragen von Prothesen vorbereitet werden sollte.“

 

„Bemerkenswert, wie er das weg gesteckt hat“ murmelte Tony tief beeindruckt. „Ich weiß nicht, ob ich das auch gekonnte hätte.“

 

„Nun – das hat Randy auch nicht.“ Dr. Seltwick ließ ruhig seinen Blick durch die geschmackvoll eingerichtete Eingangshalle schweifen und überlegte, dass er das, was er jetzt sagen würde, eigentlich gar nicht sagen dürfte – zumindest nicht vor Tony. Doch wie schon des Öfteren in der Vergangenheit, entschied er sich zum Wohl eines neuen Patienten gegen den Strom zu schwimmen. „Er hat versucht, sich umzubringen“, sprach er schließlich weiter, als sei es das selbstverständlichste von der Welt.

 

Tony riss überrascht die Augen auf. „Aber ich dachte ...! Er ist doch so ... so cool drauf?“

 

„Heute ja. Aber damals ...war er am Boden zerstört! Eine Schwester kam zufällig dazu, als er sich Luft in die Adern injizieren wollte. Von da an fixierten sie seinen rechten Arm so am Bett, dass er sich nicht mehr selbst verletzen konnte. Aber er stellte auch jedwede Mitarbeit und Konversation ein. Zeitweise musste er sogar zwangsernährt werden. Vier Monate später blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihn in die psychiatrische Abteilung einzuweisen. Dort saß er dann Tag für Tag an seinen Rollstuhl gefesselt und mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt am Fenster und starrte von morgens bis abends nach draußen in den Garten. Seine Mutter weinte sich fast die Augen aus und sein Vater versuchte verzweifelt, irgendeine Lösung zu finden. Zu diesem Zeitpunkt wollte es der Zufall, dass ich die McGuires kennen lernte. – Es war bei einer Spendensammlung für Gewaltopfer. Die beiden haben eine ziemliche Summe gespendet. Irgendjemand hat uns einander vorgestellt und wir sind ins Gespräch gekommen. So habe ich von Randy´s Schicksal erfahren und die McGuires von meinem Job. Sie haben mich gebeten, mit ihrem Sohn zu sprechen, zu versuchen, ihn aus seiner Lethargie herauszureißen – und ich habe es ihnen versprochen.“

 

„Und wie man sieht, hast du es geschafft. Mich würde brennend interessieren, wie du das gemacht hast“ warf Ducky ein und beugte sich mit fragendem Blick vor.

 

„Nun, ich habe ihn besucht und ...“ Die Erinnerung an das damalige Gespräch wurde in Dr. Seltwick wieder wach...

 

*********

 

„Hi, Randy, ich bin Dr. Seltwick. Wie geht’s dir heute?“

 

Der junge Mann in dem Rollstuhl hob nicht einmal den Kopf und starrte nur stumm geradeaus.

 

„Ich habe darum gebeten, dass sie deine Beruhigungsmittel absetzen. Ich wollte, dass du klar bist, wenn ich mit dir rede, daher weiß ich auch, dass du mich verstehst. Ich bin hier, um dich davon zu überzeugen, dass du wieder anfängst, zu leben.“

 

Langsam hob Randy seinen Kopf und sah den alten Mann an. „Zu leben? ZU LEBEN? – Ehrlich, ich pfeife auf dieses Scheißleben!“ Er hob seine rechte Hand, so hoch es ging, bevor ihn die Fixierung stoppte. „Ich will es nicht mehr! Wenn es schon mein Leben ist, dann sollte ich doch damit machen können, was ich will! Ich will es beenden!! Verstanden! Ich will nicht als Krüppel leben! Ich will nicht! Ich will nicht!“ Langsam war seine Stimme von einem Schreien in ein hoffnungsloses Wimmern übergegangen und Tränen liefen über seine Wangen.

 

Dr. Seltwick spürte Randy´s Verzweiflung, trat vor ihn hin, legte ihm beide Hände auf die Schultern und fuhr ihn hart an: „Ich weiß, dass es nicht fair ist, was dir passiert ist. Es ist verdammt noch mal verfluchter Mist. Aber es ist nicht mehr zu ändern. Du musst damit leben, ob du willst oder nicht. Und du wirst damit leben, denn sie werden dir nicht erlauben, es zu beenden. Verstehst du? Du wirst Tag für Tag hier sitzen und aus dem Fenster starren, Monat für Monat, Jahr für Jahr.  – Es sei denn, du entschließt dich, aus dem, was noch da ist, etwas zu machen. Versuch' es wenigstens. Deinen Eltern zuliebe, die dich lieben und die völlig verzweifelt sind. - Versuch' es einen Monat lang. Wenn du mir versprichst, bei deiner Ehre und beim Andenken an John und Sally, die diese Chance nicht mehr haben, dass du einen Monat lang nicht versuchen wirst, dich umzubringen, dann nehme ich dich mit und zeige dir ein paar Dinge, die dich vielleicht nachdenklich machen werden.“ Der alte Arzt rüttelte den Jungen an den Schultern und sah ihn durchdringend an. „Aber: Ich will deine Antwort sofort! Hier und jetzt!“

 

„Einen Monat – und was ist  dann?“ Leise stellte Randy diese Frage, sah den Älteren aber nicht dabei an.

 

„Das werden wir dann sehen, wenn es soweit ist. Ich verspreche dir, für dich zu tun, was ich kann und ich will auch deine Wünsche berücksichtigen, so gut es geht, aber erst einmal  musst du mir versprechen, einen Monat lang keine Dummheiten zu machen. Gib´ mir dein Wort und dann können wir von hier verschwinden.“ Dr. Seltwick hoffte wirklich von Herzen, dass er Randy aufgerüttelt hatte und atmete erleichtert auf, als er die Antwort des jungen Mannes hörte, der ihm bei den folgenden Worten auch zum ersten Mal ins Gesicht blickte:

 

„Gut, okay, einen Monat, aber keinen Tag länger. Versprochen“.

 

**********

 

Dr. Seltwick blickte auf und sah seine Gesprächspartner an, die gebannt seinem Bericht gelauscht hatten. „Nun – wie ihr feststellen konntet, hat Randy seine Selbstmordgedanken aufgegeben. Er hat in diesem einen Monat Menschen kennen gelernt, die ebenfalls ein grausames Schicksal erleiden mussten und an seinem letzten Tag hat er mir gesagt, dass er hier bleiben möchte. Er hat sich Prothesen anfertigen lassen, verbissen geübt  und schließlich gelernt, mit ihnen umzugehen.“ Der Arzt lächelte. „Obwohl er immer noch lieber mit diesem getunten Rollstuhl herum düst. Vielleicht glaubt er ja, er könne mich damit ein wenig ärgern. Tja, und er hat begonnen, Medizin und Psychologie zu studieren und ist einer der besten Studenten in seinem Semester. Wenn er irgendwann fertig ist, werde ich mich zur Ruhe setzen und Randy wird das alles hier in meinem Sinne weiterführen. Er  wird  meine Nachfolge antreten und ich bin sicher, ich hätte keinen Besseren finden können.“

 

Einige Augenblicke lang herrschte eine bleierne Stille, nachdem Dr. Seltwick seine Erzählung beendet hatte. Obwohl Tony normalerweise nie um ein paar flotte Sprüche verlegen war, sagte er diesmal kein Wort, sondern blickte in Gedanken versunken aus dem Fenster. Randy´s Geschichte hatte ihn offensichtlich tief beeindruckt.

 

Schließlich räusperte sich Ducky und nippte an seinem Wasserglas, das ein aufmerksamer Bediensteter auf dem Tischchen vor ihnen abgestellt hatte. „Randy scheint ein äußerst starker Mensch zu sein. Ich hoffe, ich habe bald ein wenig Zeit, mit ihm zu plaudern.“

 

„Oh, ich bin sicher, er wird begeistert sein.“ Dr. Seltwick lächelte breit. „Plaudern ist eines seiner liebsten Hobbys – außer die Gärtner mit seinem Kamikazefahrten zu Tode zu erschrecken.“

 

In diesem Moment trat Emilio an ihren Tisch und teilte der kleinen Gesellschaft mit, dass er das Gepäck auf die Zimmer gebracht hätte.

 

„Danke, Emilio.“ Dr. Seltwick erhob sich und Tony und Ducky taten es ihm gleich. „Ihr werdet euch sicher ein wenig frisch machen wollen, nach der langen Reise. Um 19.oo Uhr essen wir hier alle gemeinsam zu Abend. Das ist ein feststehender Termin. Der Speisesaal ist gleich hier drüben.“ Er deutete auf eine doppelflügelige Glastür z Pau seiner Rechten.

 

„Wir werden pünktlich sein, nicht wahr Tony“, entgegnete der alte Pathologe und DiNozzo nickte nur zustimmend. Du kannst dich auf uns verlassen.“

 

„Wunderbar. Emilio wird euch den Weg zu euren Zimmern zeigen. – Emilio, würdest du bitte…“

44. Kapitel

Der erste Abend in Miami

 

Pünktlich um 19.oo Uhr fanden sich Ducky und Tony vor dem Speisesaal ein, wo sie schon von Dr. Seltwick erwartet wurden. Freundlich lächelnd kam er auf seine beiden neuen Gäste zu und fasste Ducky leicht am Ellbogen.

 

„Schön, dass ihr da seid. Kommt mit rein, ich möchte euch gerne ein paar Leuten vorstellen. Vor allem dem Personal, damit ihr wisst, an wen ihr euch wenden könnt. Ich habe mit Randy vereinbart, dass er euch mit einigen der anderen Patienten bekanntmacht – vor allen Dingen Sie, Tony. Randy ist hier sehr beliebt und das wird Ihnen sicher den Einstand in der Gruppe etwas erleichtern. Allerdings haben wir hier auch Gäste, die sehr scheu sind im Umgang mit anderen Menschen, die entscheiden selbst, ob oder wann sie Kontakt wünschen. Ich möchte Sie bitten, dass Sie darauf Rücksicht nehmen, denn eine unerwünschte Kontaktaufnahme könnte eventuell wochen- oder gar monatelange Arbeit zerstören oder zumindest gefährden.“

 

Dr. Mallard nickte verstehend und warf Tony einen Seitenblick zu. Der Agent wirkte relativ erschüttert über das Gehörte, nickte jedoch schweigend, um klarzumachen, dass er die – sehr freundlich vorgetragene Anweisung – durchaus verstanden hatte.

 

Sie betraten den Speisesaal und sofort kam Randy auf sie zugerollt. „Hi Tony, du sitzt bei uns, wenn es dir Recht ist“, sagte er und steuerte bereits auf einen Tisch zu, an dem schon drei Personen saßen. Ein Platz war noch frei, an den sich DiNozzo mit einem leichten Lächeln in die Runde setzte, nachdem ihm Dr. Seltwick durch ein Nicken seine Zustimmung signalisiert hatte. Direkt neben ihn lenkte Randy seinen Rollstuhl an den Tisch.

 

Ducky setzte sich zu Dr. Seltwick an einen Tisch, an dem auch schon zwei Personen saßen. Er begrüßte es sehr, dass die Ansage seines alten Freundes Tony offenbar nicht davon abhielt, den Kontakt zu den Mitpatienten zu suchen. Schließlich musste er schon bald wieder zurück nach D.C. und er würde seine Abreise mit einem bedeutend besseren Gefühl in Angriff nehmen, wenn er sich wenigstens einigermaßen sicher sein konnte, dass Tony sich in Miami wohlfühlte und gut einlebte.

 

Randy übernahm es dann auch sofort, Tony mit seinen Tischnachbarn bekannt zu machen. „Das hier ist Clark, er ist schon fast ein halbes Jahr bei uns, aber er wird uns wohl in absehbarer Zeit verlassen, was einerseits schade ist, weil dieser verrückte Kerl ein toller Pokerspieler ist, aber andererseits freut es mich natürlich, dass er wieder in sein altes Leben zurückkehren will.“ Er boxte dem Mann neben sich gegen den Oberarm und dieser zahlte es ihm mit einem frechen Grinsen mit gleicher Münze heim. Dann wandte er sich einen Platz weiter und er lächelte einem hübschen, blonden Mädchen von ca. 25 Jahren zu. „Das hier ist Anna. Sie ist gerne für sich und es wäre nett, wenn du wartest, bis sie dich anspricht.“ Die junge Frau, die auch zu dieser Abendstunde eine getönte Sonnenbrille trug, sagte nichts, aber ein kleines, irgendwie trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. Tony sah kurz zu ihr hin, nickte ein wenig und wandte dann Blick sogleich wieder ab, da er instinktiv spürte, dass es ihr unangenehm war, so direkt angesehen zu werden.

 

Die dritte Person war ein dunkelhäutiger Mann etwa in Tony`s Alter. „Das ist Gustavo, er wohnt im Lotos-Bungalow und wird wohl in einigen Tagen dein Nachbar werden, der Hibiskus-Bungalow liegt nämlich nicht weit entfernt.“

 

Der Mann reichte Tony die Hand und als der sie ergriff und schüttelte, bemerkte er das permanente Zittern des Mannes, bemühte sich aber, es einfach zu ignorieren. Gleichzeitig sprach ihn Gustavo an. Er redete langsam, ein wenig abgehackt und bedächtig, so, als ob er sich seine Worte erst mühsam zusammen suchen musste: „Hallo, es freut mich, Sie kennenzulernen, … obwohl ich nicht weiß, ob man das so sagen sollte. … Den Menschen, die man hier trifft, sollte man vermutlich wünschen, sie hätten nicht den Weg hierher antreten müssen.“

 

„Da haben Sie wohl Recht“, antwortete Tony nachdenklich. Bereits nach den wenigen Minuten ahnte er, dass hier jeder – völlig unabhängig voneinander – sein Päckchen zu tragen hatte und insgeheim beneidete er Clark ein wenig, der die Klinik schon bald verlassen durfte. Offensichtlich hatte er es geschafft, seine Dämonen zu besiegen und er konnte nur hoffen, dass es für ihn hier genauso gut laufen würde.

 

*******

 

Das Essen verlief ziemlich ruhig, hauptsächlich bestritten Randy und Clark die Konversation. Mittlerweile hatte Tony auch den Koch und einige andere Angestellte kennengelernt, die alle sehr sympathisch und hilfsbereit waren. Zum Schluss des Abendessens lernte Tony dann noch Dr. Seltwick` s Sekretärin und den guten Geist des Trauma-Centers, Carole Lombard kennen. Als sich bei der Nennung ihres Namens unwillkürlich ein breites Lächeln auf sein Gesicht stahl, musste auch Ducky schmunzeln, denn in diesem Moment erkannte er nach vielen Tagen wieder einmal den Tony von früher, der diesen Namen natürlich sofort mit der erfolgreichen Schauspielerin aus den 30-er Jahren in Verbindung brachte.

 

Als sich nach Beendigung des Essens alle erhoben und den Speisesaal verließen, hielt Dr. Seltwick Tony noch einen Moment zurück. „Tony, ich weiß von Ducky, dass Sie seit langem ohne Tabletten nachts nicht ruhig schlafen können…“

 

„Jaaa…“, entgegnete Tony gedehnt. „Aber ich nehme jetzt keine mehr“, setzte er schnell hinzu, da er befürchtete, Dr. Seltwick würde den Verdacht haben, er hätte womöglich Tabletten eingeschmuggelt.

 

„Hören Sie…“, antwortete Dr. Seltwick, der seinen neuen Patienten durchschaute. „…was war, bevor Sie zu mir gekommen sind, ist hier nicht ausschlaggebend. Sie sind jetzt hier, um wieder gesund zu werden und dafür bin ich da – um Ihnen zu helfen, nicht, um Sie zu verurteilen. Ich gebe ihnen heute Abend eine Injektion, damit Sie in Ruhe schlafen können. Sie müssen Ihr inneres Gleichgewicht wiederfinden. Das ist immens wichtig für Ihren Gesundungsprozess. Kommen Sie ½ Stunde bevor Sie schlafen gehen in mein Büro, dann gebe ich Ihnen die Spritze. Ich bin bis 23.oo Uhr da. Und morgen sehen wir dann weiter. Machen sie sich keine Gedanken. Ich verspreche Ihnen, wir werden nichts überstürzen und alle Entscheidungen gemeinsam treffen.“ Aufmunternd legte ihm der erfahrene Arzt eine Hand auf die Schulter.

 

Ein wenig überrascht sah Tony den Arzt an, damit hatte er nicht gerechnet, aber die Aussicht, sich heute Nacht zur Abwechslung einmal nicht mit Rebekka auseinander setzten zu müssen, ließ ihn erleichtert aufatmen. „Okay, das... ähm... das nehme ich gerne in Anspruch.“ Dann wandte er sich um und ging auf sein Zimmer.

 

Er legte sich aufs Bett, verschränkte die Arme unter seinem Kopf und sah dem Ventilator unter der Decke zu, der sich in gleichmäßigem Rhythmus drehte. Dabei dachte er an Ziva. Was sie jetzt wohl machte? Ob sie ihn vermisste, oder ob sie noch wütend auf ihn war, weil er so einfach abgehauen war? Ahnte sie mittlerweile womöglich schon, wo er sich gerade befand oder hatte Ducky dicht gehalten? Nein, er vertraute dem alten Pathologen – er hatte ihm versprochen, den anderen vorläufig nichts zu sagen und daran hatte er sich bestimmt auch gehalten. Aber was war mit Ziva? Er hatte ihr gesagt, dass er sie mit seinen Unzulänglichkeiten nicht mehr belästigen wollte und dass er auch allein klar kommen würde. So hatte er sich von ihr getrennt! Hatte sie das als endgültigen Schlussstrich verstanden, oder würde sie ihm noch eine Chance geben, wenn er wieder zurückkehren würde? Aber – würde er überhaupt wieder zurückkehren? Und wenn ja, wann? Was sollte dann aus ihm werden? Was sollte er in D.C. anfangen? Schließlich hatte er keinen Job mehr! Was für eine Zukunft erwartete ihn? Wichtiger noch: Welche Zukunft würde ihn und Ziva erwarten? War sie ohne ihn nicht sowieso besser dran? – Andererseits…sie hatten schon so viel zusammen durchgemacht. Ziva hatte mehrfach ihr Leben für ihn riskiert und auch umgekehrt. Und…wenn er ehrlich war: Er vermisste sie wahnsinnig. Vielleicht sollte er sie ja anrufen? Sie machte sich bestimmt Sorgen um ihn. Tony´s Hand fuhr in seine Hosentasche und  fingerte nach seinem Handy, doch schon im nächsten Augenblick fiel ihm ein, dass er es am Morgen in Ducky´s Haus schon kurz vermisst hatte – wie es schien hatte er es wohl irgendwo auf dem Weg zwischen Bar und Ducky´s Haus verloren. Vielleicht lag es ja auch noch in seinem Wagen? Ein trauriges Lächeln wischte über seine Züge. Im Grunde konnte es ihm wahrscheinlich eh egal sein, wo das Gerät sich befand. Schließlich war es ein Diensthandy und da er ja ganz offiziell nicht mehr „im Dienst“ war, hatte Vance, der Korinthenkacker, es wahrscheinlich längst sperren lassen. Scheiß drauf! Er drehte sich zur Seite und seine Hand langte instinktiv nach dem Hörer des Festnetztelefons, welches in seinem Zimmer auf dem Nachttisch stand…nur um gleich darauf mitten in der Bewegung inne zu halten und das Gerät voller aufkommender Zweifel zu mustern. Wie würde Ziva wohl nach allem was geschehen war, auf einen plötzlichen Anruf aus Sunny State reagieren? Erleichtert? Impulsiv und wütend? Gleichgültig? Das, da war er sich sicher, könnte er nicht ertragen.

 

Seine Gedanken drehten sich im Kreis – er  wusste einfach nicht, was er tun sollte. Anrufen? Ja? Nein? Vielleicht? Verflucht, es schien wirklich so, als bräuchte er jemanden, der ihn an die Hand nahm und ihm sagte, was richtig war… Was zum Teufel war mit ihm passiert, dass es soweit mit ihm kommen konnte? Er ließ das Telefon achtlos neben sich fallen und schlug die Hände vor´s Gesicht. Eines war mal sicher: So konnte es auf jeden Fall nicht weitergehen!

 

Plötzlich sprang er hektisch auf und spurtete förmlich ins Bad. Er drehte die Dusche auf und stellte sich voll bekleidet unter den eiskalten Wasserstrahl. Er stützte die Hände seitlich an die Wand und lehnte seine Stirn gegen die kühlen, feuchten Fliesen. Er hasste die Situation, in der er sich befand und (Gott weiß,) wenn er aus seiner Haut gekonnt hätte… er hätte schon längst alles geändert, aber so einfach war das nicht. Da war all das, was er in den letzten Monaten versaubeutelt hatte – da war Rebekka – da war die Tatsache, dass er seinen Job verloren hatte…oder geschmissen, je nachdem wie man es sah… Während das eiskalte Wasser auf seinen Rücken einprasselte akzeptierte er endlich, dass er Hilfe benötigte, um seine Ausgangslage wieder zu verbessern und er war an einem Punkt angelangt, wo er dies einsah und Hilfe annehmen wollte. Wenigstens waren ihm Dr. Seltwick und sein Team schon nach der kurzen Zeit des Kennenlernens sympathisch. Er schien zu wissen, was er tat – dafür war Randy wohl das beste Beispiel. Wenn er an das Schicksal des jungen Mannes dachte, wurde er demütig und schämte sich umso mehr für sein Verhalten in der letzten Zeit.

 

Minutenlang ließ Tony das Wasser über seinen Körper strömen, bevor er es schließlich vor Kälte zitternd abstellte. Einen kurzen Moment lang blieb er noch mit gesenktem Kopf stehen und beobachtete wie die Wassertropfen den Weg aus seinen Haaren suchten, bevor sie langsam auf den Boden tropften und dort kleine Pfützen bildeten. Nach und nach. Einer nach dem anderen. In diesem Augenblick machte es `Klick´ in seinem Inneren  -   Er wollte nicht länger ein Opfer sein! Er wollte sein Leben zurück, seinen Job … und … er wollte seine Freundin zurück: ZIVA! In genau dieser Sekunde beschloss er, für seine Wünsche zu kämpfen; alles dafür Nötige zu tun, dass er sein altes Leben wiederbekam, egal wie schwer es werden würde. Er schwor sich, dass  Nichts und Niemand ihn daran hindern würde. Schon gar nicht eine Rebekka Rivkin! Die zuallerletzt!

 

Entschlossen trat er mit festem Schritt aus der Dusche, schüttelte sich kurz wie ein nasser Hund und lachte nach einem Blick in den Spiegel über sich selber. Er zog seine nasse Kleidung aus, lies sie achtlos auf dem Boden liegen und hüllte seinen ausgekühlten Körper in den flauschigen Bademantel, den er hinter der Tür vorgefunden hatte. Dann rubbelte er seine Haare noch wenigstens ansatzweise trocken, bevor er schließlich barfuß zurück in sein Zimmer tapste. Er fühlte sich seltsam erleichtert und befreit, als sein Blick sich wie ferngesteuert auf den Radiowecker, der auf seinem Nachttisch stand, richtete. Die rot leuchtenden Digitalziffern zeigten exakt 20.55 Uhr an. Er stutzte und horchte in sich hinein. Es war fast so, als hätte er genau dies erwartet. Dann – ganz langsam – stahl sich wieder das altbekannte DiNozzo-Lächeln auf sein Gesicht. Es war vorbei! Innerlich jubelnd registrierte er, dass ihm diese Zeit  heute keinen Angstschauer mehr über den Rücken jagte, wie damals in Jim´s Bar. Er beschloss zu akzeptieren, dass es wohl einfach Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die man rational nicht erfassen konnte und diese Uhrzeit – 20.55 Uhr – würde er von jetzt an als sein persönliches Mirakel ansehen – allerdings als ein durchaus positives!

 

Hier und jetzt begann die erste Stunde vom Rest seines neuen, alten Lebens!

 

 

In Rebekkas Wohnung

 

Von einer seltsamen inneren Unruhe erfasst hockte Rebekka auf der Kante ihres abgewetzten Sofas und knetete ihre Hände ineinander. Was zum Henker war bloß los mit ihr? Sie hatte keine Ahnung und schob die Tatsache, dass sie sich heute Abend auf nichts wirklich konzentrieren konnte, auf die anstrengende Schicht, die sie heute hinter sich gebracht hatte. Sie war einfach ziemlich fertig und ihre Nerven lagen blank. In Jim´s Bar war viel los gewesen und sie war pausenlos im Einsatz gewesen. Nun brannten ihre Füße und auch die Schulter machte sich nach den ganzen schweren Tabletts, die sie hatte schleppen müssen, wieder unangenehm bemerkbar. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust, während sie sich unwillkürlich die ehemals verletzte Stelle massierte. Hörte das denn nie auf?

 

Ihre Gedanken wanderten zurück in die Bar. An diesem Abend waren viele Agents aus dem Yard dagewesen, doch mal wieder niemand aus dem DiNozzo Trupp. Trotzdem hatte sie das Gefühl beschlichen, dass etwas in der Luft gelegen hatte. Die Agents hatte ihre Köpfe zusammengesteckt und es war viel getuschelt worden. Zu gerne hätte sie gewusst, worüber, doch so sehr sie sich auch bemüht hatte, etwas mitzubekommen, wann immer sie Getränke an die Tische brachte…es war ihr zu ihrem allergrößten Ärger nicht gelungen.

 

Vielleicht sollte sie diesen Tag einfach abhaken und zu Bett gehen. Morgen war ein neuer Tag und der würde sicherlich besser laufen. Die Augen der Israelin wanderten zu der alten Wanduhr über der Tür und sie erstarrte: 20.55 h! Verdammt noch mal, was sollte das? Langsam bekam sie das Gefühl, dass diese Zeit sie verfolgte und das ungute Gefühl, das sie die letzten Tage immer wieder mal heimlich, still und leise beschlichen hatte, war urplötzlich mit aller Macht und Gewalt zurückgekehrt und drohte ihr nun die Luft zum Atmen zu nehmen.

45. Kapitel

Washington – In Ziva`s und Tony`s Schlafzimmer

 

Ruhelos wälzte sich Ziva in ihrem Bett hin und her. Den ganzen Tag über war sie auf der Suche nach Tony gewesen – erfolglos, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, aber sie hatte sich schlichtweg geweigert, aufzugeben. Die Tatsache, dass  Tony´s Handy gestohlen worden war und zu allem Unglück auch weiterhin ausgeschaltet blieb, zermürbte sie zusätzlich, denn dadurch waren natürlich auch Abby die Hände gebunden. Es sah ganz danach aus, als wolle er nicht gefunden werden, doch sie konnte und wollte dies einfach nicht akzeptieren. Andererseits gab es natürlich auch noch die Möglichkeit, dass Rebekka die Gunst der Stunde genutzt hatte und ihren Verlobten nun irgendwo bis auf´s Blut quälte. Ziva war hin und her gerissen. Sie wusste nicht, welche der beiden Varianten sie schlimmer finden sollte. Die erste Möglichkeit würde darauf hindeuten, dass Tony ihre Beziehung tatsächlich in Frage stellte oder noch schlimmer, gar schon als beendet ansah – für Ziva ein absolutes No-Go, denn trotz allem was vorgefallen war, konnte Ziva sich nicht vorstellen, dass Tony nicht bereit wäre, um ihre Beziehung zu kämpfen. Sie war es ja schließlich auch! Und wenn Tony erst einmal wieder einen klaren Kopf hatte, dann würde er sicher zur Besinnung kommen – das hoffte sie zumindest. Die zweite Möglichkeit hingegen…nun, darüber wollte sie gar nicht erst näher nachdenken, denn wenn Rebekka tatsächlich wieder zugeschlagen hatte, dann war es durchaus realistisch, anzunehmen, dass es ihr dieses Mal gelingen würde, Tony endgültig zu brechen.

 

Aber schon allein, dass Ziva ihre Gefühle nicht klar einordnen konnte…diese zusätzliche Zerrissenheit machte sie rasend! Sie musste einfach etwas tun und sei es auch noch so sinnlos. Einfach nur herumzusitzen und abzuwarten…nein, das ging gar nicht. So hatte sie nach einer schlaflos verbrachten Nacht und einem kurzen Besuch im HQ einige Bars abgeklappert, von denen sie wusste, dass Tony schon öfters dort gewesen war, aber er war nirgends gesehen worden. Zusätzlich hatte sie jeden auch noch so entfernten Bekannten angerufen, in der Hoffnung, dass er vielleicht bei einem von seinen alten Freunden Zuflucht gesucht hatte, aber auch hier endete jeder Anruf nur mit einer neuerlichen Enttäuschung.

 

Schließlich war sie zutiefst frustriert und entmutigt ins HQ zurückgekehrt, nur um dort von den anderen zu erfahren, dass es auch hier nichts Neues gab. Nichts anderes hatte sie erwartet, denn natürlich hätten Tim oder Gibbs sie umgehend informiert, wenn sie eine Spur von Tony gefunden hätten. Trotzdem hätte sie vermutlich die ganze Nacht im Büro verbracht, schon allein um sich irgendwie abzulenken und nicht in die leere und verlassene Wohnung zurückkehren zu müssen, aber Gibbs war hart geblieben und hatte sie rigoros nach Hause geschickt. Er hatte ihr noch einmal deutlich ins Gewissen geredet, dass sie auch auf sich aufpassen musste, denn es war anzunehmen, dass Rebekka auch hinter ihr her war, um sich zu rächen.

 

Wütend schmiss sich Ziva  wieder auf die andere Seite und zog sich die Decke über den Kopf, als aus der Ferne das Geheul eines Martinshorns zu hören war. Alleine dieses Geräusch reichte aus, dass sie schon wieder fühlte, wie ihr heiß die Tränen in die Augen schossen und dort unangenehm brannten. Sie hasste sich dafür, doch sie konnte es nicht ändern. Tony hatte ihr immer wieder versichert, wie sehr er sie dafür liebte, dass sie sich mit der Zeit selber gestattet hatte, etwas weicher zu werden, aber was nützte ihr das nun, fragte sie sich bitter. Es tat nur weh, unsagbar weh! Tony war weg und sie hatte keine Ahnung, wie es um ihn stand. Ging es ihm gut? Oder litt er womöglich gerade Höllenqualen? Oh, wenn Gibbs wüsste…es wäre Ziva nur Recht gewesen, wenn sich die Rifkin gerade jetzt zeigen würde; dann hätte sie endlich die Möglichkeit, die Gegnerin offen bekämpfen zu können, denn diese latente unsichtbare Bedrohung zerrte wahnsinnig an Ziva´s Nerven.

 

Nachdem sie schließlich stundenlang wach gelegen hatte, war Ziva deprimiert aufgestanden und auf nackten Füßen ins Badezimmer getappt. Sie stützte sich mit den Händen am Waschbecken ab und beugte sich ein wenig nach vorn, während sie im Spiegel ihr abgespanntes Gesicht betrachtete. Gütiger Gott, sie sah wirklich furchtbar aus, dachte sie bei sich und strich sich mit einer Hand die total zerwuschelten Haare nach hinten. Gibbs hatte recht: Sie brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf. Ohne näher darüber nachzudenken, öffnete sie den Spiegelschrank und griff nach der Schachtel mit den Schlaftabletten. Endlich ein paar Stunden Ruhe – sie sehnte sich förmlich danach und allzu viel Zeit blieb ihr schon nicht mehr bis zum Morgengrauen. Doch als sie die Tabletten in den Händen hielt, wurde ihr mit einem Mal bewusst, wie Tony sich gefühlt haben musste, und warum er immer wieder zu solchen Pillen gegriffen hatte. Jetzt plötzlich verstand sie ihn, warum hatte sie bloß nicht früher erkannt, was ihn dazu getrieben hatte. Wutentbrannt schleuderte sie die Schachtel von sich schrie ihre Hilflosigkeit ihrem Spiegelbild ins Gesicht.

 

 

Der erlösende Anruf

 

Am nächsten Tag herrschte erneut eine unnatürliche Ruhe im Großraumbüro des NCIS. Zum wiederholten Male ließ Jethro seinen Blick über die Schreibtische seiner Mitarbeiter schweifen. An Tony´s verlassenem Tisch blieb er hängen. Schwer zu glauben, dass das Fehlen eines Menschen ein ganzes gut funktionierendes Gefüge durcheinander bringen konnte. Wie oft hatte ihn das kindische Verhalten seines Senior Field Agent genervt und wie sehr fehlte es ihm jetzt. Er schaffte es gerade noch, einen Seufzer zu unterdrücken und ließ seinen Blick weiter zu seinen beiden anderen Agents wandern.

 

McGee, der vom seinem ersten Tag an immer wieder unter Tony´s Streichen zu leiden hatte, arbeitete mechanisch wie ein Roboter an ihrem derzeitigen Fall, doch Gibbs wachsamen Augen entging nichts – er wusste sehr gut, dass der MIT-Absolvent immer wieder unauffällig die Dauerortung von Tony´s Handy kontrollierte – bislang leider ohne Erfolg. Mittlerweile kannte er den hoffnungsvollen Blick, der dieses Tun jedes Mal einleitete und kurz darauf den enttäuschten Gesichtsausdruck, wenn er feststellen musste, dass sich immer noch nichts getan hatte. Im Grunde wusste der junge Mann natürlich genau, dass sein Kontrollblick von vorneherein ohne Ergebnis bleiben würde, denn wenn der unbekannte Dieb Tony´s Handy endlich einschaltete, würde die Ortung einen lauten und nachhaltigen Alarm Ton von sich geben.             

 

Und Ziva … um die junge Israelin machte er sich mittlerweile ernsthafte Sorgen. Die junge Frau wirkte mittlerweile wie ein Schatten ihrer selbst. Sie trug die gleiche Kleidung wie am Vortag, wie Gibbs sehr wohl registriert hatte und die dunklen Ringe unter ihren Augen legten ein deutliches Zeugnis darüber ab, dass sie in der letzten Nacht wohl wieder keinen Schlaf und somit auch keine Erholung gefunden hatte. Auch Abby machte ihm Sorgen. In ihrem Labor war es seit Tony´s Verschwinden sehr still geworden und wenn sie sich nach ihrem Freund erkundigte, dann tat sie dies – seit ihrem letzten großen Ausbruch – nicht mehr bei ihm, sondern sie kontaktierte ausschließlich nur noch Tim. Ziva ließ sie ebenfalls in Ruhe, aber vermutlich nur, weil sie die Freundin nicht noch zusätzlich nerven wollte. Gibbs zerriss es förmlich das Herz, seinen Trupp, seine Familie, so unglücklich zu sehen, doch er hatte keinen Plan, wie er das in absehbarer Zeit ändern sollte und das wiederum machte ihn unsäglich wütend.

 

In diesem Moment riss ihn das Klingeln seines Handys aus seinen Gedanken. Ein wenig verwundert erblickte er Ducky´s Nummer. Was hatte das denn nun schon wieder zu bedeuten? Normalerweise rief der ihn doch auf dem offiziellen Telefon an. Hoffentlich nicht schon wieder eine neuerliche Katastrophe.

 

„Ducky?“ fragte er daher beunruhigt mit gerunzelter Stirn in den Hörer.

 

„Hallo, Jethro. Ich…“ Der kleine Schotte wurde schon im Ansatz unterbrochen.

 

„Wo zum Teufel steckst du? Ich war heute Morgen unten in der Pathologie, aber du warst nicht da. Warum rufst…“

 

„Wenn du mich zu Wort kommen lassen würdest, dann wüsstest du bereits warum“, erklang wieder Dr. Mallard´s Stimme, die Gibbs seltsam reserviert vorkam. „Sicher macht ihr euch Sorgen um Tony. Ich wollte euch nur informieren, dass es ihm den Umständen entsprechend gut geht.“

 

Gibbs Kopf flog ruckartig nach oben. „TONY! Wo ist er? Ist er bei dir?“

 

Ziva war bei dem laut ausgesprochenen Namen ihres Verlobten sofort aufgesprungen und zu Gibbs´ Tisch geeilt und auch Tim kam schnell dazu. „Was ist mit Tony?“ fragte sie aufgeregt. „Wo ist er?“ Ihr Boss hob nur abwehrend die Hand und hörte gespannt zu, was Ducky ihm zu sagen hatte, während Ziva ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat und es kaum abwarten konnte. Auch Tim knetete unbewusst nervös seine Finger ineinander. Zu gerne hätte er seinem Boss das Handy einfach aus der Hand genommen und auf „laut“ gestellt, aber er vermutete nicht ganz zu Unrecht, dass diese Aktion wohl nicht so gut angekommen wäre.

 

„Tony ist vorgestern Nacht völlig aufgelöst zu mir gekommen. Er war am Ende. Die Suspendierung von Director Vance hat ihn komplett aus der Bahn geworfen. Nachdem er nicht mehr zu Dr. Randolph gehen wollte, habe ich versucht, ihm zu helfen und wir hatten auch bereits einige Gesprächstermine. Kleine Fortschritte waren durchaus zu verzeichnen, allerdings muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich unterschätzt habe, wie tief Tony´s Probleme wirklich gingen…Es hat sich gezeigt, dass es eine bedeutend intensivere…“

 

„DUCKY! Wo ist Tony jetzt?“, unterbrach Gibbs seinen alten Weggefährten ungeduldig, „Bitte, wir müssen unbedingt wissen wo er ist. Er ist höchstwahrscheinlich in Gefahr … Rebekka Rivkin ist wieder da und aller Wahrscheinlichkeit hinter ihm her!“

 

„Ich weiß, Tony hat es mir gesagt. Aber ich versichere dir, er ist hier, wohin ich ihn gebracht habe, vorläufig in Sicherheit. Ich möchte nicht am Telefon darüber reden. Wenn nicht mal du weißt, wo er ist, findet ihn diese … Frau auch nicht - zumindest nicht gleich. Du machst dir Sorgen, und du willst ihn beschützen, das verstehe ich durchaus, aber er will im Augenblick keinen von euch sehen und ich denke, es ist auch besser so. Wie gesagt, er ist hier vorläufig sicher. Ich komme in einigen Tagen nach Hause, dann besprechen wir alles weitere, ich muss auch mit Director Vance reden. Bislang habe ich ihn nur um einige Tage Urlaub gebeten.“ Ducky machte eine kleine Pause. „Vermutlich wirst du aber bereits vorher wissen, wo wir sind, weil du mein Handy orten wirst. Gehe ich da recht in der Annahme? Jethro, wenn du schlau bist, tust du das nicht – wenn du Tony nicht völlig verlieren willst, dann lass ihn jetzt erst einmal in Ruhe – ich bin sicher, wenn er soweit ist, wird er sich bei euch melden.“

 

„Es geht hier nicht um irgendwelche verletzten Gefühle“, antwortete Gibbs schroff. „Einer meiner Agents ist in akuter Gefahr und darüber, ob Tony dort, wo du ihn hingebracht hast, in Sicherheit ist oder nicht, werde ich selbst entscheiden, Duck! Tut mir leid, aber um das zu beurteilen, fehlt dir sicherlich die Kompetenz. Es ist einfach nicht deine Baustelle.“ Jethro war sichtlich wütend, aber er beherrschte sich. „Ich melde mich bei dir!“ Damit legte er grußlos auf.

 

„Was ist los? Wo ist er?“, bestürmte Ziva ihn sofort. Sie konnte ihre Ungeduld kaum zügeln. Endlich, endlich gab es ein Lebenszeichen. Diese Ungewissheit machte einen fertig und da half ihr auch ihre Mossad-Ausbildung nicht viel.

 

„Er ist irgendwo mit Ducky und angeblich dort in Sicherheit. Tim, orte Ducky´s Handy, wenn er es nicht inzwischen schon abgestellt hat.“  Anschließend erzählte er Ziva, was der alte Pathologe ihm gesagt hatte.

 

„Er will uns nicht sehen?“, sagte sie mehr zu sich selbst, als zu ihrem Boss. Resigniert ließ sie den Kopf hängen.

 

„Hey, Ziva, Kopf hoch“, unternahm Gibbs einen unbeholfenen Versuch, seine Agentin zu trösten. „Es gibt immer einen Weg. Ihr werdet euch schon wieder zusammenraufen.“

 

„Ach ja? So wie du und deine drei Exfrauen?“ Bitter sah ihn die Israelin an, ihre Hoffnung auf eine gemeinsame, glückliche Zukunft mit Tony war gerade in schier unendliche Fernen gerückt.

 

Die Spitze tat weh, doch der Grauhaarige ließ sich nichts anmerken. Er wollte jetzt für die beiden da sein und den Beleidigten zu spielen, war da äußerst hinderlich. „Du und Tony – ihr zwei habt etwas, das ich mit meinen drei Exfrauen nie hatte. Ihr gehört zusammen, ihr bildet eine Einheit, ihr seid einfach füreinander bestimmt. Auch wenn es vielleicht so scheint, als ob es nicht mehr in Ordnung zu bringen ist…Ziva, du darfst jetzt nicht aufgeben. Komm schon…“

 

Überrascht über diese gefühlvollen Worte, die sie von ihrem Boss nie erwartet hätte, blickte Ziva auf. „Danke…“ Mehr brachte sie im Moment nicht hervor, zu dick war der Kloß in ihrem Hals. Im gleichen Augenblick meldete sich Tim zu Wort.

 

„Boss – ich habe ihn geortet. Ducky ist …“ Er stutzte kurz. „Er ist  in Florida, genauer gesagt Miami.“ McGee legte die Karte, auf der genau gekennzeichnet war, wo sich Ducky und somit auch Tony derzeit befanden, auf den großen Bildschirm während er gleichzeitig weiter auf seine Tastatur hämmerte. „Sekunde noch…gleich hab´ ich´s. Ja, jetzt! An der Adresse befindet sich ein Trauma Center. Betrieben wird es von einem …“ Tim hackte noch mal auf seine Tastatur ein, dann präsentierte er das Ergebnis: „… Dr. Seltwick. Es handelt sich um eine private Spezialklinik für nur eine Handvoll schwer traumatisierter Patienten. Viel mehr steht hier nicht. Ich werde mich noch genau erkundigen. Eins ist allerdings noch interessant: Hier steht, dass dieser Dr. Seltwick in … Schottland studiert hat.“ Tim blickte auf. 

 

Gibbs vermutete nicht ganz zu Unrecht, dass sein alter Freund sich absichtlich etwas Zeit mit dem Abschalten seines Handys gelassen hatte. So respektierte er Tony´s Wunsch und half gleichzeitig ihnen auf die Sprünge. Im Stille dankte er dem kleinen Pathologen für seine Umsicht. Stumm sahen sich die drei Agents nun noch die Bilder an, die Tim nach und nach anklickte. Der Arzt und die Klinik waren vermutlich ein guter Platz für Tony, um endlich sein Leben wieder in Griff zu kriegen… Ob er da allerdings auch wirklich sicher war, würden sie überprüfen.

 

„Okay…“ Jethro atmete einmal tief durch, „Tim, Ziva, ihr überprüft alles ganz genau. Jeden Mitarbeiter, die Lieferanten, die Sicherheitseinrichtungen, die Patienten, eben alles. Aber so unauffällig wie möglich. Wir werden Tony vorerst in Ruhe lassen und ihn trotzdem so gut wie möglich von hier aus überwachen, ohne dass er es merkt. Macht euch an die Arbeit.“

 

„Aber Boss, wie willst du das von hier aus bewerkstelligen?“, warf Tim ein.

 

„Ich lasse mir was einfallen – macht ihr euch derweil an die Überprüfung. Ich will komplette Lebensläufe von jedem, der auch nur entfernt mit dieser Klinik zu tun hat. Alles klar?“

 

Ziva und Tim nickten und kehrten zügig an ihre Schreibtische zurück.

 

Mit klopfendem Herzen begann Ziva umgehend mit ihren Nachforschungen. Wenn sie schon nicht bei Tony sein konnte, so konnte sie ihn wenigstens jetzt wieder versuchen zu beschützen. Sie würden jede mögliche Gefahrenquelle, die ihm in dieser Klinik womöglich drohen konnte, ausmachen und eliminieren. Sie konnte nur hoffen, dass das ausreichen würde…

46. Kapitel

Bei Rebekka

 

Seit fünf Tagen schon hatte Rebekka nun von DiNozzo weder etwas gehört noch gesehen. Sie war sowieso kein geduldiger Mensch und die Tatsache, dass eine Fanatikerin und Psychopathin wie sie dadurch in ihrer mittlerweile einzigen Lebensaufgabe, nämlich sich an Tony zu rächen, behindert wurde, weil sie tagelang nicht wusste, was ihr Erzfeind und seine Schlampe gerade trieben, hatte ihre Laune auf einen für ihre Mitbürger geradezu explosiven Tiefpunkt sinken lassen. Zudem raubte ihr die Installation der ganzen technischen Gerätschaften an DiNozzo´s und David´s Särgen inzwischen den allerletzten Nerv. Es funktionierte einfach nicht so, wie sie sich das vorstellte. Entweder blieb der Ton stumm oder die Kameras lieferten keine Bilder. Es war immer wieder das Gleiche – egal, was sie anstellte. Verdammt, zu einem ungestörten Vergnügen brauchte sie aber beides. Sie wollte die Angst in den Augen ihrer Opfer sehen können, sie wollte die Klagelaute und das Schreien in Todesangst live miterleben. Sie wollte den letzten keuchenden Atemzug, der den gepeinigten Lungen entwich, für immer in ihrem Gedächtnis verankern. Ja, wenn es technisch möglich wäre, würde sie am liebsten sogar den Angstschweiß der beiden riechen können. Zu ihrem größten Bedauern war die Technik heutzutage noch nicht so weit, aber wenn es so wäre, hätte es sie vermutlich nur vor zusätzliche Probleme gestellt. Zeitweise hatte sie sogar überlegt, einen Elektriker zu entführen, ihn zu zwingen, das ganze Equipment  einzubauen und danach quasi eine Generalprobe an dem Mann durchzuführen – auf ein Opfer mehr oder weniger kam es ihr schon längst nicht mehr an. Dieser Plan war noch nicht endgültig vom Tisch, wenn ihr dieser elektronische Kram noch länger Schwierigkeiten machte, würde sie ihn kurzerhand doch noch in die Tat umsetzen!

 

Als dann heute ihr Chef Jim bei ihr angerufen und gefragt hatte, ob sie diesen Abend zu ihrer Schicht erscheinen würde, nachdem sie am Vortag einfach nicht aufgetaucht war, wäre sie am liebsten durch die Telefonleitung gekrochen und hätte ihn kaltlächelnd in seinem Spülbecken ersäuft. Doch dann hatte sie sich gerade noch besonnen, sich mit ein paar gemurmelten Worten von „Übelkeit und Kopfschmerzen“ für ihr Fehlen entschuldigt und innerlich zähneknirschend ihr Kommen für diesen Abend zugesagt. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, sich mal wieder in der Bar umzuhören. Sie musste unbedingt wissen, was los war und die Stammkneipe vieler NCIS-Agents war dazu immer noch der beste Platz. Auch wenn sie sich dadurch aus ihrer Deckung wagen musste, indem sie direkt nach DiNozzo fragte – nun gut, dann sollte es ebenso sein. Mit einer abwartenden Haltung kam sie ja offenbar keinen Schritt weiter. Es lag etwas in der Luft – da war sie sich sicher. Auch, dass es mit DiNozzo zu tun hatte. Schon vor einigen Tagen hatte sie in der Bar dieses Bauchgefühl verspürt und nun beschloss sie, auf´s Ganze zu gehen. Sie hielt diese Ungewissheit keinen Tag mehr länger aus. 

 

                                                         ************

 

Um 19.00 Uhr trat sie also pünktlich ihren Dienst an. Zunächst blieb es noch ruhig, doch dann trudelten nach und nach mehrere Agents in Jim´s Bar ein. Manche von ihnen hatte Rebekka schon einmal gesehen, andere wiederum waren ihr gänzlich unbekannt. Es schien, als würde es ein guter Abend für Jim werden, denn die Bar füllte sich nun schnell – wie immer an einem Freitagabend, wenn das Wochenende vor der Tür stand. Während Rebekka Bestellungen aufnahm und Getränke servierte, sondierte sie unauffällig alle Personen, um denjenigen auszumachen, den sie schließlich nach DiNozzo fragen wollte. Einigermaßen erleichtert registrierte sie, dass sich aus dem Team Gibbs offenbar wieder niemand hierher verirrte, denn noch immer hegte sie Zweifel, ob Gibbs oder Ziva sie nicht doch unvermittelt erkennen würden.

 

Plötzlich fiel der Israelin der blonde Mann auf, der sie vor einiger Zeit schon einmal angebaggert hatte. Er saß ganz allein an einem etwas abseits stehenden Tisch und wurde von den anderen NCIS-Beamten anscheinend gemieden. Trotzdem starrte er provozierend und aufreizend lässig zu den Agents hinüber und nippte betont selbstzufrieden an seinem Glas. Sofort meldete sich Rebekka´s Instinkt. Dieser Kerl war genau die Person, die sie brauchte. Auf ihr Gefühl konnte sie sich in den allermeisten Fällen verlassen und der Typ würde ihr bei ihrer Suche nach dem Halbitaliener helfen können – da war sie sich absolut sicher! Sie hatte ihn zwar damals äußerst schroff abblitzen lassen, aber das würde sie in Windeseile wieder hinbiegen. Männer waren ja so leicht zu manipulieren …Eine Tatsache - wie sie aus jahrelanger Erfahrung sehr genau wusste.

 

Kurz betrachtete sich Rebekka in einem der Spiegel hinter der Bar und zupfte schnell noch ihr T-Shirt zu Recht. Der Ansatz ihrer wohlgeformten Brüste würde mit Sicherheit sofort seine Aufmerksamkeit erregen – jetzt noch ein paar taktisch klug gewählte Worte und dann hatte sie mit Sicherheit leichtes Spiel. Sie beschloss, keine Zeit mehr zu verlieren. Sie wollte nicht riskieren, dass es ihrer potentiellen Auskunftsquelle womöglich einfiel, plötzlich die Bar zu verlassen. Mit wiegenden Schritten trat sie an Caulder´s Tisch. Sie beugte sich ein wenig nach vorne, so dass der Mann vor ihr einen tiefen Einblick in ihren Ausschnitt nehmen konnte, was er auch ungeniert tat, wie sie sofort feststellte. „Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, oder darf ich Ihnen noch etwas bringen?“, gurrte sie wie ein Täubchen und schenkte ihrem Gegenüber ein strahlendes Lächeln.

 

Ein wenig irritiert blickte Caulder die junge Frau an: „Das letzte Mal waren sie aber nicht ganz so nett zu mir“, warf er mit gerunzelter Stirn ein. Deutlich stand ihm noch vor Augen, als sie ihm vor einigen Wochen damit gedroht hatte, ihn ins Grab zu bringen. Er wollte sich keinesfalls erneut in die Nesseln setzen, obwohl – diese Kleine wäre schon eine Sünde wert. Von der Bettkante würde er dieses Rasseweib garantiert nicht schubsen, soviel stand mal fest. Na ja, beschloss er insgeheim, mal schauen, was geht.

 

„Ja Sie haben Recht und das tut mir auch furchtbar leid“, brachte sie anscheinend zerknirscht hervor. „An diesem Tag war ich vollkommen durch den Wind und das mussten dann leider ausgerechnet Sie ausbaden. Das ist mir seither auch nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Daher bin ich jetzt auch sehr froh, dass ich Sie heute hier wiedertreffe. Ich entschuldige mich hiermit feierlich bei Ihnen. Was meinen Sie, können Sie mir noch einmal verzeihen?“ Mit einem phänomenalen Augenaufschlag strahlte Rebekka Caulder an und legte dabei wie zufällig ihre Hand auf die seine. 

 

Wenn Caulder noch Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit gehabt hätte, spätestens in diesem Augenblick hätte er diese über Bord geworfen. Da ging noch mehr, da war er sich sicher. Dieses Schnuckelchen würde er heute Abend noch vernaschen und alleine schon bei der Vorstellung, was er später mit der jungen Frau anstellen würde, schoss augenblicklich ein erwartungsvolles Gefühl in seine Lenden, was dazu führte, dass er seine Sitzposition ein wenig verändern musste.

 

„Natürlich verzeihe ich Ihnen“, antwortete er gönnerhaft. „Jeder hat doch mal einen schlechten Tag.“

 

„Oh mein Gott, da bin ich aber wirklich erleichtert“, seufzte Rebekka und legte etwas theatralisch die andere Hand auf ihren auf und ab wogenden Busen. „Ich hatte schon Angst, Sie beschweren sich bei Jim.“

 

„Ich doch nicht.“ Caulder griff nach der Hand, die auf seiner lag und spielte gedankenverloren mit Rebekkas Fingern. „So schnell beschwere ich mich nicht. Aber ich hätte einen Vorschlag zu Wiedergutmachung.“

 

„Alles, was Sie wollen.“

 

„Bringen Sie mir noch einen Whisky on the rocks“, raunte Caulder. „Und nehmen Sie sich auch etwas – ich möchte, dass Sie etwas mit mir trinken.“

 

„Oh, tut mir Leid, aber das geht nicht. Jim würde mich sofort rausschmeißen. Während des Dienstes darf ich leider nicht mit den Gästen trinken, aber wenn meine Schicht zu Ende ist, könnten wir vielleicht noch irgendwo anders hin gehen. – Aber warum sitzen Sie denn hier ganz alleine? Sind das da drüben nicht Kollegen von Ihnen?“ Geschickt lenkte Rebekka das Gespräch in die von ihr gewünschte Richtung. Sie durfte nicht zu viel Zeit vertrödeln – außerdem ging ihr das Süßholzgeraspel schon langsam aber sicher auf den Keks.

 

„Meine Kollegen – PAH!“ Caulder warf einen giftigen Blick zu den Tischen hinüber. „Ich bin bei denen in Ungnade gefallen und das habe ich auch einem sogenannten Kollegen zu verdanken.“  Dann wandte er den Blick wieder der Kellnerin zu, die ihm offensichtlich interessiert zugehört hatte. „Jetzt wollen die nichts mehr mit mir zu tun haben und behandeln mich wie eine Persona non grata.“

 

„Das ist aber nicht schön von denen“, pflichtete ihm Rebekka schnell bei. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass alle so sind. Vielleicht sind ja andere Kollegen netter zu Ihnen. Manche sind echt sehr nett. Ab und zu kommt eine Gruppe hier rein, ein grauhaariger Mann, der scheint das Sagen zu haben, dann so ein hübscher, braunhaariger Typ, eine kleine Dunkelhaarige, eine anscheinend ziemlich verrückte Gothbraut und …“ Rebekka wollte gerade auch noch Tim und Ducky beschreiben, als sie von Caulder ziemlich schroff unterbrochen wurde. Böse funkelte er die Israelin an.

 

„DIE finden Sie nett? Genau das sind die Typen, weswegen ich solche Probleme habe. Ganz genau gesagt, wegen diesem `hübschen Braunhaarigen´, wie Sie ihn genannt haben. Der Kerl hat versucht, mir was am Zeug zu flicken, aber das ist ihm gründlich missglückt! Jetzt sitzt nämlich er in der Tinte. Er ist suspendiert worden und wenn ich Glück habe, buchten sie ihn sogar ein. Mädchen, falls Ihnen der gefällt, sollten Sie ihn sich aus dem Kopf schlagen. Der Looser ist arbeitslos.“ Mürrisch lehnte sich Caulder zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Dass diese Kleine diesen Mistkerl DiNozzo hübsch fand, passte ihm offenbar gar nicht. 

 

Derweil überschlugen sich die Gedanken der Israelin.. DiNozzo war also suspendiert worden! Deshalb war er beim NCIS-Hauptquartier seit Tagen nicht aufgetaucht. Aber vor seiner Wohnung hatte sie ihn auch nicht gesehen. Anscheinend hatte er sich irgendwohin abgesetzt. Verdammt, so kurz vor dem Ziel! Das durfte doch alles nicht wahr sein. Heiß stieg die Wut in ihr auf, aber sie zwang sich zur Ruhe.

 

„Mit dem?!“, beeilte sie sich zu sagen. „Keinesfalls. Dem sieht man den Frauenhelden doch schon von weitem an. Ich mag viel lieber die unauffälligeren Männer, die aber trotzdem wissen, was sie wollen. – Ich mag Männer, die so sind wie Sie!“ Blitzartig war ihr klar gewesen, was sie nun zu tun hatte. Sie würde diesen Caulder umgarnen und er würde voll auf sie abfahren, das war überhaupt kein Problem. Der Typ lechzte ja jetzt schon nach ihrem Höschen und dass er DiNozzo anscheinend hasste, war ein reiner Glücksfall. Sie gratulierte sich zu ihrem Instinkt, der sich wieder einmal als goldrichtig erwiesen hatte. Aus all den Loosern hier im Raum hatte sie sich mit der ihr eigenen todsicheren Genauigkeit exakt den Richtigen heraus gepickt. Sie würde den Mann zu ihrem Handlanger machen! Er würde  ihr bestimmt nur allzu bereitwillig dabei helfen, den Halbitaliener fertig zu machen. Caulder würde für sie herausfinden, wo DiNozzo steckte und wenn er ihr vollkommen hörig war, hätte sie sogar noch einen brauchbaren Helfer, um den letzten Auftritt des Mörders ihres Bruders einzuläuten – wo auch immer das sein mochte.

 

Unauffällig ließ sie ihre Finger über Caulder´s Hand gleiten, als sie das mittlerweile leere Glas auf ihr Tablett stellte. „Um Mitternacht hab´ ich frei“, hauchte sie verführerisch. „Wartest du auf mich?“

 

Der Ex-Agent nickte siegessicher. Er hatte es doch gleich gewusst. Die Kleine war scharf auf ihn. An DiNozzo verschwendete er keinen Gedanken mehr. „Sicher“, antwortete er, griff noch einmal nach der schmalen Hand und drückte schnell einen Kuss darauf. „Wenn du das möchtest…“

 

„Ich kann es kaum noch erwarten – wenn du wüsstest, wie feucht ich jetzt schon bin…“, säuselte Rebekka und blickte ihm noch einmal tief und vielsagend in die Augen, bevor sie sich katzengleich umwandte und mit schwingenden Hüften zurück zur Bar ging.

 

Caulder starrte ihr mit offenem Mund nach. Der Mann wusste es vielleicht noch nicht, aber er hatte sich schon längst in Rebekkas Netz verfangen.

 

To be continued - dann aber im neuen Thread!

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