Auge um Auge - Thread V

Kapitel 27

18.46 Uhr - Hauptquartier

 

Bereits kurz nach der Rückkehr von Gibbs, McGee und Ducky im Hauptquartier zeigte es sich, dass Fornell Wort hielt. Die Leiche und alle an der Fundstelle gesicherten Spuren wurden verabredungsgemäß kurz nach ihrer Ankunft angeliefert. Ducky verschwand umgehend in seine heißgeliebte Pathologie, um die Leiche genauestens zu untersuchen. Gibbs hatte die Plastiktüten mit den Beweisstücken persönlich in Empfang genommen und bereits bei Abby abgeliefert, die immer noch emsig gleichzeitig an mehreren Rechnern an der Immobiliensuche arbeitete. Sie hatte Gibbs die Tüten beinahe aus den Händen gerissen und ihm versichert, sich umgehend an die Arbeit zu machen. Die Immobiliensuche musste für den Moment zurückstehen, aber sie hatte Gibbs erklärt, dass sie mittlerweile so weit war, dass die Rechner den Rest quasi alleine erledigen konnten.

 

„Abby, du bist einfach unbezahlbar“. Jethro drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel und machte sich auf den Weg zurück ins Großraumbüro. Vorher holte er sich allerdings noch einen Kaffee, den wer weiß wievielten an diesem Tag, aber diesen hatte er dringend nötig. Selbst er spürte, dass seine Reserven langsam erschöpft waren. McGee saß an seinem Platz und kontrollierte leise vor sich hinmurmelnd die schier unendlichen Listen mit den Ergebnissen der Verkehrssuche.

 

Gibbs trat an Tim´s Schreibtisch und stellte einen Becher CafPow, der er ebenfalls besorgt hatte, vor ihn hin. „Und? Kommst du voran?“, erkundigte er sich leise.

 

Tim blickte überrascht auf und runzelte gleichzeitig die Stirn. „Ja. Nein. Ach, ich weiß´ nicht. Ehrlich gesagt, hab´ ich das Gefühl, ich dreh´ mich im Kreis.“ Er griff nach dem CafPow und nahm einen großen Schluck, dann hob er den Becher hoch und sah seinen Chef an: „Ähm, danke dafür Boss“, was dieser mit einem knappen Nicken honorierte. Schließlich wies McGee mit der Hand auf einen Stapel Computerausdrucke. „Mir war überhaupt nicht bewusst, wie viel Verkehrsvergehen innerhalb eines Monats in Washington und Umgebung begangen werden. So langsam verschwimmen mir die Buchstaben und diese unscharfen Pixelfotos schon vor den Augen. Und es kommen immer noch neue dazu.“

 

„Ich helf´ dir.“ Gibbs zog sich einen Stuhl heran und setzte sich rittlings darauf. Er griff nach einer der Listen und blätterte interessiert darin. Dann blickte er wieder auf und bemerkte den erstaunten Gesichtsausdruck seines jungen Kollegen. „Was ist los mit dir, Tim? Komm schon, wir sind alle müde. Wir sind schon lange auf den Beinen, aber es nützt nichts. Tony und Ziva brauchen unsere Hilfe.“

 

„Das ist es nicht. Natürlich bin ich müde, aber…“ Er stockte kurz. „…nein, das ist es nicht.“

 

„Was ist es denn dann? Ich kann ja verstehen, dass dich diese Art Arbeit nervt. Deshalb will ich dir ja helfen.“

„Darf ich dich mal was fragen, Boss?“ McGee wagte mutig einen Vorstoß. Es kam nicht oft vor, dass Gibbs sich so verständnisvoll nach außen zeigte. Wenn, dann tat er es eher im Stillen. Nur sehr selten sprach er seine wahren Gedanken auch aus.

 

„Sicher, immer raus damit.“

 

„Glaubst du, dass wir die beiden noch rechtzeitig finden werden?“

 

Der Teamleiter ließ die Liste sinken, blickte auf und ließ sich beunruhigend lange Zeit mit der Antwort. Schließlich seufzte er tief und sagte: „Ich hoffe, Tim. Bei Gott, ich hoffe es wirklich.“ Dass ihm so langsam Zweifel kamen, behielt er lieber für sich.

 

McGee schwieg einen Moment lang betroffen. Das war nicht die Antwort gewesen, auf die er gehofft hatte. Er hatte erwartet, Gibbs wäre felsenfest davon überzeugt, dass sie ihre beiden Kollegen rechtzeitig befreien konnten, aber wenn selbst sein Boss zweifelte... Nach einer unangenehmen Pause sagte er: „Aber wir haben alles getan, was wir konnten, oder?“

 

Jethro lächelte traurig: „Ja, ich denke, das haben wir.“

 

Gibbs legte den seitenlangen Computerausdruck beiseite und stand auf: „Komm mit, wir gehen runter zu Abby und Ducky und hören, was es dort Neues gibt.“

 

„Aber die Listen…“ McGee umriss mit einer schnellen Handbewegung seinen kompletten Schreibtisch. „Das macht sich nicht von alleine.“

 

„Das weiß ich, Tim. Aber du brauchst `ne Pause. In diesem Zustand würdest du niemanden erkennen – selbst wenn es sich um deine Schwester handelt.“

 

„Du hast ja Recht. Ich hab´ ja selber schon Panik, dass ich was Wichtiges übersehe und dadurch die beiden noch mehr in Gefahr bringe.“ Er stand auf und kam um den Schreibtisch herum.

 

Gibbs klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Das wird nicht passieren. Da bin ich ganz sicher. Wenn da etwas ist, wirst du es finden. Und nun komm. Lass uns gehen.“

 

„Danke Boss!“

 

„Nichts zu danken.“

 

 

18.53 Uhr – EL-Al-Maschine - Kurz vor der Landung

 

Die Stewardess hatte Eli soeben mitgeteilt, dass sie in 15 Minuten landen würden, als sein Mobil-Telefon klingelte. Gewöhnliche Fluggäste mussten ihr Handy während des Fluges ausschalten, dies galt allerdings nicht für den stellvertretenden Direktor des Mossad. Auf dem Display erkannte Eli die Rufnummer von seinem Freund Amit Hadar. Er hob ab und meldete sich auf hebräisch: „Shalom Amit. Was hast du herausgefunden?“

 

„Shalom Eli“ antwortete sein langjähriger Freund und hielt sich nicht mit langen Einleitungen auf. Das war etwas, das Eli schon immer an seinem Vertrauten geschätzt hatte: Er kam direkt auf den Punkt. „Viel gibt es nicht über diesen Aaron Rosen. Wie du ja schon weißt, hat er nach einem Jahr die Ausbildung beim Mossad abgebrochen. Der Hauptgrund dafür war wohl eine unglückliche Beziehung zu … Rebekka Rivkin. Meinen Informationen zufolge war er vollkommen auf sie fixiert. Es wird gemunkelt, er sei ihr geradezu hörig gewesen. Als schließlich irgendwann diese Liaison beendet war, möglicherweise sogar von ihm selbst - an diesem Punkt streiten sich die Geister - hat er auf eigenen Wunsch den Mossad verlassen. Seine Ausbilder fanden das damals sehr schade, da er angeblich gute Ansätze hatte. - Nun gut – Von da an wird es schwieriger, seinen Werdegang zu verfolgen. Er hat mehrere Ausbildungen begonnen, bei den meisten blieb er allerdings nicht sehr lange dabei. Etwa ein Jahr lang war er beim Theater tätig, dort war er Lehrling bei einem Maskenbildner und angeblich war er richtig gut darin. Doch auch das hat er nicht zu Ende gebracht. Danach klafft dann eine Lücke von ca.15 Monaten in seinem Lebenslauf, bis er plötzlich wieder in einer Import-Export-Firma auftaucht, in der er dann mehrere Jahre tätig war. Er hat in der Buchhaltung angefangen und dort mit hervorragenden Ergebnissen seine Prüfung zum Buchhalter abgelegt. Anscheinend hat er einiges auf dem Kasten. Nachdem er dort aufgehört hatte, war er hauptsächlich freiberuflich tätig. Er hat keine Frau, keine Freundin, seine Eltern sind einfache Leute und haben schon jahrelang nichts von ihm gehört. Er hat kein großes Vermögen, lediglich ein paar tausend Schekel auf einem ganz normalen Bankkonto. Seit rund 10 Monaten ist von dort kein Geld mehr abgehoben worden.“

 

„Ist das alles?“, hakte Eli nach, als Amit eine Pause machte.

 

„Nein. Eine Information habe ich noch. Er wurde vor ca. einem Jahr zusammen mit Thomas Rivkin in einer Bar in Tel Aviv gesehen. Ein Mossad-Agent, der die beiden noch von der Ausbildung her kannte, hat sie dort getroffen. Er hat auch ein paar Worte mit ihnen gewechselt, ist dann aber wieder gegangen. Vor etwa neun Monaten ist er dann nach Amerika geflogen, genauer gesagt, nach Washington DC. Angeblich wollte er dort Urlaub machen. Seitdem ist er verschwunden. Es gibt keine Anzeichen, dass er nach Israel zurückgekehrt ist. Seine Wohnung hat er am Tag seiner Abreise noch gekündigt. Er hat seinen Vermieter vom Flughafen aus angerufen und als dieser meinte, er bräuchte das schriftlich, hat er das noch vor seinem Abflug erledigt. Der Mann hat sich den Umschlag genauer angesehen. Er wurde am Flughafen aufgegeben. Als sich dieser Weiß, so heißt der Typ, dann die Wohnung angeschaut hat, war sie bereits komplett leer geräumt – als hätte Rosen nie dort gelebt.“

 

„Und das kam dem Mann nicht komisch vor?“

 

„Schon, aber ich glaube, er war nur froh darüber, dass es weiter keinen Ärger gab.“

 

Eli schnaubte wütend. Solch ein Desinteresse war ihm schon immer zuwider gewesen. Er nahm sich vor, nach seiner Rückkehr, einmal ein paar ernste Takte mit dem Vermieter zu reden. Wenn der den Mund aufgemacht hätte, hätte vielleicht vieles vermieden werden können. So war der Stein ungehindert ins Rollen gekommen.

 

„Hey, hörst du mir noch zu?“

 

„Ja, ja, sicher.! Eli konzentrierte sich wieder auf Amit.

„In Israel ist er auf jeden Fall zurzeit nicht gemeldet und er hat auch seit Monaten keinen Auftrag mehr angenommen. Ich habe versucht, über unsere amerikanische Schiene etwas über seinen Verbleib herauszubekommen, aber die wissen auch nur, dass er dort angekommen ist. Danach ist es fast so, als hätte ihn der Erdboden verschluckt.“

 

„Hmm?“ Eli ließ sich das Gehörte durch den Kopf gehen. „Sonst hast du nichts?“ Auf Anhieb schienen die Informationen nicht viel herzugeben.

 

„Nichts, ich habe alle Quellen angezapft, die ich kenne. Aaron Rosen ist so unauffällig wie eine graue Maus.“ Hadar zuckte mit den Schultern, was Eli natürlich nicht sehen konnte, aber er kannte seinen Freund und seine Gewohnheiten seit vielen Jahren, daher konnte er sich lebhaft vorstellen, dass Amit dies gerade tat. „Wer weiß, vielleicht ist er ja in Amerika aufgeblüht – schließlich spricht er fließend Englisch.“

 

„Du meinst, er hat keinen Akzent?“ Eli horchte auf.

 

„Genau. Seine Ausbilder beim Mossad meinten, er wäre so was wie ein Sprachengenie. Er sollte nach seiner Ausbildung auf jeden Fall in den Auslandseinsatz – Und? Hilft dir das alles weiter?“

 

„Ich weiß es noch nicht, aber ich danke dir trotzdem, Amit. Ich melde mich wieder.“ Er wollte bereits auflegen, als ihn sein Freund noch einmal aufhielt.

 

„Wann kommst du wieder Eli? Was ist eigentlich passiert? Ich sollte irgendeine Antwort haben, falls mich jemand nach deinem Verbleib fragt!“ Gespannt wartete der Mossad-Agent, ob Eli sich ihm anvertrauen würde.

 

Der stellvertretende Direktor des Mossad überlegte einige Sekunden, dann entschloss er sich, seinem Freund wenigstens folgendes mitzuteilen: „Es geht um Ziva und den NCIS. Sie ist in Gefahr und ich bin auf dem Weg nach DC, um ihr zu helfen. Die Informationen, die ich von dir wollte, haben damit zu tun. Mehr brauchst du nicht zu wissen und mehr werde ich dir nicht sagen. Dieses Wissen ist aber nur für dich bestimmt, verstehst du? Niemand wird darüber informiert. Ich bin im Moment nicht erreichbar und damit Schluss!!“

 

Amit nickte leicht mit dem Kopf, dann antwortete er: „Ich habe verstanden. Sei unbesorgt, ich werde hier alles in deinem Sinne regeln. Ich wünsche dir – euch – viel Glück! Shalom Eli.“ Damit legte er auf. Eine Zeitlang betrachtete er stumm das Telefon. Für Männer wie sie würde es wohl nie ein ruhiges Leben geben.

 

Eli David hatte auch aufgelegt und ließ sich das Gehörte noch einmal durch den Kopf gehen. Aaron Rosen war Buchhalter gewesen und absolut unauffällig. Außerdem hatte er als Maskenbildner gearbeitet. Zwar etwas ungewöhnlicher, aber auch nicht weiter hilfreich. Wovon lebte er in Amerika? Hatte er soviel Barvermögen mitgenommen, dass er nicht arbeiten musste? Nein, das konnte nicht sein. Er hätte bestimmt nicht riskiert, bei der Einreise mit einer großen Menge Bargeld erwischt zu werden. Finanzierten ihn die Rivkins? So wie es aussah, hatte er sie vom Flughafen abgeholt und sie irgendwohin mitgenommen. 'Wovon zum Teufel lebst du?', fragte sich der Israeli.

 

Gerade war das Zeichen zum Anlegen der Gurte aufgeflammt, als sich Eli plötzlich anspannte. Immer wieder hatte er sich alles durchgelesen, was über die Rivkins, Aaron Rosen und diesen Portsmith bekannt war. Was war in diesen Notizen über Portsmith gestanden, die er von McGee gemailt bekommen hatte? Er war freiberuflicher Buchhalter und in seinem Apartment waren Wangenpolster und Theaterschminke gefunden worden. - Aaron Rosen hatte ein Jahr lang bei einem Maskenbildner gearbeitet.... Das konnte kein Zufall sein, im Gegenteil, das fügte sich lückenlos zusammen. Aaron Rosen und Alex Portsmith waren ein und dieselbe Person! Wie um sich selbst zu bestätigen, schlug er seine Faust in die geöffnete Handinnenfläche. Noch war nicht klar, ob diese Erkenntnis einen entscheidenden Durchbruch bringen würde. Aber soviel war klar. Alle Aktivitäten, finanzieller oder sonstiger Art, waren von Portsmith, alias Rosen ausgegangen, er hatte sozusagen das Feld bereitet, für die Ankunft der Rivkins und für die Entführung DiNozzos und Zivas. Das konnte unmöglich vollkommen ohne Spuren vonstatten gegangen sein. Vielleicht ließ sich dadurch endlich ein entscheidender Hinweis finden.

 

Kapitel 28

18.56 Uhr - NCIS-Hauptquartier

 

Gibbs und McGee betraten die Pathologie und fanden Ducky eifrig bei der Arbeit vor. „Ah, da seid ihr ja. Das erspart mir einen Anruf.“

 

„Was hast du für uns Ducky?“, erkundigte Gibbs sich wie gewohnt knapp.

 

„Nun, noch nicht allzu viel in Anbetracht der Kürze der Zeit, aber ich denke, wir können mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass der Mann aus dem nahen Osten stammt. Sein ungeplanter Tod kam wie bereits gesagt, durch die Schusswunde zustande. Übrigens ein Kaliber, dass man sehr gerne beim Mossad verwendet. Das weiß ich noch aus meiner Zeit beim …“

 

„Ducky…“

 

„Du hast Recht, Jethro, das ist jetzt nicht wichtig. Also weiter, es muss vor seinem Tod zu einem Kampf gekommen sein. Sein Körper und sein Gesicht weisen einige Hämatome auf, die darauf hindeuten. Der Zustand dieser Blutergüsse, wie ich sie vorgefunden habe, macht deutlich, dass sie ihm unmittelbar vor seinem gewaltsamen Tod beigebrachtworden sind. Ich habe außerdem Hautpartikel unter seinen Fingernägeln gefunden und auch etwas Blut.“ Er bemerkte Gibbs fast gierigen Blick und sagte: „Ist alles schon bei Abby – samt der Kugel, die ich selbstverständlich als Erstes entfernt habe. Ich habe es eben selber zu ihr rübergebracht. Ich weiß doch, wie die Zeit drängt“, schloss er, stolz darauf, dass er Gibbs einmal zuvorgekommen war.

 

„Noch etwas?“

 

„Jethro, der Mann ist gerade mal eine gute halbe Stunde hier – wenn überhaupt. Erwarte also bitte keine Wunder von mir. Aber es waren da noch verschiedene Spuren auf seiner Kleidung – wie gesagt, Abby arbeitet bereits daran.“

 

„Sehr gut. Und ich erwarte keine Wunder von dir, ich weiß, du tust, was du kannst.“ Gibbs drehte sich schon wieder um. „McGee, komm, wir gehen zu Abby.“

 

„Wartet, ich komme mit!“ Ducky zog sich schnell die Handschuhe von den Händen und entfernte Mundschutz und Haube. „Ich möchte auch wissen, ob schon Ergebnisse vorliegen. Die restliche Autopsie mache ich gleich anschließend.“Dann folgte er den beiden Agents so schnell er konnte.

 

**********

 

In dem Flur vor Abby Labor wurde der kleine Trupp wie gewöhnlich von ohrenbetäubender Musik empfangen. Die drei Männer blieben in der Tür stehen, um ihr Trommelfell nicht zu gefährden. Etwas hilflos blickten sie sich an. Niemand wollte sich freiwillig ins Zentrum dieses mörderischen Lärms wagen. Schließlich gab Gibbs sich einen Ruck und ging auf Abby zu, die vor ihrem allerbesten Freund, dem Massenspektrometer, stand und das technische Gerät anzufeuern schien. Dies vermutete er allerdings nur aufgrund der permanenten Lippenbewegungen der quirligen Forensikerin, die er im Profil beobachten konnte. Er schüttelte leicht den Kopf und nahm sich fest vor, nichts dazu zu sagen, denn jeder wusste, wenn Abby am schrägsten war, war sie auch am besten. Man durfte sie nur nicht aus dem Konzept bringen. Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, legte er seine Hand auf Abby´s Schulter, um sich bemerkbar zu machen. Es nützte nichts. Wie von einer Tarantel gestochen fuhr Abby herum und hätte ihren Boss um ein Haar beiseite gestoßen. Als sie jedoch realisierte, wen sie da vor sich hatte, fiel sie ihrem Gegenüber umgehend um den Hals. Nach wie vor bewegten sich ihre Lippen, doch Gibbs verstand immer noch kein Wort. Er ruderte mit den Händen neben seinen Ohren, um Abby klarzumachen, was er zuallererst von ihr wollte. Glücklicherweise verstand sie ihn sofort. Sie stürzte zur seitlichen Wand und schaltete ihre Anlage aus. Mit einem Schlag wurde es totenstill im Labor und nicht nur der Chefermittler atmete erleichtert auf.

 

„ Abbs, hast du schon Ergebnisse?“, erkundigte sich Jethro und sprach dabei unwillkürlich noch lauter als nötig.

 

„Oh, Gibbs, du kommst wirklich mal wieder wie gerufen. Stell dir vor, die Fasern und Spuren, die Ducky an der Kleidung von unserem unbekannten Toten gefunden hat, weisen darauf hin, dass wir unsere Suche tatsächlich auf die Gegend rund um Woodbrigde konzentrieren sollten.

 

„Na ja, an der Kleidung gab es zwar jede Menge Spuren, aber die bestanden in erster Linie aus der Erde von dem Grab, in der er gelegen hat und von den umliegenden Bäumen und Sträuchern. Nichts, das wirklich war hergibt. - Aber ich hab was Interessantes an seinen Schuhsohlen gefunden!“ Triumphierend blickte die Forensikerin in die Runde. „Die letzte Woche hat es ja immer wieder mal geregnet. Gut für uns, denn im Profil der Sohle hat sich ziemlich viel Schmutz abgesetzt. Tja, und da hab´ ich was entdeckt! Das meiste war ganz normaler Dreck, du weißt schon, wie man ihn halt überall findet, wo es noch ungeteerte Straßen gibt, mit Spuren von Ölen, Benzin, Mineralien, Umweltgiften...“

 

„ABBY!“ Jethro war seiner Lieblings-Goth gegenüber normalerweise immer ziemlich duldsam, wenn es um eine ihrer endlosen Tiraden ging, aber heute hatte er dafür wirklich keinen Nerv.

 

Schuldbewusst verstummte Abby augenblicklich, legte ihren Kopf leicht schief und blickte den Grauhaarigen entschuldigend an. Er hatte ja Recht, es war wirklich keine Zeit für ihr Geplapper. „Tut mir leid...“, murmelte sie, dann fuhr sie schnell fort. „Also, ich habe in dem Dreck Spuren von Hickory-Eichen gefunden, genauer gesagt von Chestnut-Oaks. Es gibt ja viele verschiedene Hickory-Oaks rund um Washington, aber in erster Linie Red Oaks, Black Oaks und White Oaks. Auch noch einige andere, aber die sind zu vernachlässigen. Den größten Bestand an Chestnut-Oaks hier an der Ostküste findet man im Occoquan Bay National Wildlife Refuge und der liegt direkt bei Woodbridge. Ach ja, und noch etwas: Die Bestimmung der DNA-Spuren unter der Fingernägeln habe ich auch schon fertig.“ Sie machte eine bedeutsame Kunstpause.

 

„Schon? Sonst sagst du doch immer, so was dauert.“

 

„Ist ja auch normalerweise so – aber dieses Mal handelte es sich um eine DNA, die hier im Hause gespeichert ist.“

 

„Tony!“, entfuhr es McGee und seltsamerweise fühlte er sich erleichtert. Wenn Tony in der Lage gewesen war, sich vor wenigen Stunden noch zu prügeln, konnte es ihm so schlecht nicht gehen. Aber er hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gedacht, als Abby ihn seiner Hoffnungen beraubte.

 

„Nein, nicht es handelt sich nicht um Tony´s DNA. Es war…Ziva´s“, ließ sie dann die Katze aus dem Sack.

 

„Die Spuren waren von Ziva?“ Gibbs legte den Kopf ein wenig schief und dachte nach. Die anderen Anwesenden blickten ihn gespannt an. „So, jetzt wissen wir also, dass zumindest Ziva vor einigen Stunden noch am Leben war.“ Er bemerkte, wie Abby zusammenzuckte. „Kommt schon, das ist doch schon was.“ Er ging bewusst nicht darauf ein, was das für Tony bedeuten könnte. „Und alles konzentriert sich mehr und mehr auf Woodbridge. Ich werde die örtliche Polizeiinspektion informieren. Wer weiß, vielleicht können die uns ja weiterhelfen.“

 

McGee nickte: „Gute Idee.“

 

„Ja.“ Auch Gibbs nickte. Verdammt, selten in seinem Leben hatte er sich so hilflos gefühlt. Er verabscheute das und er wünschte, er könnte mehr tun. Und das allerschlimmste war: Er wollte um jeden Preis der Welt vermeiden, dass sein restliches Team etwas von seiner Hilflosigkeit mitbekam. Sie erwarteten zu Recht von ihm, dass er Entscheidungen fällte, sie führte…Er fixierte McGee: „Tim, du fährst zum Flughafen. Eli David´s Maschine müsste bald landen. Ich will, dass du ihn abholst und auf direktem Weg mit ihm herkommst. Lass dich auf nichts ein, hörst du. Keine Abstecher zur Wohnung der beiden oder etwas in der Art.“

 

„Verstanden, Boss. Ich bin schon weg.“ Tim dankte im Stillen Gott, dass er endlich einmal wieder selber ein Auto steuern durfte. Er nickte Abby zu und machte sich auf den Weg. Er fürchtete zwar Eli David ein wenig, aber alles war besser, als sich nur mit irgendwelchen Listen zu beschäftigen.

 

Gibbs wandte sich derweil noch einmal an Abby: „Hast du hinsichtlich der Immobiliensuche schon etwas erreicht?“

 

Abby schaute rechtschaffen zerknirscht aus, als sie antwortete: „Nein, Gibbsman, es tut mir leid. Sie läuft, aber ich musste das Ganze etwas eingrenzen. Ich brauchte ja ein paar meiner Rechner für andere Dinge. Aber ich bleib´ dran, okay? Vielleicht grenze ich es noch ein wenig mehr auf die Gegend rund um Woodbridge ein. Was meinst du?“

 

„Tu das. Melde dich, wenn sich was tut.“

 

„Selbstredend.“ Abby saß bereits wieder konzentriert vor einem ihrer Rechner und winkte Gibbs mit einem Arm hinaus.

 

 

19.14 Uhr – Dulles Airport - Washington


Vor wenigen Minuten war die El-Al-Maschine gelandet und rollte zum Gate, als sich Eli David bereits losschnallte und seinen Koffer aus dem Gepäckfach holte. Er hatte die Stewardess bereits informiert, dass er als Erster das Flugzeug verlassen würde. Selbstverständlich war ihm dies zugesichert worden und jetzt wartete er ungeduldig, bis sich endlich die Tür für ihn öffnete. Sowie er die Maschine verlassen hatte, ging er zielstrebig zum Abfertigungsschalter. Er legte seinen Pass vor und wollte schnellstmöglich weiter. Allerdings war der Beamte keineswegs gewillt, ihn zügig durchzulassen, der israelische Pass tat sein Übriges dazu.

 

„Sir, ich muss erst ihre Daten überprüfen. Bitte gedulden Sie sich.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich ab und legte das Dokument in eine Maschine, um es zu scannen.

 

„Hören Sie“, erwiderte Eli David mit seiner tiefen Stimme, in die er einen gewissen bedrohlichen Unterton gelegt hatte. „Ich werde von einer Bundesbehörde erwartet. Ich habe es sehr eilig!“ Er hatte sich mit beiden Händen auf dem Schalter abgestützt, um seinem Wunsch nach rascher Abfertigung Nachdruck zu verleihen.

 

Der Schalterbeamte sah ihn irritiert an und wandte dann den Kopf, um zwei Polizeibeamten in der Nähe zu bedeuten, dass es hier evtl. Probleme geben könnte. Sofort kamen diese näher und postierten sich neben dem stellvertretenden Direktor des Mossad, der sich nur mehr mühsam beherrschen konnte.

 

„Gibt es hier irgendwelche Probleme?“, fragte einer der Polizisten mit einem scharfen Blick auf den Israeli.

 

Bevor Eli jedoch antworten konnte, eilte eine Gruppe Männer auf ihn zu. Der Vorderste zückte noch im Laufen eine Dienstmarke und einen Ausweis.

 

„Ich bin Agent Timothy McGee vom NCIS. Mr. David wird schon dringend erwartet!“ Auffordernd blickte er den Beamten an, der kleinlaut den Ausweis vor Eli hinlegte. Ziemlich harsch ergriff dieser das Dokument und sofort machte sich McGee mit Eli David auf den Weg zu seinem Auto, das sie zum Hauptquartier bringen würde. Drei Flughafen-Beamte begleiteten sie noch bis zum Parkplatz.

 

„Gibt es schon irgendwelche Informationen bezüglich Ziva?“ fragte der Mossad-Direktor, kaum dass sie endlich alleine im Wagen saßen.

 

„Äh, noch nichts konkretes“, wich Tim aus. „Wir haben aber eine Spur. Agent Gibbs wird sie sicher gleich informieren. Er wollte Sie nicht selbst abholen, falls er in der Zwischenzeit gebraucht wird oder sich eine neue Sachlage ergibt. In einer viertel Stunde sind wir da.“ McGee war ein wenig unsicher im Gespräch mit Eli David, der doch eine ziemliche Autorität auf ihn ausstrahlte.  

 

„Hören Sie, nachdem was ich herausgefunden habe und den Informationen, die Sie mir gemailt haben, bin ich mir ziemlich sicher, dass Aaron Rosen und Alex Portsmith identisch sind! Haben sie das auch schon herausgefunden?“, fragte in diesem Moment Ziva's Vater.

 

McGee warf Eli einen völlig überraschten Seitenblick zu. Konnte das wirklich sein? Hatten sie das Phantom Alex Portsmith eventuell die ganze Zeit vor Augen gehabt und es nicht erkannt? Verflucht, Gibbs würde begeistert sein…

 

Eli hatte Tim´s Blick natürlich bemerkt und deutete ihn richtig. „Wohl nicht“, konstatierte er tief befriedigt.

 

 

19.19 Uhr – Im Keller bei Tony und Ziva

 

Blinzelnd öffnete Tony die Augen. Er hatte tatsächlich ein wenig geschlafen und brauchte nun ein paar Sekunden, um in die Realität zurückzufinden. Noch ein wenig orientierungslos irrte sein Blick in dem düsteren Raum umher, bis er auf Ziva ruhen blieb, die seinen Blick stumm erwiderte. Eine ganze Weile sahen sie sich wortlos an. Ziva lächelte andeutungsweise und nickte ihm beruhigend zu. Eine wohlige Gänsehaut kroch über seinen Körper und je länger er Ziva´s klaren, ruhigen Blick auf sich spürte, in dem er soviel Liebe und Verständnis las, desto ruhiger wurde er. Plötzlich kamen ihm Ziva's Worte wieder in den Sinn: 'Du bist schließlich mein Mann!'

 

Er hatte sie sprachlos angestarrt und sich gefragt, ob er seine Freundin richtig verstanden hatte? Zuerst hatte sie ihm diese harten Worte an den Kopf geworfen und dann ... 'Du bist schließlich mein Mann!’ Langsam war ihm die Bedeutung dieser Worte klar geworden. Diese einfachen fünf Worte mit ihrer ganzen Aussagekraft, ihrer Konsequenz und ihrer Endgültigkeit. Sie hatten sich in der Zeit, seitdem sie zusammen waren, nie näher über ihre gemeinsame Zukunft unterhalten. Natürlich hatten sie sich gesagt, dass sie sich lieben und sie hatten Pläne geschmiedet, was sie noch alles zusammen unternehmen wollten, aber über ein lebenslanges Zusammensein hatten sie nie gesprochen. Nicht bewusst – es hatte sich einfach nicht so ergeben. Und dann sagte sie wie aus heiterem Himmel diese fünf Worte zu ihm. Noch vor einem Jahr hätte er mit wehenden Fahnen die Flucht ergriffen, wenn eine Frau so etwas zu ihm gesagt hätte. Und jetzt? Tony hatte ein paar Mal kräftig schlucken müssen, bevor er Ziva hatte antworten können. Er hatte seine Worte mit Bedacht gewählt und in dem Augenblick, wo er sie aussprach spürte er ganz genau, dass es das einzig Richtige war. Er war sich selten in seinem Leben einer Sache so sicher gewesen. „Wenn ich dein Mann bin, dann will ich, dass du meine Frau bist! Mit allen Konsequenzen.“

 

Genau wie er zuvor, hatte sich jetzt Ziva erst wieder sammeln müssen. Die glückselige Überraschung in ihrem Gesicht sprach Bände. „Tony, das hörte sich eben an, wie... - … war das eben etwa ein Heiratsantrag?“, hatte sie atemlos gefragt und ihn mit weit aufgerissenen Augen angeschaut.

 

„Tja…“ Er hatte die Lippen ein wenig geschürzt und leicht mit dem Kopf genickt, „…ich denke schon. Ja, das war eindeutig einer.“ Verflogen war alle Qual, in dieser Sekunde existierten nur sie beide. „Ziva David, willst du meine Frau werden?“    

 

Ziva hatte gefühlt, wie ihr schon wieder die Tränen in die Augen stiegen. Lieber Gott, seit sie mit Tony zusammen war, hatte sie wahrlich öfter geheult als in ihrem ganzen bisherigen Leben. Doch jetzt war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür, also hatte sie ein paar Mal geblinzelt und ihm dann mit fester Stimme ihre Antwort gegeben, die lediglich aus zwei Buchstaben bestand: „JA!“

 

Anschließend hatte keiner von ihnen mehr ein Wort gesprochen, sie hatten sich nur schweigend angesehen und nach einiger Zeit waren Tony einfach die Augen zugefallen, sein Kopf war zur Seite gesunken und er war vor Erschöpfung eingeschlafen.

 

Ziva war erleichtert gewesen, als sie sah, wie sich Tonys Züge im Schlaf etwas entspannt hatten. 'Ja, schlaf', hatte sie gedacht. ’So kannst du dieser Hölle wenigstens für einige Zeit entkommen. Du hast es nötig.’ Sie schloss ihre Augen und dachte wehmütig daran, ob sie wohl jemals die Gelegenheit bekommen würde, mit Tony vor den Traualtar zu treten. So wie sie Rebekka einschätzte, hatte die da auch noch ein Wörtchen mitzureden…

 

********

 

Jetzt, wo er wieder wach war, blickte er Ziva zerknirscht an: „Entschuldige“, murmelte er ein wenig geknickt. „Einfach einzuschlafen, gleich nachdem mir meine Braut das Ja-Wort gegeben hat, bringe wohl bloß ich fertig.“

 

Ziva lächelte ihn zärtlich an. „Ja, so bist du – und auch dafür liebe ich dich. Mit dir laufe ich sicher nie Gefahr, vor Langeweile zu sterben.“ Gleich nachdem Ziva das Wort 'sterben' ausgesprochen hatte, fror das Lächeln in ihrem Gesicht ein. Hier und jetzt vom sterben zu sprechen, war nicht gerade einfühlsam gewesen.

 

Tony hatte ihren Faux Pas durchaus mitbekommen, aber er ignorierte ihn gekonnt. An der Realität würde es nichts ändern, wenn sie die Tatsachen leugneten. Die Wahrscheinlichkeit, hier unten zu sterben und dies ganz sicher nicht aus Langeweile, war allgegenwärtig.

 

Kapitel 29

19.48 Uhr – Hauptquartier / In Abby´s Labor – Der Kreis schließt sich

 

Gibbs saß zusammen mit Ducky im Großraumbüro. Beide beschäftigten sich gerade mit den neuesten Ausdrucken der Verkehrssuche.

 

„Vier Augen sehen mehr, als zwei“, hatte Ducky trocken gesagt und sich ebenfalls eine der Listen geschnappt, woraufhin Gibbs dankbar genickt hatte. Er konnte tatsächlich jede Hilfe gebrauchen. Sie waren nun beinahe schon seit 34 Stunden auf der Suche und noch immer hatten sie keinen entscheidenden Durchbruch erlangen können. Alle Spuren, die sich in den letzten zwei Tagen aufgetan hatten, waren letztendlich im Sande verlaufen. Nachdem sie gewusst hatten, wer Tony entführt hatte, war ihm klar gewesen, dass es schwierig werden würde, aber dass es sich derart problematisch entwickeln würde, damit hatte er nicht gerechnet. Was sollte er gleich Eli David sagen, wenn der mit McGee ins Hauptquartier kam? Er mochte gar nicht darüber nachdenken. Und dabei ging es noch nicht einmal darum, dass bei dem Geständnis, dass sie noch nichts Greifbares hatten, der NCIS vielleicht nicht gut dastehen würde und dies für Eli David einen inneren Vorbeimarsch bedeutete. Nein, die Sorge um seine beiden Agenten trieb ihn langsam aber sicher zur Verzweiflung und er hasste diesen Zustand. Er ahnte, dass die Rivkin-Geschwister gewiss nicht zimperlich mit ihren Geiseln umgehen würden und er stellte sich die Frage, wie viel wohl ein Mensch innerhalb kürzester Zeit aushalten konnte? Ab wann zerbrach der natürliche Widerstand? Ab wann ergab man sich in sein Schicksal? Ab wann wünschte – sehnte man sich vielleicht sogar – nach dem Tod als Erlösung?

 

Gibbs seufzte und konzentrierte sich wieder auf die vor ihm liegende Liste. Den schnellen Seitenblick von Ducky auf sein Seufzen hin registrierte er sehr wohl, aber er ignorierte ihn vorsichtshalber. Eine weitere lange fruchtlose Diskussion mit dem Pathologen war das Letzte, was er jetzt brauchte. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass auch Ducky sich schließlich wieder über seine Liste beugte. Intensiv starrte er auf die Bilder der Verkehrssünder der letzten Monate. McGee hatte Recht: Es war wirklich verblüffend, wie viele Delikte da zusammenkamen. Bei der Unmenge an Bußgeldern sollte sich der Haushalt der Stadt Washington eigentlich rabenschwarz darstellen und nicht – wie die Politiker immer behaupteten – in den roten Zahlen stecken.

 

Plötzlich spannte er sich an und hob die Liste etwas an. Gebannt starrte er auf ein unscharfes Pixelbild vor sich. Der dort abgebildete Mann kam ihm entfernt bekannt vor, doch bei der miesen Qualität des Fotos konnte man sich nicht sicher sein. Der Mann wirkte irgendwie schlanker. Außerdem trug er keine Brille und doch… Gibbs war sich nun fast sicher. Er stand auf und ging hinüber zu McGee´s Schreibtisch. Dort kramte er hektisch nach dem Passbild von Alex Portsmith. Endlich hatte er es gefunden und ging eilig zurück zu seinem Tisch. Dort hielt er das Passbild neben das Pixelfoto. War das tatsächlich der gleiche Mann?

Das Gesicht wirkte deutlich schmaler. Die Haarfarbe und die Frisur wiederum schienen zu passen. Er warf einen Blick auf die Daten, die besagten, dass ein gewisser Alan Porter aus San Francisco vor rund drei Monaten bei einer routinemäßigen Geschwindigkeitskontrolle wegen zu schnellen Fahrens aufgefallen war. Der Mann war kurz vor Woodbridge geblitzt worden und da seine Führerscheinkontrolle keine sonstigen Vergehen erbracht hatte und der Mann darauf bestanden hatte, das Bußgeld direkt vor Ort zu bezahlen, da er angeblich Handelsvertreter und nur auf der Durchreise war, hatte man ihn schließlich ausnahmsweise sofort bezahlen und weiterfahren lassen. In Gibbs Gehirn ratterte es pausenlos. Er spürte, hier war er wirklich auf etwas Entscheidendes gestoßen. Alan Porter! Alex Portsmith! Die gleichen Initialen! Zum Teufel, für solche Leute war es wahrscheinlich das geringste Problem, sich bei Bedarf mit einer zweiten oder auch dritten Identität auszuweisen. Und schon wieder der Ort Woodbridge! Er wollte verdammt sein, wenn das ein Zufall war! „Ducky?“

 

Der Pathologe hatte bereits bemerkt, dass Gibbs anscheinend auf etwas gestoßen war und war schon auf dem Weg zu ihm. Er stellte sich neben seinen alten Freund und warf einen Blick auf die Bilder.

 

„Nun, was sagst du?“, fragte Gibbs gespannt. „Sehe ich schon Gespenster, oder ist das der Kerl?“

 

„Ich würde sagen, dass da durchaus viele Übereinstimmungen sind“, erwiderte Ducky zu Gibbs´ Erleichterung. „Er könnte es durchaus sein. Und wenn man dann noch bedenkt, was ihr in seiner Wohnung gefunden habt…“

 

Gibbs fiel es wie Schuppen von den Augen. „Genau!“, rief er aus und riss die Seite aus der Liste. Dann griff er sich zusätzlich das Passfoto war schon auf dem Weg zum Aufzug. „Los, komm´ schon. Abby hat doch dieses Gesichtserkennungsprogramm. Sie soll die Fotos gegenüber stellen. Ich schwöre dir…sollte das Ergebnis positiv sein, dann bleibt in Woodbridge kein Stein mehr auf dem anderen! Ich werde diesen ganzen verfluchten Ort auseinandernehmen!“

 

Eilig folgte Ducky dem Teamleiter und kurz darauf stürmten beide Männer in Abby´s Labor. Die sah erschrocken auf, als ihre Kollegen – ganz anders als sonst – ihr Refugium förmlich überfielen und sich nicht einmal an der lauten Musik störten.

 

„Ist was passiert?“, erkundigte sie sich nervös. „Ich hoffe doch, euer Überfall hat etwas Gutes zu bedeuten.“

 

„Das hoffe ich stark“, zischte Gibbs und klatschte den Computerausdruck mit dem Foto und Portsmith´s Passfoto vor Abby auf den Tisch. „Lass alles fallen und jag´ die Fotos durch dein Wunderprogramm“, verlangte er. „Ich glaube, dass das unser Phantombuchhalter ist.“

 

Abby hatte sich schon die Fotos gegriffen und war auf dem Weg zu ihren Scannern. Der erste Scan lief bereits, als plötzlich Gibbs´ Handy klingelte.

 

„Ja? McGee? Was ist los?“ Er lauschte kurz und sagte dann: „Okay, gut. Wir sind in Abby´s Labor. Ihr kommt am besten gleich runter.“ Er legte auf und setzte die anderen in Kenntnis. „McGee und Direktor David werden gleich hier sein. Sie befinden sich schon kurz vor dem Hauptquartier. Abbs, du musst die Suche erweitern. Eli David glaubt, dass Portsmith auch identisch mit Aaron Rosen ist.“

 

„Nicht nötig“, strahlte Abby. „Rosen habe ich bereits in mein Programm eingespeist. Sollte das also der Fall sein, so werden wir das gleich wissen. – So…“ Sie drehte sich lächelnd zu den anderen um. „Es läuft – ein paar Minuten wird es zwar dauern, aber dann sind wir schlauer.“

 

Gibbs nickte, obwohl ihn das ständige Warten so langsam wahnsinnig machte. Er war ein Mann der Tat. Alle starrten sie gebannt auf den Bildschirm auf dem in so schneller Folge die Bilder abliefen, dass es mit bloßem Auge kaum zu erkennen war. Plötzlich stockte die Bildfolge und das erste Ergebnis lag vor. Es besagte, dass Alan Porter und Alex Portsmith tatsächlich identisch waren.

 

„Ja!“ Gibbs ballte unwillkürlich die Fäuste. Es juckte ihn in den Fingern, gleich loszustürmen, doch noch beherrschte er sich. Außerdem war es eindeutig besser, die Ankunft von McGee und Eli David abzuwarten. Er ging stark davon aus, dass Ziva´s Vater sich nicht davon abbringen lassen würde, sie zu begleiten und im Grunde war er dankbar dafür. Sie konnten jeden zusätzlichen Mann gebrauchen. Die Ermittlungen in Woodbridge würden der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen gleichen.

 

Die Tür zum Labor öffnete sich und Tim trat mit Eli David im Schlepptau ein. Gibbs ging auf die Männer zu und begrüßte Eli David mit einem festen Händedruck.

 

„Direktor David. Es tut mir ehrlich leid, dass wir uns unter diesen Umständen wiedersehen.“

 

„Geschenkt, Agent Gibbs“, antwortete David. „Sagen Sie mir lieber, ob es schon neue Erkenntnisse hinsichtlich des Aufenthaltsortes meiner Tochter gibt.“

 

„Oh ja, wir haben nur noch auf Sie und Agent McGee gewartet“, log Gibbs ohne rot zu werden. „Wir werden uns gleich auf den Weg machen. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie mitkommen möchten.“

 

„Was ist mit der Tatsache, dass Alex Portsmith die Tarnidentität von Aaron Rosen ist?“, spielte Eli David seine Trumpfkarte aus.

 

„Wissen wir“, bekannte Gibbs kurz. „Und wahrscheinlich ist Rosen auch identisch mit Alan Porter“, setzte er dann noch eins drauf. Er bemerkte den fragenden Gesichtsausdruck von McGee und warf ihm einen unmissverständlichen Blick zu, der besagte, dass er ja nicht nachfragen sollte.

 

In diesem Augenblick meldete sich ein weiterer Rechner von Abby mit einem leisen „Pling“. Abby riss sich von dem Gesichtserkennungsprogramm los und stürzte hinüber zu dem Rechner, auf dem immer noch ihre Immobiliensuche lief. Flugs kontrollierte sie, warum der Computer sich gemeldet hatte.

 

„JA!“, quiekte sie gleich darauf begeistert und wirbelte zu den Männern herum. „Stellt euch vor: Wir haben einen Treffer! Vor sechs Monaten wurde in Woodbridge ein Haus verkauft!“

Sie drehte sich wieder um und klickte noch einige Male weiter: „Yes! Der Käufer war ein gewisser Alex Portsmith!“ Sie machte einen Luftsprung und konnte nicht mehr an sich halten. Daher fiel sie kurzerhand McGee um den Hals und erdrückte ihn fast. Das brachte ihr zwar einen befremdeten Seitenblick von Eli David ein, doch das störte sie nicht im Geringsten: „Wir haben ihn! Endlich! Wir haben ihn!“, wiederholte sie nur immer wieder.

„Abbs, die Adresse“, ertönte mahnend Gibbs´ Stimme, während McGee japsend Abby´s Finger um seinen Hals lösten. Sie hatten wirklich keine Zeit mehr zu verlieren.

 

„Ach ja, die Adresse. Woodbridge. Dawson Beach Road 148!“

 

„Auf geht´s, Leute“, rief Gibbs. „Es gibt Arbeit! Abbs, Ducky, ihr haltet hier die Stellung.“

 

Eli David und McGee folgten Gibbs, der bereits mit großen Schritten vorauseilte.

 

Nachdem die Männer das Labor verlassen hatten, schaute Ducky Abby ruhig an. „Da haben die restlichen Bewohner von Woodbridge ja noch einmal Glück gehabt“, sagte er trocken. „Das hast du gut gemacht, Abigail.“

 

Die strahlte kurz über das ganze Gesicht. „Das war ich nicht alleine. Das war Teamwork!“ Dann verdunkelte sich ihr hübsches Gesicht wieder: „Jetzt können wir nur noch hoffen, dass wir schnell genug waren. Ducky, ich habe Angst.“

 

Der Pathologe nickte verstehend und antwortete: „Ich auch, Abby. Ich auch.“ Dann wies er auf den Bildschirm, wo immer noch das Gesichtserkennungsprogramm lief. Wieder waren die Bilder zum Stillstand gekommen. „Sieh nur: Director Eli David hat Recht. „Alan Porter alias Alex Portsmith und Aaron Rosen sind tatsächlich auch ein und dieselbe Person.“

 

Abby nickte. „Ich wünschte nur, darauf wären wir schon früher gestoßen“, sagte sie leise und knabberte nervös an den Fingernägeln.

 

 

19.51 Uhr – Showdown im Keller

 

Mittlerweile war es ziemlich dunkel geworden im Gefängnis von Tony und Ziva, nur ein kleines Notlicht neben der Tür verbreitete ein diffuses Licht. Eigentlich war es den beiden so ganz Recht, denn dadurch mussten sie nicht mehr den Anblick der toten Ratten ertragen, der wahrlich nicht besonders schön war. Die letzte Zeit hatten sie mehr oder weniger schweigend verbracht. Jeder hing seinen eigenen schwermütigen Gedanken nach. Insgeheim hatte Ziva die schwache Hoffnung gehegt, dass ihre Peiniger heute nicht mehr auftauchen würden. Sie hatte zwar längst nicht so viel aushalten müssen, wie Tony, doch auch sie war restlos bedient und hatte definitiv genug. Allein, das alles miterleben zu müssen, hatte sehr an ihren Nerven gezerrt. Plötzlich jedoch schreckte sie hoch. Das unverwechselbare Geräusch von Schritten auf der Treppe und kurz darauf das Öffnen der Tür zerstörte ihren Wunschtraum rücksichtslos. Die Angst legte sich wie eine Eisenklammer um ihr Herz. Was mochte jetzt wieder kommen?

 

Die Deckenbeleuchtung in dem Kellerraum flammte auf und nacheinander traten die drei Israelis in den Raum. Wie immer ergriff Rebekka ohne viel Federlesens die Initiative. Lächelnd ging sie an Ziva vorbei ohne sie groß weiter zu beachten. Vor Tony blieb sie stehen und betrachtete offenbar mit Genugtuung seinen geschunden Körper, besonders die zahlreichen Rattenbisse schienen ihr zu gefallen. Sie ging vor ihm in die Hocke und legte ohne zu zögern fest einen Finger auf eine der größeren Wunden. Zufrieden registrierte sie, wie der NCIS-Agent ruckartig zuckte und blinzelnd die Augen zusammen kniff.

 

Am liebsten hätte ihr Tony seine Verachtung ins Gesicht geschrien, aber er beherrschte sich. Es war nicht sinnvoll, Rebekka noch wütender zu machen. So ruhig wie möglich sah er ihr wortlos in die Augen und versuchte zu ergründen, was sie wohl dachte. Aber er konnte keinerlei Gefühlsregung darin entdecken, noch nicht einmal ihren unbändigen Hass. Ihr Blick aus tiefschwarzen Augen wirkte beinahe leblos.

 

Langsam erhob sich Michael Rivkins Schwester wieder und blickte Tony von oben herab an. „Ich habe dir heute Morgen doch etwas versprochen. Erinnerst du dich? - Du darfst wieder die Hauptrolle in der Aufführung spielen, die jetzt kommt. Ich glaube, ihr Amerikaner nennt das Sequel.“ Gespannt wartete sie auf seine Reaktion.

 

Für eine Sekunde riss Tony entsetzt die Augen auf, blickte dann aber sofort wieder zu Boden, um Niemanden seine aufkommende Panik sehen zu lassen, vor allem nicht Ziva. Er hatte ihr versprochen, nicht zu jammern und das wollte er auf jeden Fall einhalten. So biss er die Zähne zusammen und sagte kein Wort.

 

„Ach, du sagst gar nichts dazu? Vielleicht, wenn ich dir eine kleine Änderung in der Inszenierung verrate?“ Erwartungsvoll betrachtete sie ihn und tatsächlich sah er langsam zu ihr auf. Doch im Gegensatz zu vorhin hielt er sich nun nicht mehr zurück und bedachte sie mit einem Blick, der seine tiefe Verachtung für diese völlig emotionslose Frau ausdrückte.

 

'Was war ihr jetzt wieder für eine Teufelei eingefallen? Gab es denn noch eine Steigerung der Quälereien vom Morgen?’, fragte er sich stumm und verzweifelt.

„Antony DiNozzo, du bist doch so ein Womanizer, nicht wahr? Und als solcher hast du auch eine Frau an deiner Seite verdient. Jeder gute amerikanische Held hat eine Frau an seiner Seite. Also bekommst du eine Mitspielerin. Dieses Mal wird deine 'Liebste'...“, wie immer sprach Rebekka das Wort voller Hohn aus. „...sozusagen die Fäden in der Hand halten. Oder besser gesagt den Strick!“

 

Kapitel 30

19.58 Uhr – Im Keller – Die Situation spitzt sich zu


Fassungslos vor Grauen starrte Tony Rebekka an. Mit einem Schlag verstand er, worauf sie hinaus wollte. Dieses Monster wollte Ziva das Seil an die Hand binden, damit sie ihm, wenn sie ihren Arm nicht mehr halten konnte, die Luft abschnürte. Nicht Rebekka, nein, Ziva sollte ihn umbringen und sie würde sich an dem Anblick ergötzen.

 

Ziva, die nicht recht wusste, wovon Rebekka sprach, beobachtete überrascht die Reaktion ihres Freundes und zuckte erschrocken zusammen, als er plötzlich unvermittelt los brüllte:

 

„Du verfluchtes Miststück, eines Tages wirst du dafür in der Hölle schmoren!“. Gleich darauf schüttelte ihn ein heftiger Hustenanfall, ausgelöst durch die plötzliche Anstrengung. Trotzdem trat er noch wutentbrannt mit einem Bein nach Rebekka und erwischte seine Peinigerin anscheinend ziemlich schmerzhaft am Schienbein, denn sie stieß einen Schmerzenslaut aus und taumelte einen Schritt zurück. Sofort war Thomas bei ihr und versetzte postwendend Tony einen üblen Tritt. Mit geballten Fäusten wollte er sich dann auf Tony stürzen.

 

Doch seine Schwester hielt ihn mit gepresster Stimme davon ab, weiter zuzuschlagen: „Halt, Thomas, lass ihn in Ruhe! Ich will, dass er vollkommen klar ist für den Showdown!“ Als sie ihr Opfer jetzt kaltblütig musterte gelang es ihr nicht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Zu verlockend war die Aussicht auf das Schauspiel, das sich ihr und ihren Mitstreitern gleich bieten würde. Mit hasserfülltem Blick fixierte sie Tony, während sie ihrem Bruder und Aaron mit vor Wut zitternder Stimme befahl: „An die Wand mit ihm und kettet beide Arme fest. Dieses Mal muss er sich nicht selbst anstrengen.“

 

Obwohl Tony eigentlich vollkommen erschöpft war und keuchend nach Luft rang, mobilisierte er aus Angst vor dem, was ihn gleich erwarten würde, seine letzten Kraftreserven. Als die beiden Israelis seine Fesseln gelöst hatten, wehrte er sich mit Allem, was er noch aufbieten konnte. Sie hatten die größte Mühe, ihn zu bändigen, doch letztendlich waren alle Anstrengungen umsonst. Tony verlor den ungleichen Kampf und wurde, wie schon am Morgen, an die Wand gekettet. Er hing an der Wand und konnte nur noch hilflos und verzweifelt darauf warten, dass sein Schicksal endgültig besiegelt wurde. Und ausgerechnet Ziva sollte sein Henker sein.

 

Völlig irritiert hatte diese erlebt, wie Tony ausrastete. Sie verstand nicht, worum es bei dieser 'Aufführung“ gehen sollte, aber ein bedrückendes Gefühl machte sich in ihr breit. In diesem Augenblick wünschte sie fast, Tony hätte ihr Genaueres von den erlittenen Qualen erzählt. Sie hatte ihn gefragt, was alles passiert war, bevor sie zu ihm in den Keller gekommen war, doch er hatte sich strikt geweigert, darüber zu reden. Ziva hatte dies akzeptiert, da sie zu dem Zeitpunkt nicht noch mehr darauf herumreiten wollte. Schließlich hatte sie bemerkt, wie sehr ihm das Erlebte nicht nur körperlich, sondern auch psychisch zugesetzt hatte. Jetzt aber hatte sie die schwerwiegende Vermutung, dass etwas Schreckliches auf sie zukam und sie hätte zu gerne gewusst, was es war, um sich zumindest ein wenig Zeit zu haben, sich seelisch darauf einzustellen. Doch sie musste nicht lange auf die Lösung des Rätsels warten. Die grausame Bestätigung für ihre unterschwellige Vermutung erhielt sie gleich darauf.

 

Rebekka holte ein Seil, das genauso wie das vom Vormittag geknüpft war, aus dem Regal. Obwohl Tony mit einer allerletzten Kraftanstrengung versuchte, sie an ihrem Vorhaben zu hindern, indem er seinen Kopf ungeachtet seiner rasenden Kopfschmerzen mehrfach von rechts nach links schlug, legte sie ihm mühelos die Schlinge um den Hals und zog diese locker zu. Dann griff sie mit beiden Händen in seine Haare und kam mit ihrem Gesicht nur wenige Zentimeter an seines heran. „Vermutlich hast du Recht, dass wir uns eines Tages in der Hölle wiedersehen werden - aber du wirst vor mir dort sein, genauer gesagt, noch heute Nacht!“ Und dann tat sie das Unfassbare: Sie küsste DiNozzo hart und entschlossen auf den Mund. „Good Bye, Mörder. Wir sehen uns auf der anderen Seite“, zischte sie, als sie ihn endlich wieder losließ und sich ruckartig abwandte. Tony schnappte nach Luft und spuckte angeekelt aus, wofür ihm Rebekka noch aus der Drehung heraus eine schallende Ohrfeige verpasste.

 

Böse lächelnd drückte sie dann Thomas das Seil in die Hand, der den Rest der Arbeit erledigte. Er führte den Strick über die Rollen an der Decke und trat, nachdem er den korrekten Lauf des Seils noch einmal genau geprüft hatte, gemächlich auf Ziva zu. Aaron stand schon neben ihr und löste die Fesseln ihrer linken Hand. Gleichzeitig riss er ihr ruckartig schmerzhaft den Arm nach oben, so dass ihre Chance auf Gegenwehr auf ein Minimum schrumpfte, da sie erst einmal den plötzlichen Schmerz bekämpfen musste. Inzwischen war Thomas herangekommen und band ihr das andere Ende des Stricks ums Handgelenk.

 

In diesem Moment war Ziva schlagartig klar geworden, was die drei mit ihr vorhatten! Wenn sie ihren Arm sinken ließ, würde sich die Schlinge um Tony's Hals zuziehen und ihn erdrosseln. 'Großer Gott, das kann, das darf doch nicht wahr sein?', schoss es ihr durch den Kopf. Eine solche Foltermethode lernte man noch nicht einmal beim Mossad. So etwas konnte sich nur ein absolut krankes Hirn ausdenken. Doch was nützte ihr diese Erkenntnis. Nichts! Blankes Entsetzen spiegelte sich auf Ziva´s Gesicht wider, als ihr unwiderruflich vor Augen stand, was gleich geschehen würde. Sie selbst würde den Mann töten, mit dem sie endlich ihr Glück gefunden hatte!

 

Sie starrte ihrem Freund und Kollegen in die Augen, unfähig, ein verständliches Wort auszusprechen. Erst in diesem Moment fiel ihr auch der rot verfärbte Striemen um seinen Hals auf, den sie bislang gar nicht näher wahrgenommen hatte. Kein Wunder, in Anbetracht der zahlreichen Wunden an seinem Körper. Du lieber Himmel, was hatten diese Schweine ihm nur alles angetan? Und sie hatte Tony als Weichei beschimpft. Sicher, sie hatte ihren Grund dafür gehabt, aber wenn sie das gewusst hätte, hätte sie sicherlich auch eine andere Lösung gefunden. Die Gewissheit, dass sie keine Vorstellung von seinen erlittenen Qualen hatte, wuchs und ihre tiefe Verzweiflung driftete ins Bodenlose.    

 

Tony ahnte dunkel, welche Gedanken Ziva durch den Kopf gingen und obwohl eigentlich er selbst es war, der Zuspruch dringend brauchen konnte, versuchte er, seine Partnerin zu trösten. „Du kannst doch nichts dafür, mein Liebling, mach' dir keine Vorwürfe. Es ist nicht deine Schuld!“ Seine Stimme klang heiser und kratzig, trotzdem versuchte er, ihr einen tröstlichen Klang zu geben.

 

Dieses Mal war es Ziva, die kaum auf ihn reagierte. Wie paralysiert verfolgte ihr Blick den Verlauf des Seils, von ihrer Hand über die Rollen bis hin zu Tony´s Hals. Mehr am Rande registrierte sie, dass ihr die Tränen plötzlich in Sturzbächen über die Wangen liefen. Sie schämte sich, vor Rebekka zu heulen, doch sie hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Gepresst brachte sie hervor: „Wenn, … oh Gott, wenn ich meinen Arm nicht mehr oben halten kann, dann ...“ Der Rest des Satzes ging in einem unterdrückten qualvollen Schluchzen unter. Die Vorstellung, was dann passieren würde, raubte ihr schier den Verstand.

 

„...dann zieht sich die Schlinge zu und dein Stecher erstickt qualvoll!“, vollendete in diesem Moment Rebekka den Satz. „Cleveres Kind.“

 

„NEIN!!“ Fast hysterisch schrie Ziva das eine Wort hinaus. Wie sollte sie damit leben? Damit konnte sie nicht leben! Natürlich war sie schuld, wenn er sterben sollte, selbst wenn Tony hundert Mal etwas anderes sagte. Hätte sie sich nicht mit Michael eingelassen, wären sie gar nicht hier gelandet. Verdammt, Tony hatte damals schon versucht, sie zu warnen. Aber nein, sie musste ja immer trotzig sein, hatte nicht nachgeben können und wenn sie jetzt zu schwach war, um Tony's Leben zu retten, wer zum Teufel sollte denn sonst schuld an seinem Tod sein? Doch dann setzte sich letztendlich eine Erkenntnis in ihr fest: Lange würde sie nicht mit dieser Schuld leben! Denn sollte Rebekka sie nicht von dieser Last befreien… dann würde sie es in drei Gottes Namen selbst tun!

 

Langsam blinzelte sie die letzten Tränen weg und konzentrierte sich voll auf Tony. Sie würde ihn nicht einmal in die Arme nehmen können, wenn … wenn es soweit war. Dass sie ihren Arm nicht ewig würde oben halten können, war ihr mit tödlicher Konsequenz klar. Irgendwann würden sie die Kräfte verlassen. Aber sie würde es versuchen, versuchen, ihn solange oben zu halten, bis ...ja, bis wann? Ihr blieb nur eine einzige, winzige Hoffnung: Gibbs!

 

'Gibbs!   ---   Gibbs, bitte! Wo bleibst du nur?', flehte Ziva in stummer Hilflosigkeit, wohl wissend, dass die Chance, dass ihr Boss sie noch rechtzeitig finden würde, minimal war.

 

 

20.11 Uhr – Im Auto auf dem Weg nach Woodbridge

 

Gibbs steuerte den Wagen in gewohnter Manier durch die Straßen Washingtons. Bislang war die Fahrt eher schweigend verlaufen. McGee klammerte sich wie üblich an allem fest, was greifbar war und Eli David knetete nervös seine Hände ineinander. Er war es nicht gewohnt, dass er anderen das Handeln überlassen musste und es nervte ihn ungeheuer, dass Gibbs den Wagen steuerte und er untätig daneben ausharren musste. Natürlich sah er ein, dass das unumgänglich war – insbesondere, da er sich ja überhaupt nicht auskannte, trotzdem hätte er lieber selbst die Initiative ergriffen.

 

„Agent Gibbs, geht es nicht etwas schneller?“, seufzte er schließlich, als er die Stille in dem Wagen nicht mehr aushielt. McGee streifte den Mann mit einem entsetzten Seitenblick, den dieser jedoch gar nicht zu registrieren schien.

 

„Ich tue, was ich kann“, brummte Gibbs, der gerade den Wagen in einem riskanten Ausweichmanöver um die Passanten, die in vermeintlicher Sicherheit einen Zebrastreifen überqueren wollten, herum lenkte. Die wütenden Rufe der Leute, die teilweise erschrocken zur Seite sprangen und teilweise vor Schreck wie angewurzelt auf der Stelle stehenblieben, drangen über die Motorengeräusche bis in den Wagen hinein. McGee duckte sich unwillkürlich, doch Gibbs und Eli David blieben vollkommen unbeeindruckt. „Aber wie Sie sehen, ist das gerade gar nicht so einfach. – Der Verkehr wird gleich weniger werden“, setzte er nach einer Pause hinzu, um Ziva´s Vater zu beruhigen.

 

„Wie weit ist es bis … wie hieß der Ort noch?“

 

„Woodbridge“, antwortete McGee an Gibbs Stelle. „Vom Hauptquartier aus bis dorthin sind es knapp 60 km“, informierte er Eli David weiter. „Normalerweise eine Fahrtstrecke von ca. einer Dreiviertelstunde.“ ‚Normalerweise’, setzte er in Gedanken hinzu und warf schnell einen verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr. Seit ihrer Abfahrt aus dem Hauptquartier waren etwa 15 Minuten vergangen, doch er war bereits jetzt davon überzeugt, dass Gibbs mal wieder einen einsamen Rekord aufstellen würde. Sein Magen rebellierte auf jeden Fall schon wieder und er schluckte mehrfach sauer. Sich vor Gibbs zu übergeben war das Eine, aber vor Eli David? Undenkbar!

 

„Tim?“

 

McGee konzentrierte sich wieder auf seinen Boss. „Ja?“

 

„Ruf Vance an. Er muss Verstärkung genehmigen. Wochenende hin oder her. Ich denke, das dürfte kein Problem darstellen, wenn du ihm die aktuelle Lage schilderst. Und dann sag Abby Bescheid, dass sie die Kavallerie hinter uns herschickt. Ich hab´ kein gutes Gefühl bei der Sache. Wir brauchen jeden Mann, den wir kriegen können.“

 

Tim fischte bereits sein Handy aus der Tasche, was bei Gibbs Fahrstil gar nicht so einfach war, denn dazu musste er ja eine Hand loslassen und lief nun permanent Gefahr hinten im Wagen wie ein Spielball hin und her zu kullern. Letztlich bohrte er Eli David seine Knie in den Rücken des Beifahrersitzes, und zwar so fest er konnte, um dadurch wenigstens ein bisschen Halt zu finden. Dies brachte ihm zwar einen empörten Seitenblick von Ziva´s Vater ein, doch in Anbetracht seiner Lage fand er, dass er diesen getrost ignorieren konnte. Er klappte sein Handy auf und drückte die Kurzwahl, die ihn direkt mit dem Direktor verbinden sollte. Ungeduldig wartete er darauf, dass die Verbindung zustande kam. Das Warten lenkte ihn aber wenigstens von dem flauen Gefühl in seinem Magen ab. Endlich meldete sich Direktor Vance und Tim schilderte ihm so kurz wie möglich die Sachlage. Die Genehmigung, Verstärkung anzufordern, erhielt er quasi umgehend, also führte er gleich anschließend das 2. Telefonat mit Abby, die sich unmittelbar nach dem ersten Klingeln meldete.

 

„Tim!“, schrie sie in den Hörer. „Und? Habt ihr sie? Geht es ihnen gut? Sind sie ge…?“

 

„Abbs“, unterbrach er die gemeinsame Freundin. „Wir können doch noch gar nicht da sein. Denk doch mal nach. Aber wir brauchen Verstärkung. Es ist alles genehmigt. Du musst so schnell wie möglich…“

 

Dieses Mal wurde er unterbrochen: „Tim, das habe ich doch schon längst erledigt.“

 

„Wie?“ McGee war verwirrt. „Aber wir hatten doch noch gar keine Genehmigung.“

 

„Ach, Papperlapapp, Genehmigung… Ich konnte euch einfach nicht so blindlings ins Verderben laufen lassen. Daher habe ich beim FBI angerufen und mich bis zu Fornell durchgefragt. Ich habe ihm gesagt, was los ist und er wollte auf jeden Fall ein paar Hundertschaften nach Woodbridge schicken“, verkündete Abby hochzufrieden mit sich selbst. „Sie sind schon auf dem Weg.“

 

„Fornell?“, rief McGee überrascht aus. Gibbs warf ihm einen fragenden Blick über die Schulter zu und Tim zuckte seinerseits mit den Schultern, um seinem Chef klarzumachen, dass er auch noch nichts Genaues wusste.

 

„Ja, Fornell!“, rief Abby in den Hörer. „Tim, er war wirklich nett. Er wollte unbedingt helfen. Ich glaube sogar, dass er sich selber auf den Weg gemacht hat.“

 

„Okay, Abbs, ich weiß Bescheid. Schick trotzdem noch jemanden von uns los. Wir wissen ja nicht, was uns erwartet.“

 

„Mach ich. Und, Tim?“

 

„Ja?“

 

„Melde dich, sobald du was weißt, okay?“ Man hörte Abby deutlich an, welche Sorgen sie sich machte.

 

„Sicher, Abby. Sobald es vorbei ist. Du bist die Erste, die ich anrufen werde.“

 

„Und…“ Die dunkelhaarige Forensikerin stockte.

 

„Was, Abby?“

 

„Pass auf dich auf, hörst du und auf meinen silberhaarigen Fuchs auch!“

 

„Versprochen!“ Tim klappte sein Handy zu, war einen Moment lang unachtsam und kippte prompt zur Seite, so dass er nun höchst unelegant längs auf dem Rücksitz lag. Mühsam rappelte er sich wieder in eine sitzende Position, was gar nicht so einfach war, da Gibbs den Wagen gerade mit kreischenden Bremsen um eine enge Kurve zwang.

 

„McGee?“, kam es ungeduldig fragend von vorne.

 

Endlich hatte er seine Knochen wieder unter Kontrolle und war in der Lage, seinen Boss atemlos über den neuesten Stand in Kenntnis zu setzen.

 

„So, so“, knurrte Gibbs und wusste nicht so recht, ob er sich über die Nachrichten freuen sollte, oder nicht. „Fornell also. Na ja…“ Unbewusst trat er das Gaspedal noch ein wenig mehr durch.

 

Kapitel 31

20.32 Uhr – Showdown 2. Akt – Bei Tony und Ziva im Keller

 

'Wie lange sitze ich schon hier? Eine Stunde? Länger? Kürzer?' Ziva hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ihre Schultermuskulatur brannte zusehends und immer öfter ertappte sie sich dabei, wie sich ihre Gliedmaße ein klein wenig senkte. Jedes Mal schrak sie entsetzt hoch und musterte Tony mit weit aufgerissenen Augen. Die Schlinge um seinen Hals saß schon ziemlich fest, das konnte sie erkennen, aber noch konnte er problemlos atmen. In der letzten halben Stunde hatte sie ihm immer wieder gesagt, wie glücklich sie mit ihm war, das verächtliche Aufschnauben Rebekkas, das jedes Mal als Reaktion auf ihre verzweifelten Beteuerungen folgte, störte sie schon längst nicht mehr. Sie wusste, Rebekka wartete ungeduldig darauf, dass ihre Kräfte endlich erlahmten, doch sie hatte sich geschworen, dies so lange wie möglich hinauszuzögern. Allerdings spürte sie immer deutlicher, dass sie nicht mehr lange aushalten konnte. Unglaublich, wie schwer so ein verdammter Arm mit der Zeit werden konnte!

 

Tony's Finger verkrampften sich zusehends, denn er spürte, wie die Luftzufuhr langsam aber sicher knapper und knapper wurde. Schon wieder hatte sich die Schlinge um seinen Hals ein winziges bisschen verengt und prompt hatte er hektisch mit geöffneten Lippen wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft geschnappt. Noch gelangte der lebensnotwendige Sauerstoff in seine Lungen, aber wie lange noch? Die Tatsache, dass er wusste, was auf ihn zukam, wenn das nicht mehr der Fall war, schien ihm das Atmen paradoxerweise noch zusätzlich zu erschweren. Das leise Dröhnen in seinen Ohren schwoll bedrohlich an. Ja, die Anzeichen waren unverkennbar. Es ging zu Ende…

Langsam und unaufhaltsam nahm die Panik von Ziva Besitz. Ihr war nicht entgangen, dass Tony schon verzweifelt um jeden Atemzug rang. 'Du verfluchter Arm, warum bist du so schwach?!', hätte sie am liebsten geschrien, doch diese Genugtuung wollte sie Rebekka nicht gönnen. Sie rutschte unruhig auf dem Stuhl, an den sie gefesselt war, hin und her, so gut es ging, um dadurch ihren nach oben ausgestreckten Arm wenigstens ein klein wenig bewegen zu können und ihn auf diese Weise zu entlasten. Für einige Sekunden konnte sie sich so ein wenig Erleichterung verschaffen. 'Du musst durchhalten, du musst durchhalten' beschwor sie sich immer wieder selbst, doch gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass sie bald unweigerlich am Ende ihrer Kräfte war. „Tony“, tonlos formulierte sie dieses eine Wort, sie fühlte, dass der Abschied nahte… ‚Es tut mir so leid! Gott, Schatz, es tut mir so unendlich leid…’

 

Tony sah den versteinerten Gesichtsausdruck seiner Freundin und ahnte, was dies für ihn bedeutete. Bald würden ihre Muskeln den Dienst versagen, ihr Arm würde sich senken und... Er hatte Angst, scheußliche Angst, das konnte er nicht leugnen, denn er hatte dieses entsetzliche Gefühl, wenn man vergeblich nach Luft rang, wenn man genau spürte, wie das Leben langsam aus einem entwich, heute morgen schon einmal durchleben müssen und wenn er nur daran dachte, hätte er am liebsten laut geschrien. Doch selbst, wenn er diesem Wunsch hätte nachgeben wollen, er hätte schon längst nicht mehr schreien können. Krampfhaft hob und senkte sich seine Brust mit jedem pfeifenden Atemzug.

 

Auf einmal schrie Ziva auf, ihr Arm war zuckend ein ganzes Stück nach unten gesackt und sie sah, wie ein Ruck durch Tony ging und sich seine Augen unnatürlich weiteten, als die Schlinge seine Luftröhre zusammenpresste. „TONY! Oh Gott, nein!“, schrie sie wie von Sinnen und gebärdete sich auf ihrem Stuhl wie eine Wilde.

 

In diesem Moment waren plötzlich oben vor dem Haus dumpfe Geräusche zu hören. Thomas riss seine Waffe aus dem Halfter und stürmte ohne zu zögern aus dem Keller die Treppe nach oben. Nach einer Schrecksekunde folgte ihm auch Aaron, während Rebekka wie gebannt den Todeskampf von DiNozzo verfolgte.

 

 

20.33 – Etwa zeitgleich - Showdown 3. Akt - Ankunft der Rettungsteams

 

„Großer Gott, wie lange dauert das denn noch?“, stöhnte Eli David und blickte nervös aus dem Fenster.

 

Gibbs schnaubte nur und so übernahm McGee das Antworten: „Es ist nicht mehr weit. Wir müssten gleich da sein. – Boss, wie sollen wir vorgehen?“, erkundigte er sich dann. Stürmen wir rein oder schleichen wir uns an?“

 

„Da wir offenbar die ersten vor Ort sein werden, denke ich, wir sollten das auf uns zukommen lassen. Am besten wäre es natürlich, wenn wir uns unbemerkt anschleichen und sie überwältigen könnten, aber darauf würde ich mich nicht verlassen. Warten wir´s ab. Viel Zeit bleibt uns sowieso nicht. Wenn die Verstärkung anrauscht, dann dürfte das kaum unbemerkt bleiben.“

 

„Um was für ein Gebäude handelt es sich?“, fragte Eli.

 

„Es ist ein altes Gehöft. Nicht allzu groß mit ein paar Stallungen, einem Hauptgebäude und einem Hinterhof, der an den nahe gelegenen Wald grenzt. Es gibt auch eine Hintertür, die vom Keller aus nach draußen führt. Das Grundstück liegt im Grunde schon außerhalb von Woodbridge – etwas einsam und verlassen.“

 

„Genau das, was die Typen für ihre Zwecke brauchten“, knirschte Gibbs zwischen den Zähnen hervor, der sich gar nicht ausmalen mochte, was DiNozzo seit gestern Morgen alles widerfahren war. Er hoffte nur dringend, dass sie noch rechtzeitig kamen, um das Schlimmste zu verhindern.

 

Weit aus der Ferne klang Sirenengeheul an ihre Ohren.

 

„Die Kavallerie ist auf dem Weg“, meinte Gibbs und wusste nicht, ob er froh darüber sein sollte oder nicht. „Beeilen wir uns – uns bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Er steuerte den Wagen gerade mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch Woodbridge hindurch.

 

„Dort, das muss es sein“, wies kurz darauf McGee aufgeregt durch die Windschutzscheibe nach vorne. In etwa einer Meile Entfernung sahen sie ein einsam gelegenes Haus seitlich der Straße stehen. Er knetete seine Hände ineinander. Jetzt galt es, keinen Fehler zu machen. Jeder Fehler, sei er auch noch so klein, konnte Ziva und Tony das Leben kosten.

 

Wenige Sekunden später schaltete Gibbs den Motor aus und ließ den Wagen das letzte Stück die Straße entlang rollen. Er steuerte lautlos an den Straßenrand und trat unmittelbar vor dem Haus auf die Bremse. Sofort verließen die drei Männer leise das Fahrzeug und schauten mit gemischten Gefühlen auf das Haus. In diesem Augenblick ertönte von drinnen Ziva´s gellender Schrei: „TONY! Oh Gott, nein!“

 

„Das war´s wohl mit dem Anschleichen“, stieß Gibbs hervor. „Wir stürmen!“ Das brauchte er den beiden anderen nicht zweimal zu sagen. Alle zückten und entsicherten ihre Waffen und rannten in gebückter Haltung auf das Haus zu. Die Sirenen der Verstärkung näherten sich unaufhörlich und jetzt war Gibbs doch froh darüber. Die drei hatten das Haus erreicht und postierten sind links und recht von der Eingangstür, als einige Wagen mit quietschenden Bremsen auf dem Vorhof hielten und als einer der Ersten Fornell aus dem vordersten Wagen sprang.

 

Gibbs und McGee verständigten sich mit Blicken und dann trat McGee die Eingangstür auf. Schnell betraten er und Eli das Haus und suchten nach Deckung. Doch noch bevor sie die gefunden hatten wurde bereits das Feuer auf sie eröffnet. Blitzschnell gingen sie hinter den erstbesten Möbeln in die Hocke und sondierten die Lage. Es schien sich um zwei Männer zu handeln. Einer feuerte aus der Küche und einer aus dem Flur heraus auf sie. Sowohl Tim, als auch Eli erwiderten unverzüglich das Feuer und ein kurzer Schmerzensschrei verriet ihnen, dass einer von ihnen zumindest einen Treffer gelandet hatte.

 

Die Eingangstür quietschte leicht, als Gibbs, der draußen Fornell noch einige schnelle Anweisungen zugerufen hatte, mit der Waffe im Anschlag ins Haus huschte und sich gegen die Wand presste. McGee hatte trotz des Lärms das Quietschen der Tür gehört und blickte zu seinem Chef. Er wollte eben den Mund öffnen, um seinem Boss mitzuteilen, dass es sich vermutlich um zwei Gegner handelte, mit denen sie es zu tun hatten, als er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Der Mann, der aus dem Flur heraus auf sie gefeuert hatte, hatte seine Deckung verlassen und legte gerade seine Waffe auf Gibbs an, der in diesem Moment Eli zunickte und die tödliche Bedrohung daher noch gar nicht bemerkt hatte. Tim blieb nicht einmal eine Sekunde Zeit, zu überlegen, oder seinen Chef zu warnen. Er ruckte hoch und gab schnell hintereinander mehrere Schüsse auf Thomas Rivkin, den er mittlerweile erkannt hatte, ab. Der Israeli zuckte unter den mehrfachen Treffern zusammen, bevor er die Waffe fallen ließ und unkoordiniert einige Schritte rückwärts taumelte. In der Mitte des Flurs fiel er schließlich tödlich getroffen zu Boden. Gibbs fuhr herum und sah McGee mit weit aufgerissenen Augen und ausgestreckten Armen aufrecht im Zimmer stehen. Er folgte den Blicken seines Agenten und erkannte sofort, dass Tim ihm gerade mit ziemlicher Sicherheit das Leben gerettet hatte. Dankbar nickte er ihm kurz zu und konzentrierte sich gleichzeitig auf den zweiten Schützen, der im Türrahmen zur Küche kauerte. Doch in diesem Moment ergab sich Aaron Rosen. Er hatte Thomas tot zu Boden fallen sehen und das ließ seinen letzten Widerstand zerbrechen. Er warf seine Waffe weg und kam mit erhobenen Händen langsam auf sie zu.

 

Währenddessen hatten sich Fornell und seine Männer, die draußen in Deckung gehechtet waren, als aus dem Haus der Lärm von Schüssen gedrungen war, wieder aufgerappelt. „Los, verteilt euch und haltet die Augen auf!“, befahl der FBI-Agent seinen Untergebenen. „Nehmt alles fest, was aufrecht auf zwei Beinen läuft!“ Damit begannen Sie, vorsichtig das Haus zu umstellen und die nähere Umgebung abzusuchen.

 

In diesem Augenblick klangen von irgendwoher wieder Ziva´s Schreie an ihr Ohr. Total hysterisch und unendlich verzweifelt.

 

„McGee. Nimm das Subjekt fest. Aber sei vorsichtig. Vielleicht hat er weitere Waffen“, rief Gibbs Tim zu, während er bereits Richtung Kellertreppe losrannte. „Und koordiniere dieses Chaos hier. Irgendwo muss ja auch noch Rebekka stecken. – Eli, kommen Sie, wir müssen in den Keller! Schnell! Mann, hören Sie auf mit dem Quatsch!“

 

Eli war auf Rosen zugegangen und es sah so aus, als wolle er dem Mann an die Gurgel gehen. Gibbs scharfe Worte brachten ihn jedoch wieder zu sich und so zischte er nur: „Wir sind noch nicht fertig miteinander!“, bevor er Gibbs in den Keller folgte. Aus dem Hintergrund hörten sie, wie weitere Männer in das Haus stürmten. Hier oben wurden sie jetzt nicht mehr gebraucht.

 

 

20.34 – Etwa zeitgleich - Showdown – Rebekkas Flucht

 

Irritiert lauschte Rebekka nach oben. 'Was zum Teufel ist da los? Es kann doch nicht sein, dass sie uns gefunden haben?' Aber die Geräuschkulisse, die oben im Haus tobte, belehrte sie eines Besseren. Wütend fluchend stürzte nun auch sie aus dem Kellerraum. Bloß noch ein paar Minuten und ihre Rache wäre perfekt vollendet gewesen. Und jetzt konnte sie ausgerechnet das Beste nicht mehr in Ruhe mit ansehen: Wie der verfluchte Amerikaner vor Ziva's Augen seinen letzten Atemzug tat!

 

Als sie die letzte Stufe der Treppe erreicht hatte, hielt Rebekka inne und horchte erneut. Schließlich wollte sie nicht blindlings den Gegnern in die Arme laufen. Im Gang auf der linken Seite fielen mehrere Schüsse. Instinktiv zog sie den Kopf ein und lugte vorsichtig um die Ecke. Kurz konnte sie Aaron erkennen, der neben der Tür zur Küche kauerte und gerade ein paar Schüsse auf ein für sie nicht erkennbares Ziel abfeuerte. Sie drehte ihren Kopf ein wenig und in diesem Augenblick sah sie ihren Bruder! Thomas taumelte von mehreren Schüssen getroffen ein paar Schritte rückwärts, bevor er sich langsam drehte und wie in Zeitlupe zu Boden ging. Sein Kopf fiel zur Seite und für einen Moment blickte sie in Thomas´ Augen und erkannte gleichzeitig, dass sie in die Augen eines Toten sah. Ihr erster Impuls war, zu ihm zu rennen, denn auch wenn er dem Vergleich mit Michael nie stand gehalten hatte, er war trotzdem ihr Bruder. Doch diese kurze menschliche Regung wich genauso schnell, wie sie gekommen war. Was blieb, war ihre rationale Nüchternheit. Sie konnte Thomas nicht mehr helfen und Aaron ...

 

Rebekka wog kurz ab, ihn beim Kampf gegen wen auch immer zu unterstützen, doch noch bevor sie entschieden hatte, was sie tun wollte, musste sie mit ansehen, wie sich ihr alter Freund dem Feind ergab. Dieser verdammte Feigling! Sie hätten ihn nie für diese Aktion verpflichten dürfen, aber sie hatte sich von Thomas weichklopfen lassen. Sie hätte wissen müssen, dass er im Ernstfall nicht hart genug war. Dafür hatte er es verdient zu sterben. Wenn die Amerikaner ihr dies nicht abnahmen, würde sie das übernehmen müssen. Schon um Thomas´ Willen. Es würde sich schon noch eine Gelegenheit bieten. Später! Jetzt musste sie erst einmal sehen, dass sie hier raus kam. Leise und unbemerkt nutzte sie einen unbeobachteten Moment und lief den Gang rechts hinunter in Richtung Aarons Schlafzimmer. Schnell huschte sie hinein und schloss leise die Tür hinter sich. Aus dem Flur klangen bereits wieder neue Stimmen und lautes Geschrei an ihre Ohren. Sie warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. So wie es aussah hatte dort draußen noch niemand Stellung bezogen. Sehr gut! Doch aus der Ferne näherten sich anscheinend weitere Einsatzwagen – die Sirenenklänge waren unverkennbar und sie wurden schnell lauter. Sie musste sich beeilen – ihr lief die Zeit davon.

 

Bevor Rebekka jedoch verschwand, fiel ihr die Mappe mit den Dokumenten in Aarons Schrank ein. Blitzschnell zog sie diese unter der Kleidung hervor und stopfte sie sich in den Hosenbund. Das darin enthaltene Bargeld konnte sie auf jeden Fall gut gebrauchen. Auf dem Weg nach draußen fiel ihr Blick zufällig noch auf Aarons Nachttisch. Neben der Lampe lag auf einem Buchrücken ein kleiner Schlüsselbund. Sie zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde und folgte dann ihrem Instinkt, der ihr trotz der Eile riet, nachzuschauen, was es damit auf sich hatte. Bingo! Das waren die Schlüssel zu Aarons Wohnung in South Kensington. Das vereinfachte natürlich vieles. Rebekka stopfte den Schlüssel in ihre Hosentasche, schlüpfte dann endlich geschmeidig wie eine Schlange durch die Terrassentür hinaus und ging sofort hinter dem dichten Gebüsch, das an die Hausmauer angrenzte, in Deckung. In diesem Augenblick hörte sie, wie der FBI-Mann seinen Leuten den Befehl gab, das Haus zu umstellen. Mit einem neuerlichen wüst gemurmelten Fluch auf den Lippen schlich sie schnellstens lautlos in Richtung des nahe gelegenen Waldes. Kurz bevor sie endgültig verschwand, drehte sie sich noch kurz um und registrierte, wie noch weitere Fahrzeuge auf den Hof rasten und mehrere Personen mit gezogenen Waffen aus den Autos sprangen und Richtung Haus stürmten.

 

Als letztes bremste gerade ein Notarztwagen in der langen Reihe von Fahrzeugen. Ein Mann im Arztkittel rannte mit einem Koffer in der Hand ebenfalls in Richtung Eingang. Zu dumm, dass sie keine Waffe dabei hatte. Rebekka schwor sich im Stillen, nie wieder eine solch eklatante Nachlässigkeit zu begehen. Sie hatte sich einfach zu sicher gefühlt. Nicht auszudenken, wenn der Arzt DiNozzo doch noch retten konnte. Das durfte einfach nicht geschehen! Wo sie doch so weit gekommen war. Fast beschwörend blickte sie dem Mediziner hinterher, bevor sie sich energisch zur Ordnung rief. Dafür hatte sie jetzt keine Zeit! Auch darum würde sie sich später kümmern. Sie wusste, sie ließ eine Menge Baustellen zurück, doch jetzt musste sie erst einmal sehen, dass sie hier wegkam. Gegen so viele hatten sie sowieso keine Chance, ihr blieb nur die Flucht. Schließlich war sie nicht lebensmüde. Doch noch zögerte sie ... Eben bewegte sich ein FBI-Agent auf sie zu, ohne sie jedoch zu bemerken.Eine Waffe könnte in ihrer Situation sehr hilfreich sein…

 

Der junge und anscheinend noch unerfahrene Agent kam völlig arglos auf sie zu. Er rechnete wohl in keinster Weise damit, tatsächlich hier draußen noch auf einen Gegner zu treffen – ein fataler Fehler, der ihn das Leben kosten sollte.

 

Rebekka bewegte sich lautlos ein Stückchen weiter, duckte sich hinter ein Gebüsch am Waldrand und verschmolz mit der Dunkelheit. Sie hielt den Atem an und wartete. Als der Beamte, ohne das Geringste von ihr zu bemerken, an ihr vorbeigehen wollte, schnellte sie hoch und sprang den Mann mit der Geschmeidigkeit eines schwarzen Panthers an. Mit einem einzigen schnellen Ruck brach sie dem Mann das Genick. Sie ließ ihn lautlos zu Boden gleiten und vergewisserte sich, dass niemand etwas von der Aktion bemerkt hatte. Schnell nahm sie seine Waffe, seinen Ausweis, die Brieftasche, das Base-Cap und die Handschellen, die er bei sich trug, an sich. Dann zog sie ihm noch seine Jacke aus. Sie hatte keine angehabt, als sie überstürzt aus dem Haus flüchten musste und es war empfindlich kalt in dieser Nacht. Kaltblütig sah sie den Toten vor sich noch einmal an, bevor sie schließlich unbemerkt in der Dunkelheit verschwand.

 

Kapitel 32

20.36 – Showdown Finaler Akt - Bei Tony und Ziva im Keller

 

Wie durch Watte gedämpft nahm Tony verschiedene Geräusche wahr. Ziva's hysterische Schreie! Irgendetwas, das so klang, als würden Stühle umfallen! Schüsse…!

 

‚Schüsse? Sind das wirklich Schüsse?', fragte er sich. Seine Gedanken wurden immer schwerfälliger, die Lippen waren durch den Sauerstoffmangel bereits blau. Er versuchte zu atmen, vergeblich! Er merkte nicht, wie sein ganzer Körper bereits wieder krampfte, und heftig zu zittern begann. Seine Kehle, seine Luftröhre, seine Lungen, alles brannte unerträglich, gerade so, als ob er glühende Lava geschluckt hätte. Er wollte nur noch, dass das alles aufhörte – so schnell wie möglich. Er hielt das einfach nicht mehr aus.

 

'Wie lange kann ein Mensch ohne Luft aushalten?', fragte er sich plötzlich in einem letzten klaren Moment. ‚Ich habe gehört, Apnoe-Taucher können das bis zu einer viertel Stunde. Warum zum Teufel gehört das nicht unserer Ausbildung?‘

 

Seine weit aufgerissenen Augen waren mittlerweile blutunterlaufen und schienen hervorzuquellen. Durch die unmenschliche Anstrengung waren mehrere Blutgefäße geplatzt. Tony's Hände rissen und zerrten an den Fesseln, wollten unbedingt diesen tödlichen Strick an seinem Hals lockern, doch je länger sein Todeskampf dauerte, desto zögerlicher wurden diese Bewegungen, genau wie seine verzweifelten Versuche, nach Luft zu schnappen. Er richtete einen letzten gequälten Blick auf Ziva, die ihm irgendetwas zuzurufen schien, das er nicht mehr verstand. Zu laut war das Toben und Brüllen in seinem Kopf. Schließlich verschwamm das Bild seiner Freundin und Vertrauten in einem blutigen Nebel und kraftlos sank sein Kopf zur Seite.

 

Ziva hörte die Schüsse und Stimmen von oben und schrie mit sich überschlagender Stimme: „Gibbs! McGee! Hier unten! Verdammt, wo bleibt ihr denn? Gibbs, wir sind hier unten!“ Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sah nur noch, wie die Liebe ihres Lebens in diesen Sekunden den Kampf um sein Leben verlor. Völlig hysterisch brüllte sie abwechselnd Tony's, McGee´s und Gibbs' Namen, bis sie entsetzt verstummte, als sie zusehen musste, wie sein Kopf langsam zur Seite kippte. Nach einer Schrecksekunde murmelte sie immer wieder leise vor sich hin: „Tony? Nein, bitte, Tony! Tu mir das nicht an, hörst du! Das geht doch nicht! Was soll ich denn nur ohne dich machen…“ Solche und ähnliche Sätze strömten ohne Unterlass aus ihrem Mund. Sie konnte einfach nicht aufhören, es war, als würde der letzte Funken Hoffnung zusammen mit Tony sterben, wenn sie schwieg.

 

Wie betäubt nahm sie am Rande wahr, dass eine Person an ihr vorbei stürzte und versuchte, den Strick um Tony's Hals zu lösen. Im gleichen Moment rüttelte sie jemand an den Schultern. Sie riss ihren Blick von Tony los und sah zu dem Mann auf, der vor ihr stand und sie mit strenger Stimme aufforderte: „Ziva! Hör auf damit! Komm' zu dir!“

 

„Papa?“, konnte sie nur verständnislos und völlig erschöpft fragen. Was sollte das? Träumte sie? Wie kam Eli David hierher, in diesen Folterkeller?

 

„Ziva, bitte. Hör auf! Beruhige dich!“, sagte Eli jetzt sanfter und versuchte den flackernden Blick seiner Tochter festzuhalten. Er war unendlich erleichtert, dass es ihr zumindest körperlich gutzugehen schien. Aber er war erschrocken über ihren nervlichen Zustand. Sie schien völlig ausgepowert – total am Ende zu sein. So hatte er sie noch nie erlebt. Vorsichtig legte er ihr seine Hand an die Wange. „Bist du in Ordnung?“

 

„ELI! Helfen Sie mir! Schnell!“, forderte in diesem Moment Jethro, der das Seil um Tony´s Hals inzwischen gelöst hatte und nun dabei war, Tony von seinen Fesseln zu befreien.

 

Sofort eilte der stellvertretende Direktor des Mossad Gibbs zu Hilfe. Er hielt DiNozzo fest, während Gibbs die beiden Handschellen öffnete. Zusammen legten sie den schlaffen geschundenen Körper sehr vorsichtig auf dem Boden ab und augenblicklich begann Jethro, Tony zu beatmen. “Komm schon, komm schon Junge, du wirst doch wohl jetzt nicht schlapp machen!“, murmelte er beschwörend in den Beatmungspausen vor sich hin, während er weiterhin hektisch versuchte, seinen Agent abwechselnd durch Mund zu Mund Beatmung und Herzmassagen ins Leben zurückzuholen. Bislang ohne Erfolg.

 

Wieder legte Jethro seine Lippen auf Tony's Mund, um ihm Luft in die Lungen zu pressen, als er endlich spürte, wie ein Zittern durch den Körper unter ihm ging. „JA! Gut! Komm' schon, Tony, atme! Weiter so!“ Er drehte sich kurz um und brüllte über die Schulter in Richtung Tür: „Wo zum Teufel bleibt der Arzt! Schickt uns einen Arzt hier runter!“

 

In diesem Moment bäumte Tony sich ruckartig auf, und versuchte krampfhaft, Luft zu holen. Der Blick seiner weit geöffneten Augen fiel auf den Grauhaarigen vor ihm und mühsam kehrte sein Bewusstsein Stück für Stück zurück. Doch immer noch bekam er viel zu wenig Sauerstoff, verzweifelt krallte er seine rechte Hand in Jethro's Jacke und starrte hilfesuchend keuchend in dessen Augen.

 

„Ruhig, Tony, komm, atme mit mir. Geh es langsam an“, versuchte Gibbs ihm zu helfen. Er legte seine Hand auf die DiNozzos, die dieser immer noch in sein Revers gekrallt hielt und drückte sie fest. Mit der anderen griff er in dessen Nacken und zog ihn in eine halb sitzende Position hoch. „Konzentriere dich auf mich. Du musst flach atmen, dann wird es gleich besser. Es ist vorbei! Keiner tut dir mehr weh! Hörst du! Ganz ruhig.“

 

„Ziva…?“, versuchte Tony unter Schmerzen dieses eine Wort zu formulieren, doch Jethro ahnte mehr, was ihm sein Untergebener, sein Freund, sagen wollte, als dass er es verstand.

 

„Sie ist hier – es geht ihr gut. Komm, achte jetzt nur auf mich. Alles andere ist unwichtig!“ Er sah seinem Agent in die Augen und der Blick, der keinen Widerspruch duldete, half tatsächlich. Langsam passte sich Tony dem Atemrhythmus von Jethro an und endlich ließ seine Verkrampfung nach. Er war ins Leben zurückgekehrt.

 

Der Notarzt betrat den Kellerraum und erfasste mit einem Blick die Situation. Eilig kniete er neben DiNozzo nieder, der sich gleich wieder verkrampfte, als der Mann wortlos nach seinem Arm griff.

 

'Nein!' Angstvoll suchte sein Blick nach Jethro, der ein Stück beiseite gerückt war, um dem Arzt Platz zu machen.

 

Sofort beugte er sich wieder so weit nach vorne, dass er in Tony´s Blickfeld rückte. Erneut drückte er beruhigend die Hand seines Ziehsohnes. „Keine Panik. Das ist nur der Arzt. Er will dir helfen. Komm schon, Tony, lass' den Mann seine Arbeit machen. Du brauchst dringend Hilfe.“

 

Erschöpft nickte Tony und ließ sich wieder nach hinten sinken. Routiniert prüfte der Notarzt zunächst Tony´s Puls und sonstige Vitalfunktionen. Dann griff er nach seinem Koffer, holte einige Utensilien heraus, legte mit geübten Fingern einen Zugang in Tony´s Ellbogenbeuge und schloss eine Infusion an. Danach wandte er sich an Gibbs.

 

„Der Mann muss schnellstens in ein Krankenhaus. Hier kann ich nicht viel für ihn tun.“

Er reichte Gibbs den Infusionsbeutel. „Hier, halten Sie den bitte aufrecht. Ich gehe schnell nach oben und organisiere eine Trage. Wir sollten keine Zeit verlieren.“

 

Gibbs nickte wortlos und kniete sich nun wieder direkt neben Tony auf den staubigen Boden. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit verspürte er wieder so etwas wie Angst.

Tony hatte die Augen geschlossen, doch Gibbs registrierte, dass sich sein Brustkorb in beruhigenden Abständen hob und senkte. Er seufzte tief und wartete ungeduldig auf die Sanitäter. Mehr konnte er im Augenblick nicht tun.

 

Eli hatte sich derweil um seine Tochter gekümmert. Er hatte ihre Fesseln gelöst und sie fest in seine Arme gezogen. Ziva hatte es wie eine Marionette mit sich geschehen lassen. Nun stand sie in der sicheren Umarmung ihres Vaters und blickte wie hypnotisiert zu ihrem Boss und ihrem Liebsten hinüber und war zu keiner sonstigen Regung fähig.

 

'Er ist tot', war es zunächst immer wieder durch ihr Gehirn gezuckt, während sie wie versteinert dastand. Erst als Eli sie losgelassen, sie bei den Schultern gepackt und sie auf hebräisch gefragt hatte: „Geht es dir gut mein Kind?“, war es ihr gelungen, sich aus ihrer Lethargie zu befreien.

 

„Mir ist nichts passiert“, erwiderte sie mit einer Stimme, die sie fast selbst nicht als ihre eigene erkannt hätte. Dabei fiel ihr Blick auf das todbringende Seil, das noch immer um ihr Handgelenk geknotet war. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als ob sich der Strick in ihre Haut einbrennen würde. Hektisch riss und zerrte sie daran herum, bis sie ihn endlich von ihrem Arm lösen konnte und schleuderte ihn in die nächstbeste Ecke. Sie sah wieder zu ihrem Vater auf und langsam traten Tränen in ihre Augen. Eli streichelte ihr zögernd, fast so als erwartete er, dass sie ihn weg stieß, über die Wange und Ziva registrierte dankbar die etwas hilflosen Versuche ihres Vaters, sie zu trösten. Bei Gott, wann hatte er sie zum letzten Mal getröstet – war das überhaupt schon einmal vorgekommen? Unwillkürlich schmiegte sie ihre Wange an die Hand ihres Vaters. Tony war tot! Sie konnte jetzt jeden Trost brauchen, den sie kriegen konnte. Noch immer hatte sie nicht realisiert, dass ihr Freund bereits behandelt worden war und nun halbwegs ruhig atmend auf dem Boden lag. Der Schock, ihn umgebracht zu haben, saß immens tief und in ihrer Verzweiflung und in den Armen ihres Vaters hatte sie den kurzen Besuch des Arztes im Keller gar nicht bemerkt.

 

Jetzt jedoch regte sich Tony plötzlich, als ihn ein trockener Husten aufschrecken ließ. Gibbs freie Hand legte sich sofort wieder beruhigend auf seinen Brustkorb und langsam bekam er den schmerzhaften Anfall unter Kontrolle. Ziva starrte ihren Freund fassungslos an. Für eine Sekunde hatte sie das Gefühl, als würde ihre Beine sie nicht mehr tragen. Oh Gott, war das Schicksal wirklich noch einmal gnädig mit ihnen? Mit einem Schluchzen ließ sie sich neben Gibbs auf die Knie fallen und schlang ihre Finger in Tony's. Er war nicht tot!! Er lebte!! Sie hatte ihn nicht umgebracht!! Mittlerweile liefen ihr dicke Tränen über die Wangen, aber das war ihr egal. Sollten sie doch ruhig alle heulen sehen. Es war nicht wichtig. Wichtig war in diesem Augenblick nur, dass Tony lebte. Das war alles, was zählte. Der Rest würde sich finden!

 

Die Zeit, die Tony brauchte, um nach seinem Hustenanfall wieder einigermaßen normal atmen zu können, erschien Ziva wie eine Ewigkeit. Gibbs sprach auf ihn ein und ganz langsam beruhigte sich der Italiener wieder. Dann fand Tony's Blick endlich Ziva. Er musste dreimal ansetzen um ein krächzendes „Komm'“ herauszubringen.

 

Mit einem Laut, von dem nicht einmal sie selbst wusste, ob es ein Lachen oder Weinen war, nahm sie ihn behutsam in die Arme und klammerte sich an ihn, als ob sie ihn nie wieder loslassen wollte.

 

In diesem Moment erschien McGee, zusammen mit dem Arzt und einem Sanitäter im Kellerraum. Fassungslos blieb er stehen und starrte auf das Bild, das sich ihm bot. Er hatte oben schon mitbekommen, dass es seinem Freund und Kollegen wohl nicht gut ging, aber diesen verstörenden Anblick hatte er dann doch nicht erwartet. Zögernd kam er näher, um Gibbs über den letzten Stand oben im Haus zu informieren. Dabei fiel es ihm schwer, seine Blicke von Tony´s drangsaliertem Körper loszueisen.

 

„McGee, du wolltest mir doch sicher was mitteilen.“

 

„Oh, ja, tut mir leid, Boss. Aber…“ Er brach ab und schüttelte erschüttert mit dem Kopf.

 

„Schon gut, ich versteh´ dich ja. Aber, Tim, wir müssen weitermachen. Also, was ist los da oben?“

 

„Oben ist alles soweit unter Kontrolle. Thomas Rivkin ist tot, aber wir konnten Aaron Rosen in Gewahrsam nehmen. Er hat lediglich einen Streifschuss abbekommen. Der 2. Sanitäter versorgt ihn gerade, dann bringen wir ihn ins Hauptquartier zum Verhör. Fornell und seine Männer bewachen sie. Die schlechte Nachricht ist, dass Rebekka Rivkin offenbar die Flucht gelungen ist. Dabei hat sie einen von Fornells Männern in dem nahegelegenen Waldstück überwältigt und umgebracht. So wissen wir aber wenigstens in welche Richtung sie geflohen ist“, schloss er ein wenig atemlos.

 

Ziva blickte entsetzt hoch. „Rebekka ist geflohen? Ist sie bewaffnet?! Mein Gott, sie ist die Schlimmste von allen! Sie wird nicht aufgeben!“ Ihre Stimme hatte wieder einen leicht panischen Klang.

 

Gibbs tätschelte beruhigend ihren Arm. „Keine Sorge, wir kriegen sie. Und dann bekommt sie, was sie verdient hat. Du und dein Vater, ihr kommt mit ins Hauptquartier. Dort seid ihr erst einmal in Sicherheit. Und Tony wird im Krankenhaus rund um die Uhr bewacht werden. Dieses Mal wird es nicht soweit kommen, dass sich dort jemand einschleichen kann“, sagte er in Anspielung auf die Geschehnisse vor sieben Monaten. „Das ist ein Versprechen“, setzte er grimmig hinzu, als er Ziva´s zweifelnden Gesichtsausdruck bemerkte. „Alles klar?“

 

Ziva nickte und richtete sich zögernd auf, damit der Arzt und der Sanitäter Tony behutsam auf die Bahre betten konnten. Es fiel ihr schwer, ihn loszulassen, doch sie wusste, dass er im Moment dringend ärztliche Hilfe brauchte. Eine Hilfe, die sie ihm nicht geben konnte.

 

„Kann ich im Krankenwagen mitfahren?“, fragte sie den Arzt, der schon nicken wollte, als er Gibbs Gesichtsausdruck bemerkte. Bedauernd hob er beide Hände und wies mit dem Kopf auf Gibbs.

 

„Ziva, das geht nicht und das weißt du“, sagte der in diesem Augenblick mahnend zu der Israelin.

 

„Aber ich will doch nur…“

 

„Wir brauchen dich dringender im Hauptquartier. Für Tony kannst du jetzt doch nichts tun. Er wird gut versorgt und du bist die Einzige von uns, die Rebekka und Rosen kennt und sie einschätzen kann. Es gibt viel zu bereden. Ich bringe dich dann später zu ihm, okay?“

 

„Ziva…“, kam es krächzend von der Bahre.

 

„Ja, Schatz?“ Sofort beugte sich Ziva über ihren Freund.

 

„Es ist okay“, brachte Tony mit Mühe heraus. „Ich warte auf dich.“ Er versuchte ein Lächeln, das Ziva wieder die Tränen in die Augen trieb. „Keine Angst, ich lauf´ nicht weg.“

 

Ziva nickte mit einem Kloß im Hals. Unendlich vorsichtig und zärtlich drückte sie Tony einen Kuss auf die Lippen und strich ihm sanft die zerzausten Haare aus der Stirn. Dann atmete sie tief durch und richtete sich steif auf. „Gut, sie können ihn jetzt hochbringen. Aber ich warne Sie, passen Sie gut auf ihn auf“, gab sie mit fester Stimme dem Arzt mit auf den Weg, der etwas verwundert dreinschaute. „McGee…“

 

Tim nickte verständnisvoll. Er kannte seine Kollegin ja schon länger. „Alles ist gut, Ziva. Ich bleib´bei ihm. Wir sehen uns im Hauptquartier. Bis später.“

 

To be continued - allerdings im neuen Thread !!!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Juicer Reviews (Montag, 15 April 2013 05:46)

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