20.55 h - oder "die erste Stunde vom Rest eines Lebens" - Thread III

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Kapitel 10

Ermittlungsergebnisse

 

Am Morgen nach Thanksgiving hetzte Ziva ganz untypisch für sie als Letzte an ihren Schreibtisch im Büro. McGee begrüßte sie mit einen Nicken und einem kleinen Lächeln, während Gibbs noch nicht einmal von den Akten aufsah, die vor ihm lagen. Von ihm war lediglich ein kurzes gebrummtes „David“ zu vernehmen, das gleichermaßen eine Begrüßung wie auch eine Frage sein konnte.

 

„T´schuldigung, der Verkehr“, murmelte die Israelin, während ihr  gleichzeitig durch den Kopf schoss, wie sie selbst früher immer den Kopf geschüttelt hatte, wenn Tony mit so einer lahmen Ausrede zu spät im Büro erschienen war.

 

Sie hatte schlicht und einfach verschlafen, weil es am Abend zuvor bei Ducky ziemlich spät geworden war und als sie gegen 2.oo Uhr morgens zu Hause eintrafen, wurde es auch noch nichts mit Schlaf, weil Tony … Schon bei der bloßen Erinnerung daran wurde ihr wieder ganz heiß und ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie daran dachte, was ihrem Freund noch alles eingefallen war, um sie, nachdem sie bereits einen phantastischen Orgasmus erlebt hatte und atemlos zitternd in seinen Armen gelegen war, erneut dazu zu bringen, sich seinen fordernden Händen und seinen sinnlichen Lippen hinzugeben. Ihr war schon durch den Kopf gegangen, ob er wohl den ganzen Tag über darüber nachdachte, womit er sie Nachts verwöhnen wollte – und er hatte Einfälle, die es wahrlich in sich hatten. Sie war vor ihrer Beziehung auch ganz gewiss kein Kind von Traurigkeit gewesen, aber Tony schaffte es in letzter Zeit doch immer wieder, sie zu überraschen.  

 

Das Klacken von hochhackigen Stiefeln riss Ziva aus ihren Gedanken und mit einem Anflug von Röte auf den Wangen sah sie sich schnell um, ob einer ihrer Kollegen wohl bemerkt hatten, woran sie gerade noch gedacht hatte, aber anscheinend waren die beiden mit ihren Akten beschäftigt. Erleichtert atmete sie auf – schließlich wollte sie Tim nur ungern völlig aus der Fassung bringen. Das zu tun hatte Tony sich auf die Fahne geschrieben und es gab Momente, wo selbst sie – die ja eigentlich auf der Seite ihres Partners stehen sollte – fand, dass er damit übertrieb. Schluss jetzt, ermahnte sie sich selber und konzentrierte sich auf Abby, die eilig herangetippelt kam.

 

„Gibbs, Gibbs, ich hab was entdeckt!“ Abby wedelte mit einem Blatt in der Luft herum, bevor sie Beifall heischend vor Jethro´s Schreibtisch bremste und ihren Gönner erwartungsvoll anstrahlte.

 

Der Grauhaarige blickte auf und betrachtete die quirlige Forensikerin mit einem missbilligenden Blick. „Und? Verrätst du uns auch, was? Ratespiele am Morgen verderben mir meist den Tag – und das wollen wir McGee und Ziva doch nicht antun, oder?“ Er machte mit den Händen eine eindeutige Geste und wartete auf Abby´s Erläuterungen.

 

Die muntere Goth zog ein wenig gekränkt die Stirn in Falten: „Warum krieg´ ich eigentlich nie einen Trommelwirbel von dir, Bossman?“, fragte sie mit zur Seite gelegtem Kopf, bevor aber Gibbs noch eine Erwiderung starten konnte, die seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen vermutlich nichts mit einem Trommelwirbel zu tun haben würde, fuhr sie sicherheitshalber lieber schnell fort: „Ziva hat mir doch die Kleidung dieser drei Marines gegeben, die du im Fall von Lt. North verdächtigst, zur Untersuchung gegeben. Nun, ich habe alle Teile gründlich untersucht. Fasern und Schmutz habe ich genug gefunden, das war wirklich ganz schön viel. Ich schwöre euch, das hat Tage gedauert, jedes einzelne Fusselchen zu überprüfen, aber ich hab´ nicht nachgegeben, obwohl Major Massenspektrometer schon ein paar Mal aufgemuckt hat und selbst ich beinahe die Flinte schon ins Korn werfen wollte – nicht im wörtlichen Sinne natürlich, sondern im Sprichwörtlichen.“ Sie machte eine Künstlerpause und sah freudestrahlend von einem zum anderen der vor ihr stehenden Agents. Ziva und McGee waren mittlerweile herangekommen, hatten rechts und links hinter Gibbs Position bezogen und verfolgten gespannt das Gespräch.

 

„Abby…!“ Jethro liebte seine tätowierte Gothbraut, aber manchmal brachte ihn ihre Redeflut fast an den Rand seiner Geduld.

 

„Jawohl, oh du Ungeduldiger!“ Theatralisch warf Abby ihre Arme nach oben, bevor sie fortfuhr: „An einer der Jacken habe ich fremde Fasern und Partikel gefunden. Und was noch besser ist, DNA-Spuren! Außerdem waren an einer Hose Spuren von Dreck, die ich eindeutig dem Tatort zuordnen konnte. Zwei Fasern waren mit Blut getränkt und die Fasern stammen von Lt. North´s Uniform. Auch das Blut stammt von ihm. Außerdem habe ich Spuren der Chemikalie gefunden, mit der der Leutnant vergiftet wurde, und Spuren des Schaumes, der sich ja bekanntlich aufgrund des Giftes vor seinem Mund gebildet hatte, waren sowohl an der Jacke, als auch an der Hose zu finden. Zwei von den drei Verdächtigen waren also eindeutig am Tatort; nur an der Kleidung von Sergeant Rankin konnte ich leider nichts entdecken.“ Ein wenig betrübt, dass sie nicht auch dem dritten Marine durch forensische Beweise etwas hatten nachweisen können, schloss Abby ihre Berichterstattung. „Es tut mir leid“, schloss sie schließlich mit Grabesstimme und diese vier kurzen Worte drückten mehr aus, als jeder Redeschwall, den sie zu ihrer Verteidigung hätte vorbringen können, es gekonnt hätte. Auch an ihrem Gesicht war die Trauer abzulesen, die sie immer ergriff, wenn nicht alle Ergebnisse so waren, wie sie sich das vorgestellt hatte und sie dadurch das Gefühl bekam, versagt zu haben.

 

Gibbs war schon dabei, seine Waffe aus der Schublade zu holen. „Gut gemacht Abby, mach dir keine Gedanken, den dritten Schweinehund kriegen wir sicher auch noch, aber jetzt holen wir uns erst einmal die zwei anderen. McGee, finde raus, wo die beiden im Augenblick sind. Ziva, tank den Wagen auf. Los!“ Während die Israelin schon aus dem Büro eilte, war Jethro hinter den Computerspezialisten getreten und sah ihm über die Schulter, während dieser wieselflink in die Tasten haute. „Ähm Boss, ich kenne ihre Handy-Nummern und bin gerade dabei, diese zu orten. Das kann natürlich nur funktionieren,  falls die Handy´s an sind. Wenn die Zwei im Dienst sind, könnte es allerdings sein, dass sie die nicht dabei haben, oder dass…  Hey, die Handy´s sind an und… Aber…?“ Tim stutzte, als er sah, wo sich die Mobiltelefone der beiden Verdächtigen gerade befanden. „Wow, das ist ja ganz in der Nähe des Fundortes der Leiche von Lt. North. Was tun die denn da?“

 

„Das werden wir herausfinden. Jetzt!“ Gibbs marschierte bereits mit großen Schritten in Richtung Aufzug. „Los, komm schon! Wo bleibst du denn?“

 

Schnell schnappte sich McGee noch seine Waffe und seinen Rucksack und rannte seinem Boss hinterher.    

 

Schusswechsel

 

Eine gute halbe Stunde später - Gibbs hatte wie immer wieder jegliche Geschwindigkeitsbeschränkungen ignoriert und McGee stand kurz davor, sich sein Frühstück noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen - trafen sie auf dem unübersichtlichen Betriebsgelände der stillgelegten Fabrik ein, wo die Leiche von Lt. North gefunden worden war. Ein roter Chevrolet stand leer in der Nähe des Eingangstores und Gibbs bremste so hart daneben, dass der Truck für einen kurzen Moment lang komplett in Staub gehüllt wurde. Mit gezogenen Waffen verließen die drei Agents sofort ihren Wagen und ließen ihre Blicke wachsam über das Gelände schweifen, wobei sich jeder der Drei auf eine andere Richtung konzentrierte. Als alles ruhig blieb, entspannten sie sich ein wenig und Ziva fragte:

 

„Wie sollen wir vorgehen? Bleiben wir zusammen, oder trennen wir uns?“

 

Gibbs wollte gerade antworten, als sie plötzlich aus einiger Entfernung einen erstickten Schrei hörten. Sofort konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit auf das Nebengebäude, aus dem der Schrei gekommen war.

 

„Okay, Ziva, du gehst nach rechts, zu diesem Tor dort.“ Gibbs wies mit der Hand auf ein halb geöffnetes Rolltor. „Sieh dich vor und pass auf, dass du dir den Rücken deckst. Tim, du kommst mit mir, wir nehmen den anderen Eingang.“ Schon hatte er sich in Bewegung gesetzt und lief in halbgebückter Haltung, die Deckung verschiedener alter Container und Maschinen ausnutzend, in Richtung des Gebäudes voraus.

 

Erneut erklang ein markerschütternder Schrei aus dem Inneren der heruntergekommenen Fabrikhalle. Spätestens jetzt war allen klar, dass die Zeit drängte. Wer auch immer dort schrie, er befand sich in höchster Gefahr. McGee und Gibbs hatten sich inzwischen links und rechts der Tür postiert und der Chefermittler wagte soeben einen Blick ins Innere der Halle. Zu sagen, dass ihn das, was er dort zu sehen bekam, beunruhigte, wäre stark untertrieben. Ein Blick genügte und er wusste, dass sie sich keinen Schnitzer erlauben durften. Mit der Hand bedeutete er McGee, dass sie es mit insgesamt drei Gegnern zu tun hatten Weiterhin zeigte er Tim an, dass er sich im Gebäude nach links orientieren wollte, während der MIT-Absolvent sich nach rechts wenden sollte. Dann flüsterte er leise: „Sie sind bewaffnet Tim und wollen dem Gefangenen wohl gerade den Rest geben. Wir müssen schnell sein. Alles klar? Bist du bereit?“ Verstehend nickte McGee und gleich darauf schlichen sie geduckt in die Halle.

 

Ziva hatte sich auf der anderen Seite ebenfalls soweit vorgearbeitet, dass sie die drei Marines im Blickfeld hatte. Es waren ihre Verdächtigen und auch der Sergeant, auf dessen Kleidung Abby zu ihrem Bedauern nichts hatte finden können, war dabei. „Na bitte, das ist doch wohl Beweis genug!“, dachte sie bei sich, als sie sah, wie plötzlich einer der Männer unvermittelt herumwirbelte. Zwei Sekunden später brach die Hölle los.

 

Sofort hatte der Mann das Feuer eröffnet und seine beiden Kumpane taten es ihm gleich. Gibbs hatte hinter ein paar alten Fässern relativ gute Deckung und erwischte gleich zu Beginn der Schießerei einen der Kerle, der sich zu sicher gefühlt hatte und wie auf dem Präsentierteller stehengeblieben war. Mit einem lauten Schmerzensschrei ging der Kerl zu Boden und wälzte sich auf dem staubigen Betonboden hin und her. Seine Waffe war ihm im Fallen aus den Händen geglitten und lag nun für den Moment außer seiner Reichweite.

 

McGee hatte sich hinter eine vermeintlich stabile Holzwand geduckt, was sich jedoch gleich darauf als krasser Fehler erweisen sollte, denn die Wand bestand lediglich aus Sperrholz. So dauerte es nicht lange, bis eine Kugel splitternd die Platte durchschlug und ihn am Arm traf. Durch den heftigen Ruck und den Überraschungsmoment verlor er das Gleichgewicht und schlug mit einem unterdrückten Aufschrei längs nach hinten hin. Das rettete ihm vermutlich das Leben, denn im selben Moment pfiffen noch zwei Kugeln durch die Platte, und schlugen genau an der Stelle Löcher, an der noch vor Sekunden sein Kopf gewesen war. Verflucht, das war knapp gewesen. Mit großen Augen sah McGee auf die Löcher in der Holzplatte, bevor er sich mit zusammengebissenen Zähnen auf den Bauch rollte und neben der Sperrholztafel hervorlugte. Im selben Moment entdeckte ihn einer der Verdächtigen und legte auf ihn an. McGee zögerte keine Sekunde und  bevor der Mann nochmals auf ihn feuern konnte, jagte McGee ihm in schneller Folge drei Kugeln in den Körper. Der Marine wurde von den Füssen gerissen und war bereits tot, bevor er auf dem Boden aufschlug. Den dritten Gegner hatte offenbar Ziva außer Gefecht gesetzt. Er hatte seine Waffe verloren und lag stöhnend auf dem Boden, Blut lief ihm aus einer Wunde in der Schulter.

 

Vorsichtig erhob sich Jethro aus seiner Deckung und ging mit der Waffe im Anschlag auf die drei am Boden liegenden Männer zu. Zwei lebten noch, waren aber definitiv kampfunfähig, der dritte war tot. Trotzdem schob Gibbs die auf dem Boden herumliegenden Waffen sicherheitshalber so weit mit dem Fuß beiseite, bis er sicher sein konnte, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausging. Später würden sie die Waffen eintüten und zu Abby ins Labor schaffen, doch jetzt war ihm erst einmal etwas anderes wichtig.

 

„McGee, Ziva! Alles in Ordung?“ rief er fragend in den Raum.

 

„Alles okay“, kam es von der Dunkelhaarigen, die nun ihre Deckung verließ und zu ihren Kollegen hinüberging.

 

„Soweit okay“, antwortete Tim etwas gepresst und trat mit verkniffenem Gesicht hinter seiner mangelhaften Deckung hervor. Er hielt seine Hand auf den glatten Durchschuss am Arm gepresst und Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor.

 

„Verdammt, Tim! Schlimm?“ fragte ihn sein Boss sofort besorgt?

 

„Nein, es geht schon. Was ist mit dem Gefangenen?“, wollte der junge Agent stattdessen wissen.

 

„Er lebt noch“, antwortete Gibbs und beugte sich über den dunkelhäutigen Mann, der gefesselt auf einer Art Tisch lag. Ziva hatte sich inzwischen Handschuhe angezogen und die Waffen der Marines eingesammelt, um sie gleich mit zum Truck nehmen zu können. Dabei folgten ihr die hasserfüllten Blick der beiden überlebenden Täter, die von Gibbs bereits Handschellen verpasst bekommen hatten. „Aber er braucht dringend einen Arzt. Ziva…“

 

Die Israelin nickte und griff zu ihrem Handy, um einen Notarzt anzufordern. Danach ging sie rüber zu ihrem jungen Kollegen und half diesem, seinen Arm zumindest notdürftig zu verbinden, um die Blutung zu stillen. Sie nickten einander zu, in stillem Einverständnis darüber, dass Gibbs sich zunächst besser alleine um das Opfer kümmern sollte.

 

Der Mann blickte zitternd vor Schmerzen auf Gibbs, der sich gerade sicherheitshalber erkundigte: „Sie sind Harold Carmody, richtig?“

 

Das Opfer nickte zögernd; immer noch am ganzen Leibe zitternd und Gibbs nickte befriedigt. Er hatte sich schon gedacht, dass er hier den Geliebten des ermordeten Lt. North, vor sich hatte. Im Zuge der Ermittlungen hatte er zwar einige Fotografien von dem Lebensgefährten des getöteten Marines gesehen, doch diese hatten kaum mehr Ähnlichkeit mit dem blutigen Klumpen Fleisch, der hier vor ihm lag. Daher hatte er sichergehen wollen. Die Täter hatten den Mann entsetzlich zugerichtet. Offensichtlich hatten sie ihn mit einem Baseballschläger bearbeitet. Dieser lag neben dem Tisch auf dem Boden und die deutlichen Blutspuren daran zeugten von dem Martyrium, dass der arme Mann hatte durchmachen müssen. Auch ohne einen Arzt zu Rate zu ziehen, konnte Gibbs erkennen, dass man Harold Carmody mehrere Knochen gebrochen und ihm üble Brandwunden und Messerschnitte zugefügt hatte. Anscheinend waren sie gerade noch rechtzeitig gekommen, um zu verhindern, dass man den Mann zu allem Überfluss auch noch blendete. Ein noch rotglühendes Eisen lag neben dem Tisch in Griffweite. Der Chefermittler war sich absolut sicher, dass sie hier gerade einen weiteren Mord verhindert hatten.

 

Gibbs hatte gerade seine Fesseln gelöst, als der junge Mann seine Hand fest in Jethros Arm krallte. „Danke“, flüsterte er mit brüchiger Stimme. „Ich danke ihnen. Sie … sie haben gesagt, dass sie mir Schwefelsäure in den Hals schütten würden. Sie haben gesagt, ich verdiene es nicht, zu leben und…ich …“ Seine Stimme versagte und er wurde von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt.

 

Erschüttert hielt Jethro den Mann fest. Er war nun schon so viele Jahre im Dienst, aber ein solch niederes Mordmotiv war ihm selten untergekommen. „Beruhigen Sie sich. Sie können Ihnen nichts mehr tun. Ein Krankenwagen ist schon auf dem Weg. Bleiben Sie ruhig liegen – wir wissen nicht, was für Verletzungen Sie haben. Einfach nur ruhig liegen bleiben, hören Sie. Es kann Ihnen nichts mehr passieren.“

 

Doch noch einmal raffte sich der junge Marine auf und brachte unter Stöhnen hervor: „Sie…sie haben gesagt, solche widerlichen Subjekte wie Matthew und ich es wären, gehören vor der Erde getilgt. Nur darum haben sie ihn umgebracht. Nur darum. Weil wir sind, was wir sind.“ Er weinte wieder. „…waren, was wir waren, sollte ich wohl besser sagen. Ich habe Matthew geliebt, und er hat mich geliebt. Verstehen sie? Mich, der nichts ist und der nichts hat und trotzdem hat er mich geliebt. Und dafür musste er sterben! Das ist nicht fair!“ Harold Carmody drehte seinen Kopf in Jethros Armbeuge und weinte hemmungslos schluchzend um seinen toten Freund.

 

Gibbs war mehr als betroffen.Der Schmerz und die Trauer Harold Carmodys rührten ihn zutiefst an. Die beiden Männer hatten nichts und niemandem etwas getan – im Gegenteil, sie hatten ihr Bestes für ihr Land gegeben und alles daran gesetzt, in einer immer noch von Männern dominierten Welt, nicht aufzufallen. Der dunkelhäutige Offizier tat ihm maßlos leid, doch Gibbs wäre nicht Gibbs, wenn er das in diesem Moment zugegeben hätte. So schluckte er zweimal kräftig, bevor er sich zu seinen Agenten umwandte.

 

„Ziva…“ Er hatte einen Frosch im Hals und musste sich räuspern. „Verdammt noch mal, wo bleibt der Krankenwagen?“

 

„Ist unterwegs“, antwortete Ziva tonlos. Sie und Tim waren nicht minder betroffen, von dem, was diesem Mann und seinem Freund geschehen war. Unwillkürlich fragte sie sich, warum manche Menschen Andere einfach nicht in Frieden das Leben leben lassen konnten, das sie sich wünschten. Jetzt, wo sie hier stand und das Unglück dieses armen Teufels aus nächster Nähe mitbekam, wurde sie fast demütig, wenn sie an Tony und seine, bzw, ihre gemeinsamen Probleme dachte. Sicher, Harold Carmody würde mit der Zeit über seinen Verlust hinwegkommen – und er würde auch mit Sicherheit wieder gesund werden; genauso wie Tony. Der große Unterschied zwischen Tony und Harold Carmody aber war, dass sich für Carmody durch seine Genesung oder seine Trauerbewältigung nichts ändern würde. Sein Grundproblem blieb bestehen – egal, was er auch anstellte. Wenn sich in den Köpfen der Menschen nichts änderte, konnte dieser Mann auch in Zukunftnicht gewinnen. Tony hingegen hatte es selbst in der Hand, wie sein Leben weitergehen würde…

 

Kapitel 11

Nach der Schießerei

 

Es war bereits gegen 20.30 h am Abend, als Ziva endlich müde und erschöpft heimkehrte. Der kurze Schlaf in der vergangenen Nacht und der turbulente Tag forderten ihren Tribut und sie fühlte sich wie zerschlagen. Nachdem Gibbs und sie dafür gesorgt hatten, dass Carmody und McGee ins Bethesda transportiert wurden – letzterer allerdings nur unter Protest, denn Tim war der Meinung gewesen, dass er sich auch durchaus später noch hätte behandeln lassen können – war noch eine Menge zu tun gewesen. Sie hatten, nunmehr nur noch zu zweit, den Tatort sichern, die Beweismittel eintüten und zu Abby schaffen müssen, den Toten zu Ducky bringen lassen und letztlich die beiden überlebenden Täter ins Krankenhaus des Militärgefängnisses begleitet, wo sie nach erfolgter Erstbehandlung und zähen Diskussionen mit den behandelnden Ärzten immerhin erreicht hatten, dass sie noch vor Ort eine erste Vernehmung hatten durchführen können. Wenngleich diese auch wie erwartet sehr unbefriedigend verlaufen war, denn die beiden Mistkerle fühlten sich nach wie vor im Recht und verlangten nicht nur lauthals nach Anwälten, sondern verweigerten ansonsten wie erwartetjegliche Kooperation.

 

Ziva schüttelte sich bei der Erinnerung daran, welche Hasstiraden und Verhöhnungen sie sich hatten anhören müssen. Am liebsten hätte sie die beiden im Nachhinein noch abgeknallt, dann würden sie wenigstens kein Geld mehr kosten und ihnen – außer einem Abschlussbericht – keine Arbeit mehr machen. Aber so hatte sich alles endlos hingezogen und letztlich hatten sie auch noch – nach ihrer Rückkehr zum Yard – mit Ducky reden müssen. Oh, und Vance…der hatte bereits kurz nach ihrer Rückkehr zum ersten Mal nach dem ausführlichen Bericht verlangt. Nicht zu fassen! Gibbs hatte kurz vor dem Platzen gestanden. Sie waren nur noch zu zweit – als ob sie nichts Besseres zu tun hatten, als unsinnige Berichte zu schreiben.

 

„Hey, du siehst müde aus, Baby. War es ein harter Tag?“ Tony war ihr schon im Flur entgegengetreten und nahm ihr den Rucksack ab.

 

„Ja. Wir haben heute drei Marines gefasst, die einen Kameraden ermordet haben, weil er homosexuell war.“

 

„Was? Das war ihr Motiv? Das ist nicht dein Ernst!“

 

„Oh ja, und ob! Sie waren gerade dabei, auch den Freund des Getöteten zu foltern. Danach wollten sie ihn ebenfalls umzubringen. Wir konnten es gerade noch verhindern. Tim ist dabei angeschossen worden. Es ist aber nicht so schlimm. Ein glatter Durchschuss am Arm. Das wird bald wieder. Die Ärzte im Bethesda wollen ihn aber vorsichtshalber noch ein paar Tage zur Beobachtung dort behalten. Gibbs dreht fast durch, weil er danach bestimmt auch noch einige Tage ausfällt - zumindest für den Außendienst.“  Ziemlich groggy ließ sie sich im Wohnzimmer auf die Coach fallen, streifte sich die Schuhe von den Füßen und zog die Beine an. Dann rollte sie ihren Kopf hin und her, um so ihre Nackenversteifungen wenigstens ein bisschen zu lockern.

 

„Hast du was gegessen?“

 

„Keinen Hunger. Wenn du das gesehen hättest, wäre dir auch der Appetit vergangen.“

 

„Okay…dann hol´ ich dir wenigstens ein Glas Wasser“, sagte Tony und ging in die Küche.

 

„Oh ja, danke.“ Ziva lehnte sich entspannt zurück und schloss die Augen. Dass Tony kurz zusammengezuckt war und sich innerlich verkrampfte, als sie so gedankenlos im Erzählfluss die Folterung erwähnt hatte, war ihr entgangen. Als er kurz darauf mit einem Glas Wasser in der Hand zurückkehrte, war sie bereits eingeschlafen. Tony lächelte traurig bei ihrem Anblick und setzte das Glas selber an die Lippen. Wie gerne würde er Ziva wenigstens etwas Arbeit abnehmen, aber bevor ihn Dr. Randolph nicht als „psychologisch unbedenklich“ einstufte, würde das wohl nichts werden. Und seine innere Stimme sagte ihm, dass der Psychiater von dieser Beurteilung wohl noch meilenweit entfernt war, was, wenn er ehrlich war, nicht zuletzt an ihm selber lag.

 

***********

 

Später lagen sie eng aneinander gekuschelt im Bett. Tony hatte seine Verlobte geweckt und sie genötigt, ins Bett zu gehen. Ziva wiederum war seiner Bitte nur zu gerne nachgekommen. Sie war so erledigt, dass sie kaum noch mitbekam, dass Tony ihr nur noch einen sanften Kuss gab und sie mit den Worten: „Du bist müde, schlaf mein Schatz“ zudeckte. Innerhalb von Sekunden war sie schon wieder fest eingeschlafen.

 

Tony selbst jedoch hatte noch stundenlang wach gelegen. So sehr er es sich auch wünschte, er konnte einfach nicht einschlafen – zu groß war seine Angst vor einem neuerlichen Albtraum. Doch auch im wachen Zustand kreisten seine Gedanken, ob er wollte oder nicht, um Folter und Tod.

 

 

2 Wochen später - Eine folgenschwere Entscheidung

 

Obwohl sich alle die größte Mühe gaben, Tony´s Leben wieder in normale Bahnen zu lenken, entfernte er sich insgeheim immer mehr davon. Er selbst bemühte sich so gut es ging, Ziva tat, was sie konnte, Ducky bot sein ganzes psychologisches Wissen auf, Abby besuchte ihn zusammen mit Tim, der trotz seiner Armschlinge schon wieder im Innendienst arbeiten durfte, und versuchte ihn, mit ihrer unnachahmlichen Art und Weise aufzumuntern und sogar Gibbs versuchte immer wieder, Tony durch Gespräche zu unterstützen und zu motivieren, doch die Alpträume blieben und die Hoffnungslosigkeit nahm immer weiter Besitz von ihm. Er tat das, was man von ihm verlangte, doch er hatte schon vor einiger Zeit die Hoffnung aufgegeben, dass sich sein Zustand in absehbarer Zeit bessern würde. Er ging zu den Reha-Maßnahmen, wobei er sich auch alle Mühe gab, doch die von ihm so dringend ersehnten Erfolge blieben zunächst noch aus. Er ging zu den Sitzungen mit Dr. Randolph, was er jedoch nach wie vor für sinnlos verplemperte Zeit hielt. Und ansonsten…tat er nichts. Er setzte auch nicht mehr all seine Energie daran, dass die anderen nichts von seinen Problemen mitbekamen; es war ihm schlichtweg egal. Er hatte sehr schmerzhaft lernen müssen, dass sich die Welt auch weiterdrehte, wenn Anthony DiNozzo nicht zur Stelle war, sie zu retten und diese Erkenntnis setzte ihm mehr zu, als er es jemals für möglich gehalten hätte.

 

Niedergeschlagen schlenderte Tony ohne besonderes Ziel eine Straße entlang. Er hätte nicht einmal genau sagen können, wo genau er sich befand und auf welchem Weg er dorthin gelangt war, aber es fiel ihm auf, dass sich hier eine Bar an die andere reihte. Trotzdem es erst Mittag war, strebten schon einige Menschen zielgerichtet die Eingänge der Lokale an. Vor einer Stunde hatte er das Krankenhaus verlassen, nachdem er wieder einige schmerzhafte Therapien im Rahmen der Reha hinter sich gebracht hatte. Im Anschluss daran hatte er noch eine kurze Besprechung mit Prof. Stern gehabt, der ihm mitgeteilt hatte, dass die bisherigen Maßnahmen leider gezeigt hatten, dass zwei seiner Finger nun tatsächlichnochmals operiert werden mussten. Er hatte ihm klipp und klar zu verstehen gegeben, dass ohne diese erneute OP die Finger steif bleiben würden. Der Termin war bereits in zwei Tagen angesetzt und obwohl Tony die Notwendigkeit einer weiteren OP durchaus einsah, hatte ihn dieser neuerliche Rückschlag doch bis ins Mark erschüttert.

 

**********

 

Vorgestern hatte er den ganzen Vormittag mit Ducky gesprochen und die ruhige, gütige Art des kleinen Pathologen hatte ihm wirklich gut getan. Mit ihm zu reden, fiel ihm relativ leicht, ihm konnte er seine Ängste offenbaren, von seinen Albträumen sprechen und bei ihm hatte er das Gefühl, als würde dieser ihm ein wenig der Last, die ihm mittlerweile wie ein Mühlstein auf den Schultern lag, abnehmen. Ganz anders als bei Dr. Randolph, zu dem er einfach kein Vertrauen fassen konnte, konnte er sich Ducky ganz öffnen. Als Tony Ducky allerdings eröffnet hatte, dass er plante, die Therapie bei Dr. Randolph abzubrechen, riet dieser ihm jedoch dringend davon ab , weil er genau wusste, dass Direktor Vance sehr viel von Dr. Randolph hielt und er befürchtete, dass dadurch womöglich weitere Nachteile für Tony entstehen könnten. „Tony, mach dir keine Gedanken. Wir können uns trotzdem regelmäßig treffen. Und solange du es nicht willst, werden die anderen nichts davon erfahren“, hatte er ihm versprochen und für die nächsten Wochen hatten sie schon Termine dafür festgelegt.

 

In der darauffolgenden Nacht hatte Tony versucht, ohne die Tabletten aus der Apotheke Schlaf zu finden. Es war ihm klar, dass er hier ein gefährliches Spiel spielte, denn mittlerweile benötigte er schon mindestens 4 bis 5 Stück, um überhaupt noch die gewünschte Wirkung zu erzielen. Doch nach dem langen Gespräch mit seinem Freund und Kollegen hatte er sich beinahe euphorisch gefühlt, besser als seit Wochen. Aber als er gegen 3.oo Uhr morgens schweißgebadet und mit rasendem Herzen panisch hoch schreckte, weil in seinem Traum Rebekka eine riesige Ratte an seine Kehle hielt, die sich sofort gierig in seinen Hals verbiss, während er gefesselt und ohne jede Chance auf Gegenwehr auf dem nassen Boden lag, war seine Verzweiflung stärker als je zuvor gewesen.

 

Ziva war ebenfalls aufgewacht und hatte ihn entsetzt angestarrt. Er musste wohl zum Fürchten ausgesehen haben.

 

„Was ist los?“, hatte sie schwer atmend gefragt. „Hattest du wieder einen Albtraum?“

 

Seine rechte Hand war zur Faust geballt und er hatte ein paar Mal tief durchgeatmet; er brauchte erst einen Moment, um sich zu sammeln, bevor er sich dann schließlich schwer wieder zurück in sein Kissen sinken ließ. Ziva hatte er mit zu sich herunter gezogen. Er vergrub sein schweißnasses Gesicht in ihren wunderschönen Haaren damit sie seine stumme Verzweiflung nicht sehen konnte. Was sollte er ihr sagen? Dass ihn Rebekka auch noch in seinen Träumen quälte? Er wollte sie einfach nicht auch noch mit seinen Problemen belasten, sie machte sich so schon Sorgen genug, das merkte er genau. Und im Job hatte sie es auch nicht leicht, denn schließlich hatten sich alle ihm zuliebe darauf geeinigt, auf eine Vertretung zu verzichten. Dieses Fehlen einer vollen Arbeitskraft machte sich natürlich allmählich mehr als bemerkbar, aber sie beschwerte sich mit keinem einzigen Wort. Deshalb sagte er nur leise, während er sein Gesicht kurz an ihre Wange schmiegte, um ihre beruhigende Wärme zu spüren: „Ist schon wieder vorbei, schlaf` weiter, du musst morgen früh raus.“

 

Ziva hatte geahnt, dass sie in diesem Moment mit Worten nicht zu ihrem Verlobten durchdringen würde, deshalb legte sie nur ihre Arme um ihn, so gut es ging, um ihm zu zeigen, dass er nicht allein war. Eine halbe Stunde später war sie wieder eingeschlafen. Tony hingegen hatte mit tränenfeuchten Augen bis zum Morgen in die Dunkelheit gestarrt. Er befand sich in einem Teufelskreis und er hatte keine Ahnung, wie er da wieder rauskommen sollte. Eine Patentlösung wäre nicht schlecht, doch wer konnte ihm die nennen? Niemand, denn es gab keine!

 

********** 

 

Und jetzt stand er hier, vor dieser Bar mit dem Namen „Bailey`s“. Er lachte kurz und bitter auf. Wie bezeichnend – ein guter Name für eine Bar. Er war, nachdem er die Klinik verlassen hatte, nicht nach Hause gefahren, sondern – wie so oft in der letzten Zeit – ziellos umhergewandert und schließlich hier gelandet. In dieser Straße – der Straße mit den Bars! Beruflich hatte er schon öfters hier zu tun gehabt – privat eher nicht. Da bevorzugten die Agents eine Bar in der Nähe des Navy-Yards. Einige Momente starrte er unschlüssig auf die Tür des Bailey´s - dann traf er seine Entscheidung und trat entschlossen ein.

 

Das Innere der Bar bestand aus einer Theke aus dunklem Holz und einigen Tischen mit abgewetzten Resopaloberflächen in diskreten Nischen, die jedoch nicht wirklich diskret waren. Es hielten sich nur wenige Menschen in dem überschaubaren Raum auf. Tony trat an den Tresen und bestellte bei dem mürrisch drein blickenden, glatzköpfigen Kellner einen doppelten Whisky. Wortlos knallte der Mann das Glas auf die fleckige Oberfläche des Tresens. Tony grinste kurz. Das Misstrauen des Mannes ihm gegenüber war verständlich, denn schon allein äußerlich hob er sich von dem restlichen Publikum ab.

 

Nachdem er das halbe Glas getrunken hatte, wandte er sich wieder dem Mann hinter der Theke zu. „Ist Walter da?“, erkundigte er sich wie beiläufig.

 

Der Kellner betrachtete Tony skeptisch. Er hatte den braunhaarigen Mann mit den außergewöhnlichen grünen Augen, die selbst in dem schummrigen Licht noch auffielen, hier noch nie gesehen. „Ich kenne keinen Walter“, antwortete er deshalb brummig und wollte sich schon abwenden, als Tony ihn mit seiner gesunden Hand an der Schulter zurückhielt.

 

„Ich weiß, dass Sie ihn kennen und dass er von hier aus seine Geschäfte betreibt! Ich bin ein Kunde. Ich will nur was kaufen. Sagen Sie mir, wo er ist und wir haben keine Probleme miteinander! – Sagen Sie´s mir nicht, nun…“ Tony ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen.

 

„Was dann?“

 

„Hmm, dann kann ich NICHT dafür garantieren, dass nicht so einige Probleme hier in diesem Etablissement auftreten.“ Tony grinste freundlich, doch seine Augen blickten gefährlich kalt und er ließ keinen Zweifel daran, dass er seine Worte ernst meinte. „Also?“

 

Der schmierige Mann blickte von der Hand auf seiner Schulter in Tony´s Gesicht und erkannte die Entschlossenheit und auch die Gefahr, die von diesem ausging und flüsterte nach einigen Sekunden: „Okay, er ist dort hinten.“ Dabei deutete über seine Schulter zu einer Tür neben der Theke. „Hören Sie, ich will keinen Ärger, klar?“

 

Bedächtig nickte Tony, ließ den Mann los und rutschte von dem Barhocker, auf dem er gesessen hatte. „An mir soll´s nicht liegen.“ Er sah sich nochmals kurz um und ging dann auf die Tür zu. Zögernd legte er seine Hand auf die Klinke, dann drückte er sie mit einem Ruck nach unten und trat ein.

 

**********

 

Der blonde Kerl, der an einem schäbigen Tisch saß und irgendetwas in ein kleines Büchlein eintrug, sah ruckartig nach oben und klappte hastig das Buch zu. „Was wollen Sie hier? Das hier ist privat! Verschwinden Sie hier!“

 

Tony erkannt den Typ sofort wieder. Er hatte sich kaum verändert. Trotz der teuren Kleidung und der protzigen Uhr an seinem Handgelenk hatte er etwas unübersehbar Halbseidenes an sich. Kleine Schweinsäugelchen lagen lauernd in einem feisten Gesicht, das mit der Beschreibung „sehr gewöhnliche Züge“ noch sehr gut wegkam. Ein paar kleinere Narben zierten seine Stirn und Wange und die dicke Knubbelnase hatte offenbar schon ein paar Brüche hinter sich. Walters Schädel schien direkt auf seinen breiten Schultern zu sitzen und alles in allem machte der Mann den Eindruck, dass er keiner Schlägerei aus dem Weg ging. Vor fast einem Jahr waren sie während der Ermittlungen im Falle eines an Drogen gestorbenen Marines mit ihm in Berührung gekommen. Drei Kerle, die den Toten mit allen möglichen Drogen und Tabletten versorgt hatten, konnten sie dingfest machen. Nur er – Walter – war ungeschoren davongekommen, weil er just zu dem Zeitpunkt, als sie die Dealer festgenommen hatten, krank im Bett gelegen hatte. Eine simple Grippe hatte ihn sozusagen vor dem Knast gerettet. Es gab zwar Indizien, aber ohne ihn auf frischer Tat ertappt zu haben, konnten sie ihm nicht genug nachweisen und mussten ihn am Ende laufen lassen. Gibbs Laune war damals tagelang kaum zu ertragen gewesen.

 

Tony riss sich von seinen Gedanken los und trat weiter in den Raum. „Privat ist mir sehr recht. Ich brauch´ was zum munter werden.“ Er war beinahe selbst überrascht, wie selbstverständlich ihm diese Worte über die Lippen kamen.

 

„Kennen wir uns?“, fragte Walter und kniff seine kleinen Äugelchen noch mehr zusammen, als er sein Gegenüber angestrengt musterte und nachdachte.

 

„Nein, ich komme auf Empfehlung“, log Tony dreist. Es konnte für ihn nur von Vorteil sein, wenn Walter sich nicht an ihn erinnerte, denn so wie er den Mann einschätzte schreckte er auch vor Erpressung nicht zurück. Und noch hatte er eine Menge zu verlieren.

 

„Wessen Empfehlung“, kam prompt die Frage.

 

„Unwichtig“, antwortete Tony bestimmt. Das war sicherer, als einfach irgendeinen häufig vorkommenden Namen zu nennen und damit womöglich doch aufzufliegen. „Haben Sie nun was für mich, oder nicht?“

 

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Wenn Sie was zum wach werden brauchen, schlage ich vor, Sie gehen zu Starbucks und kaufen sich einen starken Kaffee..“ Nervös drehte Walter seinen Stift in den Fingern herum. Leute, die er nicht kannte, waren ihm nicht geheuer und sein angeborenesMisstrauen hatte ihm schon häufiger den Hals gerettet.

 

„Hören Sie, ich habe weder Zeit noch Lust, hier mit Ihnen herum zu diskutieren“, sagte Tony fast flüsternd, während er sich in dem tristen Raum umblickte. „Sie sagen mir, was Sie haben, was es kostet und wenn wir uns einig werden, bin ich gleich wieder weg.“ Er stützte sich auf dem alten Tisch ab und sah seinem Gegenüber eiskalt in die Augen. „Drohungen liegen mir nicht…“, setzte er ruhig hinzu und seine bestimmte Art verfehlte ihre Wirkung nicht.

 

Der Blonde lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um etwas Abstand zwischen sich und seinen neuen „Kunden“ zu bringen. Er fühlte sich äußerst unwohl hier mit Tony in einem Raum, er dealte zwar mit Drogen, Tabletten, einfach mit allem, was sich zu Geld machen ließ, aber mit Waffen hatte er nur wenig am Hut und er hatte einen Heidenrespekt vor Kerlen, die eine trugen und damit auch umzugehen wussten. So wie der Mann hier auftrat, vermutete er, dass dieser Typ eine Waffe bei sich hatte und nicht zögern wurde, diese auch zu benutzen. Und sollte er jetzt keine bei sich tragen, so war er sich trotzdem sicher, dass der Mann den Umgang mit Waffen gewöhnt war.Wenn das hier vorbei war, würde er Rodney, dem Kellner, gehörig den Kopf waschen. Der hatte vielleicht Nerven, diesen Kerl hier herein zu schicken. Wofür bezahlte er diesen Looser eigentlich?

 

„Was … was wollen sie denn?“, fragte er schließlich heiser, nachdem er sich mehrfach über die spröden Lippen geleckt hatte.

 

„Betäubungsmittel, starke Schlafmittel, Amphetamine“, zählte Tony emotionslos auf. „Ich nehme, was sofort geliefert werden kann.“

 

Walter schien zu überlegen, dann stand er auf, ging zu einem relativ großen Schrank hinter sich an der Wand und öffnete die Türen. Nachdem er sich mit einem Blick über die Schulter versichert hatte, dass Tony die Kombination, die er eingab, nicht sehen konnte, drückte er mehrere Tasten und öffnete den Tresor, der sich in dem Schrank befand. Er nahm einige Packungen mit Tabletten heraus und legte sie vor Tony hin. Dann deutete er auf die einzelnen Schachteln: „Starke Schlafmittel, Antidepressiva und hier...“ er schob drei relativ große Verpackungen ein wenig nach vorn „... Amphetamine. Erstklassige Qualität. Wenn Sie davon zwei oder drei Pillen einwerfen, dann gehen Sie quasi durch die Decke. Also seien Sie vorsichtig damit. Für das ganze Zeug 300 Dollar.“ Er sah Tony fragend an. Er hatte den Preis ziemlich niedrig angesetzt, er wollte diesen Kerl möglichst schnell loswerden - er war ihm einfach nicht geheuer.

 

Einen kurzen Moment zögerte Tony. Er war sich bewusst, was er hier tat. Er kaufte verbotene Drogen bei einem Dealer. Damit setzte er alles aufs Spiel, was er sich in den letzten Jahren so hart erarbeitet hatte. Und wenn Ziva davon erfuhr – daran wollte er lieber gar nicht erst denken. Mit fest zusammengepressten Lippen starrte er auf die Tablettenschachteln. Noch konnte er zurückrudern – noch schon…

 

„Was ist nun, Mann? Ich will das Zeug nicht ewig hier rum liegen haben.“

 

Tony griff in seine Gesäßtasche und fischte seinen Geldbeutel heraus. Schnell kontrollierte er den Inhalt, bevor er die geforderten 300 Dollar abzählte. Achtlos warf er das Geld auf den Tisch und griff nach den Schachteln mit dem verführerischen Inhalt. Ohne ein weiteres Wort verließ er dann das Zimmer und gleich darauf auch die Bar.

Kapitel 12

Zeitgleich - Irgendwo in Baltimore

 

Es war schon dunkel auf den Straßen der Großstadt. Die heruntergekommene Wohnanlage in einem ziemlich verrufenen Viertel beherbergte in der Regel mehr oder weniger zwielichtige Gestalten, illegale Einwanderer ohne Papiere, Ausgestoßene der Gesellschaft oderauch Paare, die schnell für ein oder zwei Stunden ein Dach über dem Kopf haben wollten. Hier war alles möglich – hier fragte keiner nach dem Woher oder Wohin. Manche Bewohner lebten schon monatelang, einer sogar schon zwei Jahre lang in einem der abgewohnten Apartments, manche kamen lediglich für ein paar Tage oder Wochen und waren dann wieder verschwunden. Die Miete kassierte der Betreiber im Voraus, alles andere interessierte ihn nicht. Der schwergewichtige, glatzköpfige Schwarze mit dem Stiernacken, den man, egal ob zu Tag- oder Nachtzeit, nur im schmutzigen Unterhemd kannte, saß wie üblich schwitzend hinter dem Empfangstresen, wie er die alte Holzkonstruktion großspurig nannte.

 

Die blonde Frau, die eben in den Raum gekommen war, legte ihm 40 Dollar auf den Tisch, blickte ihn mit undurchdringlicher Miene an und sagte: „Die Miete für nächste Woche. Und schick´ endlich mal wieder die Putzfrau vorbei!“ 

 

„Die kostet extra, das weißt du“, brummte Samuel mürrisch. Es gab nicht viel, worauf er Wert legte, aber zwei Dinge waren ihm wichtig. Das eine war, dass jeder seiner „Gäste“ pünktlich seine Miete bei ihm ablieferte, denn wenn´s um sein Geld ging, verstand er keinen Spaß, und das andere war, dass sein Name Samuel lautete, nicht Sam, Sammy oder sonst irgendwie verunstaltet - darauf reagierte er allergisch. Samuel war ein biblischer Name und seine Mutter hatte stets besonderen Wert darauf gelegt, dass dieser vollständig ausgesprochen wurde, deshalb bestand auch er darauf! Es war ihm egal, was seine Mieter ausgefressen hatten oder welche dubiosen Geschäfte manchmal in seinen Apartments getätigt wurden – nur seinen Namen mussten sie korrekt aussprechen, sonst gab es Ärger. Mit der Religion spaßte man nicht!

 

Man sah der jungen Frau nicht an, dass sie innerlich brodelte, denn äußerlich wirkte sie vollkommen ruhig und anscheinend gelassen erwiderte sie: „Ja ich weiß, dass in deinen Luxussuiten dieser Service nicht inbegriffen ist! Aber wenn sie diesmal putzt, dann soll sie es anständig machen, weil ich sie nämlich sonst in ihrem Putzeimer ersäufen werde. Sag´ ihr das!“ Mit einem eisigen Lächeln auf dem Gesicht wandte sie sich um und verließ Samuel´s Empfangshalle in Richtung ihres Appartements.

 

Sprachlos sah ihr der schwitzende Mann nach und ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. In seinen Zimmern wohnte allerhand Gesindel, auch einige wirklich gefährliche Burschen. Aber diese kleine zierliche Weiße mit dem leichten Akzent, den er nicht zuordnen konnte, die vor knapp einem Monat hier, in dieser in erster Linie von Schwarzen und Latinos bevölkerten Gegend, aufgetaucht war, jagte ihm tatsächlich Angst ein – vor allem auch deshalb, weil er ihr absolut zutraute, dass sie ihr Versprechen ohne zu zögern wahr machen würde.

 

**********

 

Rebekka lag auf dem Bett auf einer verschlissenen Decke und verfolgte unkonzentriert einen Action-Thriller im Fernsehen. Terminator sowieso... Das war wieder mal typisch für Amerika, dass sie einen ausländischen Filmschauspieler zum Gouverneur gewählt hatten. Dekadenz und Hirnlosigkeit! Nichts anderes gestand sie ihnen zu!

 

Unwillkürlich massierte sie sich ihre rechte Schulter und das Schlüsselbein. Nach wie vor hatte sie Schmerzen, obwohl die Verletzungen jetzt schon mehrere Wochen zurücklagen. Aber vermutlich war der Bruch schief zusammengewachsen, denn sie hatte ja keinen Arzt aufgesucht. Tja, wenn es nach Ken gegangen wäre…der wollte sie sogar in ein Krankenhaus bringen, doch das hatte sie ihm Gott sei Dank ausreden können. Vorsichtig tastete sie ihre Rippenbögen ab und zuckte gleich darauf zusammen. Verdammt! Die große Schnittwunde, die sie sich bei dem Aufprall im Wasser unterhalb ihrer Rippen zugezogen hatte, bereitete ihr nach wie vor die meisten Probleme. Auch nach Wochen eiterte die Wunde stark und alle bisherigen Versuche, die Entzündung endlich in Griff zu kriegen, waren mit wenig Erfolg gesegnet. Jedes Mal, wenn sie dachte, dass es endlich aufwärts ginge, bildete sich ein neuer Abszess in der Wunde und bereitete ihr bei jeder Bewegung, jeder unbedachten Drehung Höllenqualen und so gab es immer noch kaum eine Nacht, in der sie ruhig durchschlafen konnte. Sie konnte eine Menge aushalten, doch diese permanent in ihrem Körper wütende Entzündung, setzte ihr schon heftig zu. Dreimal schon war sie hingegangen und hatte sich den Abszess mit einer dicken Nadel, die sie zuvor einfach in Alkohol getaucht und anschließend über einem Feuerzeug heiß gemacht hatte, geöffnet, damit der Eiter abfließen konnte – immer in der Hoffnung, dabei auch endlich den Entzündungsherd zu erwischen – doch bislang hatte sie diesbezüglich einfach kein Glück gehabt. Bislang war sie noch davor zurückgescheut, das Messer zur Hilfe zu nehmen, doch wenn es nicht bald besser wurde, musste sie wohl oder übel diesen Weg gehen. Was blieb ihr anderes übrig? Ein größerer Schnitt bedeutete in ihren Augen auch eine größere Aussicht auf Erfolg. Und sie war diese verdammten Schmerzen endgültig leid! Allerdings erinnerten sie diese Schmerzen auch jeden Tag daran, dass sie noch eine Aufgabe zu erledigen – ein Versprechen zu erfüllen hatte! Ein Versprechen, das sie ihrem toten Bruder Michael gegeben hatte und dem sie sich verpflichtet fühlte. Anthony DiNozzo musste sterben – im Grunde war er schon so gut wie tot – er wusste es nur noch nicht!

 

Bedauerlicherweise hatte sie ihr komfortables Versteck bei dem leichtgläubigen Ken Whiteshaw, der ihr ihre Geschichte von der Amnesie zunächst so absolut bereitwillig abgekauft hatte, schon nach wenigen Wochen wieder verlassen müssen. Wieso hatte er auch in ihren Sachen herum wühlen und dabei Ihren Ausweisund das Messer finden müssen. Der ungläubige Blick, mit dem er sie angesehen hatte, alssie ihm mitihrem scharfen Jagdmesser die Kehle aufschlitzte, war so naiv gewesen, dass es ihr seltsamerweise beinahe ein wenig leidgetan hatte, ihn töten zu müssen. Aber die 2.500,-- Dollar, die sie in dem Safe im Schlafzimmer gefunden hatte, trösteten sie über diese kleine Sentimentalität schnell hinweg. Und letztlich hatte dieser neugierige kleine Spanner in ihren Sachen herumgewühlt – das hatte sich noch niemand ungestraft getraut. Jetzt schlummerte der gute Ken friedlich in seiner Gefriertruhe und sie vertraute darauf, dass sie hoffentlich sämtliche Spuren und Fingerabdrücke, die auf sie hinweisen könnten, verwischt hatte. Sie galt als tot – und das wollte sie bis auf weiteres auch bleiben. - Zuerst musste sie wieder völlig gesund werden und zu Kräften kommen…und dann...dann würde sie wieder auf die Jagd gehen. Sie würde Witterung aufnehmen und letzten Endes diesen arroganten Schnösel von DiNozzo zu Fall bringen. Sie würde ihn um Gnade winseln lassen und der bloße Gedanke daran erregte sie bis ins Mark. Nur weil er eine verdammte Schlacht gewonnen hatte, bedeutete das noch lange nicht, dass er auch den Krieg gewinnen würde…Der Mistkerl hatte einfach nur Glück gehabt, das war alles!

 

**********

 

Wie so oft in den letzten Wochen kreisten Rebekkas Gedanken um das Ende der Verfolgungsjagd, als sie auf der Flucht und in auswegloser Situation ihren Wagen bewusst in den Potomac gelenkt hatte. Kurz bevor der Wagen hart auf dem Wasser aufgeschlagen war, hatte sie noch geistesgegenwärtig die Tür aufgestoßen und sich so in letzter Sekunde aus dem schnell untergehenden Fahrzeug retten können. Ihren Sicherheitsgurt hatte sie mit einem Klick bereits just in dem Moment gelöst, als sie das waghalsige Manöver beschlossen hatte.

 

Immer wieder liefern die Ereignisse wie in einem Film vor ihr ab. Der Aufprall, der Airbag, der ausgelöst worden war, ihr frontal ins Gesicht geklatscht war und ihr nicht nur die Sicht, sondern auch die Luft zum Atmen genommen hatte. Dazu das eiskalte Wasser, das sich wie eine eisige Klammer um ihren Körper gelegt und im ersten Moment jeden Bewegungsdrang im Keim erstickt hatte. Kurzzeitig hatte sie tatsächlich Panik ergriffen und sie hatte verzweifelt gekämpft und versucht, aus dem Auto heraus zu kommen. Dabei hatte sie sich schwer an der Schulter verletzt und das Schlüsselbein gebrochen. Außerdem hatte sie sich an einer Glasscherbe des zerbrochenen Türfensters diese tiefe Schnittwunde zugezogen, aber sie hatte es allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft. Nach Luft schnappend war sie wieder an die Oberfläche gelangt und hatte gespürt, wie sie sofort von der starken Strömung mitgerissen wurde. Panisch hatte sie versucht, dagegen anzukämpfen, doch gerade die starke Strömung an dieser Stelle des Flusses hatte sich letztendlich als ihre Rettung erwiesen.

 

Mit dem Mut der Verzweiflung war es ihr gelungen, sich bis in Ufernähe vorzukämpfen, wo sie durch die dichten Büsche und Sträucher, die teilweise wie ein Fächer über das Flussufer hinaus hingen, vor den Blicken ihrer Verfolger geschützt war. Als diese verfluchte Ziva und ihr grauhaariger Begleiter an der Unfallstelle angekommen waren, trieb sie schon über 100 Meter weiter flussabwärts. Das Adrenalin und die eisige Kälte sorgten dafür, dass sie in diesen Augenblicken ihre Schmerzen kaum wahrnahm. Sie musste viel eher aufpassen, dass durch die Kälte ihre Vitalfunktionen nicht noch weiter heruntergefahren wurden. Wieder einmal hatte sich die beinharte Ausbildung, die der Mossad seinen zukünftigen Agenten zu Teil werden ließ, bezahlt gemacht. Es hatte sie zwar eine schier unmenschliche Willenskraft gekostet, noch länger in dem eiskalten Wasser auszuhalten, aber sie musste zumindest noch an der Straßensperre vorbei, sonst wäre sie beim Verlassen des Flussbettes den Beamten direkt in die Arme gelaufen. Also hatte sie sich weiter treiben lassen und nur durch ein paar Handgriffe über sich dafür gesorgt, dass sie nach wie vor unter den Büschen verborgen blieb. Unerbittlich hatte die Strömung an ihrem geschundenen Körper gezerrt und es hatte ihr alles abverlangt, weiterzukämpfen und nicht aufzugeben. Als sie schließlich gespürt hatte, dass sie mit ihren Kräften am Ende war, war sie mit letzter Kraft ans Ufer gepaddelt und mit blauen Lippen und wild klappernden Zähnen an Land unter die Büsche gekrochen. Doch noch hatte sie es nicht geschafft. Trotzdem sie ihre Arme und Beine vor Kälte kaum noch bewegen konnte, hatte sie sich mit eisernem Willen dazu gezwungen, aufzustehen. Sie hielt ihre Hand fest auf die Schnittwunde gepresst, um zu vermeiden, ihren Häschern eine Blutspur zu hinterlassen, doch zu ihrer großen Erleichterung hatte sie festgestellt, dass in diesem Fall die eisige Kälte ihr Freund war, denn die Wunde blutete kaum noch. Wow, hatte sie grimmig, aber erleichtert bei sich gedacht. Sieh an, das mit dem Vereisen funktioniert ja tatsächlich. Doch natürlich war ihr klar gewesen, dass sie hier so schnell wie möglich verschwinden musste. Sobald sich ihre Körpertemperatur wieder etwas normalisierte, würde die Wunde auch sicher wieder anfangen zu bluten. Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, wie ihre Körpertemperatur unter diesen Umständen ansteigen sollte, aber sie wollte das Risiko lieber nicht eingehen. 

 

Langsam hatte sie sich durch das Gebüsch bis zur Straße vorgekämpft und dann etwa 150 Meter von ihrem Standort aus entfernt die Straßensperre gesehen. Allerdings hatten die wenigen Polizisten, die dort noch Wache hielten, alle ihr Augenmerk in die andere Richtung gelenkt, dorthin, wo ihr Wagen versunken war. Die Tatsache, dass sich auch keine anderen Fahrzeuge auf der Straße befanden, kam ihrem Fluchtplan nur zu Gute. Anscheinend hatten die Beamten alle Fahrzeuge schon an der Abzweigung zum Potomac Parkway abgefangen -  umso besser für sie. Als sich dann plötzlich zu guter Letzt auch noch die wenigen restlichen Beamten in Richtung der Unfallstelle in Bewegung gesetzt hatten, hatte sie ihre Chance erkannt und eiskalt genutzt. So schnell sie ihre immer noch leicht lahmen Beine tragen konnten, war sie über die Straße gerannt und auf der anderen Seite in Richtung einiger Häuser verschwunden.

 

Im Keller eines älteren Wohnhauses hatte sie sich drei scheinbar endlose Tage zwischen den Heizungskesseln versteckt. Sie hatte ihre nassen Sachen getrocknet, ihre Wunden geleckt und sich wie ein waidwundes Tier auf ein paar alten Pappdeckeln zusammengerollt, während sie darauf gewartet hatte, dass sie wenigstens so viel Kräfte mobilisieren konnte, um auf ihren eigenen Beinen den muffigen Keller verlassen zu können. Aber am zweiten Tag hatte sie zu fiebern begonnen und sie war zu schwach gewesen, um aufzustehen. So hatte sie vor sich hingedämmert, als ihr das Glück wieder einmal hold gewesen war, denn plötzlich war wie aus heiterem Himmel Ken Whiteshaw in diesem Keller erschienen und hatte sich ihrer angenommen. Wie er ihr später erzählt hatte, arbeitete er für eine Heizungsbau-Firma und war geschickt worden, um die Heißwasser-Kessel zu überprüfen, die nicht ordnungsgemäß arbeiteten.

 

Gott hab´ ihn selig, dachte Rebekka bei sich und kicherte leise vor sich hin, während auf dem Bildschirm vor ihr Arnold Schwarzenegger sein fürchterliches Englisch zum Besten gab. Ob man den armen Tropf wohl inzwischen schon gefunden hatte?

Kapitel 13

Erneute Operation

 

Tony wachte langsam aus der Narkose auf und blickte sich noch ziemlich orientierungslos in dem schmucklosen Aufwachraum um. Nach und nach kam die Erinnerung zurück und sein Kopf wurde wieder klarer. Prof. Stern und die zweite Operation an seinen Fingern… Ob sie wohl erfolgreich gewesen war? Was, wenn nicht? Konnte er dann seine Arbeit überhaupt noch ausüben? Außendienstwohlauf keinen Fall. Einen Schreibtisch-Job? Oder was sollte er sonstkünftig mit seinem Leben anfangen? Die Vorstellung irgendwo als Nachtwächter oder Security-Mitarbeiter in einem Einkaufszentrum zu enden, brachte ihn fast um. Er war Agent mit Leib und Seele, mit jeder Faser seines Herzens! Nichts anderes kam für ihn in Frage! Schon früh – als er noch Polizist in Baltimore gewesen war – hatte er bemerkt, dass genau diese Art Arbeit sein Lebensinhalt war. Der Wechsel zum NCIS hatte dieses Gefühl noch verstärkt und er wusste damals schon nach relativ kurzer Zeit, dass er endlich angekommen war. Dies war sein Job – sein Leben und er hatte diesem Job viel geopfert und viel untergeordnet. Er hatte auf ein geregeltes Privatleben und konventionelle Arbeitszeiten verzichtet, doch er hatte dies stets gern getan. Sein Freundeskreis war überschaubar, denn aufgrund seiner Arbeitszeiten konnte er nie lange im Voraus planen, was das Pflegen und Aufrechterhalten von Freundschaften außerhalb der NCIS-Familie sehr schwierig gestaltete. Auch einige Beziehungen waren nur aufgrund seines Berufes zerbrochen, so dass er sich irgendwann darauf verlegt hatte, nur noch lockere, leichte Bandezu knüpfen, die ihm nicht wirklich etwas abverlangten – schon gar keine emotionalen Verpflichtungen.

 

Die Beziehung mit Jeanne, aus der damals wirklich etwas hätte werden können, hatte auch aufgrund seines Berufes schon von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden. Jenny hatte ihn seinerzeit auf Jeanne angesetzt und so war es einVerhältnis, das mit einer Lüge begann, die sich dann wie ein roter Faden durch ihr Zusammenseingezogen hatte und die somit die ganze Zeit über auf tönernen Füßen gestanden hatte, bis sie ihm letztendlich um die Ohren geflogen war. Danach war er wochenlang am Boden zerstört gewesen und hatte sich eigentlich geschworen, sich nie wieder so tief in eine Beziehung einzubringen. Dass hatte er auch eingehalten – bis ihm irgendwann klargeworden war, dass Ziva ihm längst viel mehr bedeutete, als es unter Freunden und Kollegen üblich war. Er war der glücklichste Mann auf Erden gewesen, als sich herausgestellt hatte, dass ausgerechnet Ziva David, diese selbstbewusste, unabhängige Frau, sich auch bis über beide Ohren in ihn verliebt hatte. Nie, niemals hätte er das für möglich gehalten und er wusste sehr gut, dass es ein Riesenglück für ihn war, dass er mit Ziva jemanden gefunden hatte, dernicht nur das nötige Verständnis für seinen Job aufbrachte, sondern rückhaltlos hinter ihm stand – was immer er auch tat. Sie allein war die Richtige. Sie war für ihn, was Shannon für Gibbs gewesen war und wenn er etwas in seinem Leben richtig gemacht hatte,dann war es, sie zu bitten,seine Frau zu werden. Er, der früher immer, sobald es ernster wurde, das Weite gesucht hatte, wollte plötzlich etwas Festes. Er wollte der Welt zeigen, dass sie zusammengehörten, dass nichts und niemand sie auseinanderbringen könnte. Niemand! -  Doch die Zweifel, die durch sein Bewusstsein krochen, ob ihre Beziehung die Prüfung aushalten würde, wenn er nicht mehr als Field-Agent würde arbeiten können, konnte er nicht abschütteln. Wie ein Geschwür hatte sich die Angst in seine Gedanken geschlichen und sich dort fest verankert. Immer und immer wieder fragte er sich, was wohl  passieren würde, wenn seine Finger trotz aller Bemühungen steif blieben – wenn er das Team, die einzige wirkliche Familie, die er jemals gehabt hatte, würde verlassen müssen? Er war nicht der Typ, der auf Dauer den Hausmann spielte – das hatten ihm die vergangenen Wochen mehr als deutlich vor Augen geführt. Aber natürlich würde Ziva dem Team weiter treu bleiben – immerhin hatte sie Gibbs viel zu verdanken und ihr ging es schließlich genauso wie ihm: Der Job war ihr Leben – undenkbar, dass er von ihr verlangen konnte, dass sie den NCIS ihm zuliebe verließ. Andererseits wusste, dass er es auf Dauer nicht ertragen könnte, wenn sie heimkäme und mit ihm über ihren Job sprechen wollte und allein dieses Wissen, war eine denkbar ungünstige Voraussetzung für die Fortdauer ihrer Beziehung.

 

Abervielleicht war ja alles gut gegangen und er bräuchte halt nur noch ein wenig mehr Zeit, bis er wieder auf dem Damm wäre. Tony versuchte seinen Kopf anzuheben und einen Blick über die Bettdecke zu riskieren. Seine Hand lag dick bandagiert auf dem Bett. Er hatte keine Schmerzen, was aber aufgrund der ja erst kürzlich erfolgten Betäubung normal war. Doch das würde sich bald ändern, das wusste er mittlerweile aus Erfahrung nur zu gut. Matt ließ er sich auf das Kissen zurücksinken. Er fühlte sich regelrecht erschlagen, da er die letzten beiden Nächte kaum geschlafen hatte, weil er vor der Operation auf die Schlaftabletten verzichtet hatte, und die Narkose tat nun noch ihr Übriges dazu.

 

Die Krankenschwester, die im Aufwachraum ihren Dienst versah, registrierte, dass Tony wach war und noch während er versuchte, endgültig Herr seiner benebelten Sinne zu werden, traten Prof. Stern und Dr. Forster an sein Bett.

 

„Agent DiNozzo - Tony, wenn ich mich recht erinnere“, wandte sich der Professor mit einem freundlichen Lächeln an den Halbitaliener. „Ich habe gute Nachrichten für Sie. Die OP ist zufriedenstellend verlaufen, soviel kann ich Ihnen schon sagen. Wie der Heilprozess weiter verläuft, werden wir sehen:“

 

Tony grinste schief: „Hey Doc, ich freu mich mal besser nicht zu früh – das hatten wir doch alles schon einmal.“

 

„Ich weiß, was Sie meinen, aber dieses Mal bin ich sehr zuversichtlich, dass ihre Finger mit ein bisschen Übung wieder mindestens zu 80 % funktionsfähig sein werden; mit etwas Glück erreichen wir vielleicht sogar 100 %, das wird die Zukunft zeigen. Natürlich wird das noch einige Zeit dauern und die Reha-Maßnahmen müssen selbstverständlich wie bisher fortgesetzt werden  Ich versichere Ihnen, das ist mehr, als wir erwarten durften.“

 

Tony lächelte müde zurück. „Danke Doc, das sind doch wirklich gute Nachrichten.“

 

Dr. Forster verzog ein wenig säuerlich das Gesicht; er konnte sich immer noch nicht daran gewöhnen, dass der Professor von Tony ganz salopp mit „Doc“ angeredet wurde, aber anscheinend schien es dem Professor ganz und gar nichts auszumachen. „Sie müssen noch etwa zwei bis drei Stunden liegen bleiben, bis die Narkose gänzlich abgeklungen ist. Schwester Rose hier wird sich um Sie kümmern und zwischendurch Ihre Vitalfunktionen überprüfen. Sagen Sie ihr, wenn Sie Schmerzen bekommen – sie kann Ihnen dann etwas geben. Wenn später dann alles in Ordnung ist und Ihre Werte stimmen, können sie nach Hause. Sie können aber nicht selbst fahren. Werden sie abgeholt oder sollen wir Ihnen dann ein Taxi rufen?“

 

„Nein, danke. Das ist nicht nötig. Ich rufe meine Freundin an, sie holt mich dann ab.“

 

„Gut, dann verabschiede ich mich jetzt. Nehmen Sie es nicht persönlich, aber ich hoffe, dass wir uns nicht wiedersehen müssen – zumindest nicht unter solchen Umständen.“

 

Wieder musste Tony grinsen. Der Professor war schon eine Marke – er hatte ihm vom ersten Augenblick an gefallen. „Oh, da sind wir dann ganz einer Meinung. Doc, ich danke Ihnen – wer weiß, was ein anderer mit meiner Hand angestellt hätte.“

 

„Oh, das ist zu viel des Lobes – ich habe nur meine Arbeit gemacht.“ Professor Stern nickte Tony noch einmal kurz zu und verschwand dann zusammen mit Dr. Forster aus Tony´s Blickfeld.

 

 

Etwa zeitgleich in der FBI-Zentrale Washington

 

Als Tobias Fornell das Großraumbüro betrat, hörte er schon von weitem durch die offen stehende Tür zu seinem Büro, dass sein Telefon laut und nachdrücklich nach einem Gesprächspartner verlangte. Obwohl sich eine Menge Agenten im vorderen Teil des Büros befanden, die das durchdringende Läuten unmöglich überhören konnten, fühlte sich anscheinend niemand dafür zuständig, an seinen Apparat zu gehen. Wieder einmal verfluchte der FBI-Agent seine Leute im Stillen. Gott, wie oft hatte er sich schon ein Team gewünscht, wie Leroy Jethro Gibbs es hatte. Dessen Teammitglieder waren zwar sehr individuell, aber sie hatten den seinen eines ganz gewiss voraus: Sie waren dazu in der Lage über ihren eigenen Schreibtischrand hinauszusehen…

 

Der FBI-Mann beschleunigte seine Schritte und durchquerte das Büro, um noch rechtzeitig an den Apparat zu kommen. Schließlich konnte es sich um etwas Wichtiges handeln. Wer wusste das schon? Er schnappte sich den Hörer und bellte seinen Namen hinein, während er gleichzeitig seine Untergebenen mit Blicken erdolchte – auch wenn er wusste, dass dies wahrscheinlich an deren dickem Fell abprallen würde. Er lauschte in den Hörer hinein und sein Gesicht verzog sich unwillig, Auch das noch! Als ob er nicht schon genug zu tun hätte.

 

„In Ordnung, wir machen uns auf den Weg“, beendete er schließlich das Gespräch und knallte den Hörer zurück auf die Station. „Sacks?“

 

Sein Mitarbeiter blickte fragend auf.

 

„Schnappen Sie sich Ihre Sachen. Wir müssen raus nach Greenbelt.“

 

„Was liegt an?“

 

„Ein Leichenfund. Die Umstände sind wohl etwas suspekt, daher hat uns die örtliche Polizei um Hilfe gebeten.“

 

„Wahrscheinlich, weil sie keine Lust zum Arbeiten haben“, vermutete Sacks. „Diese Landeier versuchen doch immer, die Zuständigkeit abzugeben.“

 

Insgeheim gab Fornell Sacks ja Recht. Das passierte tatsächlich häufig. Trotzdem mussten sie sich darum kümmern. Daher antwortete er lediglich trocken. „Nun machen Sie schon – ich will vor dem Dunkelwerden wieder in DC sein.“

 

„Das dürfte aber knapp werden, Sir.“

 

„Das weiß ich selber“, knurrte Fornell schlecht gelaunt.

 

***********

 

Etwa eine Stunde später waren die beiden Männer – nachdem sie sich auch noch verfahren hatten – am Fundort der Leiche angekommen. Missmutig stiegen sie aus und gingen mit großen Schritten auf das Haus zu. Dabei registrierte Fornell wie gewohnt im Vorbeigehen die äußeren Begebenheiten. Zwei sehr junge Polizisten, ein Mann und eine Frau, wuselten geschäftig vor dem Haus herum. Wahrscheinlich versuchten sie Spuren zu sichern. Ein Leichenwagen stand ein Stück seitlich von der Einfahrt mit geöffneter hinterer Klappe. Gerade als Sacks und er die wenigen Stufen zur Eingangstür hinaufstiegen, wurde von innen bereits die Tür geöffnet und ein älterer und ein jüngerer Mann kamen mit einer mit einem Tuch abgedeckten Trage heraus. Wahrscheinlich der örtliche Pathologe und sein Assistent.

 

„Warten Sie“, hielt Fornell die Männer zurück. „Ich möchte einen Blick auf die Leiche werfen.“

 

Verunsichert, ob sie dem Ansinnen des Fremden folgen sollten, blieben die Männer mitten auf der Treppe stehen. Glücklicherweise folgte ihnen ein weiterer Mann mittleren Alters mit einem altmodischen Schnauzbart und schütterem braunen Haar. Dieser gab den beiden Männern ein Zeichen kurz zu warten und hielt dann Fornell seine rechte Hand hin.

 

„Ich nehme an, Sie sind die Männer vom FBI. Ich bin Inspektor Bowers, derjenige, der darum gebeten hat, dass Sie sich das hier mal ansehen.“

 

Fornell ergriff die ihm dargebotene Hand und schüttelte sie kurz. Dann brummte er immer noch verstimmt: „Wenn wir uns das ansehen sollen, wäre es vielleicht besser gewesen, Sie hätten mit dem Abtransport der Leiche gewartet.“

 

Bowers wirkte etwas irritiert, doch er antwortete mit fester Stimme: „Das hatten wir ursprünglich auch vor. Aber der Fundort der Leiche war die Gefriertruhe im Keller und wir haben gerade mit einem Stromausfall zu kämpfen. Was ich damit sagen will, der Tote fing bereits an, aufzutauen und da…na ja, es war sowieso schon nicht ganz einfach, ihn aus der Truhe zu bekommen.“

 

„Schon gut. Augenblick bitte.“ Fornell lüftetedas Tuch, das über die Leiche gebreitet war, an und hob beeindruckt die Augenbrauen. Sacks neben ihm zuckteunwillkürlich zurück und wurde ein wenig grün um die Nase, sofern man das bei ihm überhaupt sehen konnte. Dem Totenwar eindeutig sehr übel mitgespielt worden. Das eine Auge war ihm offensichtlich ausgestochen worden. Es hing noch mit den Sehnerven verbunden lose vor dem Gesicht. Das andere Auge, welches noch offen war, blickte ihm leer entgegen, doch selbst jetzt noch war die unermessliche Panik, die dieser Mann verspürt haben musste, abzulesen. Er schaute seitlich unter das Tuch und registrierte die vielen anderen Verletzungen und Stichwunden. Eines war mal sicher: Das war kein normaler Mord. Er ließ das Tuch wieder fallen und blickte noch einmal in das geschundene Gesicht des Opfers. Was mochte dieser arme Kerl gesehen haben, bevor ihm jemand letztlich die Kehle durchgeschnitten hatte? Wen mochte er gesehen haben? Ein Schauer überlief Fornell und er fröstelte unwillkürlich. Irgendwie hatte er plötzlich ein ungutes Gefühl. Er konnte es zwar nicht zuordnen, doch er ahnte instinktiv, dass er es hier mit einem Täter zu tun hatte, der ihm nicht unbekannt war.

 

„Gut.“ Er nickte kurz und entließ so die beiden Männer mit der Trage. Dann wandte er sich wieder Bowers zu: „Ich will sehen, wo sie ihn gefunden haben und ich möchte, dass sie mit der Spurensicherung aufhören. Ich werde ein Team vom FBI anfordern, dasalles Nötige unternehmen wird. Sacks, darum kümmern Sie sich.“

 

„Dann sind Sie also der Meinung, dass es richtig war, Sie zu informieren?“ Bowers wirkte erleichtert und atmete sichtlich auf, als Fornell grimmig nickte.

 

„Oh, ja, das war goldrichtig. Ach ja, können Sie dafür sorgen, dass der Tote nach Washington in die Pathologie des FBI überführt wird?“

 

„Sicher, ich werde alles Entsprechende veranlassen. Wissen Sie, Ken Whiteshaw, der Tote, lebte sehr zurückgezogen. Er arbeitete für ein Heizungsbauunternehmen in DC, doch er hatte die letzten Wochen Urlaub. Erst als er jetzt bereits 3 Tage überfällig war, meldete sein Arbeitgeber ihn vermisst und daher haben wir hier nachgesehen und…ihn schließlich im Keller gefunden.“ Es schien so, als hätte Bowers immer noch Probleme damit, dass ein solches Verbrechen ausgerechnet in seinem Zuständigkeitsbereich verübt worden war.

 

Fornell nickte. Verdammt, warum wurde er bloß dieses ungute Gefühl nicht los? „Gehen wir rein. – Sacks, Sie gehen rüber und sprechen mit den Nachbarn – Das übliche – wer weiß, vielleicht kann ja einer von denen etwas Sachdienliches beisteuern.“

 

Sacks verzog zwar sein Gesicht, aber er tat wie ihm geheißen und marschierte los, während Fornell zusammen mit Bowers das Haus betrat in dem Ken Whiteshaw auf so spektakuläre Art und Weise sein Leben verloren hatte. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass dieser ominöse Leichenfund noch eine Menge Ärger nach sich ziehen würde.

 

 

NCIS-Büro

 

„Ziva, McGee – nehmt eurer Zeug!  Ein toter Marine wurde im Yachthafen gefunden!“ Gibbs knallte den Hörer zurück auf die Station, griff sich Pistole und Dienstmarke aus seiner Schreibtischschublade und war bereits auf dem Weg zum Aufzug. Ziva und McGee wollten ihm gerade folgen, als Ziva´s Telefon läutete.

 

Fragend blickte sie ihren Boss an, der aber nur augenrollend bekundete, dass sie abnehmen, sich aber beeilen sollte. Rasch schnappte sie sich den Hörer und meldete sich: „Ja? Agent David am Apparat!“ 

 

„Hi Ziva, ich bin´s. Die OP ist gut verlaufen und ich kann jetzt nach Hause. Professor Stern meint, das wird schon wieder, ich muss nur Geduld haben.“ Leichter gesagt, als getan, dachte er bei sich. „Kannst du mich jetzt abholen?“ Tony war froh, dass die drei Stunden, auf die Prof. Stern letzten Endes doch bestanden hatte, endlich um waren. Er wollte keine Minute länger im Krankenhaus zubringen, als unbedingt nötig.

 

„Tony! Gott, bin ich froh, dass alles geklappt hat!“ Ziva zögerte einen Moment und sah Gibbs fragend an, der allerdings fast unmerklich den Kopf schüttelte. Ziva senkte den Blick und suchte kurz nach den richtigen Worten, um ihrem Freund zu erklären, dass sie nun doch nicht kommen konnte. Sie wusste, Gibbs wäre der Letzte, der sie unter normalen Umständen nicht gehen lassen würde, aber so…Himmel, ihr Team war ja nun schon geraume Zeit nur zu Dritt und McGee quälte sich jetzt außerdem auch noch mit dieser Armschiene rum, die man ihm in der Klinik zur Ruhigstellung seines angeschossenen Armes verpasst hatte. Wenn Vance davon erfuhr, dass der MIT-Absolvent entgegen ärztlichen Rates doch schon wieder mit raus zu Tatorten fuhr, wäre die Hölle los. Nein, sie musste die beiden anderen einfach begleiten, sonst wären diese noch Stunden länger beschäftigt. „Ich … ähm, Tony, hör zu, es tut mir leid, aber wir haben grade in diesem Moment einen neuen Fall reingekriegt. Ein toter Marine … Wir sind gerade auf dem Sprung.  -  Kannst du dir ein Taxi nehmen … oder…nein, warte, ich hab´ eine bessere Idee. ich werde Abby fragen, sie bringt dich bestimmt gerne nach Hause.“

 

Enttäuscht sagte Tony einige Augenblicke gar nichts. Das Team, seine Familie hatte wieder einen neuen Fall – und er hing hier herum, konnte ihnen mal wieder nicht helfen und fiel zusätzlich noch allen zur Last.

 

„Tony? Schatz? Bist du noch dran?“

 

Er gab sich einen Ruck und riss sich zusammen, schaffte es gerade so, völlig unbekümmert zu klingen, als er Ziva antwortete: „Ja, ja ich bin noch dran. Hey Schatz, mach dir keine Umstände. Ich werd´ mir einfach ein Taxi nehmen. Für Abby wär das doch ein Riesenumweg. Ich komm schon klar. Los, schnapp dir dein Zeug und mach dich auf den Weg. Gibbs steht doch bestimmt schon kurz vor Alarmstufe rot!“

 

Ziva sah hinüber zu dem grauhaarigen Chefermittler an und musste trotz der unangenehmen Situation fast schmunzeln. Tony kannte seinen Boss einfach zu gut. Jethro sah wirklich inzwischen aus, als ob er jeden Moment explodieren würde. Einzig die Tatsache, dass Tony am Apparat war, hinderte ihn wohl daran, Ziva das Telefon aus den Händen zu reißen und es umgehend zu liquidieren. Schnell beeilte sie sich, noch ein kurzes ‚Ich liebe dich‘ in die Muschel zu flüstern, dann legte sie auf, griff nach ihrem Rucksack und rannte zum Aufzug, bei dem McGee schon mit einem verzweifelten Ausdruck in den Augen die Tür blockierte.

 

„Wo bleibst du denn bloß?“, zischte er und ließ Ziva vorbei, die ihm einen erbosten Seitenblick aus zusammengekniffenen Augen zuwarf, bevor sie sich, ohne Rücksicht auf seinen verletzten Arm, an ihrem Kollegen vorbeizwängte und sich mit einem kurzen „T´schuldigung“, neben Gibbs an die rückwärtige Wand stellte. 

 

********

 

Tony hatte sich tatsächlich ein Taxi bestellt, doch er hatte sich nicht nach Hause fahren lassen. Wozu auch? Dort wartete ja eh niemand auf ihn. Was sollte er also dort? Stattdessen ließ er sich wieder in dieses Viertel mit den vielen Bars fahren. Das Baileys allerdings mied er dieses Mal, er hatte keineLust auf eine neuerliche Diskussion mit Walter.

 

„Was soll´s – eine Bar ist schließlich so gut wie jede andere“, murmelte er leise vor sich hin.

 

„Sagten Sie was?“

 

„Nein, nein, schon in Ordnung. Wissen Sie was? Da vorne können Sie mich rauslassen.“ Er wies durch die Windschutzscheibe auf eine Ecke, an der eine grelle Leuchtreklame stetig die Farben wechselte. ‚Trixies World‘ stand großmäulig auf dem Schild über der eher zweitklassigen Lokalität. Doch für die Äußerlichkeiten hatte Tony kein Auge, ihn interessierte lediglich, ob der Whisky annehmbar war – und das war er, wie er, nur wenige Minuten nachdem er die Bar betreten hatte, zufrieden feststellte. Und er wurde mit jedem weiteren Glas besser.

Kapitel 14

Am gleichen Abend in der FBI-Zentrale 

 

Es war ruhig geworden in dem Großraumbüro. Fornell saß in seinem eigenen, durch Trennwände abgeteilten, Teil und ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Je länger er darüber nachdachte, was er in Greenbelt erlebt und gesehen hatte  -  und es war ihm fast ein wenig unheimlich: Je länger er darüber nachdachte, desto überzeugter wurde er davon, dass es richtig von der örtlichen Polizei gewesen war, das FBI zu informieren. Da war irgendetwas an diesem äußerst brutalen Mord, was ihn einfach nicht mehr losließ.

 

Fornell stand auf und ging hinüber zum Fenster. Kein Laut war zu hören – es war totenstill. Er liebte es, zu später Stunde noch ein wenig Zeit allein im Büro zu verbringen. Das half ihm, den Kopf wieder klar zu bekommen und gleichzeitig ein wenig Abstand zu den Geschehnissen des Tages zu gewinnen, bevor er schließlich nach Hause fuhr. Die Fenster schlossen äußerst dicht, so dass noch nicht einmal der Straßenlärm der trotz der späten Abendstunde immer noch pulsierenden Großstadt, hier hinauf in den 15. Stock der FBI-Zentrale drang. Der routinierte FBI-Mann blickte hinunter auf die Lichter der Stadt; das gedämpfte, weiche Licht, welches aus den Wohnhäusern kam, die deutlich grelleren Lichter aus den Bürokomplexen und…er riss die Augen auf und sah noch einmal etwas genauer hin – tatsächlich, da waren auch bereits die ersten Weihnachtsbeleuchtungen zu erkennen. Alles wirkte ruhig, beinahe friedlich, doch er wusste es besser. Dort unten war ein Dschungel. Es tummelten sich eine Menge halbseidenes Gesindel, wie auch hartgesottene Verbrecher in Washington, doch seit heute – wenn man es genau nahm, seit einigen Tagen, denn schließlich musste erst das Ergebnis der Obduktion vorliegen, um zu wissen, seit wann das Opfer tatsächlich bereits tot gewesen war – das wusste er, seitdem er in die toten, von blanker Panik aufgerissenen Augen von Ken Whiteshaw geblickt hatte, hatte das Böse auch in Greenbelt Einzug gehalten. Einer bislang ruhigen, harmlosen Kleinstadt 20 Kilometer von Washington entfernt. Einer Stadt, in der die Polizei es normalerweise mit Ladendiebstählen, häuslichen Streitereien mit gelegentlichen Handgreiflichkeiten, oder auch schon mal mit dem Einbruch eines Obdachlosen, der lediglich einen warmen, trockenen Unterschlupf für die Nacht suchte, zu tun hatte.

 

Doch Ken Whiteshaw – ein bislang völlig unbescholtener Bürger, der sogar pünktlich seine Steuern bezahlt hatte – hatte fürchterliches mitgemacht; dessen war er sich absolut sicher. Dem Mann hatte das blanke Entsetzen im Gesicht gestanden. Und außerdem…Fornell atmete tief durch und rieb sich mit den Händen durch das Gesicht, um die aufkommende Müdigkeit zu vertreiben. Es war wieder da, das merkwürdige Gefühl, dass ihn das erste Mal befallen hatte, als er sich zuerst das Opfer und später den Tatort angesehen hatte - und es war nochstärker, als er es am Tatort empfunden hatte. Sacks hatte mit den Nachbarn gesprochen. Leider war nichts Neues dabei herausgekommen. Seit dem Tod seiner Frau hatte Whiteshaw sehr zurückgezogen gelebt, er arbeitete für eine Washingtoner Firma und pflegte ansonsten kaum soziale Kontakte. Lediglich eine Nachbarin hatte ausgesagt, dass sie vor einigen Wochen einmal von weitem eine Frau auf seinem Grundstück gesehen hatte – die Beschreibung war jedoch sehr schwammig gewesen, da die Begegnung eben schon recht lange her war und die Entfernung ihr Übriges dazu getan hatte. Hmm, eine Frau…hatte Whiteshaw jemanden kennengelernt? Wenn ja, wo war diese Frau jetzt? Warum hatte sie ihn nicht als vermisst gemeldet? Hatte diese ominöse Fremde Whiteshaw umgebracht? Konnte das wirklich sein? Suchten sie womöglichnach einer Frau? Fornell ließ sich die Bilder vom Tatort noch einmal durch den Kopf gehen. Konnte eine Frau wirklich einen solchen Akt von Gewalt vollbringen – und danach noch ihr Opfer durch das ganze Haus in den Keller schleppen? Selbst, wenn es sich um eine kräftige Frau handeln sollte, das Szenario war nur schwer vorstellbar. Er dachte an die vielen Messerstiche, das ausgestochene Auge, das viele Blut und letztendlich an den sauberen Schnitt, mit dem der Täter – oder die Täterin – Whiteshaw die Kehle durchtrennt hatte.

 

Plötzlich versteifte sich Fornells Körper und er riss ungläubig die Augen auf. Jetzt wusste er, was ihm so merkwürdig erschienenwar.Es war das Gefühl, dass ihm an diesem Tatort einiges bekannt vorgekommen war – obwohl er so eine Schweinerei tatsächlich in all seinen Dienstjahren noch nie gesehen hatte. Aber dieser Schnitt durch die Kehle – genau diese Art Schnitt hatte er schon einmal gesehen. Sauber, geradlinig und endgültig. Und die grenzenlose Panik in den Augen Whiteshaw´s…jetzt wusste er, warum dieser Blick ihn so merkwürdig angerührt hatte und er konnte es kaum fassen. Aber je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er sich. Ja, er könnte schwören, dass DiNozzo ganz genauso ausgesehen, als man ihn – quasi im letzten Augenblick – aus diesem Keller befreit hatte. Verdammt!

 

War es tatsächlich möglich, dass diese Sadistin, die den NCIS-Agent so schwer gefoltert und gequält hatte, noch am Leben war. Er hatte seit jenem Tag, als Rebekka Rivkin mit dem gestohlenen Wagen in den Potomac gestürzt war, nichts mehr von Gibbs und seinen Leuten gehört – außer, dass DiNozzo ihn einmal angerufen hatte, um sich bei ihm für seine Hilfe in der Sache zu bedanken. Er wusste aber, dass man die Leiche der Frau trotz aller Bemühungen nie gefunden hatte. Aber wie sollte sie ausgerechnet nach Greenbelt gekommen sein? In Fornell´s Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was sollte er jetzt tun? Gibbs anrufen? Aber was sollte er sagen? Dass er „so ein Gefühl“ hatte. Wie er Leroy Jethro Gibbs kannte, würde der ihn auslachen. Er hatte keine Beweise – nichts wirklich Greifbares. Nein, er musste zunächst versuchen, mehr über die Frau herauszufinden, die offenbar in letzter Zeit bei Whiteshaw gelebt hatte. Er würde Sacks gleich morgen noch einmal nach Greenbelt schicken – mit einem Foto von Rebekka. Vielleicht half ja ein Foto der Erinnerung dieser Nachbarin auf die Sprünge. Obwohl, er wusste noch zu gut, wie schnell und effektiv Rebekka dazu in der Lage war, ihr Äußeres zu verändern. Selbst er hatte sie ja nicht gleich erkannt, als er ihr damals im Krankenhaus von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden war. Dieser Fehler, der ihn heute noch wurmte, hätte DiNozzo fast doch noch das Leben gekostet.

 

Was konnte er noch tun? Genau, der Schnitt! Er musste sich die Berichte der anderen Opfer von Rebekka Rivkin vornehmen. Und er musste gleich morgen früh dem Pathologen die Anordnunggeben, sein besonderes Augenmerk auf den tödlichen Schnitt durch die Kehle zu legen. Sollte dabei herauskommen, dass den Opfern die Wunden mit der gleichen Art Messer zugefügtwurden wie Whiteshaw, dann hatte er zumindest etwas in der Hand. Das wäre dann mehr als ein Indiz. Ja, genauso würde er es machen und wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass er recht mit seiner Annahme hatte, dann würde er Gibbs anrufen. Aber erst dann und keine Sekunde früher – nach seinem Fehler im Krankenhaus wollte er sich nicht auch noch ankreiden lassen, dass er völlig umsonst die Pferde scheumachte.

 

 

Gibbs und Ziva  – „Rede Klartext!“

 

Drei Stunden lang hatte Gibbs, zusammen mit dem ihm verbliebenen Team den gesamten Tatort akribisch abgesucht, vermessen und fotografiert. Es wurden zahlreiche Beweisstücke gefunden und eingetütet, die ziemlich erfolgversprechend aussahen und durch die der Mörder hoffentlich bald überführt werden konnte. Ducky und Palmer waren schon vor einer Stunde mit der Leiche wieder ins Hauptquartier zurückgekehrt. Ziva war ihrer Arbeit, die ihr Gott sei Dank schon in Fleisch und Blut übergegangen war, schweigend und tief in Gedanken versunken nachgekommen. Dadurch war es ihr entgangen, dass Gibbs sie mehrmals prüfend gemustert hatte.

 

Jetzt waren sie, McGee und Gibbs im Wagen auf dem Rückweg zum NCIS-Hauptquartier. Wortlos waren sie schon 10 Minuten unterwegs, als Gibbs, der den Wagen in gewohnter Manier durch die Straßen DC´s quälte, ohne den Blick von der Straße zu wenden,  plötzlich fragte: „Ziva? Was ist mit Tony los? Und erzähl mir jetzt bloß nicht, dass es ihm gut geht. Wenn man ihn fragt, wie´s ihm geht, sagt er auch immer nur ‚gut‘, aber ich sehe ihm doch an, dass das nicht stimmt. Also? Du lebst mit ihm zusammen – du musst doch wissen, was mit ihm los ist. Was bedrückt ihn?“

 

Die dunkelhaarige Israelin sah ihren Chef von der Seite an und Tim auf der Rückbank des Fahrzeugs hielt beinahe den Atem an, so gespannt war er auf ihre Antwort. Vor lauter Anspannung vergaß er glatt, sich festzuhalten und so wurde er in der nächsten Kurve prompt von rechts nach links geschleudert und haute sich schmerzhaft den Kopf am Seitenfenster an. Doch er ignorierte das und konzentrierte sich sofort wieder auf die Antwort seiner Kollegin. Auch er hatte natürlich längst bemerkt, dass sein Freund und Kollege irgendwelche ungelösten Probleme vor sich her schob.

 

Ziva blickte indessen wieder zurück auf die Straße. Sie wusste, dass es Tony auf keinen Fall Recht wäre, wenn sie Gibbs von seinen Albträumen erzählte, aber irgendwie hatte sie das Bedürfnis, endlich einmal mit jemandem darüber reden zu können. Sie wusste ja selbst nicht so genau, wie sie damit umgehen sollte. Gut, sie hatte mit Abby geredet und das hatte ihr auch kurzfristig geholfen, aber wenn sie ehrlich zu sich selber war…sie war mit ihrem Latein inzwischen am Ende. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihrem Verlobten noch helfen konnte. Sie bekam nur nach wie vor fast jede Nacht mit, wie der Mann an ihrer Seite schweißgebadet aufschreckte, weil ihm im Traum wieder irgendetwas Scheußliches widerfahren war. Diese verdammte Hilflosigkeit machte sie fix und fertig! 

 

Langsam und stockend begann sie also trotzdem, zu sprechen: „Er … naja, er schläft sehr schlecht. Er hat Albträume, die ihn keine Nacht ruhig schlafen lassen. Das nimmt ihn mehr mit, als er zugeben würde. Du kennst ihn ja, er will einfach nicht darüber sprechen – will alles mit sich selber ausmachen. Die Sitzungen mit Dr. Randolph haben da auch noch nicht viel geholfen. Ich weiß gar nicht, was dort passiert – darüber hüllt er sich komplett in Schweigen. Ich komme kaum noch an ihn ran.“ Hilfesuchend blickte sie Jethro an: „Ich…ich hab´ mir da was überlegt.“ Sie stockte unsicher.

 

„Was Ziva? Was hast du dir überlegt?“, fragte Gibbs leicht ungehalten. Verdammt, er hatte doch gewusst, dass da was nicht stimmte. Jetzt ärgerte er sich, dass er nicht schon viel früher nachgefragt hatte.

 

„Nun ja, ich dachte…Vielleicht würde es Tony ja helfen, wenn er endlich wieder arbeiten dürfte. Erst mal nur im Innendienst natürlich, aber ich denke, das würde ihn vielleicht ablenken – ihn auf andere Gedanken bringen.“

 

Jethro dachte einige Minuten über Ziva´s Worte nach. Losgelöst von seinem schlechten Gewissen – er wusste einfach nicht, ob es nicht noch zu früh für Tony war, schon wieder zu arbeiten. Sollte er nicht besser die Möglichkeit nutzen, das Geschehene in Ruhe zu verarbeiten? Natürlich fehlte er dem Team an allen Ecken und Enden, aber er wollte nichts tun, was Tony womöglich mehr schadete als nützte. Dass Rebekka nach wie vor in dessen Gedanken herumgeisterte, überraschte ihn nicht. Ihm selbst ging es ja nicht anders. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er das Gefühl in sich aufs Neue analysierte, das ihm verbot, zu glauben, dass Rebekka tatsächlich tot war. Und immer wieder sagte ihm dieses Gefühl, dass er am Ball bleiben musste – nicht aufgeben durfte. Tony ging es anscheinend ähnlich. Nur konnte dieser auch nachts diese Ahnung nicht abstellen, was natürlich fatal für ihn war, denn so gab es für ihn keine Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. Diese Gedanken jedoch behielt Jethro für sich. Zu Ziva sagte er: „Gut, vielleicht hast du recht. Aber so einfach ist das nicht. Ich werde sehen, was ich machen kann. Ich werde mit Vance sprechen und versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass Tony wenigstens wieder in den Innendienst kann. Und was seine Albträume betrifft: Gib´ ihm das Gefühl, dass er nicht allein ist. Wir stehen ihm alle zur Seite, wenn er uns braucht. Das sollte er eigentlich wissen. Aber ansonsten können wir wohl nur abwarten. Mit der Zeit wird es schon leichter werden. Er wird das Geschehene verarbeiten und darüber hinwegkommen, Ziva. Da bin ich sicher. Du weißt doch selbst am besten, dass er stärker ist, als es nach außen hin scheint.“ Er hörte seine eigenen Worte und hätte sich am liebsten selbst eine Kopfnuss dafür verpasst, so hohl und nichtssagend kamen sie ihm in diesem Moment vor. Sein schlechtes Gewissen verstärkte sich noch, als die Israelin ihn nach seinen Worten leicht am Arm berührte und mit leiser Stimme „Danke“, flüsterte.

 

„Nichts zu danken“, antwortete er barscher, als es seine Absicht gewesen war. „Warten wir erst mal ab, was Vance dazu sagt.“

 

To be continued - ups ... neuer Thread - folgt mir!

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