Auge um Auge - Thread III

Kapitel 16

10.48 Uhr – In Abby´s Labor

 

Nachdem Gibbs und Ziva ins Hauptquartier zurückgekehrt waren, war Ziva umgehend mit den Gegenständen, die sie in Portsmith´ Wohnung sichergestellt hatten, in Abby´s Labor verschwunden. Gibbs ging unterdessen ins Büro, um nachzusehen, ob McGee ebenfalls schon zurück war, was jedoch nicht der Fall war. Also nutzte er die Zeit für ein erneutes Telefonat mit Direktor Vance, der inzwischen auch informiert worden war und darum gebeten hatte, dass man ihn auf dem Laufenden hielt. Der Direktor befand sich zurzeit in Los Angeles und hatte von dort aus keinerlei Möglichkeiten einzugreifen. Aber natürlich wollte er über das weitere Geschehen informiert werden.

 

Die junge Goth indes hatte sich wie verrückt darüber gefreut, dass Ziva ihr endlich Material brachte und sich direkt mit Feuereifer an die Arbeit gemacht.

 

„Wie lange wird es dauern, bis du Ergebnisse hast?“, fragte Ziva und fürchtete gleichzeitig die Antwort, denn jede weitere Stunde, die sie nur mit Warten verbringen konnten, war in ihren Augen verlorene Zeit.

 

„Ziva, du weißt doch, ich mache so schnell ich kann. Aber wir sind hier nicht bei „CSI Miami“, wo die Ergebnisse der DNA-Analysen im Handumdrehen ausgespuckt werden. Im Normalfall kann das Tage dauern.“

 

„Abby, soviel Zeit haben wir nicht!“, schrie Ziva entsetzt auf.

 

„Das weiß ich doch“, versuchte Abby, ihre Freundin zu beruhigen, obwohl sie selbst das reinste Nervenbündel war. „Aber ein bisschen Zeit musst du mir und meinen Babys schon geben, Ziva.“ Sie nahm ihre Freundin beruhigend in den Arm. „Wir finden ihn schon, du wirst sehen. Bis jetzt haben wir doch noch jeden Fall gelöst.“

 

Ziva war die Umarmung etwas unangenehm, denn durch die körperliche Nähe und Abby´s tröstende Worte wurde ihr erst richtig bewusst, wie nah sie momentan am Wasser gebaut hatte. Sie spürte einen dicken Kloß im Hals, der sich auch durch mehrfaches Schlucken nicht vertreiben ließ. Gerade als sie sich vorsichtig aus der Umklammerung ihrer Freundin herauswinden wollte, klingelte glücklicherweise ihr Handy. Abby gab sie sofort frei und Ziva fischte ihr Handy aus der Tasche. Ziva blinzelte die Tränen zurück und meldete sich.

 

„David.“

 

„Ziva, ich bin´s.“

 

Ziva riss die Augen auf und richtete sich unwillkürlich steif auf. „Moment.“ Sie gab Abby ein Zeichen und zog sich in den hinteren Teil des Labors zurück. Abby nickte verständnisvoll, streifte sich ein Paar Einweghandschuhe über und griff nach den Wangenpolstern. Mit irgendetwas musste sie ja schließlich beginnen – warum also nicht damit? Sie schaute noch einmal kurz neugierig zu Ziva hinüber, bevor sie sich schließlich endgültig an die Arbeit machte.

 

„Papa, hast du was für mich?“, fragte Ziva gespannt.

 

„Ja, über Aaron Rosen habe ich tatsächlich etwas herausgefunden. Der Name Alex Portsmith ist allerdings hier beim Mossad und auch beim Militär gänzlich unbekannt. So wie es aussieht, hat dieser Mann noch niemals israelischen Boden betreten.“

 

„Hmm“, machte Ziva enttäuscht. „Und was ist mit Rosen?“

 

„Aaron Rosen und Thomas Rivkin kennen sich schon aus Kindertagen. Sie waren Nachbarskinder und sind zusammen aufgewachsen, das heißt, er kannte auch Michael schon seit frühester Kindheit. Man hat mir berichtet, dass Thomas und Aaron Michael überall hin gefolgt sind. Er war wohl so eine Art Idol für die beiden.“

 

„Michael hat nie von ihm gesprochen. Ich wusste, dass er einen Bruder und eine Schwester hatte, aber Aaron Rosen hat er nie erwähnt.“

 

„Das wundert mich nicht. Der Kontakt ist irgendwann abgerissen. Doch als Thomas mit seiner Mossad-Ausbildung begann, folgte Aaron ihm ein halbes Jahr später.“

 

„Aber warum hast du ihn dann nicht gekannt?“

 

„Wie gesagt, ich kenne nicht alle Agenten persönlich. Aber der Hauptgrund war wohl, dass Rosen seine Ausbildung nicht beendet hat.“

 

„Er wurde gefeuert?“ Das wunderte Ziva nun wirklich. In der Regel wurden Mossad-Agenten nicht gefeuert. Entweder sie blieben beim Mossad, bis sie zu alt für den Job waren, kamen um oder sie wurden von den eigenen Leuten liquidiert.

 

„Nein, nach knapp einem Jahr hat er seine Ausbildung abgebrochen. Er hat gekündigt, der Mossad ließ ihn gehen und danach verliert sich seine Spur.“

 

„Weißt du, warum er gekündigt hat?“

 

„Nein, keine Ahnung, seine Tests waren hervorragend. Keiner hat verstanden, dass er so unbedingt gehen wollte, aber er ließ es sich nicht ausreden.“

 

„Es muss einen Grund geben“, überlegte Ziva laut. „Es ist nichts passiert – kein Vorfall? Vielleicht hat er etwas in den Sand gesetzt?“

 

„Ziva, noch verstehe ich etwas von meiner Arbeit. Du kannst mir ruhig zutrauen…“

 

„Oh, nein! Papa, so hab´ ich das doch gar nicht gemeint. Es ist nur so … ungewöhnlich.“

 

„Da muss ich dir recht geben. Hör zu, Ziva, ich wollte dir nur einen Zwischenstand geben. Ich werde aber sehen, ob ich noch etwas herausfinden kann. Mit irgendetwas muss er ja

schließlich nach seiner Zeit beim Mossad seinen Lebensunterhalt verdient haben.“

 

Ziva lächelte leicht. Sie konnte sich vorstellen, wie schwer ihrem Vater das Angebot fiel. „Danke, Vater. Ehrlich, ich weiß das zu würdigen. Du meldest dich dann, ja?“

 

„Ja. Ich wünsche euch ehrlich, dass ihr DiNozzo bald findet.“

 

„Natürlich“. Ziva wusste sehr gut, dass das nicht stimmte, aber sie erkannte an, dass ihr Vater zumindest einen Versuch startete, ihr Mut zu machen. Ziva beendete das Gespräch und ging zurück zu Abby. „Na, wie läuft es?“

 

Abby blickte kurz über die Schulter. „Na ja, was soll ich sagen? Willst du nicht lieber hoch zu Gibbs gehen und mich hier arbeiten lassen? Ich melde mich, sobald ich was habe, okay? Versprochen.“

 

Ziva nickte, drückte Abby´s Arm und verließ das Labor mit schnellen Schritten.

 

 

11.32 Uhr – NCIS-Hauptquartier – Anruf bei Ziva

 

Nachdem Ziva aus dem Labor wieder nach oben ins Büro gekommen war, hatte sie es leer vorgefunden und so hatte sie zunächst einmal die bisherigen Ergebnisse ihrer Recherchen geprüft. Leider war immer noch nichts Brauchbares dabei. Nach einer Weile trudelte Gibbs mit einem neuen Kaffeebecher in der Hand und dem Handy am Ohr ein und setzte sich an seinen Tisch. Er beendete sein Telefonat und warf Ziva einen fragenden Blick zu. Just in dem Moment, als sie ihn über das Telefonat mit ihrem Vater informieren wollte, klingelte jedoch ihr Handy erneut und sie zuckte unwillkürlich erschrocken zusammen. Doch gleich darauf beruhigte sie sich. Gott, ihre Nerven lagen wirklich blank. Gibbs dachte wahrscheinlich schon wer weiß was von ihr. Besonders nach der Episode, die sie sich im Auto geleistet hatte. Wahrscheinlich war es nur ihr Vater, der wieder neue Informationen für sie hatte. Bevor sie an den Apparat ging warf sie einen schnellen Blick auf das Display und stutzte. Die angezeigte Nummer war ihr fremd. Sofort machte sich ein ungutes Gefühl in ihr breit. „David“, meldete sie sich verhalten und mit angespannter Stimme.

 

„Hallo, Agent David“ hörte sie eine ihr fremde weibliche Stimme sagen, die ihr unwillkürlich eine Gänsehaut über den Rücken jagte. „Ich will nicht lange drum herumreden. Wenn Sie Anthony DiNozzo noch einmal lebend zu Gesicht bekommen wollen, verhalten Sie sich jetzt ganz natürlich. Ich gehe davon aus, dass wir uns verstehen: Kein Wort zu irgendjemandem ...“

 

Die Frau am anderen Ende der Leitung ließ das Ende des Satzes offen, doch Ziva verstand sehr gut, was gemeint war. Sie fühlte einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen; es war, als schnürte ihr jemand die Luft ab. Ein wenig zu hastig flog ihr Kopf zu Gibbs hinüber.

 

Irritiert erwiderte der ihren Blick und die Dunkelhaarige konnte die Frage: „Ist etwas?“ in seinen Augen lesen.

 

Im gleichen Augenblick entschied sie, zu tun, was die Anruferin von ihr verlangte. Zumindest vorerst würde sie den anderen nichts von der Anruferin verraten. Zum einen wollte sie Tony nicht gefährden, zum anderen hoffte sie, dass sie ihn auf diese Weise vielleicht endlich finden würde. Also schüttelte sie den Kopf und bedeutete Jethro so ungezwungen wie möglich, dass alles in Ordnung wäre. Vielleicht war es ein Fehler, aber die Sorge um Tony ließ ihr einfach keine andere Wahl. Sie wich den prüfenden Blicken ihres Chefs aus und konzentrierte sich wieder auf das Telefonat.

 

„Ja, ich verstehe“, antwortete sie neutral und wartete mit klopfendem Herzen darauf, dass Rebekka Rivkin fortfahren würde. Dass sie mit der Schwester von Michael sprach, hatte sie sofort realisiert.

 

„Sehr vernünftig, übrigens wäre es sinnlos, diesen Anruf zurückverfolgen zu wollen, ich benutze ein Wegwerfhandy und rufe aus einem großen Einkaufszentrum an. Sie würden mich nie finden, also machen Sie sich keine Vorwürfe, dass sie Ihrem Boss nichts verraten. Im Gegenteil, für Ihren Freund ist das die einzige Chance, sein armseliges Leben wenigstens etwas zu verlängern.“

 

„Gut“, bestätigte Ziva tonlos. „Und weiter?“

 

„Kommen Sie sofort ins Tysons Corner Center und warten Sie vor dem Haupteingang. Sie können in 20 Minuten da sein. Wenn Sie nicht pünktlich da sind, stirbt DiNozzo um Punkt 12.oo Uhr. Kommen Sie allein und an Ihre Waffen sollten Sie nicht einmal denken. Ich will, dass Sie sich umgehend auf den Weg machen. Ach ja, und Ziva…bleiben Sie am Handy, ich will hören, was Sie sprechen.“

 

„In Ordnung“, bestätigte Ziva, geradeso als ob sie mit jemand Bekannten sprechen würde. Sie stand langsam auf und nickte dabei immer wieder vor sich hin, als ob sie ihrem Gesprächspartner intensiv zuhören würde. Bevor Sie jedoch Ihren Platz verließ, kritzelte sie in Windeseile vier Worte auf das erstbeste Stück Papier, was ihr in die Hände fiel – die Papiertüte, in der ihr Gibbs einen Frühstücksbagel mitgebracht hatte. Mit bebenden Fingern glättete sie ein Stück der zusammengeknüllten Tüte und schrieb hektisch und kaum leserlich: Rebekka! Tysons Corner Center! Beim Hinausgehen bemerkte sie erneut, dass Jethro´s fragender Blick immer noch auf ihr ruhte. Sie schaute kurz zu ihm hinüber und sagte, ohne das Handy vom Ohr zu nehmen in seine Richtung: „Mein Vater. Ich weiß auch nicht, was los ist. Die Verbindung ist grottenschlecht. Ich geh´ mal kurz vor die Tür.“ Ihr Chef nickte verstehend und ohne noch einmal über ihre Entscheidung nachzudenken, betrat Ziva den Aufzug. Mit dem Schließen der Türen hinter ihr war sie unwiderruflich auf sich allein gestellt. Es war ein gefährliches Unterfangen, so ganz ohne Rückendeckung, das war Ziva durchaus klar, doch für Tony war sie bereit jedes Risiko einzugehen.

 

Gibbs sah seiner Agentin leise zweifelnd hinterher. Leider ignorierte er dann aber, als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte, das undefinierbare, warnende Gefühl, das er kurz in seinem Inneren verspürt hatte. Nach einem Blick auf das Display griff er mit einem leisen Fluch auf den Lippen zum Hörer. „Hallo, Ducky. Bevor du fragst: Nein, wir haben immer noch keine Spur von Tony“, knurrte er in den Apparat und wappnete sich gegen eine der endlosen Tiraden des Pathologen. Schließlich wusste er, dass Ducky sich, genau wie alle anderen, große Sorgen machte. Das Schlimme war nur, dass er dann meist noch einmal so viel redete, wie er es normalerweise schon tat.

 

Der Aufzug hatte inzwischen die Tiefgarage erreicht. Ziva stürmte hinaus und rannte schnellstens zu ihrem Auto. Nachdem sie Rebekka kurz Bescheid gegeben hatte, dass sie ihr Handy jetzt beiseite legen würde, warf sie es achtlos auf den Beifahrersitz. Sie war inzwischen so nervös, dass sie den Wagen beim Starten zweimal abwürgte. Mit zitternden Fingern drehte sie den Schlüssel ein drittes Mal. Endlich sprang der Motor an und Ziva verließ mit einem Affentempo die Tiefgarage. Das Servicepersonal, das an der Schranke Dienst tat, konnte sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen und schickte der Israelin wütende Flüche hinterher.

 

 

11.38 Uhr – Bei Tony im Keller

 

Unruhig blickte Tony schon zum x-ten Mal zur Tür. Seit er gehört hatte, dass Rebekka auch Ziva in ihre Gewalt bringen wollte, ließ dieses beklemmende Gefühl in seiner Brust nicht mehr nach. Er machte sich keine Sorgen um sich, nein, die Angst, Ziva könnte etwas zustoßen, nahm jetzt sein ganzes Denken ein und schaffte es tatsächlich die allgegenwärtigen Schmerzen zumindest vorübergehend in den Hintergrund zu drängen. Diese Verrückte wollte tatsächlich auch die Tochter von Eli David töten: '…bevor es sie selber trifft', hatte sie gesagt. Gott, so wahnsinnig konnte doch nicht mal Rebekka sein, oder etwa doch? Tony seufzte tief und gab sich die Antwort auf diese Frage gleich selber: Diese Frau war total irre! Ihr Rachedurst schien völlig außer Kontrolle geraten zu sein, wenn sie sich sogar mit Eli David anlegte.

 

Wütend zerrte er an den Handschellen, mit denen sein rechter Arm an die Mauer gefesselt war, aber erfolglos. Der Eisenring in der Mauer, an dem die Fessel befestigt war, saß bombenfest. Das einzige sichtbare Resultat seiner verzweifelten Bemühungen, sich zu befreien, war lediglich eine weitere, schmerzhafte Abschürfung an seinem Handgelenk.

 

Er versuchte, sich mit der Hoffnung zu beruhigen, dass Ziva schon auf sich aufpassen konnte. Erstens war sie momentan im Hauptquartier sicher damit beschäftigt, nach ihm zu suchen. Damit war sie für Rebekka und ihre Helfer unerreichbar. Zweitens hatte sie eine der besten Ausbildungen genossen, die Agenten auf diesem Erdball zuteil werden konnte. Oft genug hatte er staunend miterlebt, dass Ziva eine Gefahrensituation förmlich ahnen konnte. Sie würde es bestimmt merken, wenn sich ihr die Mossad-Agenten näherten. Und drittens war da noch Gibbs. Bei dem Gedanken an seinen Teamleiter atmete Tony kurz erleichtert auf. Genau! Gibbs war ja auch noch da. Leroy Jethro Gibbs passte auf seine Leute auf. Das hatte er schon immer getan und er machte seinen Job verdammt gut. Nein – bestimmt war seine Sorge unbegründet. Ziva würde sich nicht erwischen lassen. -   Doch warum wollte dann, trotz all´ dieser positiven Aspekte, die mit Sicherheit nicht an den Haaren herbei gezogen waren, diese verfluchte innere Unruhe partout nicht verschwinden? Noch einmal atmete Tony tief durch und flehte innerlich: „Bitte Gott, pass auf Ziva auf“.

 

Teil 17

11.48 Uhr - NCIS-Hauptquartier

 

„Sie haben mir gerade noch gefehlt zu meinem Glück“, knurrte Gibbs unfreundlich in den Hörer. „Was wollen Sie?“

 

„Ich freue mich auch, Ihre Stimme zu hören, Leroy“, antwortete Fornell am anderen Ende der Leitung.

 

„Lassen Sie den Schmus – was ist los? Sie rufen doch nicht ohne Grund an einem Sonntag an.“

 

„Ich habe gehört, Ihnen ist ein Agent abhanden gekommen.“

 

Beinahe unmerklich schoss Gibbs´ linke Augenbraue in die Höhe. „Wie ich sehe, funktionieren die Buschtrommeln“, sagte er gedehnt. „Woher haben Sie die Information?“

 

„Unwichtig. Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht, wie der Hase läuft. Wie ernst ist die Lage?“

 

„Sehr ernst, schätze ich“, gab Gibbs sichtlich widerstrebend zu.

 

„Und? Habt ihr eine Spur?“

 

„Tobias, sagen Sie endlich, was Sie von mir wollen! Ich hab´ keine Zeit für Small-Talk. Wie Sie ja schon wissen, ist einer meiner Leute verschwunden und mit jeder Stunde, die er verschwunden bleibt, verringert sich die Chance, ihn lebend zu finden.“

 

„Ich wollte Ihnen eigentlich meine Hilfe anbieten.“

 

„Warum sagen Sie das nicht gleich?“

 

„Weil ich Sie kenne und genau weiß, wie schwer es Ihnen fällt, Hilfe anzunehmen. Besonders von mir.“

 

„Nun, in diesem speziellen Fall springe ich gerne über meinen Schatten.“ Jethro blickte zu Tony's verwaistem Schreibtisch hinüber. „Es geht um DiNozzo.“

 

„Ich weiß.“

 

„Das dachte ich mir. Hören Sie zu, Tobias, wenn Sie uns wirklich helfen wollen, sollten wir unsere Möglichkeiten bündeln.“

 

„Was kann ich tun?“

 

„Versuchen Sie etwas über einen Alex Portsmith rauszukriegen.“

 

„Inwieweit steckt er da drin?“

 

„Das wissen wir nicht genau. Bis jetzt ist der Mann ein Phantom. Wir wissen nicht mal, ob es sein richtiger Name ist. Lassen Sie Ihre Verbindungen spielen. Loten Sie aus, was Sie können. Zeugenschutzprogramm eurer Agentur, vielleicht. Diplomatische Immunität. Eine Tarnidentität. Ein ehemaliger Agent, ein Doppelagent, was weiß ich.“ Gibbs´ hatte sich in Fahrt geredet und endete ein wenig atemlos. Frustriert atmete er in den Hörer und strich sich mit der freien Hand die Haare nach hinten.

 

„Wow, Sie reden ja wie ein Buch. Ihr seid wohl echt verzweifelt, was?“

 

„Wie würden Sie sich fühlen, wenn einer Ihrer Leute so einfach vom Erdboden verschwindet“, fauchte Gibbs. „Hören Sie zu, Tobias, vergessen Sie´s. Es war ein Fehler, mit Ihnen darüber zu reden. Danke für Ihr überaus freundliches Angebot. Machen Sie´s gut.“ Er hatte seiner Stimme einen betont harten Klang gegeben, um die Sorge, die unaufhörlich in seinem Inneren wütete, vor seinem Gegenüber zu verbergen.

 

„Warten Sie“, rief Fornell in den Hörer.

 

„WAS?“

 

„Ich werde sehen, was ich für euch tun kann, okay?“

 

„Mehr verlange ich doch gar nicht. Außerdem war es schließlich Ihre Idee!“

 

„Ein schlichtes `Danke´ hätte vollkommen ausgereicht. Ich melde mich, falls wir was rauskriegen.“

 

„Tun Sie das!“ Gibbs knallte den Hörer zurück auf die Station, fuhr herum und schlug ungeduldig mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. „Haben wir endlich was über diesen Portsmith?“, schnauzte er dann in Richtung McGee.

 

„Ähm, nein, nicht wirklich“, stotterte der eingeschüchtert. „Nur, dass das Telefonat, mit dem man Tony aus der Wohnung gelockt hat, aus unmittelbarer Nähe der Wohnung gekommen sein muss. Sie haben vermutlich unten vor dem Haus gewartet und auch von dort aus angerufen.“

 

„Das ist alles? War uns nicht vorher schon klar, dass es so gelaufen sein muss?“

 

„Ich habe eine Fangschaltung in alle Netze gelegt, Boss“, legte McGee schnell nach. „Wenn jemand mit diesem Handy telefoniert, bekomme ich umgehend eine Mitteilung und dann können wir es eventuell orten. Wir könnten natürlich auch versuchen, die Nummer anzurufen, aber was sollen wir sagen?“

 

Gibbs kam eilig die wenigen Schritte zu McGee´s Schreibtisch rüber. Als er Ziva´s Schreibtisch passierte, fegte er mit dem Zipfel seines Jacketts eine zusammengeknüllte Papiertüte von Ziva´s Schreibtisch. Leider maß er dem keine besondere Bedeutung bei. Achtlos kickte er die Tüte mit dem Fuß in Richtung Papierkorb. „Anscheinend gibt es in Israel keine Mülleimer“, brummte er, als er sich mit beiden Armen auf McGee´s Tisch abstützte, sich vorbeugte und seinen Untergebenen fixierte. „Was meinst du?“

 

McGee blickte fast ein wenig ängstlich in das Gesicht seines Vorgesetzten. „Oh, äh, ich weiß nicht, aber ich denke schon, dass es in Israel Papierkörbe gibt“, sagte er unsicher und war stolz, Gibbs´ Blick standzuhalten. Früher hätte er das nicht gekonnt.

 

„Was?“ Gibbs wirkte verwirrt.

 

McGee wurde mutiger. „Na ja, ich meine, warum sollte es in Israel denn keine …“

 

Das brachte ihm prompt eine Kopfnuss mittlerer Güteklasse ein. „MCGEE!“

 

„Ooh, … verstehe, … du meintest nicht die Papier…, alles klar“. Tim nickte beifällig mit dem Kopf. „Du willst von mir wissen, was ich von einem Anruf auf dem Handy halte, nicht wahr?“

 

„Was denn sonst?“, entgegnete der Chefermittler entnervt. „Könnte das gefährlich sein?“

 

„Nun ja, nicht gefährlich, aber es könnte sie immerhin warnen, dass wir eine Spur haben.“          

 

„Du hast Recht, wir lassen es“, entschied Gibbs nach einer kurzen Pause. „Was haben eigentlich die Gespräche mit den Flugzeuginsassen ergeben?“

 

„Nichts Besonderes, leider. Ein paar habe ich aber auch nicht angetroffen. Sie waren unterwegs. Ich habe Nachrichten hinterlassen, dass sie sich schnellstmöglich bei uns melden sollen. Eines könnte aber vielleicht interessant sein.“

 

„Und das wäre? McGee, komm in die Gänge“, zischte Gibbs und ließ keinen Zweifel daran, dass er mit seiner Geduld am Ende war.

 

„Das ältere Paar, das im Flugzeug direkt hinter den Rivkin´s saß, hat gehört, dass die beiden ein paar Mal den Ort Woodbridge erwähnten.“

 

„Woodbridge? Ist das alles?“

 

„Ja, sie sagten, die beiden hätten sehr leise miteinander gesprochen. Aber Woodbridge haben sie deutlich verstanden. Es ist Ihnen aufgefallen, weil sie selber einmal dort gewohnt haben.“

 

„Bringt uns das weiter?“

 

„Ich weiß nicht, könnte sein. Der Ort liegt immerhin grob gesehen in der Richtung, in der Abby den dunklen Wagen, in dem dieser Rosen die Rivkin´s vom Flughafen abgeholt hat, verloren hat.“ Unsicher blickte Tim zu seinem Vorgesetzten auf - er wusste, dass dieser derartig unsichere Aussagen hasste.

 

„Dranbleiben“, befahl Gibbs jedoch nur knapp.

 

„Sicher, Boss. Ich habe Abby schon darauf angesetzt.“ Erleichtert atmete der Jüngere auf.

 

„Sehr gut.“ Gibbs richtete sich auf und blickte sich suchend um. „Wo steckt eigentlich Ziva?“

 

„Sie wollte doch das Telefonat mit ihrem Vater draußen führen, weil die Verbindung so schlecht war“, erinnerte McGee ihn.

 

„Ich weiß“, presste Gibbs zwischen den Zähnen hervor. „Ich möchte bloß wissen, was die beiden so lange zu bereden haben…“ Das ungute Gefühl, dass ihn kurz beschlichen hatte, als er Ziva telefonieren sah, war wieder da. Es war plötzlich mit einer unbändigen Macht zurückgekehrt und dieses Mal wollte es nicht wieder verschwinden. Sein durch langjährige Erfahrung geprägter Instinkt ließ ihn spüren, dass sich die Ausgangslage drastisch verschlimmert hatte. Nur wie schlimm es tatsächlich bereits zu diesem Zeitpunkt war, das ahnte er noch nicht.

 

 

11.54 Uhr – Tysons Corner Center

 

Ziva war wie eine Verrückte durch die Straßen gejagt. Glücklicherweise war an diesem feuchten, kalten Sonntagmittag kaum jemand auf den Straßen unterwegs, so dass sie die Strecke in der wahrlich knapp bemessenen Zeit schaffte. Allerdings auch nur, weil sie drei rote Ampeln überfahren und die Geschwindigkeitsbegrenzung so beharrlich ignoriert hatte, dass die Stadt Washington jetzt vermutlich drei oder vier neue Fotos von ihr besaß. Sie war sich dessen nicht ganz sicher, aber es war ihr auch herzlich egal.

 

Während der Fahrt hatte sie immer wieder überlegt, ob es das Richtige war, was sie getan hatte, aber trotz aller Grübelei hatte sie keine bessere Alternative gefunden. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass Rebekka ihre Drohung wahr machen und Tony um Punkt 12.oo Uhr töten würde, wenn sie nicht pünktlich auftauchte. Oder war er womöglich schon gar nicht mehr am Leben und sie raste hier geradewegs in eine Falle? Ihre böse Ahnung, die sie auf der Fahrt von Ihrer Wohnung zum Hauptquartier überfallen hatte, fiel ihr wieder ein. - Nein! Wie um sich selbst zu bestätigen, schüttelte sie heftig den Kopf. Tony lebte! Sie wollte es unbedingt glauben, es durfte nicht anders sein! Er musste einfach am Leben sein! Und wenn nicht, war es ihr auch egal, wenn man sie hier in eine Falle lockte. Ohne Tony erschien ihr alles sinnlos. Sie wusste nicht, wie sie ohne ihn weiterleben sollte.

 

Sie raste mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz vor dem Center, warf in Windeseile ihre Waffen in den Fußraum ihres Autos, schob sie mit dem Fuß achtlos unter den Sitz und lief dann, ohne eine Sekunde zu zögern, zum Haupteingang des Centers.

 

Teil 18

11.56 Uhr – Tysons Corner Center

 

Gehetzt blickte sie auf ihre Uhr: Noch vier Minuten bis 12.oo Uhr. Gott sei Dank, sie hatte es pünktlich geschafft! Doch wo war Rebekka Rivkin? Um sie herum herrschte ein stetiges Kommen und Gehen. Aufmerksam blickte Ziva jedem Passanten ins Gesicht, sie hatte sich die Fotos von Rebekka und Thomas gut genug eingeprägt, um sie sofort zu erkennen, selbst wenn sie sich inzwischen ein wenig verändert haben sollten. Die Minuten rannen dahin, doch von den Rivkin´s tauchte keiner auf. Mittlerweile war es schon 12.03 Uhr! Nervös wie ein junges Rennpferd vor dem ersten Start trat Ziva von einem Fuß auf den anderen. 'Verdammt, ich war doch rechtzeitig da!', dachte sie immer wieder. `Warum zeigt sie sich nicht?’. Die Angst um Tony schnürte ihr schier die Kehle zu. Zum wiederholten Male drehte sie sich um – und da war sie! Rebekka Rivkin! Sie stand nur wenige Meter von ihr entfernt und sah mit versteinertem Blick zu Ziva herüber.

 

Noch einmal atmete Ziva tief durch, dann legte sie entschlossen die wenigen Schritte zu ihrer Kontrahentin zurück. „Was ist mit Tony?“, fragte sie unverzüglich.

 

„Wie ich sehe, kommst du gleich auf den Punkt, das gefällt mir. Dein Lover…“ Sie spie das Wort förmlich aus. “…lebt noch – du hast ihm ein paar Stunden erkauft“ antwortete Rebekka mit mühsam gebändigter Stimme. Einmal mehr drohte sie der Hass zu übermannen. Der Hass auf Tony, auf Ziva und auf den gesamten NCIS. Diese, in ihren Augen, ganze verdammte Brut. Aber sie bekam sich schnell wieder in den Griff. Sie würde ihre Rache bekommen, sie musste nur noch ein wenig Geduld haben. Bei der Erinnerung daran, wie viel Vergnügen, ja, welche Genugtuung sie bei der Folterung von diesem Schwein DiNozzo empfunden hatte, huschte ein Lächeln über Rebekkas Gesicht, das Ziva nichts Gutes verhieß.

 

„Wo ist Tony?“, fragte sie noch einmal mit Nachdruck. „Ich bin hier! Also, wo ist mein Freund?“

 

„Freund, ha!“ Rebekka spuckte verächtlich vor Ziva´s Füßen aus. „Nur Geduld. Du wirst ihm bald begegnen. Geh voran in die Tiefgarage!“, befahl sie Ziva und um dem Gesagten Nachdruck zu verleihen, zog sie ihre Hand ein wenig aus der Tasche ihres Blazers, so dass Ziva den Griff einer Waffe erkennen konnte, die Rebekka, verborgen vom Stoff auf sie gerichtet hielt. Widerstandslos drehte sie sich um und nahm den Weg zur Tiefgarage. Dort dirigierte sie Rebekka zu einem dunklen Wagen, der etwas abseits in einer Ecke geparkt stand. Ziva erkannte mit einem Blick, dass es das gleiche Auto war, mit dem Aaron Rosen die Rivkin-Geschwister vom Flughafen abgeholt hatte.

 

Für einen kurzen Moment lang verspürte sie so etwas wie Erleichterung. Das könnte der erste Fehler der Rivkin-Geschwister sein, dachte sie bei sich. Dass sie hier den gleichen Wagen benutzten und diesen dann auch noch in einer kameraüberwachten Tiefgarage parkten, barg in ihren Augen ein gewisses Risiko. Selbst wenn Gibbs und McGee ihren Hinweis nicht rechtzeitig gefunden hatten und somit zu spät kamen – wonach es im Moment eindeutig aussah – konnten sie später vielleicht den Wagen identifizieren. Sie selber hätte für eine solche Aktion die Öffentlichkeit bevorzugt und den Wagen draußen auf dem Parkplatz ohne Überwachungskameras geparkt. Aber andererseits konnte es ihr so nur Recht sein.

 

„Hände auf den Rücken“ befahl ihr in diesem Moment Rebekka. Widerstrebend tat Ziva, wie ihr geheißen wurde. Sie wusste, sie musste es tun. Widerstand brachte ihr im Augenblick gar nichts – nicht, wenn sie zu Tony wollte. Sie fühlte, wie sich der kalte Stahl von Handschellen um ihre Gelenke legte und diese mit einem leisen Klicken einrasteten. Danach wurde sie mit einem rüden Stoß zwischen die Schulterblätter in den Wagen befördert. Der junge Mann, der offenbar neben dem Auto auf Rebekkas Rückkehr gewartet hatte, stülpte Ziva einen dunklen Sack über den Kopf und drückte sie nach unten, so dass sie von außen nicht gesehen werden konnte. Rebekka setzte sich neben Ziva, während Erez, er war der junge Mann, sich hinters Lenkrad klemmte. Ohne Zwischenfall verließ der Wagen das Parkhaus und kurze Zeit später hatten sie sich schon in den jetzt doch stärken werdenden Verkehr eingefädelt und fuhren unbehelligt zurück zu ihrem Versteck.

 

11.56 Uhr – NCIS Hauptquartier – Wo ist Ziva?

 

Gibbs, der zu McGee´s Erleichterung das Großraumbüro zusammen mit seiner immer schlechter werdenden Laune verlassen hatte, kehrte für Tim´s Geschmack viel zu schnell zurück – in der Hand den unvermeidlichen Kaffeebecher.

 

`Na, hoffentlich pusht ihn der nicht noch mehr hoch´, dachte Tim bei sich und nickte seinem Chef kurz zu. „Boss.“

 

Mit einem raschen Blick erfasste Gibbs das komplette Büro. „Ist Ziva immer noch nicht wieder aufgetaucht?“, erkundigte er sich.

 

„Nein, scheint ein längeres Gespräch zu sein“, mutmaßte McGee und wandte sich wieder seiner heißgeliebten Tastatur zu.

 

„Ja, wenn sie wirklich mit ihrem Vater spricht.“ Gibbs stellte diese ungeheuerliche Vermutung in den Raum und warf Tim einen forschenden Blick zu. „Weißt du was? Wenn ja, Tim, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt zu reden.“

 

„Nein“, fuhr der MIT-Absolvent entrüstet hoch. „Was sollte ich denn wissen?“ Plötzlich riss er seine Augen auf und ungläubiges Entsetzen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Du glaubst doch nicht etwa, dass… Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ziva würde doch nicht…“ Er verstummte, als ihm mit einem Mal klar wurde, dass Ziva in der Vergangenheit schon öfters unorthodox gehandelt hatte.

 

„Das werden wir gleich wissen“, verkündete Gibbs grimmig und ging zu Ziva´s Schreibtisch. Dort griff er nach dem Telefon der ehemaligen Mossad-Agentin und kontrollierte die Nummern ihrer letzten getätigten Anrufe. Immerhin hatte sie ihren Vater vor einigen Stunden noch von diesem Apparat aus angerufen. Die Nummer musste noch im Speicher sein. „Komm schon“, murmelte er leise vor sich hin, während er Nummer für Nummer kontrollierte. „Zeig dich, ich weiß, dass du da sein musst.“ Das ungute Gefühl war auf dem besten Weg, einer ausgewachsenen Panik Platz zu machen. Sicher, Ziva war eine tolle Agentin. Erfahren und erstklassig ausgebildet. Normalerweise würde sie nichts Unbesonnenes tun, doch was wusste er schon. Sie liebte Tony und sie hatte panische Angst um ihn. Das konnte alles ändern. Wenn Menschen verliebt waren, reagierten sie oftmals völlig irrational. Er hatte seinerzeit nicht umsonst Regel Nr. 12 ins Leben gerufen. Er wusste, alle belächelten insgeheim seine Regeln, doch er hatte sich durchaus etwas dabei gedacht, sie aufzustellen. Gott, er wollte auf keinen Fall bereuen müssen, dass er von dieser Regel abgewichen war und die beiden weiter hatte zusammenarbeiten lassen, obwohl sie ein Paar geworden waren. „Verdammt, das kann doch nicht sein“, fluchte er laut. „Die verdammte Nummer muss doch…Da!“ Er war endlich auf eine lange Auslandstelefonnummer gestoßen. Er wusste zwar nicht, ob es sich hier um die Vorwahl von Israel und Tel Aviv handelte, aber wie oft sollte Ziva heute schon nach Übersee telefoniert haben? Nein, es musste sich um die Nummer ihres Vaters handeln! Er drückte eine Taste, um die Verbindung herzustellen und knetete, während er gespannt darauf wartete, dass die Verbindung zustande kam, das Kabel zu einem undefinierbaren Knäuel zusammen. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Er spürte es immer mehr. „McGee“, sagte er, während es im Hörer anfing zu tuten. „Sitz da nicht rum. Such Ziva!“

 

Tim sprang auf. „Klar, Chef. Mach ich.“ Doch dann stutzte er. „Äh, wo soll ich sie denn suchen?“

 

„Gott, McGee. Was ist denn los mit dir? Überall, wo sie sein könnte. Geh zu Abby, Ducky, sieh im Videokonferenzraum nach, was weiß denn ich… Vergiss den Waschraum nicht. Eben überall!“

 

„Im Waschraum der Frauen?“ McGee´s Stimme klang ungläubig, als könne er nicht fassen, was sein Chef von ihm verlangte. „Aber…wenn sie da drin sein sollte, wird sie mir den Kopf abreißen.“

 

„Verdammt, bist du immer noch hier?“, blaffte Gibbs.

 

„Bin schon weg.“ Sowohl der Blick als auch der Tonfall seines Chef´s veranlassten Tim, sich schnellstens aus dem Büro zu entfernen. Gerade, als er in den Aufzug stieg, hörte er, wie Gibbs förmlich in den Hörer schrie:

 

„Hallo? Director David? - Hier spricht Leroy Jethro Gibbs vom NCIS. Wir müssen reden.“

 

 

12.36 Uhr – Die Ankunft

 

Erst in der Garage des Hauses, in dem man – wie sie hoffte – auch Tony gefangen hielt, wurde der Sack von Ziva´s Kopf entfernt. Ihre Augen mussten sich erst wieder an die Helligkeit gewöhnen und sie blinzelte mehrmals, bevor sie wieder klar sehen konnte. „Ich will sofort zu Tony“, fauchte sie gleich darauf Rebekka an, was diese mit einem harten Schlag mit dem Handrücken quittierte, der Ziva´s Lippe aufplatzen ließ.

 

„Du hast hier nichts zu wollen, Flittchen! Du wirst deinen Lover noch bald genug sehen“, schleuderte ihr Rebekka hämisch ins Gesicht. „Wie konntest du dich nur mit diesem Dreckskerl einlassen, der Michael getötet hat? Du warst mit meinem Bruder zusammen und dann schmeißt du dich wie eine Nutte seinem Mörder an den Hals? Du bist echt der letzte Dreck! Abschaum!“ Zum Schluss schrie sie fast.

 

„Ich hätte viel eher erkennen sollen, dass sich Tony ehrlich um mich gesorgt hat. Er wollte mich beschützen. Michael hingegen hat mich die ganze Zeit nur belogen und ausgenutzt. Er ist von meinem Vater geschickt worden und hat von meiner Wohnung aus weiter seine Fäden gezogen, obwohl er schon längst nach Israel hätte zurückkehren sollen. Ich wollte nie, dass er stirbt, aber er hat seinen Tod selbst verschuldet!“, erwiderte Ziva wutentbrannt. Dann fuhr sie an Thomas und die anderen, die inzwischen dazugestoßen waren, gerichtet fort: „Noch könnt ihr aufhören. Lasst uns gehen und verschwindet so schnell ihr könnt. Ich kläre das mit dem NCIS und meinem Vater. Glaubt mir, das ist eure letzte Chance lebend aus dieser Sache rauszukommen!“ Fragend blickte Ziva Thomas, Aaron und Erez an, aber die Drei wichen ihrem Blick aus. Allein Rebekka hatte das Sagen in dieser Gruppe und das machte sie allen Anwesenden auch noch einmal unmissverständlich deutlich.

 

Sie ging auf Ziva zu und nur wenige Zentimeter vor deren Gesicht blieb sie stehen. Als sie den Mund öffnete, spürte Ziva bei jedem hervor gestoßenen Wort ihren warmen Atem im Gesicht. „Bevor ich euch gehen lasse, friert die Hölle zu!“ Mit vor Hohn triefender Stimme hatte sie ihre Entscheidung verkündet. Danach drehte sie sich um und wandte sich an ihre Handlanger. „Bringt sie jetzt zu ihrem Liebhaber, wir wollen ihnen noch ein wenig Zweisamkeit gönnen, bevor der erste von beiden sein Leben lässt. Ich bin gespannt, wer von beiden länger durchhält.“ Mit einem bösen Lachen drehte sie sich um und ließ Ziva mit den drei Männern allein. Die startete einen letzten Versuch und blickte die Männer beschwörend an:

 

„Hört zu, ich kann euch helfen. Ihr müsst nur…“

 

„Wir müssen gar nichts! Los, mitkommen!“ Thomas packte sie hart am Arm und bugsierte sie in den Keller zu Tony's Verließ. Er öffnete die Tür, stieß Ziva grob hinein und verschloss hinter ihr den Raum.

 

 

12.37 Uhr – NCIS Hauptquartier

 

Die Aufzugtüren fuhren zur Seite und Abby stürzte aus der Kabine. So schnell es ihr auf ihren 15 cm hohen schwarzen Plateaustiefeln, die mit gefährlich aussehen Schnallen seitlich an den Waden geschlossen wurden, möglich war, stakste sie auf Gibbs zu und fasste ihn an den Unterarmen.

 

„Oh, Gibbsman, was ist denn jetzt schon wieder passiert?“, sagte sie und ihre Stimme klang leicht panisch. Gibbs kannte die Anzeichen und wollte gerade antworten, doch er kam nicht zu Wort. „McGee sagte mir, Ziva ist verschwunden. Gibbs, ich will dir ja keine Vorwürfe machen, aber du solltest wirklich besser auf deine Leute aufpassen. Habt ihr sie inzwischen gefunden?“

 

„Nein, McGee ist noch unterwegs, und was das aufpassen angeht…“ Das wollte er nicht so auf sich sitzenlassen, doch er wurde schon wieder im Ansatz unterbrochen.

 

„Ohgottohgottohgottohgott, was für ein schlimmes Wochenende!“, stieß Abby hervor und fuchtelte wild mit den Händen in der Luft herum. „Hier verschwinden die Agenten ja wie die Fliegen. Das kann doch alles gar nicht sein.“

 

„Abbs, jetzt beruhige dich erst einmal. Vielleicht ist sie ja doch noch hier im Gebäude und wir machen uns ganz umsonst Sorgen.“ Er redete wider besseres Wissen, doch jetzt musste er erst einmal Abby ruhig stellen, bevor sie völlig ausrastete. Er fand es vertretbar, in diesem Fall zu einer Notlüge zu greifen.

 

„Ja, meinst du?“ Eindeutig zweifelnd blickte die Goth in Gibbs´ Gesicht.

 

„Natürlich, könnte doch sein. Du wirst sehen, McGee wird sie finden und sie wird wahrscheinlich ganz schön wütend sein, weil wir alle so einen Wind um sie machen.“

 

Wieder öffneten sich mit einem `Pling´ die Aufzugtüren und McGee erschien in Begleitung von Ducky im Büro. Tim wandte sich direkt an die quirlige Forensikerin, die keinen Augenblick still stehen konnte und pausenlos hin und her marschierte, so gut das eben mit ihrem klobigen Schuhwerk, das sie Stiefel nannte, ging. Dabei murmelte sie unentwegt irgendwelche Beschwörungsformeln vor sich hin. „Und? Hast du schon im Waschraum

nachgesehen?“

 

„Natürlich!“, kam die prompte Antwort. „Ich war sogar in allen Frauen-Waschräumen hier im Gebäude. Nun ja, ich sollte vielleicht besser sagen, alle, die ich kenne. Ich meine, das Gebäude ist ja so groß, und ich bin ja meist immer nur an denselben Orten. Was ich sagen will ist, ich weiß gar nicht, ob ich wirklich alle Waschräume hier kenne. Dabei ist es eigentlich wichtig, findet ihr nicht? Ich werde mich so bald wie möglich darum kümmern. Wisst ihr, wie ich an einen Lageplan von dem Gebäude rankomme? Es kann ja immer mal sein, dass man ganz plötzlich…“

 

„Abby!“, sagten Gibbs, McGee und Ducky im Chor und Abby verstummte abrupt. „Es ist gut“, setzte Gibbs hinzu. „Danke, dass du nachgesehen hast, aber Ziva ist vermutlich gar nicht mehr hier im Gebäude.“

 

„Aber du hast doch eben gesagt, …“, hob Abby wieder entrüstet an, doch diese Mal ließ Gibbs ihr keine Chance.

 

„Ich habe eben mit Eli David in Tel Aviv telefoniert“, verkündete Gibbs.

Alle Anwesenden verstummten und blickten Gibbs gespannt an.

 

„Das letzte Mal, als ich Ziva gesehen habe, telefonierte sie – angeblich mit ihrem Vater. Das war eine glatte Lüge. Er hat sie zwar angerufen, aber das war schon deutlich früher.“

 

Abby unterbrach Gibbs. „Ja, da war sie bei mir im Labor.“

 

„Was? Warum sagst du das erst jetzt?“

 

„Gibbs, das ist unfair!“ Abby zog einen Schmollmund. „Ich konnte doch nicht wissen, dass sie euch nichts davon gesagt hat. Sie war unten, um mir die Sachen aus der Wohnung zu bringen, als ihr Handy klingelte. Sie telefonierte mit ihrem Vater und dann hab´ ich sie hochgeschickt. Natürlich dachte ich, sie hätte euch von dem Telefonat erzählt.“

 

„Nein, hat sie nicht“, erwiderte Gibbs grimmig. „Wie auch immer, jetzt weiß ich auch so, was Eli David über Rosen herausgefunden hat.“ Er setzte die anderen kurz ins Bild.

„Danach gab es keinen Kontakt mehr. Wer auch immer Ziva angerufen hat, Eli war es nicht. Der dürfte jetzt schon auf dem Weg zum Flughafen sein. Er will den nächsten erreichbaren Flieger nehmen und so schnell wie möglich herkommen. Ich hatte keine Chance, es ihm auszureden, also richtet euch darauf ein. Bei der Gelegenheit, McGee…“ Er reichte Tim einen Zettel: „… Ich will, dass du Direktor David eine Zusammenfassung von allem, was wir bisher herausgefunden haben, per E-Mail schickst. Das ist die Adresse. Er wollte seinen Laptop mitnehmen – die Nachricht müsste ihn also erreichen.“

 

Angespanntes Schweigen war die Antwort. Jeder dachte sich seinen Teil. McGee hatte den Zettel kommentarlos entgegen genommen und nur genickt. Ducky war schließlich derjenige, der das Schweigen nach einer schier endlos währenden Zeitspanne brach.

 

„Ich denke, wir sind uns einig, dass Ziva David eine Person ist, die durchaus in der Lage ist, selber auf sich aufzupassen. Sie wird wissen, was sie tut.“

 

„Hoffentlich“, murmelte Gibbs. „Ich hoffe wirklich, du hast Recht, Ducky.“

 

„Vielleicht ist ihr ja auch nur was eingefallen und sie ist nach Hause gefahren, um etwas zu holen“, versuchte sich McGee an einer neuen Variante.

 

„Ich glaube es zwar nicht, aber wir werden das natürlich überprüfen, Tim. Ich werde gleich jemanden zu der Wohnung von den beiden rausschicken.“

 

McGee senkte deprimiert den Kopf. Gibbs wollte jemand anderen zu der Wohnung von Ziva und Tony schicken – niemanden aus dem Team. Das bewies, wie wenig er an die Chance glaubte, dass Ziva tatsächlich in ihre Wohnung gefahren sein könnte. Es war die einfachste Variante, nichts auszulassen, doch dabei keine wertvollen Ressourcen, sprich Zeit und wichtige Mitarbeiter, zu verschwenden. Er war natürlich stolz, dass Gibbs ihn offenbar zu den wichtigen Mitarbeitern zählte, aber viel lieber wäre es ihm gewesen, wenn das Team jetzt hier komplett im Büro sitzen würde. Gibbs, der Kopfnüsse verteilte, weil Tony sich mal wieder mit Ziva kabbelte und ihn hochnahm, anstatt sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.

 

Unvermittelt sprang Tim plötzlich auf und eilte an Ziva's Schreibtisch. „Ich habe noch gar nicht nachgesehen, was sie zuletzt an ihrem Computer gemacht hat“, stieß er erklärend aus. Flink tippte er auf der Tastatur herum und rief nacheinander die letzten Aktivitäten auf. Aber schon nach wenigen Augenblicken lehnte er sich frustriert zurück. „Nichts! Jedenfalls nichts, was mit ihrem Verschwinden zu tun haben könnte!“ Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und seufzte: „Gott, was gäbe ich jetzt für einen schönen, schnörkellosen Mord“.

 

Als seine Kollegen ihn erstaunt ansahen, setzte er hinzu: „Ach, kommt schon, Leute. Ist doch wahr. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich jage zehnmal lieber einen Mörder, der seine Frau im Affekt umgebracht hat, als eine hochgradig durchgeknallte Psychopatin, die noch dazu vom Mossad ausgebildet wurde.“ Gedankenverloren schob er mit seinem Fuß die Papiertüte unter Ziva´s Tisch hin und her.

 

„Genau!“ Abby nickte so heftig, dass ihre Rattenschwänze ruckartig hin und her wippten.

„Da bekommt man wenigstens Material, womit man vernünftig arbeiten kann: Blut, Tatwaffen, Fingerabdrücke, Knochenfragmente… Oh Mann…“ Sie schnalzte genießerisch mit der Zunge. „… ich würde töten für ein paar schöne Knochenfragmente oder etwas Knochenmark. Ich liebe es, das Zeug zu analysieren und – hey, wusstet ihr eigentlich, dass der menschliche Knochen aus 10 % Wasser, 20 % organischem Material und 70 % aus anorganischem Material besteht. Das ist wirklich hochinteressant, weil …“

 

„Abby. Langsam wirst du wirklich anstrengend“, sagte Gibbs mahnend.

 

„Ich weiß“, murmelte Abby bedrückt und wischte sich über die Augen. „Tut mir ja auch leid, aber ich kann nicht anders. Es ist doch nur, weil ich solche Angst um die beiden habe.“

 

Gibbs schloss Abby kurz in die Arme und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf den Scheitel. „Weiß ich doch“, sagte er leise, während er McGee zunickte: „Könntest du bitte diese dämliche Tüte endlich entsorgen. Du machst mich wahnsinnig.“

 

Zuerst sah es so aus, als wolle McGee etwas erwidern, doch dann bückte er sich schweigend nach dem Papierball, dessen eine Ecke immer noch abstand. In dem Moment, als er automatisch die Ecke an den Rest des Balles drücken wollte, fielen ihm die kritzeligen Buchstaben darauf auf. Er legte die Tüte auf dem Tisch ab und strich sie glatt.

 

„Was wird das denn jetzt“, erkundigte sich Gibbs gereizt. „Bist du jetzt unter die Recycler gegangen, oder was?“

 

Aufgeregt blickte McGee hoch: „Boss, ich glaube, ich hab´ da was. So wie es aussieht hat Ziva uns eine Nachricht hinterlassen.“

 

„Was sagst du da?“ Wie der Blitz waren Gibbs und Abby hinter ihm und blickten ihm rechts und links über die Schulter. Ducky folgte etwas gemächlicher und baute sich vor Ziva´s Tisch auf.

 

„Seht her!“ Tim hielt den Zettel so, dass alle ihn sehen konnten. Die Botschaft hatte durch das Zusammenknüllen und die Fettspuren in der Tüte zwar etwas gelitten, doch noch immer stand dort unwiderruflich mattschwarz auf brauner Tüte: Rebekka! Tysons Corner Center.

 

Einen Augenblick lang starrten alle sprachlos darauf. Dann kam plötzlich Bewegung in Gibbs, der sich maßlos darüber ärgerte, dass sie die Botschaft so lange übersehen hatten. Nicht auszudenken, wenn sie tatsächlich im Papierkorb gelandet wäre.

 

„McGee, schnapp dir die Autoschlüssel! Los!“

 

Teil 19

12.38 Uhr – Bei Tony im Keller

 

Tony's Gedanken waren immer wieder um dasselbe Thema gekreist. Befand sich Ziva in Sicherheit? Sogar die allgegenwärtigen Schmerzen waren ob der Dringlichkeit dieser Frage für den Moment etwas in den Hintergrund getreten. Hier zu sitzen und nichts tun zu können, machte ihn fix und fertig. Natürlich wusste er, dass seine Freundin in der Lage war, auf sich aufzupassen, doch er betete inständig, dass sie ihm zuliebe keine Dummheit beging.

 

„Du bist ein Profi, Ziva. Denk immer daran! Bei der Arbeit müssen wir unsere Gefühle füreinander hinten anstellen“, flüsterte Tony immer wieder kaum hörbar wie ein Mantra vor sich hin. „Wir haben darüber geredet, erinnerst du dich, Süße? Es muss sein!“

 

Gott, wie oft hatten sie dieses Thema in den letzten Monaten besprochen und sie waren sich beide einig gewesen, dass dies kein Problem sein würde. Aber nun war der Ernstfall eingetreten. Und plötzlich hatte Tony Zweifel. Wie würde er reagieren, wenn irgendwelche Schweine Ziva in ihrer Gewalt hätten? Würde er es tatsächlich schaffen, ruhig an seinem Schreibtisch zu sitzen und zu recherchieren? Nein, auf gar keinen Fall. Das hatte er ja schon nicht geschafft, als damals klar wurde, dass Ziva in Somalia in Gefangenschaft geraten war. Obwohl sie damals noch nicht zusammen gewesen waren, hatte er alles daran gesetzt, Gibbs weichzuklopfen, die Rettungsaktion zu starten. Und wenn dieser damals von ihm verlangt hätte, in Washington abzuwarten und von dort aus, wenn nötig, die weiteren Fäden zu ziehen? Hätte er das gekonnt? Nein! Hätte er nicht! Selbst wenn Gibbs ihm in seiner Abwesenheit wieder die Leitung übertragen hätte, was er seinerzeit sehr genossen hatte. Damals hatte er darauf gebrannt, etwas zu tun, um Ziva zu retten. Koste es, was es wolle. Niemals hätte er es geschafft, ruhig abzuwarten, wie die Aktion ausgehen würde. Und jetzt saß er hier in diesem verdammten Drecksloch fest und fürchtete nichts mehr, als dass Ziva genau das tun würde, was er damals getan hatte…

 

„Du bist ein Profi, Liebling.“ Plötzlich schüttelte ihn ein neuerlicher Hustenanfall und nur mühsam beruhigte sich seine Atmung wieder. Verzweifelt lehnte er seinen Kopf an die Wand und schloss die Augen. „Ich will nicht, dass du etwas Unüberlegtes tust, hörst du! Nein, natürlich hörst du mich nicht, aber verdammt noch mal, ich wünschte wirklich, du könntest mich jetzt hören!“ Ihm war fast, als könnte er Ziva´s Gegenwart spüren. Einerseits ein sehr tröstender Gedanke; andererseits bereitete der Gedanke ihm panikartige Angst.

 

In diesem Moment hörte er Geräusche vor der Tür. Die Schritte mehrerer Personen polterten die Treppe hinunter. Aber dieses Mal reagierte er auf die Tatsache, dass gleich seine Peiniger in den Raum treten würden, anders als bisher. Wollte er sich die letzten Male am liebsten verkriechen, wartete er diesmal fast ungeduldig, bis sich die Türe öffnete. Er musste erfahren, was mit Ziva war. Deshalb hatte er auch entschieden, nicht mehr den Bewusstlosen zu spielen, auch wenn dies bedeutete, dass sie ihn erneut quälen würden.

  

Angespannt lehnte er an der kalten Wand und starrte wie hypnotisiert zur Tür – und im gleichen Augenblick wurde sein schlimmster Albtraum wahr …

 

 

12.40 Uhr - Tysons-Corner-Center

 

McGee war es speiübel! Er fühlte sich wie nach einer Achterbahnfahrt – mal davon abgesehen, dass er nie freiwillig in eines dieser mörderischen Dinger mit Looping, Schrauben und extremen Abfahrten einsteigen würde. Aber er ging davon aus, dass er sich nach einer Fahrt in einer solchen Achterbahn wahrscheinlich ähnlich fühlen würde, wie nach der Autofahrt mit Gibbs zum Tysons-Corner-Center. Zunächst war er froh gewesen, dass Gibbs ihm die Autoschlüssel gelassen hatte, doch schon in der Tiefgarage auf dem Weg zum Wagen hatte er sie ihm mit einem knappen „Her damit – ich fahre!“ abgenommen. Und es war gekommen, wie es kommen musste: Gibbs hatte die Strecke zum Einkaufszentrum in einer absolut halsbrecherischen, rekordverdächtigen Zeit zurückgelegt. Selbst Ziva wäre, wenn sie davon gewusst hätte, neidisch geworden, denn Gibbs war noch deutlich schneller als sie selber gewesen. Er war mit Bleifuß durch die Straßen gehetzt und hatte dabei mehrere Male einen Unfall nur knapp verhindern können. Seinem armen Beifahrer war nichts Anderes übrig geblieben, als beide Beine fest in den Fußraum zu stemmen und sich krampfhaft an den Haltegriffen in der Tür und über dem Fenster festzuklammern. Trotzdem wäre er ein paar Mal in einer Kurve Gibbs fast auf den Schoß gerutscht, was dieser lediglich mit einem barschen „Weg da, Tim. Ich seh´ nichts!“ kommentierte, woraufhin McGee hastig den Rückzug auf seine Seite angetreten hatte.

 

Jetzt, exakt 14 Minuten nach ihrer Abfahrt aus dem HQ zwang Gibbs den Wagen mit kreischenden Bremsen direkt vor dem Haupteingang des Einkaufszentrums zum Stehen.

McGee stieß die Tür auf und torkelte kreidebleich mit der Hand vor dem Mund aus dem Fahrzeug. Er stieß einen jungen Mann beiseite und schaffte es gerade noch zu einem der Blumenkübel, die rechts und links den Eingang säumten. Dort angekommen kippte er den Oberkörper nach vorne und entleerte geräuschvoll seinen Mageninhalt in die liebevoll dekorierten Herbstblumen. Die befremdeten Blicke der Leute, die ihn dabei beobachteten, ignorierte er beschämt. Schon häufiger hatte ihn eine Autofahrt mit Gibbs an den Rand der Belastbarkeit seines Magens gebracht, aber diese war definitiv zu viel für ihn gewesen. Noch immer blass richtete er sich auf und suchte in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch, als er aus dem Augenwinkel das weiße Papiertuch registrierte, das ihm von links unter die Nase gehalten wurde.

 

„Bist du fertig?“, fragte Gibbs, ohne eine Spur von Mitleid zu zeigen.

 

„Ja, Boss, ich denke schon“, antwortete McGee, griff nach dem Taschentuch und rieb sich über die Mundwinkel. Ein Königreich für eine Zahnbürste, schoss es ihm durch den Kopf, doch er fürchtete zu Recht, dass Gibbs kein Verständnis für einen kurzen Besuch im Drogeriemarkt und im Waschraum haben würde.

 

„Gut, dann komm endlich. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

 

Ein Mann in einer Uniform, die ihn als Wachpersonal des Einkaufszentrums auswies, trat aus der Eingangstür und kam energisch auf Gibbs und McGee zu. Der nickte seinem Chef kurz zu und wies dann mit seinem Kopf in Richtung des offensichtlich erbosten Wachmannes.

 

„Boss…“

 

„Was denn noch?“

 

„Hallo, so geht das hier aber nicht“, mischte sich der Wachmann, der die beiden inzwischen erreicht hatte, ein. „Einer von Ihnen fährt jetzt sofort den Wagen hier weg und dann müssen wir noch über die Sauerei hier reden.“

 

„Es tut mir leid“, antwortete McGee mit hochrotem Kopf. „Ich werde selbstverständlich dafür sorgen, dass…“

 

„Gut, dass Sie kommen“, fiel Gibbs seinem Untergebenen ins Wort. So weit kam es noch, dass sie sich hier entschuldigten. Er zückte seinen Ausweis und hielt ihn dem Wachmann unter die Nase. „NCIS. Wo finde ich Ihre Kommandozentrale?“

 

„Ist etwas passiert?“

 

„Das muss Sie nicht kümmern.“

 

„Soll ich Alarm auslösen? Ist Gefahr im Verzug?“

 

„Auf gar keinen Fall. Machen Sie bloß keinen Aufstand? Das ist das Letzte, was wir hier brauchen können. Also? Wie kommen wir zur Zentrale?“

 

„Ich werde Sie hinbringen“, entschied der Mann, den Gibbs Autorität beeindruckte. McGee konnte es ihm nicht verdenken.

 

„Nein“, sagte Gibbs, griff nach der linken Hand des Mannes und drückte den Autoschlüssel hinein. „Es reicht, wenn Sie uns den Weg erklären. Wir waren Pfadfinder und werden den Weg dann schon finden. Sie können inzwischen unseren Wagen auf einen rechtmäßigen Parkplatz setzen.“

 

Völlig überrumpelt schloss sich die Faust des Wachmannes um den Autoschlüssel, während er Gibbs den Weg zur Kommandozentrale des Einkaufszentrums erklärte. Er hatte kaum geendet, als Gibbs sich auch schon grußlos abwandte und losmarschierte.

 

„Äh, was mache ich dann mit dem Schlüssel?“, fragte der Wachmann McGee.

 

„Bringen Sie ihn einfach in der Zentrale vorbei“, schlug Tim vor und lächelte kurz. „Vielen Dank für Ihre freundliche Kooperation. Ach ja, und wegen der Blumen melde ich mich später noch.“

 

„MCGEEEEE“, ertönte es ungeduldig von drinnen.

 

„Tut mir leid, ich muss…“ Tim zuckte entschuldigend mit den Schultern und eilte seinem Boss hinterher, der ihn bereits ungeduldig in der beeindruckenden Eingangshalle des Zentrums erwartete.

 

„Wo bleibst du denn?“, schimpfte er ungeduldig und wartete eine Antwort gar nicht erst ab. „Ich schlage vor, wir teilen uns. Ich gehe in die Kommandozentrale und spreche dort mit den Leuten, die die Bildschirmüberwachung machen. Vielleicht haben sie ja etwas Auffälliges gesehen. Außerdem werde ich mich um die Überwachungsbänder kümmern. Du klapperst die Ladenbesitzer ab. Hast du die Kopien der Fotos?“

 

„Klar, Boss.“ McGee klopfte auf die große Laptoptasche, die über seiner Schulter hing.

 

„Gut, wenn du etwas hast, ruf mich an. Ansonsten treffen wir uns in … sagen wir spätestens einer Stunde wieder vor dem Haupteingang. Mehr Zeit dürfen wir nicht riskieren.“

 

„In Ordnung. In einer Stunde.“

 

Gibbs hatte das schon gar nicht mehr mitbekommen – er stand bereits auf der Rolltreppe, die ihn in den ersten Stock führte. McGee beobachtete, wie die Finger seiner rechten Hand unablässig einen Rhythmus auf das schwarze Hartgummi der hinauf laufenden Handleiste trommelten. Wahrscheinlich ging es ihm alles mal wieder viel zu langsam. McGee seufzte tief und kramte die Fotos der Rivkin-Geschwister aus seiner Tasche. Er konnte es seinem Boss ja nachfühlen, er kannte Gibbs inzwischen lange genug, um zu wissen, wie er sich fühlte, auch wenn er nicht darüber sprach. Ziva hatte es riskiert, ihnen einen Hinweis zu hinterlassen. Gewiss war sie davon ausgegangen, dass sie schon längst Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatten, um sie zu finden. Dass der Hinweis so lange unbemerkt geblieben war, war unverzeihlich und genau das war es, was Gibbs jetzt noch mehr vorantrieb, als sonst normalerweise schon. Das Team wurde kleiner und kleiner und sie tappten immer noch im Dunkeln. Es wurde wahrlich Zeit, etwas daran zu ändern. Entschlossen setzte er sich in Bewegung und steuerte auf den ersten Laden, ein Blumengeschäft, zu.

 

 

12.41 Uhr – Im Keller bei Tony und Ziva

 

Durch den abrupten Stoß in den Rücken taumelte Ziva in den Kellerraum, hatte sich aber gleich darauf schon wieder gefangen. Sie landete auf den Knien und ihr Oberkörper kippte durch den Schwung nach vorne. Doch sie kam sofort wieder auf die Füße und noch während sie ihre Augen durch mehrmaliges Blinzeln dazu zwang, sich schnellstmöglich an das Halbdunkel in dem Kellerraum zu gewöhnen sah sie ihn! Ihr schräg gegenüber saß Tony auf dem Boden, er lehnte an der Mauer und seine rechte Hand war an die Wand gekettet. Sein Anblick versetzte ihr einen Schock, wie sie ihn selten zuvor in ihrem Leben hatte verdauen müssen. Tony´s nackter Oberkörper war mit blutigen Striemen übersät, an seiner Schläfe klaffte eine üble Platzwunde, die sich fast bis zum Wangenknochen hinunter zog und seine Lippen waren aufgerissen und blutverkrustet. Das schlimmste aber war der unendlich traurige Gesichtsausdruck, mit dem er sie ansah.

 

Wie paralysiert schüttelte Ziva andeutungsweise ihren Kopf und murmelte: „Oh mein Gott“. Dann kam plötzlich wieder Leben in sie und mit wenigen Schritten war sie bei ihm. Dieses Mal ließ sie sich freiwillig auf die Knie sinken und blickte ihren Freund mit feuchten Augen an. Es brach ihr fast das Herz, ihn so zu sehen. Wie gern hätte sie jetzt ihre Arme um ihn gelegt, aber die waren nach wie vor hinter ihrem Rücken gefesselt. „Tony“, flüsterte sie leise und beugte sich so weit nach vorn, dass sie ihre Stirn an die seine legen konnte. Wortlos verharrten sie mit geschlossenen Augen für einige kostbare Momente und suchten einfach nur Trost in der Anwesenheit des jeweils anderen.  

 

Endlich fand Tony seine Sprache wieder: „Ich hatte so gehofft, dass sie dich nicht kriegen und nun ...“ Verzweifelt sah er seiner Geliebten in die großen braunen Augen und mit einem Mal konnte er die Antwort darin lesen. „Oh, nein, Ziva…“, flüsterte er heiser. „Warum nur…Wieso hast du…?“

 

„Schsch …ruhig, wir werden einen Weg hier heraus finden. Du musst nur ganz fest daran glauben, hörst du?“ Es gelang Ziva sogar, ein kleines Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern, hinter dem sie ihre wahren Gedanken versteckte. Dass sie beide lebend diesen Keller verlassen würden, war definitiv äußerst unwahrscheinlich.

 

Vorsichtig setzte sie sich neben ihren Freund und lehnte sich seitlich mit der Schulter an die Wand. Als sie dabei versehentlich Tony´s linke Hand berührte, zuckte der sofort schmerzhaft zusammen. Zischend sog er die Luft in seine Lungen und Ziva, die bisher noch gar nicht richtig darauf geachtet hatte, dass er den Arm pausenlos schützend an den Körper presste, sah erst jetzt seine Verletzung. „Dein Arm ist gebrochen…“, stellte sie fest. Kaum hatte sie ausgesprochen, bemerkte sie noch mehr: „… und deine Hand ...“. Erschüttert sah sie ihn an. „Mein Gott, was haben sie bloß mit dir gemacht?“

 

„Tja, Rebekka hat mir deutlich gemacht, dass sie wohl genauso viele Foltermethoden kennt wie du“, meinte er sarkastisch. „Und sie denkt gar nicht daran, schon Schluss zu machen, glaub mir. Sie hat noch viele lustige Sachen für uns auf Lager. Wollen wir wetten?“

 

Der Zynismus in seiner Stimme tat Ziva fast körperlich weh. Antony DiNozzo, der seines Zeichens einer der größten Optimisten und Frohnaturen war, die sie je hatte kennenlernen dürfen, so mutlos zu sehen, war mehr, als sie ertragen konnte. Es schien fast so, als hätte er sich bereits aufgegeben.

 

„Ach, Tony“, seufzte sie. Sie fühlte sich unendlich traurig, aber nicht mutlos. Nur wusste sie nicht, wie sie Tony das vermitteln sollte.

 

Er antwortete nicht, sondern blickte sie nur schweigend an. Kurz bevor das Schweigen für Ziva unerträglich wurde, grinste er plötzlich schief. Es sollte wohl sein berühmt, berüchtigtes DiNozzo-Strahlelächeln sein, aber es missglückte ihm ziemlich. Aufgrund der zahlreichen Verletzungen in seinem Gesicht, verzerrte sich dieses eher zu einer Art Halloween-Maske. Ziva jedoch verlor kein Wort darüber. Sie war einfach nur glücklich darüber, dass er ihr ein Lächeln schenken wollte.

 

„Was ist los?“, fragte sie. „Was hast du?“

 

„Ich musste nur daran denken, dass wir schon wieder gefangen in einem Keller sitzen. Das scheint langsam zur Gewohnheit zu werden.“ Er musste husten und verzog schmerzhaft sein Gesicht. Ziva stellte bei der Gelegenheit fest, dass er ziemlich unterkühlt war und wahrscheinlich auch innere Verletzungen hatte. Sie tippte auf gebrochene Rippen, sagte aber erst einmal nichts dazu. Stattdessen antwortete sie leichthin:

 

„Du hast Recht, Schatz. Das sollten wir uns zukünftig abgewöhnen. Ich werde es auf unsere To-do-Liste setzen.“

 

Zukünftig! Ha! Als ob sie beide noch eine Zukunft hätten. Trotzdem verspürte Tony eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass Ziva ihn aufmuntern wollte. Er holte tief Luft und ließ seinen Blick ruhig über Ziva´s trauriges Gesicht wandern. Ob sie wohl ahnte, dass ihr Gesicht so viel anderes ausdrückte, als ihre Worte sagten? Wahrscheinlich nicht.

 

„Was?“, fragte sie wieder, dieses Mal offenbar verunsichert.

 

„Ich liebe dich, Ziva David“, flüsterte er leise. „Ehrlich, ich liebe dich so sehr.“ Er schluckte hart, um den dicken Kloß, der sich in seiner Kehle festgesetzt hatte, zu vertreiben. doch alles schlucken half nichts. Trotzdem zwang er sich, weiter zu sprechen. Wer wusste schon, wie viele Gelegenheiten ihm noch blieben. „Ich weiß, ich hab´ dich verdammt noch mal nicht verdient, aber du bist mit Abstand das Beste, was mir je passiert ist. Du hast mich zu einem besseren Menschen gemacht. Ich will, dass du das weißt“, schloss er schließlich mit erstickter Stimme.

 

Auch Ziva musste schlucken. Sie wusste zwar, dass er sie liebte, aber so deutlich und so intensiv machte er es ihr gegenüber nur selten deutlich. Stumme Tränen flossen über ihr Gesicht, ohne dass sie die Macht gehabt hätte, dies zu verhindern. „Ich liebe dich auch“, erwiderte sie ebenso leise, als ob diese Worte laut ausgesprochen ihren Zauber verlieren würden.

 

Teil 20

13.10 Uhr – In Abby´s Labor

 

Wie gewöhnlich dröhnte hämmernder Beat aus Abby´s Labor. Schon als Ducky aus dem Aufzug stieg hatte er das Gefühl, als vibriere der Boden unter seinen Füßen, dabei waren vom Aufzug bis hin zur geschlossenen Labortür durchaus noch einige Meter zurückzulegen. Nachgiebig schüttelte er mit dem Kopf. Er kannte Abby ja, aber diesmal schien es, als würde sie es doch etwas übertreiben. Er mochte sich gar nicht vorstellen, was Vance sagen würde, wenn er einmal zufällig hier unten vorbeischaute.

 

„Okay, alter Junge, stürz´ dich in die Höhle des Löwen. Du schaffst das“, redete er sich gut zu und öffnete mit einem Ruck die Tür zum Labor. Er hatte beschlossen, Abby ein wenig zu unterstützen. Er wusste zwar, dass die flippige Forensikerin bei ihrer Arbeit Erstklassiges leistete und wahrscheinlich seine Unterstützung gar nicht benötigte, doch er wollte es trotzdem versuchen. Und wenn er nur seelische Unterstützung leistete. Die konnte Abby immer gut gebrauchen, wenn sich eines ihrer „Familienmitglieder“ in unmittelbarer Gefahr befand. War sie normalerweise schon etwas exzentrisch, wurde sie in solchen Momenten gerne unberechenbar. Die Wahrheit jedoch war im Grunde, dass er es alleine unten in seiner Pathologie einfach nicht mehr ausgehalten hatte. Es gab keine Leiche und somit gab es auch für ihn im Moment nichts zu tun, außer sich Sorgen zu machen. Normalerweise konnte er sich in so einem Fall sehr gut mit Arbeit ablenken, nur dafür musste es natürlich Arbeit geben. So hatten seine Gedanken sich immer wieder um die zwei verschwundenen Agents gedreht und schließlich ein Gefühl in ihm verursacht, als ob ihm jeden Augenblick die Decke auf den Kopf fallen würde. Also hatte er sich auf den Weg zu Abby gemacht

Jetzt stand der alte Mann in der offenen Tür zum Labor, hielt sich die Ohren zu und beobachtete still die junge Goth bei der Arbeit. Mit hochkonzentriertem Gesicht wuselte sie von Bildschirm zu Bildschirm und ihre Finger flogen förmlich über die verschiedenen Tastaturen.

 

„Das gibt´s doch nicht“, murmelte sie dabei immer wieder vor sich hin. Zu verstehen waren die Worte zwar nicht, doch der Pathologe konnte sie deutlich von Abby´s Lippen ablesen. „Ich versteh´ das einfach nicht.“ Plötzlich schien sie Ducky´s Anwesenheit zu spüren und fuhr herum. Ein breites Lächeln erschien auf ihrem hübschen Gesicht. „Ducky!” Sie stürzte auf ihn zu und umarmte ihn heftig. „Schön, dass du da bist!“

 

„Nun ja, Abigail. Ich finde es auch schön, dass ich hier bin, aber vielleicht könntest du ja…“

 

„Was. Ich mach´ alles, wenn du nur hier bei mir bleibst.“

 

Das hatte er vor. „Machst du bitte die …Musik aus?“, bat er mit einem Lächeln.

 

„Was? Oh, ach ja, natürlich! Sekunde!“ Sie flitzte quer durch den Raum und gleich darauf wurde es still. Abby kam zurück. „Ist nicht ganz deine Musikrichtung, nicht wahr?“

 

„Nicht ganz.“ Das war zwar maßlos untertrieben, doch manchmal rechtfertigte der Zweck die Mittel und im Augenblick wollte er Abby´s Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken.

„Was tust du gerade?“, erkundigte er sich und wies mit einer weit ausholenden Handbewegung auf die blinkenden Bildschirme und das wohlgeordnete Chaos, das bei Abby immer herrschte.

 

„Ich versuche immer noch, etwas über diesen Alex Portsmith heraus zu bekommen. Aber es ist wirklich komisch. Über diesen Mann ist nichts zu finden. Es ist, als würde ich nach einem Phantom suchen.“

 

„Und das ist es, was du nicht verstehst?“

 

„Ja, genau. Es ist in der heutigen Zeit absolut ungewöhnlich, verstehst du? Im Zeitalter von Google und Online-Shopping, diesen ganzen Kontaktbörsen usw. Ich meine, jeder von uns hinterlässt doch beinahe täglich seine Spuren im Netz. Wenn er mit seiner Kreditkarte einkauft. Wenn er einen Begriff googelt. Wenn er Kontakte knüpft, und, und, und. Aber es ist absolut nichts zu finden. Außer das, was wir schon haben. Wirklich Ducky, du kannst mir glauben, das ist sehr, sehr, sehr ungewöhnlich“, berichtete Abby ernsthaft. „Ich forste mich hier seit Stunden durch sämtliche Bundesstaaten, aber so wie es aussieht, hat Mr. Portsmith noch nicht einmal eine Schule besucht. Vielleicht hatte er ja Privatlehrer, was meinst du?“

 

„Entweder das, oder…?“ Ducky brach ab und dachte nach.

 

„Oder? Nun sag schon, Ducky. Was meinst du?“, drängte Abby ungeduldig.

 

„Was ist, wenn du gar nicht nach einem Phantom suchst?“, fragte Ducky gedehnt.

 

„Sondern? Bitte, Ducky! Spann mich nicht so auf die Folter! Ich halte das nicht aus!“ Ungeduldig wippte Abby auf den Fußspitzen hin und her.

 

„Sagen wir mal, du suchst nach einem Phönix. Wie der, der aus der Asche stieg, weißt du? Ich gehe mal davon aus, du kennst die Geschichte. Sie kommt aus der altgriechischen Mythologie. Sie besagt…“ Eine Handbewegung von Abby brachte den Pathologen zum Schweigen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Abby ihn an.

 

„Du meinst …Mann, verdammt, dass ich daran nicht gedacht habe.“ Sie stürzte zurück an ihre Computer und änderte umgehend die Suchbefehle. „Macht schon, los, nun macht schon“, schimpfte sie dabei leise vor sich hin.

 

„Schön, wenn ich dir weiterhelfen konnte, Abigail. Kann ich vielleicht sonst noch etwas für dich tun?“, erkundigte sich Ducky mit einem Lächeln.

 

„Ja“, antwortete Abby leicht abwesend. „Ein CafPow wäre jetzt toll. Könntest du mir wohl bitte einen besorgen? Ich glaube, ich bekomme langsam Entzugserscheinungen.“

 

„Sicher“, erwiderte der deutlich ältere Mann leicht verblüfft, ob ihres Wunsches. „Ich will sehen, was ich für dich tun kann.“

 

„Gut, danke. Bis gleich.“

 

*****

 

Keine zehn Minuten später betrat der Pathologe wieder das Labor, dieses Mal bewaffnet mit Abby´s Lebenselixier. Abby stand an einem Tisch und zerrte gerade ungeduldig mehrere Blätter aus dem Drucker.

 

„Hier.“ Er stellte den Becher neben ihr auf dem Tisch ab. „Ich hoffe, es ist der richtige.“ Er war es nicht gewohnt, Abby mit CafPow zu versorgen – das war normalerweise Gibbs´ Aufgabe und hin und wieder auch Tony´s. Ducky fühlte sich seltsam geehrt, dass Abby ihn losgeschickt hatte, ihr Lieblingsgetränk zu besorgen.

 

„Oh, ja!“, jubelte Abby und fiel ihm überschwänglich um den Hals.

 

„Na ja“, murmelte er etwas verlegen. „So was Besonderes habe ich ja nun nicht geleistet.“

 

„Aber sicher hast du das!“ Abby drückte ihm einen feuchten Schmatzer auf die Wange. „Die Idee mit dem Phönix war Gold wert. Es war genauso, wie du vermutet hast. Ich habe die ganze Zeit nach einem lebendigen Menschen gesucht. Nachdem ich nun die Suchbefehle geändert habe, und nach Toten gesucht habe, hatte ich endlich Erfolg. Tadaaa!“ Sie fuchtelte mit einer bedruckten Seite vor Ducky´s Nase herum. Links oben in der Ecke war ein kleines Foto zu sehen – ein Babyfoto. „Gestatten: Alex Portsmith. Geboren am 24.03.1968 in Staten Island und gestorben am 05.07.1968 in New York City. Der arme kleine Kerl ist noch nicht mal 4 Monate alt geworden. Das ist so traurig.“ Ihr Gesicht drückte ehrliches Bedauern aus. „Er kam schon drogensüchtig auf die Welt. Frühgeburt. Anfang 7. Monat. Seine Mutter war auf Heroin und kam auch in der Schwangerschaft nicht davon los. Die paar Monate, die klein Alex auf der Welt war, kämpfte er mit Krankheiten und Entzugserscheinungen.“ Sie seufzte tief. „Ich schätze, er hatte wohl nie eine echte Chance. Aber verstehst du: Dieses Baby ist der Phönix in dieser Geschichte. Er ist 1968 gestorben und einige Jahrzehnte später steigt er hier in Washington strahlend und kerngesund aus der Asche wieder auf. Deshalb konnte ich nichts über ihn finden – es gab ihn vorher einfach nicht.“

 

„Portsmith ist also die Identität eines Toten“, stellte Ducky nüchtern fest. „Gute Arbeit, Abigail. Aber noch sehe ich nicht, wie uns dieses Wissen weiterhilft.“

 

Abby kaute auf der Kappe eines Stiftes herum. „Tja, siehst du, Ducky, dafür haben wir unseren guten, alten Gibbsman. Wir finden etwas heraus, und er entscheidet, ob es uns weiterbringt. Ich checke noch ein paar Daten und dann werde ich ihn gleich anrufen.“

 

„Tu das, Abby, tu das.“ Aus irgendeinem unerfindlichen Grund verspürte Ducky Stolz, etwas zu dem Fall beigetragen zu haben, ohne an einem Toten herumgeschnippelt zu haben. Es war ein gutes Gefühl, helfen zu können, ohne dass dafür zuvor jemand gestorben war.

 

 

13.18 Uhr – Im Keller bei Tony und Ziva

 

Schweigend waren Tony und Ziva die letzten Minuten Schulter an Schulter nebeneinander gesessen, als sie wieder den verhassten Schlüssel hörten, der eine weitere Folter ankündigte. Womöglich die letzte! Sofort stand Ziva auf. Sie wollte alles in ihrer Macht stehende tun, um Tony wenigstens diesmal vor erneuten Grausamkeiten zu bewahren.

 

„Ziva – nicht!“ Er versuchte, sie zurückzuhalten, aber sie war wild entschlossen, sich gegen die vier Aggressoren zu wehren.

 

Hintereinander traten Rebekka und die drei Israelis in den Raum.

 

„Und? Hast du die Minuten mit ihm genossen?“ fragte Michaels Schwester mit einem abfälligen Kopfnicken in Tony's Richtung. „Schön, dann dürfte er ja gestärkt sein für die nächste Runde“. Mit diesen Worten gab sie ihren Kumpanen ein Zeichen. Erez schnappte sich ein Seil und verankerte den Stuhl, auf dem Rebekka vor Stunden gesessen und Tony's Überlebenskampf beobachtet hatte, mit wenigen Handgriffen an zwei im Boden eingelassenen Ringen. Um beide Hände frei zu haben steckte er seine Pistole währenddessen in seinen Hosenbund. Anschließend gingen er und Aaron langsam zu Ziva, packten sie an den Oberarmen und zerrten sie zu dem Stuhl in der Mitte des Raumes. Erstaunlicherweise ließ Ziva das ohne größere Gegenwehr mit sich geschehen.

 

„Bindet sie an den Stuhl“, befahl Rebekka. „Sie darf zusehen, was ich mir für ihn ausgedacht habe.“ Mit einem bösen Lächeln sah sie zu Tony und so entging ihr, dass Ziva sich innerlich anspannte, um die winzige Chance zu nutzen, die sich ihr gleich hoffentlich bieten würde. Erez war eben dabei, ihre Handschellen zu öffnen, um sie anschließend an die Armlehnen des Stuhles zu fesseln. In dem Moment, als er ihr die Stahlbänder abnahm und sie auf den Stuhl drücken wollte, explodierte Ziva. Mit einer blitzschnellen Bewegung griff sie nach der Pistole in Erez' Hosenbund und riss diese heraus. Jedoch reagierte der junge Israeli fast genauso schnell, wie sie. Bevor sie die Waffe auf Rebekka richten konnte, fiel er ihr mit einem wütenden Aufschrei in den Arm. Verbissen kämpften sie um die Waffe. Mittlerweile hatten auch Aaron und Thomas ihre Schrecksekunde überwunden und stürzten sich nun gemeinsam auf Ziva, die wie eine Löwin um ihre Chance kämpfte. Mit vereinten Kräften versuchten die Männer, Ziva die Waffe zu entreißen, was ihnen zunächst nicht gelingen wollte. Kurze Schmerzensschreie und unterdrücktes Stöhnen in den verschiedensten Tonlagen erfüllten den Raum und weder Rebekka noch Tony war es möglich zu sagen, wer in diesem ungleichen Kampf im Vorteil war. Rebekka feuerte wütend ihre Männer an und Tony betete still mit weit aufgerissenen Augen für Ziva, obwohl er sehr gut wusste, dass sie im Grunde keine Chance gegen drei ausgewachsene Männer hatte. Sie war zwar eine gute Kämpferin, das hatte sie in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, doch sie hatte keine Superkräfte. Er wollte nur, dass sie ihre verrückte Aktion überlebte.

 

Plötzlich knallte ein Schuss. Der Geruch von Schießpulver hing in der Luft und mit einem Mal herrschte Totenstille im Raum. Erez war mitten in der Bewegung erstarrt und blickte Ziva ungläubig an. Langsam, fast wie in Zeitlupe, ließ er ihre Hand los und sank mit einem dumpfen Klatschen zu Boden. Trotzdem konnte Ziva keinen weiteren Vorteil daraus ziehen, denn im selben Augenblick hieb ihr Thomas Rivkin den Lauf seiner Waffe mit voller Wucht gegen die Schläfe. Nur wenige Sekunden nach Erez schlug sie bewusstlos auf dem Boden auf. Den entsetzten Aufschrei von Tony hörte sie nicht mehr.

 

To be continued - mit Teil 21 .- allerdings muss schon wieder ein neuer Thread her...

 

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