AUSSER KONTROLLE - THREAD II

Banner by Evelyne - ich dank´ dir :o)
Banner by Evelyne - ich dank´ dir :o)

Kapitel 8 - Eine überraschende Begegnung

Frank erwachte, als ihm die nasskalte Novemberluft langsam aber nachdrücklich in alle Gliedmaßen kroch. Verwirrt setzte er sich auf und brauchte erst einmal einen Moment, um sich zurechtzufinden. Auf den umliegenden Matratzen waren im Halbdunkel undeutlich ein paar andere zusammengerollte Gestalten zu erkennen. Außer vereinzelten tiefen Atemzügen und Schnarchlauten war es still geworden in dem zugigen Raum. Der Rest der Truppe war wahrscheinlich mit Nick in der Stadt, um Passanten anzubetteln oder zu beklauen. Frank war fast dankbar, dass er eingeschlafen war … ansonsten hätte Nick sicherlich von ihm verlangt, sie zu begleiten. Er streckte sich ausgiebig und versuchte, die unangenehme Kälte aus seinen Knochen zu vertreiben. So toll, wie im Frühjahr und im Sommer fand er das Leben hier draußen in dem halbverfallenen Fabrikgebäude schon lange nicht mehr. Er sehnte sich plötzlich nach seinem gut geheizten Zimmer und einer warmen Mahlzeit. Die Geräusche, die aus seinem Inneren kamen, erinnerten ihn daran, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Frank beschloss nach Hause zu fahren, wie er es seiner Mutter versprochen hatte. Draußen war es bereits stockfinster, aber das bedeutete nichts. Die Tage im November waren schließlich kurz. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte Frank, die Zeiger auf seiner Armbanduhr zu entziffern, nachdem er festgestellt hatte, dass der Akku seines Handys mal wieder leer war. Verdammt, es war schon weit nach Mitternacht. Adieu warme Mahlzeit. Und seine Mutter war gewiss auch schon im Bett – vermutlich einmal mehr tief enttäuscht von seinem Verhalten. Nun gut, dann würde er sie eben beim Frühstück treffen, versuchte er sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.

 

Steif erhob sich Frank von der Matratze und ging hinaus zu seiner Maschine. Leise bockte er das Motorrad ab, schob es bis auf die Straße und noch ein ganzes Stück weiter vom Fabrikgelände weg. Erst dann traute er sich, den Motor zu starten. Instinktiv ahnte er, dass er nicht wegkommen würde, wenn die anderen aufwachten. Fröstelnd fuhr er mit gemäßigtem Tempo durch die Nacht, bis ihm auf halber Strecke in einer ruhigen Wohngegend der Sprit ausging. Leise fluchend durchsuchte er seine Taschen und musste gleich darauf feststellen, dass er restlos blank war.

 

„Scheiße. Auch das noch.“ Wütend auf sich selber bockte er die Maschine hoch, schloss sie an einem Gitterzaun ab und machte sich, leise vor sich hinfluchend, auf den Weg. Nachdem er sich orientiert hatte, wusste er, dass noch mindestens eine Stunde Fußweg vor ihm lag. Prächtig! Das hatte ihm echt gerade noch gefehlt.

 

Frank war noch nicht weit gekommen, als er plötzlich Stimmen hörte. Überrascht blieb er stehen und lauschte. Vielleicht hatte er ja Glück und da war jemand, der ihm weiterhelfen konnte. Rasch bog er um die nächste Ecke, nur um gleich darauf hinter einem geparkten Wagen in Deckung zu gehen. Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Selbst im durch den Nebel getrübten Licht der Straßenlaternen, erkannte er das rothaarige Mädchen vom Vormittag sofort wieder. Sie trug jetzt Jeans, Boots und eine dicke Daunenjacke, aber diese Mähne hätte er überall wieder erkannt. Nur … dieses Mädchen konnte er ja wohl schlecht um Hilfe bitten. Es war zu wahrscheinlich, dass entweder sie oder der Typ, aus dessen Wagen sie am Morgen gestiegen war, ihn erkennen würden. Die beiden anderen Typen hatte er noch nie gesehen. Vielleicht konnte er ja die beiden um Hilfe bitten, wenn das Mädchen und ihr Freund verschwunden waren. Frank blieb sicherheitshalber in Deckung und beobachtete, wie das Fahrrad des Mädchens hinten in den alten VW-Bus verladen wurde. Hoffentlich stiegen jetzt nicht alle in den Bus und fuhren davon. Dann stünde er genauso bescheiden da, wie zuvor. Ohne Geld, ohne Benzin, aber dafür mit einem langen Fußweg vor sich. Bitte nicht, flehte Frank im Stillen.

 

„Okay“, hörte er da zu seiner Erleichterung einen ihrer drei Begleiter sagen. „Wir sehen uns am Wochenende. Und nimm ja nicht wieder einen Zusatzdienst an.“

 

„Dennis, ich finde, es reicht“, meldete sich der Zweite zu Wort.

 

„Ist doch wahr. Wär´ ja schließlich nicht das erste Mal.“

 

Frank beobachtete, wie der als Dennis angesprochene grüßend die Hand hob, bevor er in einen Golf, der hinter dem VW-Bus parkte, einstieg und gleich darauf davonfuhr. Mist, jetzt blieb nur noch einer übrig…

 

„Wenn der nicht bald aufhört, rumzustänkern, steige ich aus“, sagte nun das Mädchen. Frank registrierte am Rande, dass sie eine sehr angenehme Stimme hatte, obwohl sie wütend zu sein schien. „Für Dennis gibt es nur schwarz und weiß.“

 

„Du weiß doch, wie er ist“, murmelte der Typ, der schon am Morgen bei ihr gewesen war. Offenbar ihr Freund. „Hunde die bellen …“

 

„Er hat Stress mit seiner Freundin“, fügte der andere hinzu.

 

„Dann soll er den gefälligst nicht an mir auslassen“, fauchte das Mädchen. „Ich hab´ grade genug eigenen Stress.“ Sie stieg in den Lieferwagen. „Mike, kommst du? Ich bin hundemüde.“

 

„Sekunde. Ich bin gleich da.“ Bevor dieser Mike einstieg, sagte er noch so leise etwas zu dem anderen Jungen, dass es für Frank nicht zu verstehen war. Doch er konnte im Halbdunkel erkennen, wie der Andere verständnisvoll nickte.

 

„Ich weiß ja. Mach dir keine Sorgen. Gute Nacht und kommt gut heim.“

 

Frierend beobachtete Frank, wie der VW-Bus startete und gleich darauf davonfuhr. Jetzt galt es! Er musste sich beeilen, bevor der Letzte auch noch verschwand. Er kam hinter dem geparkten Wagen hervor und rief: „Hey. Halt. Warte mal.“

 

Der Jugendliche drehte sich um: „Meinst du mich?“

 

„Ja! Mann, jetzt bleib doch endlich mal stehen.“

 

Zügig bewegte Frank sich auf den Jungen zu, doch der hob in Anbetracht von Franks nicht sehr einnehmenden Äußeren abweisend eine Hand. „Hey, stopp! Kannst du mir nicht von dort aus sagen, was du von mir willst?“

 

Erschrocken über diese Reaktion blieb Frank auf der Stelle stehen. Ihm war, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Abwehrend hob er beide Hände, so dass sein Gegenüber sie sehen konnte. „Sorry. Bitte warte. Ich wollte dich nicht erschrecken. Mir ist bloß das Benzin ausgegangen. Meine Kiste steht gleich hier um die Ecke. Du hast wohl nicht zufällig ´n bisschen Sprit für mich?“

 

Sein Gegenüber zögerte: „Bist du allein?“

 

„Ja … ja klar.“

 

„Du bist doch einer von diesen Typen, die in der alten Fabrik abhängen, oder? Du hast tatsächlich ein eigenes Motorrad?“

 

„Ja. Wo ist das Problem? Willst du vielleicht die Papiere sehen?“, fragte Frank schärfer, als er es beabsichtigt hatte. Als er keine Antwort bekam, zuckte er resigniert mit den Schultern. „Okay, ich versteh´ schon. Vergiss es.“ Er drehte sich um und wollte verschwinden.

 

„Halt. Warte.“

 

Erstaunt drehte Frank sich um. „Was denn noch?“

 

„In der Garage müsste noch ein Kanister stehen. Warte hier, ich werde ihn holen.“

 

Frank nickte und wartete. Kurz darauf kam der Junge mit einem Kanister in der einen Hand und einem Stück Schlauch in der anderen zurück. „Der Kanister ist leer“, erklärte er. „Aber da drüben steht mein Wagen. Wir könnten etwas abzapfen, okay?“

 

„Ja, klar. Danke“, antwortete Frank erleichtert. „Das ist echt nett von dir, Mann. Du bist meine Rettung.“

 

„Paul. Ich heiße Paul.“

 

„Frank.“

 

„Was ist? Wollen wir?“

 

„Von mir aus jederzeit.“

 

Geschickt saugte Paul mit dem Schlauch etwas Benzin an und ließ es dann aus dem Tank seines alten Käfers in den Kanister laufen, bevor er diesen schließlich an Frank weiterreichte.

 

„Hier. Ich hoffe, das genügt. Viel hab´ ich auch nicht mehr drin und ich muss wenigstens noch bis zur nächsten Tanke kommen.“

 

„Klar reicht das. Hör zu, ich würd´ dir den Sprit ja gern bezahlen, aber …“

 

„Schon in Ordnung. Und entschuldige meine Reaktion von eben. Ich dachte nur immer, na ja, nachdem, was man so hört, dachte ich eben, ihr nehmt euch einfach, was ihr braucht und daher war ich ziemlich überrascht, dass…“ Erschrocken hielt Paul inne. „Oh, sorry. Ich wollte nicht … ich meinte nur …“

 

„Vergiss es.“ Frank grinste schief. „Ich weiß, was über uns geredet wird und mal ehrlich, ganz so falsch ist es ja auch nicht. Also nochmals danke. Du brauchst nicht zu warten. Ich stell´ dir das Ding gleich vor die Garage, okay?“ Er schwenkte den Kanister kurz durch die Luft und machte sich auf den Weg zu seinem Motorrad. Dabei spürte er förmlich Pauls nachdenkliche Blicke in seinem Rücken.

 

*********

 

Es war bereits gegen drei Uhr morgens, als er endlich todmüde zu Hause ankam. Er sparte sich den Umweg über die Küche. Dort würde er um diese Zeit eh nichts Brauchbares mehr finden. Tief in Gedanken versunken fuhr Frank mit dem Aufzug direkt nach oben in den Privatbereich der Familie. In seinem Zimmer angekommen knipste er das Licht an und fuhr im gleichen Moment genauso erschrocken zusammen, wie seine Mutter, die zusammengekauert mit angezogenen Beinen in seinem Sessel eingeschlafen war.

 

„Mama! Was zum Teufel machst du hier?“

 

„Ich habe auf dich gewartet.“ Der Vorwurf in der Stimme seiner Mutter war nicht zu überhören. „Du kommst spät.“

 

„Scheint so, als läge das in der Familie“, erwiderte Frank gepresst.

 

„Lass uns bitte nicht schon wieder davon anfangen“, bat seine Mutter müde und hielt ihm einen Zettel entgegen. „Nicht jetzt, okay? Hier, nimm das. Markus hat für dich einen Termin bei der Bewährungshelferin gemacht. Morgen Mittag, gleich nach der Schule.“

 

„Warum zum Henker mischt Becker sich da ein?“, fuhr Frank aufgebracht auf. „Ich hätte die Frau morgen schon selber angerufen.“

 

„Wahrscheinlich weil alle gedacht haben, du meldest dich heute schon bei ihr und bevor du dich gleich wieder aufregst: Sie übrigens auch. Als Markus feststellte, dass sie noch nichts von dir gehört hat, hat er gleich Nägel mit Köpfen gemacht. Also bitte, sei morgen pünktlich.“

 

Frank nickte mit gesenktem Kopf. Seine Mutter stand auf und ging zur Tür.

 

„Mama?“

 

„Ja?“ Frau Baumann blieb an der Tür stehen und drehte sich um.

 

„Mir war der Sprit ausgegangen und ich hatte kein Geld mit. Das ist alles. Hat `ne Weile gedauert, bis ich jemanden fand, der bereit war, mir zu helfen.“

 

„Sicher.“ Frau Baumann nickte traurig.

 

Frank zog eine Grimasse. „Du glaubst mir nicht“, stellte er dann lakonisch fest. War ja klar.

 

„Doch, doch, ich glaube dir“, antwortete seine Mutter eine Spur zu schnell. „Frank, bitte fahr morgen nach der Schule zu der Frau, ja?“

 

„Versprochen“, antwortete Frank im Brustton der Überzeugung und es war ihm tatsächlich ernst.

 

Kapitel 9 - Ein aufschlussreicher Termin

Trotzdem aller guten Vorsätze hätte Frank den für ihn so wichtigen Termin bei seiner Bewährungshelferin am nächsten Tag doch fast verschwitzt, da er, anstatt in die Schule, lieber noch mal zur alten Fabrik raus gefahren war. Dort gab es Neuigkeiten. In der vergangenen Nacht hatte die Polizei drei Leute aus der Gruppe bei einem Drogendeal erwischt und in U-Haft genommen. Frank war zum zweiten Mal heilfroh, dass er am Vortag eingeschlafen war. Nicht auszudenken, wenn er zusammen mit den Anderen unterwegs gewesen wäre. Er hielt sich wohlweislich aus der hitzigen Diskussion, ob die drei Festgenommenen wohl dichthalten würden, heraus und wurde erst hellhörig, als Nick seine neueste Idee kundtat.

 

„Ich finde, wir sollten versuchen, die drei dort rauszuholen. Dann können sie auch keinen Bockmist verzapfen.“

 

„Und wie willst du das anstellen?“, erkundigte sich einer von Nicks Mitläufern.

 

„Genau. Willst du etwa bei den Bullen einsteigen“, fragte ein anderer und alle lachten.

 

„Bullshit!“, antwortete Nick grob. „Aber es ist doch so, dass man bis zur Verhandlung auf freien Fuß gesetzt wird, wenn man einen festen Wohnsitz nachweisen kann und keine Fluchtgefahr besteht.“

 

„Oh ja, klasse. Sollen sie vielleicht die Fabrik als Wohnsitz angeben? Tolle Idee, wirklich.“

 

„Nein, nicht die Fabrik. Aber wie wär´s zum Beispiel mit einem Hotel?“ Nick blickte Frank direkt ins Gesicht.

 

„Bist du irre?“, brauste der auf. „Das ist ein Hotel. Keine billige Absteige.“ Als er die Blicke der anderen bemerkte, versuchte er, seine Worte abzuschwächen. „Mensch, Nick. Da spielen meine Eltern doch niemals mit.“

 

„Müssen sie auch gar nicht. Du musst nur sehen, dass du an den PC kommst, fälschst die Einträge, machst einen Ausdruck und kannst gleich darauf die Einträge schon wieder löschen. Dann geht du mit dem Ausdruck zu den Bullen und das Thema ist durch.“

 

„Ach ja? Glaubst du? Was ist, wenn die Bullen im Hotel aufkreuzen und Fragen stellen?“

 

Nick zuckte mit den Schultern. „Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.“ Als er bemerkte, dass die anderen beifällig nickten, fügte er hinzu: „Vergiss nicht unser Motto: Alle für einen und einer für alle.“

 

„Ach ja“, zischte Frank. „Ist das so? Und wo wart ihr dann gestern?“

 

„Hätten wir dir vielleicht helfen können?“, fragte Nick in einem Tonfall, als würde er mit einem Kleinkind reden. Seine Augen sprachen allerdings eine andere Sprache. Eiskalt ruhte sein Blick auf Frank. „Na, was ist? Hätten wir?“

 

„Nein“, gab der widerstrebend zu.

 

„Siehst du. Aber du hast die Möglichkeit, den anderen aus der Patsche zu helfen. Können wir auf dich zählen?“

 

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, während Frank sichtlich mit sich rang. „Nein“, sagte er schließlich entschlossen. „Wenn das rauskommt, wandere ich in den Bau noch bevor ich meine Bewährungshelferin überhaupt kennengelernt habe.“ Kaum hatte er ausgesprochen, fiel ihm siedendheiß der Termin ein. „Scheiße! Ich muss los! Die Tussi wartet schon auf mich.“ Er sprang auf und rannte raus zu seiner Maschine. Als er gerade den Motor starten wollte, hörte er Nicks Stimme.

 

„Frank?“

 

„Was denn noch?“ Ungeduldig drehte der Jugendliche sich zu Nick um.

 

„Dieses Mal lassen wir uns noch was anderes einfallen, aber beim nächsten Mal …“ Nicks Stimme bekam einen eindeutig drohenden Unterton. „ … solltest du dir gut überlegen, ob du uns wieder hängen lässt. Und wenn ich gut sage, dann meine ich wirklich gut. Lass dir das nicht zur Gewohnheit werden, klar?“

 

Frank schüttelte genervt den Kopf, startete seine Maschine und raste davon, um zu retten, was noch zu retten war. Er war bereits zu spät und er setzte alles daran, es nicht noch schlimmer zu machen. Doch eine Umleitung machte ihm einen zusätzlichen Strich durch die Rechnung. Fast eine Stunde zu spät klopfte er schließlich völlig außer Atem an die Tür von Barbara Schäfer, seiner Bewährungshelferin.

 

„Herein.“

 

Frank öffnete die Tür und das Bild, das sich ihm gleich darauf bot, verschlug ihm glatt die Sprache. Hinter einem großen Mahagonischreibtisch, auf dem sich die Akten turmhoch stapelten, saß eine junge, hübsche blonde Frau mit gewollt lässig hochgesteckten Haaren und klassischen Gesichtszügen. Frank starrte sie überrascht an. Die Frau konnte doch höchstens Ende zwanzig sein und sie entsprach so ganz und gar nicht der Vorstellung, die er sich im Vorfeld zurecht gelegt hatte.

 

„Frau Schäfer“, erkundigte er sich unsicher.

 

Die junge Frau nickte, stand auf und reichte ihm die Hand. „Sie müssen Frank Baumann sein. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie gerne duzen. Ich rede gerne Klartext und das macht es einfacher.“

 

„Oh, ähm …kein Problem.“ Wider Willen war Frank beeindruckt, aber auch leicht verunsichert.

 

„Sehr gut, dann hätten wir das ja schon mal geklärt.“ Die Frau blätterte in einer Akte, bevor sie aufblickte und Franks leicht konsternierten Blick bemerkte. „Stimmt was nicht?“

 

„Nein, es ist nur … ich hab´ sie mir ganz anders vorgestellt. Viel älter“, platzte Frank ehrlich heraus.

 

„Lass den Schmus und setz dich“, antwortete Barbara Schäfer mit einem rätselhaften Schmunzeln. „Ich gebe dir den guten Rat, dich durch mein Aussehen nicht täuschen zu lassen.“

 

„Oh, okay, ich habe verstanden.“ Frank nickte und nahm vor dem Schreibtisch Platz, während Barbara Schäfer ihn einer eindringlichen Musterung unterzog.

 

„Ich habe dich schon viel früher erwartet“, stellte sie nach einer Pause fest. „Was war los?“

 

„Ein Stau …?“, antwortete Frank gedehnt und bemerkte im gleichen Augenblick selber, dass seine Antwort eher wie eine Frage klang.

 

Die Frau schaute auf ihre Uhr und nickte langsam. „Verstehe. Muss ja ein dicker Stau gewesen sein.“

 

„Wie bitte?“

 

„Na ja, der Weg von deiner Schule hierher ist nicht allzu weit.“

 

„Ja …“ Frank war mittlerweile komplett verwirrt.

 

„Ich habe vor einer halben Stunde in deiner Schule angerufen.“

 

„Scheiße.“ Mehr viel Frank nicht ein. Was sollte er auch groß dazu sagen? Irgendwie lief das Gespräch schon zu Anfang völlig aus dem Ruder. Vielleicht sollte er etwas tun, um wieder in einem besseren Licht dazustehen. Nur was? Barbara Schäfer schwieg solange, bis Frank es nicht mehr aushielt. „Und?“

 

Die Bewährungshelferin schwieg weiter und zog lediglich gekonnt eine Augenbraue hoch.

 

„Sie haben mich erwischt“, gab Frank schließlich ehrlich zerknirscht zu. „Wie geht´s jetzt weiter? Lassen Sie mich direkt einlochen?“

 

„Immer langsam mit den jungen Pferden. Es spricht nicht gerade für die Erfolgsquote eines Bewährungshelfers, wenn seine Klienten einfahren müssen. Von daher vermeide ich so was immer gerne, wenn es geht. – Tja, wie geht´s jetzt weiter? Das scheint nicht ganz so einfach zu sein. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Es liegt alleine an dir. Ich nehme an, du hast dir das Angebot meines Vaters nicht noch einmal durch den Kopf gehen lassen?“

 

„Ihr Vater? Ich kenne Ihren Vater nicht“, antwortete Frank verwundert. „Ehrlich, ich weiß nichts von einem Angebot.“

 

„Oh doch, du kennst meinen Vater – Richter Dohmen“, erklärte Barbara Schäfer und amüsierte sich innerlich königlich über Franks blankes Entsetzen, das man ihm nach ihrer Erklärung am Gesicht ablesen konnte. „Mein Ex-Mann heißt Schäfer. Ich habe nach der Scheidung den Namen behalten. Dohmen ist mein Geburtsname. So einfach ist das.“

 

„Ist ja klasse“, konstatierte Frank ironisch. „Schön, dass wir das geklärt haben. Sagen Sie, bin ich hier in eine Verschwörung geraten, oder was?“

 

„Sicher nicht. Es hat alles seine Richtigkeit.“

 

„Okay, auch gut. Ich kann es ja eh nicht ändern. Sie können Ihrem Vater ausrichten, dass sein Angebot nach wie vor für mich indiskutabel ist.“

 

„Das dachte ich mir schon. Dann müssen wir jetzt mal einige Punkte klarstellen. Erstens solltest du fairer weise wissen, dass ich fest dazu entschlossen bin, Karriere zu machen. Zweitens ist bis jetzt noch keiner meiner Fälle den Bach runtergegangen und Drittens hoffe ich sehr stark, dass wir beide ab heute an einem Strang ziehen und du nicht der Erste sein wirst, der unter meiner Betreuung seine Bewährung verspielt. Wenn du das alles berücksichtigst, kommen wir beide prima miteinander zurecht. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

 

„Sonnenklar.“

 

„Sehr schön. Dann reden wir jetzt über deine Sozialstunden. Ich kenne ein Alten- und Pflegeheim, wo zurzeit dringend eine zusätzliche Hilfskraft benötigt wird.“

 

Franks Entsetzen wuchs in Uferlose. „Ein Altenheim? Ich in einem Altenheim. Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“

 

„Aber sicher. Keine Angst. Du brauchst dazu keine Vorkenntnisse. Es handelt sich um ganz allgemeine Arbeiten.“

 

„Allgemeine Ar… Oh, bitte nicht! Ich fass es nicht! Sie wollen mich doch nicht allen Ernstes als Urinkellner einsetzen?“

 

„Wenn du es unbedingt so nennen willst.“ Barbara Schäfer zuckte die Achseln und reichte Frank einen Zettel über den Tisch. „Hier, die Adresse. Ich habe dich für Montag nach der Schule bei Schwester Maria angemeldet. Sie leitet das Heim und wird für dich zuständig sein. 14.00 Uhr. Das müsste doch auch bei einem wirklich dicken Stau zu schaffen sein, oder?“, setzte sie ironisch hinzu. „Nach Schulschluss, meine ich.“

 

Frank zuckte zusammen. „Sicher, der Hinweis ist angekommen. Eine Frage noch: Schwester Maria ist nicht zufällig eine Betschwester?“

 

„Sie ist Nonne“, antwortete Frau Schäfer nun sehr bestimmt. „Aber noch einmal: Keine Angst, unter den Angestellten sind nur noch sehr wenig Nonnen.“

 

„Wie tröstlich…“ Frank knetete seine Hände und wusste nicht so recht, wie er sein Anliegen vorbringen sollte. Trotzdem versuchte er es. „Sagen Sie, haben Sie nicht irgendeinen anderen Job für mich? Ich meine, ich will das hier wirklich mit Anstand hinter mich bringen, aber ich fürchte, ich kann es mit Nonnen nicht so gut. Ich will keinen Ärger provozieren, verstehen Sie? Was ist mit den städtischen Grünanlagen? Die sind doch immer total zugemüllt. Oder das Tierheim?“ Er bemerkte den strengen Blick der jungen Frau, doch so einfach wollte er sich nicht geschlagen geben. „Tiere mögen mich. Ehrlich. Mit Tieren komm´ ich prima klar.“ Wieder fuhr die eine Augenbraue von Barbara Schäfer steil nach oben und Frank fragte sich unwillkürlich, wie zum Teufel sie das wohl machte? „Na ja, so was in der Art eben“, setzte er hinzu. „Egal, ich mach´ alles, nur bitte keine Nonnen, okay?“

 

„Das war ja eine lange Ansprache“, war die ungerührte Antwort. „Montagnachmittag dann also.“ Es schien, als hätte Frau Schäfer Frank überhaupt nicht zugehört. „Schwester Maria erwartet dich. Ich habe mit ihr besprochen, dass du deine Schichten mit ihr abstimmen kannst. Rechne auch mit mindestens einem oder zwei Wochenenden. Vielleicht sogar mehr.“ Sie warf einen kurzen Blick auf den Computerbildschirm, der auf den ersten Blick in all dem Chaos auf ihrem Schreibtisch kaum auffiel. „Sehr gut, ich sehe, du bist bereits volljährig – da brauchen wir uns wenigstens nicht um irgendwelche Jugendschutzbestimmungen zu kümmern.“

 

„Nö, kein Thema. Und mir soll´s recht sein, dann hab´ ich es wenigstens schnell hinter mir“, antwortete Frank unüberhörbar sarkastisch.

 

„Ich warne dich. Schwester Maria wird mir regelmäßig Bericht erstatten. Dessen ungeachtet werden wir uns einmal in der Woche hier im Büro treffen. Immer noch alles klar?“

 

Frank nickte verstimmt. „Wie Kloßbrühe.“

 

„Sehr schön, ich freue mich, wenn wir uns verstehen. Dann sehen wir uns also am …“ Die Bewährungshelferin blätterte kurz in ihrem Terminplaner. „ … hmm, heute ist Freitag. Sagen wir Dienstag wieder. Fünfzehn Uhr.“ Sie stand auf und streckte Frank die Hand entgegen. „Wird schon alles gut gehen, wenn du nur ein bisschen mitarbeitest.“

 

Frank nickte, wobei er ahnte, dass es alles andere, als ein Kinderspiel werden würde. So wie es aussah, wollte man ihn nicht nur zu den Sozialstunden heranholen, sondern gleichzeitig versuchen, ihn von seiner Clique zu isolieren. Merkwürdigerweise störte ihn das weniger, als er vermutet hätte. Er stand ebenfalls auf und schüttelte die ihm dargebotene Hand. Mit einem knappen: „Auf Wiedersehen“, wandte er sich zur Tür.

 

„Frank? Darf ich dir noch einen guten Rat mit auf den Weg geben?“

 

Frank drehte sich um. „Noch einen? Bitte.“

 

„Ruf einfach das nächste Mal an, wenn du wieder …“ Frau Schäfer machte eine bedeutungsvolle Pause. „ … im Stau stehen solltest. Du hast ja meine Karte. Das könnte dir eine Menge unnötigen Ärger ersparen.“

 

Frank nickte und zögerte kurz.

 

„Ist noch etwas?“

 

„Nein, äh, ja doch. Es ist nur, ich habe mich gerade gefragt, ob Sie vielleicht auch für ein rothaariges Mädchen zuständig sind? Ihre Verhandlung war auch gestern. Unmittelbar vor meiner. Einen Namen weiß ich nicht“, schloss Frank und wünschte im gleichen Moment, er hätte den Mund gehalten. Meine Güte, wie blöd war das denn? Er machte sich hier gerade komplett zum Affen. „Vergessen Sie´s“, fügte er hastig hinzu. „Ist nicht so wichtig.“

 

Barbara Schäfer, die durchaus wusste, von wem Frank sprach, lächelte kurz. „Selbst wenn du einen Namen wüsstest, dürfte ich dir keine Auskunft geben.“

 

„Schon klar“, murmelte Frank. „Ich geh´ dann mal. Bis nächste Woche.“ Da er keine Lust hatte, sich noch weiter zu blamieren, machte er, dass er schnellstmöglich nach draußen kam, bevor es noch peinlicher für ihn werden konnte.

 

Er bekam nicht mehr mit, dass Barbara Schäfer mit einem rätselhaften Gesichtsausdruck die geschlossene Tür anstarrte und dabei leise: „Oh ja, verlass dich drauf. Wir werden uns sehen“, sagte.

 

Kapitel 10 - Hin- und Hergerissen

Nachdem Frank das Büro der Bewährungshelferin verlassen hatte, fuhr er geradewegs zur nächsten Tankstelle. Dort kaufte er im Shop einen Reservekanister und füllte ihn an der Tanksäule randvoll mit Benzin. Er zahlte, zurrte den Kanister hinten auf seiner Maschine sicher fest, und machte sich auf den Weg. Es dauerte ein bisschen, bis er das Haus, in dem Paul letzte Nacht verschwunden war, gefunden hatte. Er wollte schon aufgeben, als er endlich zufällig in die richtige Straße einbog. Er stellte sein Motorrad ab und klingelte. Zu seinem Bedauern öffnete ihm niemand. Schade, er hätte sich gerne noch einmal persönlich bedankt. Er zuckte die Achseln, kramte umständlich einen Stift hervor und schrieb ein dickes `Danke´ quer über den Kanister, den er daraufhin vor der Garage abstellte. Okay, das war erledigt. Frank registrierte befriedigt, wie wohl er sich bei dem Gedanken fühlte, dass er Paul das Benzin erstattet hatte. Er beschloss, Nick nichts davon zu erzählen. Der würde sein Handeln nicht verstehen, sondern ihn vermutlich nur für komplett verrückt erklären.

 

Oh, Mann…Nick. Frank schwante, dass die Beziehung zu Nick und seiner Clique früher oder später auf eine Zerreißprobe gestellt werden würde. Aber nicht heute, beschloss er. Für heute hatte er genug von Nick und seinen `tollen Ideen´. Er fuhr nach Hause, duschte ausgiebig, zog sich wieder an und suchte dann im unteren Hotelbereich nach seinen Eltern. Im Speisesaal wurde er schließlich fündig.

 

„Hey. Darf ich mich zu euch setzen?“

 

Überrascht blickten die Baumanns hoch. Franks Mutter registrierte am Rande, wie anders ihr hochgewachsener Sohn aussah, wenn er seine Frisur einmal nicht mit tonnenweise Gel verunstaltete. Frank trug zwar auch jetzt, wie eigentlich fast immer, schwarze Lederhosen und einen schwarzen Pulli, doch sein Haar, fiel ihm schwarz glänzend in seidigen Wellen bis auf die Schultern und verlieh so seinem gesamten Äußeren einen weicheren Ausdruck. Davon einmal abgesehen, dass dieser grauenhafte Ohrring von den Haaren fast verdeckt wurde. Ricarda Baumann schauderte, als sie an das Tatoo dachte, das sie erst gestern auf dem Oberarm ihres Sohnes entdeckt hatte. Gut, dass ihr Mann noch nichts davon wusste. Das würde nur wieder neuen Stress geben.

 

„Frank. Wenn wir gewusst hätten, dass du zu Hause bist, hätten wir dir natürlich Bescheid gesagt“, sagte ihr Mann gerade überrascht.

 

„Geschenkt.“ Frank setzte sich auf den Platz zwischen seine Eltern, lehnte sich zurück und überlegte. Es fiel ihm schwer, ein normales Gespräch zu beginnen. Zu viel war in der letzten Zeit schief gelaufen. Doch es musste sein.

 

„Und? Wie ist es gelaufen, Junge?“, erkundigte sich sein Vater, der sich offenbar ebenfalls krampfhaft um Unbefangenheit bemühte.

 

„Ganz gut soweit“, antwortete Frank vorsichtig und zögerte einen Moment, bevor er hinzufügte: „Glaub´ ich zumindest.“

 

„Hör zu, wenn du nicht dort warst, dann sag es lieber gleich. Diese Bewährungshelferin hat nämlich hier angerufen, als du nicht zur verabredeten Zeit dort erschienen bist. Oh, und in der Schule hat sie übrigens auch nachgefragt.“

 

„Ich weiß“, erwiderte Frank leise. „Sie hat es mir gesagt.“

 

„Ach, tatsächlich?“

 

„Ja, tatsächlich.“ Er gab sich einen Ruck. „Ich war dort“, sprach er weiter. „Ich … ich hatte mich nur verspätet. Das ist alles. Ende der Geschichte.“

 

Frau Baumann atmete erleichtert auf, während ihr Mann sich damit nicht zufrieden geben wollte und nachhakte.

 

„Und die Schule?“

 

„Oh, ähm…na ja, da war ich nicht“, gab Frank nach einer Pause zu und senkte den Kopf.

 

„Mal wieder?“

 

„Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob ich das Abi dieses Mal packe. Vielleicht sollte ich ja die Schule abbrechen, bevor ich noch mehr Zeit verschwende.“

 

Frank beobachtete mit gemischten Gefühlen, wie sich die Gesichtszüge seines Vaters verdunkelten und war froh, dass sie im Speisesaal befanden. Dort, dass wusste er ganz genau, würde sein Vater niemals laut werden.

 

„Das halte ich für keine gute Idee“, zischte Herr Baumann prompt wütend. „Was hast du denn stattdessen vor, wenn ich fragen darf? Wenn du glauben solltest, dass du dich hier...“

 

„Wolfgang, bitte. Lass ihn doch ausreden“, bat ihn seine Frau.

 

„Danke, Mama“, sagte Frank. Er machte eine Pause, bevor er schließlich stockend weiter redete. „Hört zu, okay? Hört mir einfach nur zu. Ich weiß noch nicht, was ich langfristig tun werde. Ehrlich, ich habe keine Ahnung. Das Einzige, was ich im Moment weiß, ist, das ich jetzt erst einmal meine Bewährungsfrist hinter mich bringen möchte, ohne Scheiße zu bauen. Und zu eurer Beruhigung: Nachdem ich heute Frau Schäfer und ihre Pläne mit mir kennengelernt habe, denke ich, dass ich in der nächsten Zeit kaum dazu kommen werde, Mist zu bauen.“

 

„Umso besser“, warf sein Vater trocken ein. „Es scheint sich um eine kluge Frau zu handeln, das beruhigt mich ungemein.“

 

„Bitte, Papa.“ Frank musste kurz innehalten und einmal tief Luft holen. Er stand schon wieder kurz davor, sich mit seinem Vater anzulegen. Sehr kurz davor, doch er wusste auch, dass es jetzt eher kontraproduktiv wäre, einen Streit vom Zaun zu brechen. Seine Stimme zitterte leicht, als er schließlich fortfuhr: „Na ja, was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass ich mir erst weitere Gedanken über meine Zukunft machen werde, wenn ich die Sozialstunden hinter mich gebracht habe und diese dämliche Bewährungsfrist endgültig hinter mir liegt. Dann, erst dann, werde ich wieder Pläne machen. Ich hoffe, das ist okay für euch? Könnt ihr damit leben?“

 

„Na ja“, meinte sein Vater gedehnt. „Wichtig ist doch letzten Endes, ob du damit leben kannst. Aber ich weiß nicht, ob …“

 

Seine Frau winkte ab und unterbrach ihren Mann. „Ich bin mir absolut sicher, dass du deinen Weg finden wirst, Frank. Du schaffst das.“

 

„Wir schaffen das, okay?“ Frank war sowohl verunsichert, wie auch dankbar. „Wisst ihr, ich weiß nicht, ob ich es ohne eure Hilfe schaffen kann. Ich hab´s nie gesagt, aber ich weiß es durchaus zu schätzen, dass ihr die ganze Zeit hinter mir gestanden habt. Es war ein gutes Gefühl und dafür möchte ich euch danken.“ Er richtete sich auf und atmete noch einmal tief durch. „Ich weiß, dass ich euch enttäuscht habe, aber trotzdem... Ein bisschen Unterstützung in der nächsten Zukunft wäre sicher nicht verkehrt. Ich muss da einiges auf die Reihe kriegen und …na ja, ich hoffe einfach, ich kann auch weiterhin auf euch zählen.“

 

„Frank, das ist …“

 

Frank stand so schnell auf, dass sein Stuhl gefährlich ins Kippen geriet. „Ich musste das einfach mal loswerden. Ich verspreche, dass ich mir aufrichtig Mühe geben werde und ich hoffe, ich enttäusche euch nicht wieder.“ Beinahe fluchtartig verließ er den Speisesaal und fuhr hinauf in sein Zimmer. Die deutlichen Worte hatte ihn eine Menge Überwindung gekostet, doch er war erleichtert, dass er sie ausgesprochen hatte. Ihm war klar geworden, dass er die Unterstützung seiner Eltern dringend benötigen würde. Wenn er wirklich sauber bleiben wollte, musste er sich von seiner Clique lösen und das würde nicht einfach werden. Nick ließ niemanden so leicht aus seinen Klauen. Schon gar nicht jemanden, der sich in der Vergangenheit als äußerst lukrativ herausgestellt hatte.

 

Frank warf sich auf sein Bett und dachte an das Gespräch mit Trixie. Er hatte es dem Mädchen zwar nicht gezeigt, aber das Gespräch hatte ihn sehr erschreckt. Deshalb hatte er auch so heftig reagiert. Trixie hatte mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht, was ihn schon seit einer ganzen Weile mehr und mehr beschäftigte. Außerdem hatte es so geklungen, als wolle sie auch am liebsten aussteigen. Nur, dass sie niemanden hatte, der ihr half oder sie unterstützte. Sie war ganz auf sich allein gestellt. Realistisch betrachtet war Trixie in einer noch viel auswegloseren Lage als er. Sie brauchte ihn und er nahm sich fest vor, sich um sie zu kümmern. Er hatte zwar keinen Plan, wie er das anstellen sollte, doch wenn seine Vermutung korrekt war und Trixie wirklich aussteigen wollte, musste er für sie da sein. Alleine würde sie es sicherlich nicht schaffen. Allerdings durfte er in diesem Fall, den Kontakt zur Clique nicht völlig abreißen lassen. Das vereinfachte seine persönliche Situation zwar nicht gerade, aber er würde schon einen Weg aus der Misere finden. Es gab schließlich immer einen Weg. Er musste ihn nur finden.

 

Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Er hatte eine verdammt harte Zeit vor sich, aber er war fest dazu entschlossen, das durchzustehen. Er wollte auf gar keinen Fall in den Bau und deshalb musste er wohl oder übel Zugeständnisse machen. Das bedeutete ja nicht, dass er gleich zu einem Spießer mutieren musste. Er würde sich einfach etwas mehr anpassen und nach seinem persönlichen Weg suchen. Das hatte nichts mit Spießertum zu tun. Sicher nicht, das war reiner Selbsterhaltungstrieb. Außerdem vermutete Frank nicht ganz falsch, dass Richter Dohmen in der nächsten Zeit ein wachsames Auge auf ihn und seine Aktivitäten haben würde.

 

KAPITEL 11 - Veränderungen werfen ihre Schatten voraus

Nach einer anstrengenden Samstagsschicht im Altenheim und einem ebenso anstrengenden Auftritt abends mit der Band hatte Toni am Sonntag endlich einmal frei. Da sie sich in der letzten Zeit oftmals schon beim Aufstehen wie gerädert fühlte, hatte sie sich fest vorgenommen, mal wieder auszuschlafen. Es war ihr bewusst, dass sie unbedingt Kraft tanken musste für die bevorstehenden harten Wochen mit Diensten, zusätzlichen Kursen und Prüfungen.

 

Nun, der Plan auszuschlafen, war definitiv schon einmal schiefgegangen, denn Andi und Lukas hatten schon um acht Uhr lautstark nach ihrem Frühstück verlangt. Sarah hatte zwar versucht, die beiden ruhig zu halten, aber es war ihr leider nicht gelungen. Die Zwillinge tanzten ihrer Schwester auf der Nase herum und weigerten sich strikt, auf sie hören. Nachdem Toni zehn Minuten mit über dem Kopf gezogener Decke dem Chaos im Haus gelauscht hatte, stand sie schließlich seufzend auf. Sie konnte Sarah keinen Vorwurf machen. Wenn selbst sie sich mit den chaotischen Zuständen total überfordert fühlte, wie sollte dann erst eine Zehnjährige damit fertig werden?

 

Also riss Toni sich zusammen und tat ohne zu murren das, was von ihr erwartet wurde. Mike blieb an seinen freien Tagen schließlich auch nie länger im Bett. Im Gegenteil, meist war er schon früh auf den Beinen und erledigte kleinere, aber dringend notwendige Reparaturen an und im Haus, da sie ihr Geld nicht für teure Handwerker aus dem Fenster werfen wollten. Leider kam ihr Bruder derzeit kaum noch nach mit den Arbeiten, denn bei dem relativ alten Haus taten sich neuerdings immer neue Baustellen auf.

 

Nachdem Toni in die Küche gekommen war und ihren Bruder dabei beobachtet hatte, wie er sich verzweifelt unter der Spüle abmühte, den seit Wochen ziemlich verstopften Abfluss endlich wieder frei zu bekommen, war sie sich richtig schäbig vorgekommen mit ihrem egoistischen Wunsch nach mehr Schlaf. Auf die Frage ihres Bruders:

 

„Hey, was sehen meine trüben Augen. Ich dachte, du wolltest mal wieder ausschlafen?“, lächelte sie daher nur keck und antwortete mit einem frechen Augenzwinkern:

 

„Und was ist mit dir? Du wärst doch am liebsten heute Morgen mit der hübschen Brünetten von gestern Abend im Arm aufgewacht. Gott, die hat dich ja förmlich angeschmachtet. Das war ja schon fast peinlich. Stattdessen liegst du jetzt hier im halb Küchenschrank und stocherst im Modder. Was für eine Alternative.“

 

Mike drohte seiner Schwester scherzhaft mit der Rohrzange, doch sie wusste, dass sie gar nicht so falsch mit ihrer Vermutung lag. Nur, dass ihr Bruder, wie immer, alle vorsichtigen Annäherungsversuche des Mädchens schon im Keim abgeblockt hatte. Eines Tages, wenn all´ ihre Geschwister verheiratet waren und eigene Familien hatten, würden Mike und sie wahrscheinlich als Mauerblümchen übrig bleiben und von ihren Nichten und Neffen lediglich als schrullige Verwandte mitleidig belächelt und geduldet werden. Toni ließ ihren Blick durch die chaotisch, gemütliche Küche gleiten und stellte sich zum wiederholten Male die Frage, ob das die ganze Schinderei wirklich wert war? Und wie schon so häufig beantwortete sie sich die Frage gleich darauf mit einem klaren `Ja´.

 

***********

 

Am nächsten Morgen wurde Toni noch während ihrer morgendlichen Runde in Schwester Marias Büro bestellt. Verwundert machte sie sich auf den Weg.

 

„Guten Morgen, Toni“, wurde sie freundlich von der älteren Nonne, die ein dienstfreies Wochenende hinter sich hatte, begrüßt. „Ich hoffe, du hattest ein schönes Wochenende?“

 

„Ja, danke“, antwortete Toni automatisch. Sie redete nicht gerne über ihre häuslichen Probleme. Wozu auch? Es hätte ja eh nichts an der Situation geändert. „Was ist los?“, erkundigte sie sich stattdessen. „Ich muss noch ein paar Bewohner waschen und danach den Speisesaal für heute Mittag vorbereiten.“

 

„Roman wird das für dich übernehmen“, erklärte Schwester Maria. „Er weiß bereits Bescheid.“

 

Roman war einer der fest angestellten Pfleger im Heim. Toni mochte Roman und arbeitete gerne mit ihm zusammen. Er war ein lieber, netter Kerl, der mit seinen zweiundzwanzig Jahren andauernd in irgendwelchen Beziehungsproblemen steckte. Dabei spielte es sicher auch eine Rolle, dass Roman schwul war und in ihrer Kleinstadt massive Probleme hatte, das passende Pendant zu finden. Manchmal tat er Toni fast leid, aber Roman war ein Stehaufmännchen und gab nie auf. Außerdem hatte er fast immer gute Laune und schaffte es, sie zum Lachen zu bringen, selbst wenn ihr gar nicht danach zumute war. Im Laufe der Zeit hatte sie viel von ihm gelernt. Leider unter anderem auch genau die Dinge, die ihr jetzt den Ärger eingebracht hatten. Es war vertrackt: Trotz aller Bemühungen war es Toni bis jetzt nicht gelungen herauszufinden, wer sie verpfiffen hatte. Nur eines wusste sie ganz sicher. Roman war es garantiert nicht gewesen.

 

„Roman? Aber der muss doch …“

 

„Mach dir keine Gedanken. Das hat alles seine Richtigkeit“, fiel Schwester Maria ihr ins Wort. „Ich muss dringend etwas mit dir besprechen. Du kannst dir sicher schon denken, worum es geht. Ich habe mit der Verwaltung gesprochen und ich denke, dass wir eine Lösung gefunden haben, die allen Beteiligten gerecht wird. Und um eine zusätzliche Hilfskraft habe ich mich auch bereits gekümmert. Schon heute Nachmittag kommt ein junger Mann zu uns, der uns in der nächsten Zeit mehrmals in der Woche zur Hand gehen wird. Da er kein gelernter Pfleger ist, wirst du ihn in die üblichen Arbeiten einweisen, die er verrichten darf. Du weißt ja am besten, was da so alles anfällt.“

 

Toni schwante fürchterliches. „Kann es sein, dass dieser junge Mann nicht ganz freiwillig bei uns aushilft?“, erkundigte sie sich vorsichtig.

 

„So könnte man es nennen“, lächelte Schwester Maria. „Du weiß ja, wie so etwas abläuft. Zu deinen Aufgaben wird auch gehören, auf ihn aufzupassen, seine Arbeit zu beurteilen und mir regelmäßig zu berichten, wie er sich anstellt und verhält.

 

„Na toll.“ Toni verzog widerwillig das Gesicht. „Gott, was hab´ ich bloß angestellt, dass es diesmal ausgerechnet mich trifft?“

 

„Toni, würdest du wohl bitte Gott aus dem Spiel lassen?“, mahnte Schwester Maria.

 

„Entschuldigung.“ Toni legte die Unterarme auf den Schreibtisch und beugte sich weit nach vorne. „Ehrlich, ich kann das nicht. Ich hab´ genug eigene Probleme. Ich kann mich nicht noch zusätzlich um einen Kriminellen kümmern, den man dazu verdonnert hat, uns zu helfen. Der bringt doch bestimmt null Motivation mit und wird maulen und quer schießen, wo immer es geht. Das haben wir doch alles schon erlebt. Falls er überhaupt hier aufkreuzt.“

 

„In diesem Fall hättest du wohl wenig Arbeit mit ihm“, entgegnete Schwester Maria trocken. „Aber um dem entgegen zu wirken, gibt es schließlich die Beurteilungen, die ja an die entsprechenden Stellen weitergeleitet werden, wie du weißt.“ Schwester Maria lächelte sanft. Sie hatte mit Tonis Gegenwehr gerechnet, doch diese Planung war für alle Beteiligten die beste Lösung. „Urteilst du nicht ein wenig vorschnell? Warten wir es doch erst einmal ab.“

 

„Gott, mir fehlt einfach Ihre innere Güte allen Menschen gegenüber“, stöhnte Toni zynisch und als sie daraufhin Schwester Maria´s tadelnden Gesichtsausdruck bemerkte, setzte sie schnell ein halbherziges „Entschuldigung“, hinzu.

 

Die Nonne lächelte nachsichtig und antwortete: „Ich bin auch nur ein Mensch. Ich finde aber, dass jeder eine zweite Chance verdient hat.“

 

„Dann beaufsichtigen Sie ihn doch“, fuhr Toni auf. „Wie immer.“

 

Nachsichtiges Kopfschütteln war die Antwort.

 

„Dann nehmen Sie Roman. Er ist toll! Und er kommt einfach mit jedem gut aus.“

 

„Du weißt sehr gut, dass das nicht geht. Roman muss schon einen Teil deiner Aufgaben übernehmen. Er hat sich auch schon dazu bereit erklärt, vorübergehend zusätzliche Schichten zu übernehmen. Den Rest werde ich ausgleichen. Mehr geht einfach nicht. Toni, bitte hör´ auf, dich dagegen zu sträuben. Es war die einzige Möglichkeit, alles zu regeln, ohne zusätzlich noch jemanden einzustellen. Dazu fehlen uns, wie du dir sicher vorstellen kannst, die finanziellen Mittel. Dieser junge Mann kostet uns keinen Cent und die Diözese ist nur damit einverstanden, dass du deinen bisherigen Verdienst behältst, wenn sonst keine weiteren Kosten anfallen. Das wiederum bedeutet, dass du für eine Auszubildende weit über Tarif bezahlt werden wirst. Dir sollte klar sein, dass es alles andere als einfach war, das durchzusetzen.“ Schwester Maria verschwieg dem jungen Mädchen wohlweislich, dass sie selbst von der Diözese einen gewaltigen Rüffel hatte einstecken müssen. Toni konnte schließlich nichts dafür, dass sie aus Mitleid so lange vor Allem die Augen verschlossen hatte. Sie seufzte tief. „Gut, du wirst also in Zukunft die Nachmittagsschichten gemeinsam mit dem jungen Mann übernehmen. Wenn er nicht da ist, wirst du im Rahmen deiner Ausbildung mit Roman oder einer der anderen Schwestern arbeiten. Das wird dir die nötige Zeit geben, vormittags deine Kurse und die Schule zu besuchen. Es ist für alle die beste Lösung“, wiederholte die Nonne schließlich abschließend und schien sehr zufrieden mit dieser Lösung zu sein.

 

„Was ist, wenn der Knabe seine Stunden abgearbeitet hat?“

 

„Dann sehen wir weiter.“

 

„Aber muss ich denn wirklich ganz von vorne beginnen?“, knurrte Toni.

 

„Das müsstest du so oder so. Auch ohne den jungen Mann“, erinnerte Schwester Maria sie. „Er heißt übrigens Frank Baumann.“

 

Tony sah ein, dass sie verloren hatte. „Ich habe wohl keine andere Wahl, oder?“ Der Frust stand ihr ins Gesicht geschrieben.

 

„Richtig. Aber jetzt möchte ich, dass du mir noch kurz erzählst, wie es heute Morgen in der Schule war. Ist alles glatt gelaufen?“

 

„Ich muss gleich noch einmal hin, um mich für die Zusatzkurse einzuschreiben. Dass ich die Ausbildung verkürze geht in Ordnung. Aber das Ganze wird mich trotzdem mindestens ein Jahr kosten. Und das auch nur, wenn ich voll durchpowere.“

 

„Immerhin besser als zwei oder zweieinhalb. Und für die ersten Monate haben wir ja nun schon eine Hilfskraft. Der Rest wird sich finden. Fahr jetzt zur Schule. Wir sehen uns heute Nachmittag.“ Unmissverständlich beugte sich Schwester Maria wieder über ihre Akten.

 

Toni verstand den Rausschmiss und verließ das Büro. Auf dem Gang wiederholte sie schnippisch: „Der Rest wird sich finden. Klasse. Wenn ich den erwische, der mich verpfiffen hat … Der kann sich auf etwas gefasst machen.“ Irgendwie hatte sie das Gefühl, als hätte sich gerade alles gegen sie verschworen. Tief im Inneren wusste sie aber, dass Schwester Maria recht hatte. Sie zog sich um und machte sich auf den Weg in die Stadt, um in der Berufsschule die restlichen Formalitäten zu erledigen.

 

Kapitel 12 - Das erste Aufeinandertreffen

Es war schon kurz vor 15.00 Uhr, als Toni endlich zurück ins Heim kam. Im Unterschied zur Pflegestation, wo immer rege Betriebsamkeit herrschte, war es um diese Zeit auf der normalen Station eher ruhig. Die alten Herrschaften ruhten sich nach dem Mittagessen in ihren Zimmern aus, oder sie trafen sich im großen Aufenthaltsraum zum Karten spielen oder Fernsehen.

 

Toni zog sich um und machte sich zum zweiten Man an diesem Tag auf den Weg in Schwester Marias Büro, da sie sich erkundigen wollte, auf welcher Station sie sich melden sollte. Energisch klopfte sie an die schwere Holztür und betrat dann ohne Aufforderung das Zimmer. Dort platzte sie mitten in ein Gespräch zwischen Schwester Maria und einem ganz in schwarz gekleideten jungen Mann, dem bei ihrem Anblick unverständlicherweise „Ist ja´n Ding“ entfuhr. Mehr am Rande registrierte Toni die Unmengen Gel, mit dem der Junge sein tiefschwarz gefärbtes Haar nach hinten gekämmt hatte und den großen auffälligen Ohrring, der an seiner rechten Seite baumelte.

 

Na toll, schoss es ihr unwillkürlich durch den Kopf. Der Typ riecht ja förmlich nach Ärger. Laut sagte sie: „Ich habe alles erledigt. Wie geht es denn nun weiter?“

 

Schwester Maria sah sie erfreut an: „Toni, du kommst wie gerufen. Ich möchte dir Frank Baumann vorstellen. Ihr beide werdet in den nächsten Wochen eng zusammenarbeiten.“ Übergangslos wendete sie sich an den Jungen. „Herr Baumann, das ist Antonia Schiffer. Sie ist schon eine Weile bei uns und wird Ihnen alles zeigen.“

 

„Frank reicht völlig. Hallo.“ Frank Baumann erhob sich zu seiner imponierenden Größe und hielt Toni seine rechte Hand hin, die diese jedoch geflissentlich übersah.

 

„Hallo“, sagte sie lediglich kurz und wendete sich wieder an Schwester Maria. „Das ist ja schlimmer, als ich dachte. Sie wissen aber schon, dass das einer von diesen schwarzen Chaoten ist, die die Stadt unsicher machen? So einen darf man keinen Augenblick aus den Augen lassen.“

 

„Toni“, rief Schwester Maria entsetzt aus. „Was soll das? Was ist denn bloß in dich gefahren?“

 

„Ehrlich, Sie kennen diese Typen nicht. Woher denn auch? Ihr Ruf ist unterirdisch. Wo die auftauchen, ist Stunk vorprogrammiert. Die sind doch alle nur darauf aus, …“

 

Frank Baumann lauschte dem Disput zwischen der Nonne und dem rothaarigen Mädchen einerseits empört, aber andererseits auch ein wenig amüsiert. Das versprach ja heiter zu werden.

 

„Schluss jetzt! Ich will nichts mehr davon hören! Die Arbeit wartet. Ich schlage vor, du zeigst Frank erst einmal die Einrichtung und erklärst ihm, wie unser System funktioniert. In Ordnung?“ Die beiden letzten Worte klangen eher wie ein Befehl und nicht wie eine Frage. Toni wusste aus Erfahrung, dass jedes weitere Wort überflüssig war, wenn Schwester Maria diesen Tonfall anschlug. Wortlos drehte sie sich auf dem Absatz herum.

 

„Los, komm mit“, herrschte sie Frank barsch an, der ihr jedoch erst nach einem aufmunternden Kopfnicken von Schwester Maria ziemlich neugierig folgte, womit er sich direkt den nächsten Anraunzer einhandelte. „Wo bleibst du denn? Trödeleien können wir uns hier nicht erlauben“, fauchte Toni, als er kurz nach ihr in den Flur trat.

 

Mit energischen Schritten ging sie voraus, so dass Frank nichts anderes übrig blieb, als ihr zu folgen. Zu Tonis allergrößtem Verdruss bereitete es ihm überhaupt keine Mühe, ihr mit seinen langen Beinen auf den Fersen zu bleiben. Er fand unterwegs sogar noch die Zeit, sie frech von der Seite weg einer gründlichen Musterung zu unterziehen.

 

„Was glotzt du so“, fauchte Toni unfreundlich.

 

„Sag mal, bist du eigentlich immer so ein Besen?“, konterte Frank, worauf er allerdings keine Antwort erhielt, womit er aber auch nicht ernsthaft gerechnet hatte. „Okay, verrätst du mir dann wenigstens, wohin wir gehen?“, fragte er daraufhin nach einer Pause, offenbar krampfhaft um Freundlichkeit bemüht.

 

„In den Umkleideraum.“ Toni ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken. Sie hatte geglaubt, sich innerlich gut auf den Chaoten vorbereitet zu haben. Mit allem hatte sie gerechnet: Mit Ignoranz, mit trashigen, asozialen Sprüchen oder gar noch Schlimmerem. Aber nicht mit Freundlichkeit, die zudem noch mit einer tiefen, angenehmen Stimme vorgetragen wurde. Der Chaot war offenbar in der Lage, sich auszudrücken. Das alles gepaart mit der unverfrorenen Musterung aus geradezu unverschämt blauen Augen verunsicherte Toni mehr, als ihr lieb war. Also verschanzte sie sich hinter Ruppigkeit: „In den Klamotten kannst du unmöglich vernünftig arbeiten.“

 

„So, meinst du?“ Frank zuckte mit den Achseln. „Na dann…“

 

Die Unterhaltung verebbte, bis Toni schwungvoll die Tür zu einem Raum aufstieß, in dem sich eine Menge Wandschränke und Regale befanden. In der Mitte befanden sich zwei Holzbänke. Im hinteren Bereich waren Wände und Boden gekachelt. Frank vermutete ganz richtig, dass es dort Duschen gab. Gerade öffnete sich eine der Schwingtüren und ein gutaussehender junger Mann kam, nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet, auf sie zu. Er war schätzungsweise Anfang zwanzig, ca. 1.80 m groß, sportlich schlank und hatte blonde vom Duschen noch feuchte, zerwuselte Haare. Auffällig an ihm waren die für sein Alter erstaunlich vielen kleinen Lachfältchen, die die sanft blickenden braunen Augen säumten, die wiederum perfekt in sein ovales Gesicht mit dem kleinen Grübchen im Kinn passten. Lächelnd hielt er Frank seine Rechte entgegen.

                                                                      

„Hallo. Ich bin Roman. Du musst der Neue sein.“

 

„Frank. Ist das schön, ein freundliches Gesicht zu sehen.“

 

Hände wurden geschüttelt und Toni, die die gehässige Spitze sehr wohl verstanden hatte, verdrehte nur die Augen. Roman hingegen lachte kurz auf:

 

„Macht sie es dir jetzt schon schwer? Ich bitte dich Prinzessin, gib ihm doch wenigstens eine Chance.“, tadelte Roman Toni, woraufhin die ihm eine Grimasse schnitt, die er mit einem breiten Lächeln kommentarlos wegsteckte. „Schwul oder Hetero?“, wandte er sich stattdessen völlig übergangslos wieder an Frank.

 

„Wie bitte?“ Durch die unerwartete Frage aus der Fassung gebracht wanderten Franks blaue Augen unsicher fragend zwischen Roman und Toni hin und her.

 

„Oh, keine Sorge, er versucht lediglich, die Fronten zu klären“, mischte sich Toni mit dem Anflug eines Lächelns ein. „Roman, bitte. Muss das sein?“

 

„Aber klar!“, rief Roman aus und fuchtelte so wild mit den Händen in der Luft herum dass Frank einen Augenblick lang befürchtete, dass das Handtuch um Roman´s Taille sich verselbstständigen würde. „Sag mal, bist du neuerdings blind? Schau ihn dir doch bloß mal an. Ich hab´ echt keine Lust, wieder unnötig Zeit zu investieren.“

 

Da ging Frank endlich ein Licht auf. „Oh, tut mir leid. Aber ich muss dich enttäuschen“, sagte er ruhig, ohne eine Spur von Verlegenheit oder Abneigung zu zeigen.

 

„Kein Problem. Das braucht dir doch nicht Leid zu tun. Ich kenne das. Die besten sind immer schon vergeben. Oder eben hetero. Tja, was soll ich sagen…Mann hat´s eben nicht leicht, nicht wahr?“ Roman lachte kurz, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Toni lenkte. „Was ist los mit dir, Schönheit? Alles paletti?“

 

„Nein, verdammt, du Verräter. Mit dir sollte ich eigentlich gar nicht mehr reden“, zischte Toni.

 

„Hey, komm schon, was sollte ich denn machen? Du kennst doch Schwester Maria. Also, macht es gut, Kinder. Auf mich wartet der Feierabend. Ich muss los. Irgendwo da draußen wartet mein Traumprinz auf mich. Ich muss ihn nur noch finden. Und bis zur nächsten Schicht bleiben mir dazu nur exakt zwölf Stunden Zeit.“

 

„Roman?“

 

„Ja, Cinderella?“

 

„Ich an deiner Stelle würde mir zuerst was anziehen. Sonst bekommt der Nächste von uns Probleme. Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses“, sagte Toni trocken und Frank musste sich wider Willen ein Grinsen verkneifen.

 

Roman streckte seiner Kollegin die Zunge raus, schnappte sich seine Sachen und verschwand dann schnell in der einzigen geschlossenen Umkleidekabine. Toni musterte Frank kurz kritisch von oben bis unten und suchte dann flink einige Kleidungsstücke aus den Regalen, die sie an Frank weiterreichte.

 

„Hier, zieh das an. Ich warte draußen auf dich.“ Damit verließ sie ohne ein weiteres Wort den Raum.

 

Frank blickte ihr nachdenklich hinterher. Während sie mit einem halbnackten Roman keine Probleme zu haben schien, sah es so aus, als wolle sie bei ihm eine gewisse Form wahren. Nachdem sie die Tür von außen geschlossen hatte, überlegte er. Zunächst hatte er ja darauf warten wollen, bis Roman die Kabine wieder frei machte, doch irgendwie hatte er das vage Gefühl, dass diese Antonia nicht gerne wartete. Er zuckte mit den Achseln, setzte sich auf eine der Bänke, streifte seine Stiefel von den Füßen und tauschte gleich im Vorraum seine heißgeliebte Lederhose mit einer legeren weißen Baumwollhose. Als Roman die Umkleidekabine verließ, hatte Frank sich gerade den Pulli über den Kopf gezogen, stand mit freiem Oberkörper da und griff nach dem weißen Polohemd mit dem Emblem des Altenheims auf der Brusttasche. Roman blieb wie angewurzelt stehen und pfiff anerkennend durch die Zähne.

 

„Mach das nicht zu oft, Mann. Sonst kann ich für nichts garantieren.“ Als er Franks konsternierten Gesichtsausdruck bemerkte, setzte er hinzu: „Guck nicht so. Das war ein Scherz.“ Er machte eine kurze Pause und musterte Frank einen Moment lang überraschend ernst, bevor er fragte: „Weswegen bist du hier? Du musst mir das natürlich nicht sagen. Ich bin halt nur sehr neugierig. He, das wird dir jeder hier bestätigen“, setzte er mit einem breiten Grinsen hinzu. „Aaaaber, im Gegenzug kann ich dafür auch sehr schweigsam sein…komprende?“

 

Bevor Frank antwortete streifte er sich sicherheitshalber doch erst schnell das Polohemd über. Das wissende Grinsen, das sich daraufhin auf Roman´s Gesicht zeigte, ignorierte er souverän. Außerdem gab ihm diese Aktion genug Zeit, schnell darüber nachzudenken, inwieweit er Roman einweihen sollte. Nach kurzer Überlegung entschied er sich schließlich für die Wahrheit, schon allein weil es sicher nicht schlecht wäre, einen guten Kontakt zu Roman aufzubauen. Es schadete nie, wenn man sich Verbündete suchte und so wie es aussah, war es wohl definitiv leichter, einen guten Kontakt zu Roman aufzubauen, als zu Toni. „Hab´ versucht, `nen Wagen zu knacken. Ist aber irgendwie dumm gelaufen. Na ja, jetzt bin ich halt hier. – Bewährungsstrafe und `ne Menge Sozialstunden. Ich vermute mal, der Richter wollte sich profilieren oder ein Exempel statuieren“, setzt er in einem Tonfall hinzu, als wäre ihm das völlig egal. „Sag mal, weiß hier eigentlich jeder, dass ich Ärger mit der Polizei hatte?“

 

Roman zuckte mit den Achseln: „Mach dir nichts draus. Mich stört´s jedenfalls nicht. Solange du nicht noch zusätzlich jemandem den Schädel eingeschlagen hast…“

 

„Hey, nein, das hab´ ich nicht, okay?! Was ist mit dir?“

 

„Ups, jetzt muss ich dich enttäuschen. Ich arbeite ganz offiziell hier. Bin gelernter Krankenpfleger.“

 

„Und sie?“ Frank wies mit dem Kopf auf die geschlossene Tür und wartete gespannt auf die Antwort. Die fiel allerdings anders aus, als er es sich erhofft hatte.

 

„Toni?“ Roman lächelte. „Sie ist die Beste. Ein absolutes Goldstück. Alles Weitere musst du sie schon selbst fragen. Sorry.“ Er griff nach seiner Jacke und verließ mit einem kurzen „Man sieht sich“ den Raum.

 

„Man kann Schweigsamkeit auch übertreiben“, murmelte Frank enttäuscht, weil er mit seiner Taktik keinen Erfolg hatte verbuchen können, leise vor sich hin, während er seine Sachen zusammensammelte, sie in einem offenen Spind verstaute und in seiner Geldbörse nach einem Geldstück suchte, als Toni auch schon ungeduldig ihren Kopf durch die Tür steckte.

 

„Bist du endlich soweit?“

 

„Gleich. Sag mal, hast du mal´n Euro für mich? Nein, warte. Schon okay. Ich hab´ einen. So, von mir aus kann´s losgehen.“


Kapitel 13 - Der erste gemeinsame Dienst

 

Frank trat heraus auf den Gang und baute sich erwartungsvoll vor Toni auf. Er wartete nun wirklich sehr gespannt darauf, wie es nun weitergehen würde. Dabei war er nach der Schule, wo im Übrigen alle sehr überrascht über sein Erscheinen, noch dazu an einem Montagmorgen, gewesen waren, mit sehr gemischten Gefühlen raus zum Altenheim gefahren. Doch jetzt erschienen ihm die aufgebrummten Sozialstunden mit einem Mal gar nicht mehr so furchtbar. Er hatte im Traum nicht damit gerechnet, dass das geheimnisvolle Mädchen ihm ausgerechnet dort zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit über den Weg laufen würde. Zudem sah es ganz danach aus, als sollte dies zum Dauerzustand werden. Okay, ihm sollte es recht sein, denn auch aus der Nähe betrachtet, fand er sie ziemlich hübsch. Und für ihn war es natürlich viel angenehmer, dass die `Kollegin´, mit der er zwangsläufig künftig viel Zeit verbringen musste, nicht gerade aussah, wie ein alternder Dinosaurier. Sie war natürlich trotzdem nicht sein Typ, aber so war es doch das deutlich kleinere Übel. Es hätte ihn viel schlimmer treffen können. Im schlimmsten Fall hätte er für die nächsten Monate einen bigotten Pinguin an seiner Seite ertragen müssen. Dann doch schon lieber eine hübsche Zicke.

 

Amüsiert blickte Frank auf das Mädchen, das mindestens 1 ½ Köpfe kleiner war als er, herunter und wartete ruhig ab. Die widerspenstigen langen Locken hielt sie im Nacken mit einem dicken samtummantelten Gummiband zusammen, so dass deutlich zu erkennen war, dass die unzähligen kleinen Sommersprossen nicht nur ihr Gesicht bedeckten, sondern sich über den Hals auf weitere Körperregionen ausbreiteten. Ihr kleiner und zierlicher Körperbau konnte ihn nicht mehr täuschen, denn durch ihr energisches Auftreten hatte sie bereits bewiesen, dass sie offensichtlich kein hilfloses Persönchen war. Er war neugierig und brannte darauf, mehr über sie zu erfahren. Mit der Zeit würden sie schon miteinander auskommen, davon war er überzeugt. An ihm sollte es jedenfalls nicht liegen, das nahm er sich in diesem Augenblick fest vor.

 

„Was ist?“, fragte sie und schien plötzlich verunsichert. „Du glotzt schon wieder?“

 

Frank wusste sehr gut, dass er mit seinem intensiven Blick schon so manches Mädchen aus der Fassung gebracht hatte. Und die Kleine hatte ja recht – er starrte sie gerade ziemlich dreist an. Reiß dich zusammen, sagte er sich und schaute sie unschuldig an. „Ich glotze nicht, ich warte lediglich auf deine Ansage“, antwortete er gelassen.

 

Toni warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Es ist schon fast Zeit den Speisesaal für´s Abendessen herzurichten. Du kannst mir dabei helfen. Ich meine, natürlich nur, falls dich das nicht überfordert“, setzte sie gehässig hinzu.

 

„Überhaupt nicht. Du bist der Boss.“ Gehorsam trabte Frank hinter Toni her, die sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. „Hey, weißt du eigentlich, dass wir den gleichen Anwalt haben“, fragte er unterwegs unvermittelt.

 

Toni blieb so plötzlich stehen, dass Frank um ein Haar auf sie aufgelaufen wäre. „Wie meinst du das?“ Ihre grünen Augen blitzten gefährlich, doch davon ließ sich Frank nicht beeindrucken.

 

„Ganz einfach, ich hab´ dich letzte Woche mit Becker im Gericht gesehen. Und bevor du etwas anderes behaupten willst: Es war ziemlich eindeutig, dass er dich vertritt.“

 

„Und?“

 

„Na ja…“, sagte Frank, nun seinerseits etwas unsicher. „…du bist immer noch hier. Ist doch bemerkenswert, oder?“

 

Toni zog die Augenbrauen hoch. „So, findest du? Und was schließt du daraus?“

 

„Dass du anscheinend Nachschlag bekommen hast“, antwortete Frank wie aus der Pistole geschossen.

 

„Meinst du…?“

 

„Klar, was  sonst? Komm schon, lassen wir doch den Eiertanz, okay? Erzähl mal, was hast du ausgefressen, dass sie dich nicht von der Kandare lassen?“

 

„Jetzt hör´ mir mal gut zu“, sagte Toni mit einer gefährlichen Ruhe in der Stimme. „Ich glaube, wir sollten da direkt mal was klarstellen, bevor du noch anfängst, dich hier mit deinen Taten zu brüsten. Du hast deine Probleme und ich habe die meinen, zugegeben. Deine Probleme interessieren mich nicht die Bohne, verstehst du? Ich hab´ genug mit meinen eigenen zu tun. Was uns beide, Gott sei Dank, unterscheidet ist, dass ich, im Gegensatz zu dir, versuche meine Probleme zu lösen.“

 

„Ach ja? Im Gegensatz zu mir?“ Frank spürte, wie die Wut langsam in ihm hoch stieg, doch noch beherrschte er sich. Seiner Meinung nach war die Kleine ganz schön eingebildet, wogegen allerdings Roman´s Worte über sie sprachen. „Was soll das? Ich bin doch da, oder? Genauso wie du.“

 

„Oh ja, sicher. Die Frage ist nur, wie lange du da sein wirst? Ich kenne  deinen Schlag. Man hört `ne Menge über euch.“

 

„Ist ja hochinteressant. Was hört man denn so?“ Er lehnte sich lässig mit dem Rücken an die Wand und wartete anscheinend völlig ungerührt auf die Antwort. „Komm schon, erzähl doch mal.“

 

Toni verdrehte genervt die Augen. „Gott, verschon mich mit dem Schmus, ja? Bitte. Ich hab´ einfach keine Zeit für so etwas. Ich gebe zu, es passt mir nicht, mit dir arbeiten zu müssen. Andererseits weiß ich, dass du nichts dafür kannst. Es gibt aber eine einfache Lösung für unser Dilemma. Wenn du die beherzigst, werden wir beide bestens miteinander auskommen. Vielleicht können wir uns ja darauf einigen, okay?“

 

„Lass hören, ich bin ganz Ohr. Wie sieht diese Lösung deiner Meinung nach aus?“

 

„Du tust, was ich dir sage und trödelst nicht rum. Ganz einfach. Über unsere Arbeit hinaus, haben wir nichts miteinander zu tun. Es gibt also auch keinerlei Veranlassung für blöde Fragen. Von mir aus kannst du von mir denken, was du willst, klar?“

 

Frank tippte sich an die Stirn: „Weißt du was, Süße? Du sitzt auf einem ganz schön hohen Ross. An deiner Stelle würde ich aufpassen, dass ich nicht vom Pferd falle. Denn eines ist doch wohl mal klar: Du bist keinen Deut besser als ich.“

 

Toni schnappte nach Luft. Sie wollte ihm gerade wütend etwas auf seine Unverschämtheit entgegnen, als Frank sich von der Wand abdrückte und mit langen Schritten an ihr vorbeistolzierte, wobei er äußerlich völlig cool sagte: „Du hast es doch so eilig. Wo ist denn nun der Speisesaal? Ah, ein Hinweisschild. Wie schön. Wer lesen kann, hat mehr vom Leben und ist auf niemanden sonst angewiesen.“ Er warf einen Blick über die Schulter zurück und sah Toni ziemlich verdattert im Gang stehen, wobei er innerlich aufjubelte. „Was ist? Hättest wohl nicht damit gerechnet, dass einer wie ich lesen kann, was?“

 

 

Vor unterdrückter Wut bebend folgte Toni Frank in den Speisesaal. Kurz darauf registrierte Frank, dass ihre Laune offenbar noch schlechter wurde, als sich herausstellte, dass er sich durchaus geschickt bei der Arbeit anstellte. Woher sollte sie auch wissen, dass er sich früher oft im Hotel seiner Eltern mit solchen Arbeiten und im Service sein Taschengeld aufgebessert hatte. Nach ihrem Auftritt vorhin würde er sie garantiert nicht aufklären. Vergnügt arbeitete Frank vor sich hin und genoss still seinen kleinen Triumph, wobei er penibel darauf achtete, dass er ihr keinen Anlass zum meckern gab.

 

Nach und nach füllte sich der Speisesaal und Frank bemerkte, wie einige der Heimbewohner ihn neugierig musterten und offensichtlich über seine Anwesenheit tuschelten. Als der Saal so gut wie voll war, wartete er darauf, dass Toni ihn vorstellte, doch die machte keinerlei Anstalten, dies zu tun. Okay, dachte er schließlich. Selbst ist der Mann. Kurzerhand schnappte er sich ein Glas und klopfte nachdrücklich so lange mit einem Löffel gegen den Rand, bis auch der Letzte im Saal ihm seine Aufmerksamkeit schenkte.

 

„Hallo …“ Er räusperte sich kurz. „Ich sehe Ihnen an, dass sich einige von Ihnen über das neue Gesicht wundern. Mein Name ist Frank und ich denke, ich werde noch genug Gelegenheit dazu haben, Sie alle persönlich kennen zu lernen. Bis dahin möchte ich Sie um Nachsicht bitten, falls nicht sofort alles zu Ihrer gewohnten Zufriedenheit klappen sollte. Ich arbeite nämlich zum ersten Mal in so einem Betrieb und Toni…“ Mit einer schnellen Handbewegung und einem freundlichen Lächeln auf den Lippen wies er auf das Mädchen, die mit sichtlich überraschter Miene schräg hinter ihm stand. „…die man zu meiner Amme wider Willen gemacht hat, wird sicher noch einige Tage brauchen, bis sie mir alles gezeigt hat. Also bitte, seien Sie nachsichtig mit mir. Ich verspreche, ich werde mir Mühe geben.“

 

Beifälliges Gemurmel wurde laut und einige der alten Leute nickten freundlich in Franks Richtung. Mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen drehte er sich zur Seite. „Hey, das ist besser gelaufen, als ich dachte. Was meinst du?“

 

„Ich heiße Antonia“, zischte seine Amme wütend.

 

„Aber ich dachte… Hat der Pinguin im Büro dich nicht eben Toni genannt?“

 

„Schwester Maria“, fauchte Toni. „Und ja, meine Freunde dürfen mich Toni nennen.“

 

„Oh, okay…“, antwortete Frank gedehnt. „Ist angekommen.“

 

Schwester Maria, die plötzlich hinter Toni auftauchte, war offenbar der gleichen Meinung wie Frank, denn sie nickte beifällig: „Herr Baumann, ich finde, das haben Sie sehr gut gemacht.“

 

„Danke. Aber nennen Sie mich bitte Frank. Herr Baumann klingt so …“ Er schüttelte sich leicht. „…sagen Sie einfach Frank, okay?“

 

„Ich werde versuchen, daran zu denken“, antwortete Schwester Maria lächelnd, bevor Sie sich an Toni wandte: „Eigentlich wäre das ja deine Aufgabe gewesen, nicht wahr?“

 

„Ich weiß“, antwortete die ungehalten. „Aber ich habe Sie gewarnt – ich kann so etwas einfach nicht.“ Sie verschwieg wohlweislich, dass es ihr außerdem schwerfiel, sich vor Augen zu führen, dass sie ab jetzt für jemanden verantwortlich war, der mindestens eineinhalb Köpfe größer und außerdem noch älter als sie war. Jemanden mit traumhaft blauen Augen, der zudem ziemlich selbstbewusst und unverschämt war. Kurz, jemanden, von dem sie sich normalerweise tunlichst fernhalten und dem sie garantiert nicht über den Weg trauen würde.

 

„Hey, kein Problem. War leichter, als ich dachte“, lächelte Frank, der damit hoffte, den Rüffel für Toni etwas abschwächen zu können. Leider ging auch dieser Schuss nach hinten los.

 

„Wie schön für dich“, entgegnete Toni schnippisch. „Los, komm, hier sind wir fertig, aber es gibt noch eine Menge zu tun. Auf der Pflegestation müssen die Betten für die Nacht gemacht werden.“

 

Ohne seine Reaktion abzuwarten eilte Toni voraus und nach einem aufmunternden Kopfnicken von Schwester Maria folgte Frank ihr achselzuckend. Das konnte ja noch heiter werden.

 

To be continued - im neuen Thread !!!

Kommentar schreiben

Kommentare: 7
  • #1

    MissJenny (Dienstag, 04 Juni 2013 19:10)

    Hey - da bin ich wieder.
    Also Frank - ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll. Einerseits möchte ich ihn an die Brust drücken, und dann wieder mit Anlauf in den Hintern treten. Nur um ihn kurz darauf wieder zu umärmeln. Grrrr - der Bursche kann einen echt irre machen.
    Sag mal, wie alt ist er jetzt? 16, 17, 18?
    Aufführen tut er sich, wie frisch in der Pubertät.

    Da knallt er sich also das Hirn mit Drogen voll, kommt irgendwann nach Hause, um zu erfahren, dass es einen Termin bei seiner Bewährungshelferin gibt. Und natürlich, statt in die Schule zu gehen lanzelt er wieder auf dem Fabriksgelände herum.

    Gut finde ich, dass er langsam dahinter steigt, was mit seiner Clique wirklich los ist. Und dieser Nick ist ja ein ganz feines Bürschchen. Aber seine Idee ist ja super. Schade nur, dass er sich um Franks Gerichtstermin nicht die Bohne gekümmert hat. Aber seine drei Bandenmitglieder, die müssen gerettet werden.

    Die Bewährungshelferin find ich ja echt cool. Wie der Zufall so spielt (Zufall - haha) ist sie des Richters Tochter. Wer das wohl eingefädelt hat? Und dann gehts auch noch ab zu Schwester Maria - in den Krähenstadel. Ob Frank dort wohl auf eine alte Bekannte trifft - grins. Darauf bin ich jedenfalls gespannt.

    Schön finde ich, dass er den Treibstoff zurück bringt. Ich hoffe nur, dass der wirklich so lange dort stehen bleibt, bis Paul ihn sieht. Nicht dass einer aus Nicks Bande mit diesem "Geschenk" abhaut.

    Überrascht - und zwar in positivem Sinn - war ich über die klaren Worte die Frank bei seinen Eltern. Ich denke mal, die waren auch ganz schön erstaunt. Papa Frank ist diesmal relativ ruhig geblieben, was ich total gut fand. Und Mama Frank scheint sowieso die Vernünftigste in dem ganzen Haufen zu sein.

    Tja - und jetzt warte ich auf den ersten Arbeitstag von Frank und hoffe, dass er inzwischen keinen Ärger mit little Nicki bekommt. Was ich sicher weiß ist, dass er sich an Tony ein Beispiel nehmen kann und dass er charakterlich hoffentlich reifer wird.

    Zu wünschen wäre es im (und kleine Ansätze zeigt er ja schon)

    Alles Liebe

    MissJenny

  • #2

    spannung-und-mehr (Dienstag, 04 Juni 2013 19:58)

    Heidi, meine Gute :-D

    Hab´ ich dir eigentlich schon einmal für deine Mega-FB´s gedankt? Falls nicht, so möchte ich das jetzt nachholen. Egal, ob hier oder an anderer Stelle, ich freu´ mich jedes Mal wie Bolle, wenn du dich zu Wort meldest! Bei dir habe ich immer den Eindruck, du "lebst" meine Geschichten, denn deine FB´s wirken richtiggehend lebendig und gehen voll mit!

    Nochmals vielen Dank und auch für dich alles Liebe und Gute - hast es ja bald überstanden **grins**

    Silvia

  • #3

    MissJenny (Montag, 10 Juni 2013 17:49)

    Hey Silvia,

    ich freu mich - weil es weitergeht.
    Aber vorab schon mal: "Danke für die Blumen" ;-)

    Was du hier beschreibst, ist genau so. Ich "lebe" wirklich mit. Das ist aber auch ein Problem, denn auf diese Weise schaff ich grad mal 2 bis 3 Geschichten gleichzeitig und viele gute Storys bleiben dabei auf der Strecke. Auch Bücher müssen von mir, sofern spannend genug, sofort auf einen Sitz ausgelesen werden. Manchmal ist das ganz schön anstrengend - aber - das ist mein Problem :-).

    So - nun aber zum neuen Kapitel:

    Tony will ausschlafen. Nun, ich, die ich chronischen Schlafmangel kenne, kann mir ungefähr vorstellen wie es ihr geht. Umso mehr bewundere ich sie, dass sie das alles noch mit Humor erträgt. Ich befürchte nur, dass sie, wenns so weiter geht, bald keine Energie mehr dafür aufbringen kann. Das Mädel schlittert direkt ins Burn-out. Ist kein Mode-Wort, das ich liebe. Aber ich kenne sämtliche Symptome sehr genau! Und alleine, dass sie vor der Familie immer auf stark macht, und eigentlich nur schlafen will, ist für mich ein deutliches Alarmzeichen.

    An das verkümmerte Mauerblümchen kann ich allerdings nicht glauben, auch wenn mich die Vorstellung zum Lächeln gebracht hat.

  • #4

    MissJenny (Montag, 10 Juni 2013 18:39)

    Uuups - PC abgeschmiert.

    Bei der Arbeit wirft der große Frank seinen Schatten voraus. Tony hats ja wirklich nicht leicht. Aber wenigstens kann sie den Lohn halten! Denn ohne diesen wären ihre Familie ziemlich angeschmiert.
    Ach ich hab Angst um das Mädel. Das entwickelt sich alles in eine Richtung, die nicht gut ausschaut.
    Volle Arbeit, Franky-Boy einschulen, daheim die Kinder, Schulung, Tests, ....
    Aber wenigstens hat sie einen netten Kollegen, der ihr hilft. Hab ich nicht irgendwo mal schon was von ihm gelesen ? ;-)

    Also ich möchte wirklich wissen, welche Ratte sie da verraten hat! Oder hat es da jemand gut gemeint und übertrieben? Wollte da jemand, dass Tony eine Ausbildung erhält und hat über das Ziel hinausgeschossen? Ach, Fragen über Fragen.

    Aber bei all dem, was Tony um die Ohren hat, wundert es mich nicht, wenn sie hin und wieder Gott anruft. Schwester Marie mag da schon Einwände haben, ich hätte wahrscheinlich sogar laut geflucht. (Ich weiss noch immer nicht, und ich überlege schon lang, mit welcher Schwester aus "Sister-Act" Schwester Marie vergleichbar ist - mit der Oberin definitiv nicht - gib mir mal einen Tipp - Bütte - ganz lieb guck).

    So - ich warte auf meeeeeeehr !!!!!!!!

    Und lass es dir ja nicht einfallen, wegen Urlaubs zu pausieren! Sonst schreib ich dir ähnliche FB's wie du bei meiner Geschichte. Du genießt ja keinen Welpenschutz - kicher.
    Ne, ne - so schlimm wirds nicht werden.

    LG MissJenny

  • #5

    MissJenny (Dienstag, 18 Juni 2013 08:45)

    Hi - ich grüße dich schwitzenderweise.

    Also ich muss sagen, DAS ist mein bisheriges Lieblingskapitel. Und nicht nur, weil ich es schon viel früher ein bisschen anlesen durfte.

    Bisher hatten wir ein Kennenlernen deiner Charaktäre, zu zeigtest uns ihre Beweggründe, was sie so denken, ein bissl warum sie so sind und die Begleitumstände, die zu dem jetzigen Zusammentreffen von Frank und Tony führen. Alles liebevoll durchgezeichnet, so dass man richtig gut mitleben und mitfühlen kann.

    Doch jetzt !!!! Tja jetzt knallt es erstmalig zwischen Tony und Frank. Süß finde ich irgendwie, dass da, zumindest für mich, ziemlich gut durchkommt, dass Tony ja doch noch sehr, sehr jung ist. Die Vorurteile, mit denen sie Frank gegenübertritt (gut - ich kann es ihr nicht verdenken, wenn sie ihn schon früher mit seinen "Kumpels" abhängen hat sehen) zeigen ganz einfach, dass sie, trotz ihrem ständigen Umgang mit den unterschiedlichsten Menschen, davor nicht gefeit ist. Dementsprechend hart nimmt sie ihn ran - ich denk aber mal, Frank wird es nicht schaden.

    Dein Roman könnte sich übrigens ebenfalls zu einem meiner Lieblingscharaktäre mausern. Du hast mal die Angst geäußert, er könnte zu "schwuftig" rüberkommen. Tut er absolut nicht! Du bringst ihn als gestandenes Mannsbild, offen, ehrlich, vor allem für mich auch sehr witzig, mit halt einer etwas anderen sexuellen Orientierung. Und er klärt die Fronten von vornherein gleich ab - ist doch gut so. Also ich, an Franks Stelle, würde mich an Roman hängen - seine Hilfe wird er in nächster Zeit sicher gebrauchen können und auch den einen oder anderen Tip im Umgang mit Tony.

    Und jetzt freu ich mich auf den ersten Arbeitstag von Frank, seine Gedanken, wenn er das erste Mal in den Windeleimer greift und ich wünsch mir wirklich, dass er totmüde am Abend von der "ehrlichen" Arbeit in sein Bett knallt, ohne überhaupt die Zeit, an Drogen oder anderen Mist denken zu können.

    Man liest sich - LG MissJenny

  • #6

    MissJenny (Freitag, 21 Juni 2013 08:56)

    Wah – jetzt hatte ich schon gaaaanz viel – und alles ist futsch.
    Also von vorne noch einmal:

    (Ich erspar dir dafür die Sätze mit „erfolgreicher Drohung“ … - schön, dass es weitergeht!)

    Frank geht also wieder zur Schule – was für eine Überraschung. Wahrscheinlich zwar eh nur, um Anspruch auf Aufnahme ins Jahrgangsbuch zu erhalten, aber immerhin. Der verlorene Sohn ist also zurückgekehrt.
    Seine Ambitionen, seine Bewährungsstrafe im Altersheim abzudienen, sind durch Tonis Anwesenheit ja deutlich gestiegen. Grins.
    Lachen musste ich beim „alternden Dinosaurier“. In seinem Alter sind ja alle über 40 ururalt.
    Den Vergleich zwischen dem „bigotten Pinguin“ und der „hübschen Zicke“ fand ich ganz amüsant. Vorallem weil in diesem Bubenstück die Zicke eindeutig „Frank“ heißt.

    Entzückend fand ich auch die kleine interne Beschreibung, die Frank hier von Toni abgibt. Nein – hilflos ist Antonia sicher nicht.
    Also bis daher hatte ich ihn wieder richtig ins Herz geschlossen.

    Aber DANN!!!!! (ja , ich verwende Rufzeichen oft und gern ^^), aber dann – mit der Unbekümmertheit seiner Jugend und der tollpatschigen Unbeholfenheit eines jungen Hundes posaunt er die einzige Gemeinsamkeit, die er finden kann, vor Toni laut heraus – der gleiche Anwalt! Und wenns nur das gewesen wäre. NEIN – er muss noch einen drauflegen. Seine Schussfolgerung, dass sie, wie er es nennt, einen „Nachschlag“ bekommen hat, finde ich ja höchst interessant. Also tiefer kann man schon nicht mehr ins Fettnäpfchen treten.
    Hier bewundere ich Antonia voll und ganz, dass sie so ruhig geblieben ist. Ich glaube ich wäre ausgezuckt, ganz ehrlich.

    Aber die Anmaßung von ihm, dann zu sagen, sie solle von ihrem hohen Ross steigen, weil Sie keinen Deut besser wäre als er!
    Ab da hatte er bei mir eindeutig verspielt. Das ist wieder einer dieser Momente, wo ich ihn mit Anlauf in den Hintern treten will, oder seinen Magen mit der Faust bearbeiten, oder zumindest eine saftige Ohrfeige verpassen!
    Sie arbeitet um Ihre Familie zu ernähren, geht nebenher zu Schule, erledigt daheim die ganze Arbeit, betreut kleine und pubertierende Kinder, macht jetzt auch noch die Ausbildung (die sie aufgebrummt bekommen hat) und er vergleicht sie mit einem faulen, arbeitsscheuen, drogennehmenden Schulabbrecher. Gut, er kanns nicht wissen, aber trotzdem – diese Ansage ist schwer unter der Gürtellinie. So ein A…..

    Sag mal Silvia, bist du dir eigentlich bewusst, was du da tust? Du setzt so ein Kapitel bei Höchsttemperaturen einer hormongebeutelten Frau OHNE VORWARNUNG vor die Nase !! Höchst gefährlich, so etwas ;-).
    Jedenfalls hat Franky-Boy bei mir ausgesch…. . Aus, Ende, Finito! Da muss er schon was ganz Besonderes bringen, will er wieder in mein Herz hinein. Dazu bin ich nachtragend und hab ein Gedächtnis wie ein Elefant. So nicht – junger Mann.

    Seine Vorstellung vor den alten Leutchen war dann zwar ganz nett, hat für mich den Tag aber nicht mehr gerettet.

    Abschließend bedank ich mich, dass du mich lesetechnisch trotz deiner anderen momentanen Beschäftigung nicht auf dem Trockenen sitzen lässt. Drei Wochen wären mir doch zu lange geworden.
    Ich wart jetzt mal ab wie es weitergeht. Und nein – keine Drohungen – nur ein sanftes Anstupsen.

    LG MissJenny

  • #7

    Silvia (Mittwoch, 26 Juni 2013 05:57)

    Heidi, Heidi,

    oh Mann, wenn ich geahnt hätte, dass dich das Kapitel so mitnimmt...wäre es mit ziemlicher Sicherheit trotzdem nicht anders verlaufen **grins**

    Ein toller Comment - vielen lieben Dank dafür :-D Du weißt, ich freu´ mich immer riesig, wenn von dir was kommt...

    Ich hoffe, du bleibst - trotz deines Hormonspiegels - weiter dran. Es tut mir natürlich leid, dass Frank bei dir nun so versch... hat, aber wer weiß, wer weiß...

    In diesem Sinne...folg mir doch einfach in den neuen Thread
    LG Silvia